Salpico

Gareth 32 (Neferu) (TRA 1014)

23. Efferd 1014 BF

„Was ist mit Garion, Phexdan und Salpico?“
Nepheruna saß mit Voltan und Rychard am Frühstückstisch, in einer Hand ein Honigbrot, in der anderen einen Kohlestift mit dem sie sich Notizen machte.

Voltan hatte einen Stapel von Briefen und kurzen Nachrichtenzetteln vor der Nase und mit der Geschwindigkeit eines aktengeübten Bürokraten, arbeitete er sich durch den Wust.
„Kommen. Salpico bringt als seine Plus-Eins Sjören Vanderbloom mit – wohl auch ein Schwarzmagier.“ Voltan seufzte nicht hörbar, aber Neferu konnte mittlerweile sein stilles Durchatmen ausmachen, wenn er sich resigniert und ohne Auffälligkeiten in den Umstand fügte, dass seine zukünftige Braut nicht nur selbst eine magiebegabte Tochter Satuarias war, sondern auch viele ihrer Freund- und Bekanntschaften aus arkanem Umfeld stammten.
Der Albernier hatte Akzeptanz gelernt, aber gewöhnt hatte er sich noch nicht an all diese Fingerfuchtler jedweder Couleur, die in letzter Zeit um ihn herumtingelten.

„Auch Phexdan hat zugesagt?“ Ihre dunkle Stimme klang tatsächlich verwundert. Auch wenn sie es erhofft hatte: Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte ohnehin nicht sicher sagen können, ob Phexdan – immerhin ihr ehemaliger Gefährte – Lust hatte, sich dieses traviagefällige Spektakel anzusehen, noch weniger hatte sie erwartet, dass er tatsächlich eine schriftlich, manierliche Antwort zukommen lassen würde.
Voltan wedelte zur Antwort mit einem Stück Hadernpapier.
„Hm. Gut!“ Anerkennend nickte sie.

„Magister Horrigan? Ich hoffe ja immer noch, ihn mit Ahlemeyer zu verkuppeln.. kommt sie?“
„Kommen beide!“
„Lamiadon und Willimay?“
Voltan blätterte erneut und schrieb seinerseits eilig einige Namen auf seine Liste.
„Ja, der hat auch zugesagt. Auch wenn sie wohl nicht allzu lange bleiben, immerhin muss Willimay in ihrem Alter früh ins Bett.“ Das stimmte wohl. Willimay war keine sechs Sommer alt – eines der Waisenkinder, die Nef in eine Familie vermittelt hatte.
Der Inspektor ergänzte weitere Zusagen: „Von meinen einstigen Kameraden des Schwadron haben 32 zugesagt. Auch das Ehepaar Gesse kommt. Von der Wachmannschaft des Puniner Tors kommen zehn – darunter auch Helchtruta, Rumpo und Helme…Und Torfstecher hat zugesagt.“ Seine letzten Worte kamen gedehnter. Er mochte Jereminas nicht, von dem er heute wusste, dass er irgendwie mit einem der Garether Phextempel verbandelt war – mehr wollte er gar nicht in Erfahrung bringen. Damals jedoch, als sie beide Kinder gewesen waren, hatte ihn der schneidige, selbstbewusste und ältere Jereminas gehänselt. Dickfinger. Voltan hörte noch heute die schäbige Schadenfreude in den Spitznamen, die der Ältere ihm gegeben hatte. Er war als Kind nicht eben schlank gewesen und das hatte andere Jungen dazu animiert, ihn auf dem Kieker zu haben. Kinder waren grausam.

Die Hexe schrieb mit, biss beiläufig in ihr Brot. Noch eine Woche, dann sollte der große Tag sein, der sie und Voltan für immer vereinen würde. Sie spürte Aufgeregtheit, Vorfreude und Angst in sich streiten.

Rychards ewig gelangweilte Stimme mischte sich ein – als Trauzeuge der Braut war in die Vorbereitungen der Hochzeit eingespannt worden. Auch wenn seine Aufmerksamkeit sich zwischenzeitlich auf das bildlich ausgeschmückte Rahjasutra gelenkt hatte, das Neferu aus einer wenig zünftigen Laune heraus vor einigen Tagen aufgetrieben hatte.
„Absagen haben wir von Meinloh von Gareth – er weilt derzeit gar nicht in der Stadt -, Nerix Sandsteiner, Visalyar Wassertänzer und Phygius II. Letzterer war sogar… aufgebracht, dass man ihn aufgespürt hatte.“ Er rollte mit den Augen.
„Was ist eigentlich.. das da? Das kleine Einmaleins des Fremdgehens der Rahjakirche?“ Voltan deutete mit einem zweifelnden Blick zur Seite auf das aufgeschlagene Rahjasutra.
„Dafür bist du noch nicht bereit. Nicht bereit für das maraskanische Schandrad…“ Der Al’Anfaner lächelte verschmitzt.
Voltan verzog fast angewidert das Gesicht.
„Klingt… ungewaschen..“ murmelte er in Skepsis.
„Keine Absage von Dexter Nemrod..?!“ Die Frau mit der offensichtlichen Lieblingsfarbe rot lenkte das Frühstücksthema zurück auf ihren großen Tag.
„Er kommt.“ erwiderte Voltan schlicht.
Neferu gluckste amüsiert.

30. Efferd 1014 BF

Der Tag der Hochzeitszeremonie stand unmittelbar bevor. Nur noch einmal schlafen! Seit dem viel zu frühen Erwachen noch vor dem Sonnenaufgang war die Nervosität der Braut Stunde um Stunde hartnäckig gestiegen und hatte sie in einen hitzköpfigen Gemütszustand zwischen greifbarer Panik und alveranhochjauchenzender Vorfreude versetzt.
An diesem Morgen hatte das zukünftige Ehepaar – und Rychard, denn er wohnte derzeit bei den Sprenglers, solange sein eigenes Haus renoviert wurde – Besuch aus Eschenrod: Die kleine Hex, ein fingerfertiges Mädchen, das eigentlich Ardare hieß, die wunderhübsche 14-jährige Jarla und den geschickten Kletterer Hakon. Alle drei waren Zöglinge des Waisenhauses, das die Stadthexe unterstützte.
Es war organisiert worden, dass sowohl blumenstreuende Kinder als auch junge Mädchen in den gleichen Kleidern als Brautjungfern aus dem Haus der Findelkinder stammten.
Und heute gab es eine Anprobe.
Auch Nepherunas beste Freundin Duridanya war zugegen. Wegen einer anderen Anprobe: Das Brautkleid war da – angepasst, das zweite Mal. Ein bisschen umfangreicher war der Bauch der Braut geworden – immerhin wuchs dort drinnen ein Tsawunder zu menschentauglicher Größe heran, das bemerkte man mit bloßem Auge zwar noch nicht, aber das eng taillierte Kleid schon.
Während die künftige Frau Sprengler also auf einem Hocker stand und Duridanya das traumhafte Kleid aus roter Seide, einer Menge Drôler Spitze und Perlen ein letztes Mal begutachtete, indem sie mit grüblerisch-kritischer, aber letzten Endes glücklicherweise zufriedener Miene um die lebende Schneiderpuppe herumlief und mal hier, mal da zupfte und zog, kam Rychard durch die Tür.
Rychard – so nannte nur sie ihn.
Sein eigentlicher Name war Rahjard Karinor und er war der Bastard einer Grandenfamilie in Al’Anfa, die sich auf die Reederei spezialisiert hatte.
Rychard oder Rahjard hatte sich die Haare machen lassen – verlängern und schwärzen. Und er hatte sein schwarzes Hündchen Cyri bei sich – wie immer. Nef da auf dem Hocker blinzelte einmal. Es sah gut aus, was Rychard da fachkundige Hand hatte mit sich veranstalten lassen. Und irgendwie fand sie, dass sich Herrchen und Hündchen nun ähnlicher sahen.
Sie schmunzelte abgelenkt und stieg dann von ihrem nötigen Brautkleidpodest. Beim Raffen ihres Kleides zeigte sie einen Eindruck von dem, was darunter war: Rote, lange Strümpfe aus feinstem Stoff und neue dunkelrote Schuhe, die gelackt glänzten. Duridanya hatte sie mit einem blauen Strumpfband ausgestattet. Das bringe Glück, hatte die Blonde beteuert.

Der Schönling mit dem eigentlich kastanienfarbenen, jetzt aber schwarzen Haar warf selbiges zurück. Auf ihr Kleid ging er nicht ein.
„Talafeyar und sein Mann Velun sind schon in der Stadt.“ verkündigte er prompt mit einem sachten Ton Unzufriedenheit. Das war meistens so und einfach Teil von Rychards Sprachkultur. Wenig war eben gut genug für ihn und das pflegte er dezent auch auszudrücken. Und was alles andere als gut war, hatte er soeben ausgesprochen: Sein Techtelmechtel, das zweifellos ansehnliche, blonde Spitzohr Talafeyar, seines Zeichens Geweihter der Rahjakirche, hatte den Ehemann mit nach Gareth gebracht.
Nef nickte nur langsam.
Schade – sie war selbst Zeuge gewesen, wie es zwischen ihrem Freund Rychard und dem Priester aus Perricum geknistert hatte. Aber.. das war wohl die alltägliche Wirkung des Rosenpaters.
„Und wie geplant schläft Voltan heute Nacht im Hotel ‚Alter Kaiser‘ bei seinen Eltern und deren neue Anhängsel, die ja seit gestern und vorgestern schon da sind wie du weißt. Und..“
Er brach ab, hob sachte seine feingeschnittenen Brauen, in denen kein Haar in eine verkehrte Richtung zu wachsen schien – und das von Natur aus – und musterte die Frau in rot.
„Du siehst gut aus.“ Er hob sachte einen Mundwinkel. „Aufgeregt?“

01. Travia 1014 BF

Sie öffnete die Augen, als der Nagel aus der Kerze fiel – diese war weit heruntergebrannt über die letzte Nacht und sollte sie zur sechsten Stunde des Morgens wecken.  Der einfache Weckmechanismus verfehlte seinen Zweck nicht. Neferu setzte sich auf.
Sie hatte überraschend gut geschlafen – von alten Abenteuern hatte sie geträumt, großer magischer Macht und eingekerkerten Vampiren. Mit zwei Fingern rieb sie sich den Schlaf aus den Winkeln der Mandelaugen.
In der Stille des Morgens blickte sie zu dem Menschen, der da ruhig neben ihr schlief: Duridanya mit geflochtenem Zopf.
Nach einem Anfall von Übelkeit am Abend zuvor – aufgrund der Aufregung, nicht der Schwangerschaft – hatte ihre beste Freundin es eingerichtet, zu bleiben. Korobar hatte die zwei Kinder der beiden ausnahmsweise alleine zu Bett bringen müssen.
Dann sprang Ineri auf die Schlafstatt und maunzte. Das junge Parderweibchen tatzte in die Decke und beharkte sie mit stetigem Milchtritt.
Nef griff beherzt nach dem lebenden kleinen Abbild ihres Seelentieres und ließ sich noch einmal zurück in die Kissen fallen.
Morgendliches Katzenkuscheln wollte sie sich auch an ihrem Travienstag nicht nehmen lassen!

Und dann… schienen dem Tag Flügel zu wachsen, er erhob sich und flog.
In einem Taumel aus tranceartiger Euphorie, dem Lachen von Freunden und der Angst vor großen Veränderungen, half Duridanya ihr mit der spitzenbesetzten Wäsche, dem Kleid, der Schminke.
Auch Rychard war da, stand der Braut in spe zur Verfügung. Er hatte sich ein neues Kleidungsstück schneidern lassen und strahlte ungewohnte Seriösität und Sicherheit aus. Ein Wandel, der ihm gut stand.
Er band Ineri und Cyri die Schleifen um die Hälse und… er hatte eine Kutsche organisiert, die von einem gut gekleideten Kutscher gelenkt wurde.
Nef erhielt ihren Brautstrauß: Rote Rosen, Efeu und kleine weiße Blümchen dazwischen, wie Schneeflocken oder Sterne.
Ein Blinzeln.
Die Kutsche war immer noch da. War sie in einem Märchen?
Ein weiteres Blinzeln.
Sie fuhren sanft holpernd in dem prunkvollen Gefährt über die Kopfsteinpflaster Gareths.
Neferu wollte jeden Moment festhalten und gleichzeitig wollte sie ihre Spuren verwischen und verschwinden. Ihre allgegenwärtige Angst, die Angst aufgespürt und gerichtet zu werden, die Angst verlassen zu werden, hintergangen zu werden – all das kam in ihr hoch wie ein innerer roter Drache, der kämpfte um zu zerstören, was sie sich aufgebaut hatte.
Sie sah sich in der Kutsche um. Wie im Traum verschwommen saßen da die Gestalten von Duridanya und Rychard. Und auch die tierischen Begleiter Ineri und Cyri waren da, irgendwo im inneren des luxoriösen Gefährts.
Nef schloss die Augen.
Voltan war der einzige für sie. Der einzige, dem sie gänzlich vertraute, dem sie Geheimnisse anvertraut hatte, die sonst niemand kannte. Sie wusste mit einer inneren Gewissheit, dass sie auch die letzten Hüllen der Wahrheiten würde fallen lassen können, wenn sie es zuließ.
Er würde sie niemals verurteilen.
Die Braut öffnete ihre Augen, die Kutsche hielt. Zeit schien kaum eine Bedeutung zu haben.
Türen öffnete sich – helles Tageslicht des frühen Herbstes fiel herein.

Waren Augenblicke vergangen? Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie griff sich an die Kehle – ihr war, als würde sich ein zu warmer Schal darum winden, doch sie trug keinen. Nur eine einzelne Kette, die viel zu tief hing, um zu schnüren. War ihr Kopf ebenso rot wie ihr Kleid?
Sie klammerte sich an den Strauß, schritt bedächtig und aufrecht auf den Traviatempel zu, auf das schlichte Gebäude mit den Gänsepfeilern. An den Türen standen zwei Sonnenlegionäre und zwei Stadtwachen. Mittig, direkt vor dem großen Eingangsportal wartete Dexter Nemrod.
Die nervöse Braut hörte auf sich zu wundern. Sie hatte beschlossen nicht ohne wirklich guten Grund stehen zu bleiben. Neben sich sah sie Rychard, der beide Vierbeiner an Leinen führte. Sie fragte sich in dem Bruchteil eines Wimpernschlags, was der schöne Al’Anfaner den Tieren in ihr Futter gemischt hatte, denn sie verhielten sich ruhig und artig, fast als hätten sie die Feierlichkeit des Augenblicks begriffen – oder eben als hätten sie ein Alchemikum der Beruhigung verabreicht bekommen.

Nepheruna, namentlich noch Banokborn, kam direkt vor dem Großinquisitor zum Stehen. Er war etwas kleiner als sie – das war ihr zuvor nie aufgefallen. Er klackte hörbar mit dem Mechanismus an seinem Gehstockgriff und fixierte sie mit dem für ihn typischen Falkenblick.
Sie war heilfroh ihn zu sehen, auch wenn ihr Verstand ihr sagte, dass sein so demonstrativ dominantes Auftreten auch Ärger bedeuten konnte. Sie lächelte – unsicherer als sie wohl gesollt hätte.
„Reichsgroßgeheimrat..“ grüßte sie ihn mit ehrlicher Freundlichkeit.
Er nickte ihr knapp zu und ergriff das Wort: „Wollt Ihr das wirklich, Fräulein Banokborn?“ fragte er ohne Umschweife mit der Direktheit einer Guillotine, nur um zu ergänzen: „Noch ist Zeit alles abzublasen..“
Überrascht sah sie ihm in die Augen. Wollte sie das hier alles wirklich? Mit einer solchen Frage hatte sie weniger gerechnet als mit einer Festnahme wegen irgendwas.

Ja, sie wollte. Dexter Nemrods strenge Frage hatte das väterliche Vergewissern eines Menschen, der sich ernstlich interessierte und vielleicht sogar sorgte, erfolgreich verschleiert. Und diese Frage hatte ihr geholfen. Ebenso wie sein Rat zum Ehegelübde. Voltan war seit Stunden im Tempel, wartete, lief Linien in den Boden. Ihm war Angst und Bange, sie würde nicht erscheinen. Das hatte der Großinquisitor Nemrod ihr stoisch verraten.
Aber sie war nicht fortgelaufen! Ihr war ein für alle Mal klar geworden: Sie hatten sich einander anvertraut. Sie und Voltan waren längst eins.
Die Tempeltüren wurden weit geöffnet, Musik spielte, begleitete die Braut und die kleine Schar, die sie umgab, während sie festlich in die heilige Stätte der Travia hinein schritt.
Viele stehende Menschen. Ein Meer von Gesichtern. Lächelnde, solche mit Tränen in den Augen, grinsende, ernst feierliche… Da waren die Hortemanns aus Grangor mit Phexje, der zu einem jungen Mann herangewachsen war, der heitere Weißmagier Eulrich Durenald von Amt 7 der CriminalCammer und seine thorwalsche Frau, der Alchemist Grabensalb – ohne seinen Riesenhirschkäfer Paramanthus -, Gesine van Straaten, deren Vater zur Schneiderzunft Gareths gehörte; ernst stand da der weißmagische Inquisitor Calfang Rodebrannt aus Trallop, mit seiner Haushälterin Praia, die verschmitzt lächelte und der roten Braut gewieft zuwinkte, Neferu sah Helchtruta und Rumpo von der Stadtwache feixen, aufrecht und in ihren besten Praiostagskleidern Fricken und seine Mutter aus dem Viertel der Armen vor der Stadt und zwischen mehreren Legionären und Kriegsveteranen machte sie auch Phexdans ausdrucksloses Gesicht aus.
Ihr Blick glitt wie ein Schiff über Wogen und Wellen. Und Neferus Rastlosigkeit kam erst zum erliegen, als sie ihren Hafen erblickte: Voltan stand auf der anderen Seite des Tempels, direkt beim Altar mit der Statue der Muttergöttin. Als sich ihre Blicke trafen und sie sanft lächelte, mit Tränen der Freude in den Augen, änderte sich sein blass-befürchtender Gesichtsausdruck. Er wurde friedlich, erwartete sie.
Als sie beim Altar angelangte, Mutter Harina auf der Kanzel ihr feierlich zunickte und Voltan ihre Hände ergriff, fiel auch der letzte Zweifel von ihr ab und gab eine Zuversicht und Wärme frei, die sie nie zuvor gespürt hatte. Ihr wurde warm, sie drückte seine Finger, musste schmunzeln.
Die Musik verstummte und die Geweihte der Göttin des sicheren Zuhauses, der Geborgenheit, der Familie sagte einige Worte des Willkommens. Eine Ankündigung der Feierlichkeit.
Neferu, die Voltan immer nur ‚Vesper‘ nannte, erinnerte sich schon wenige Wimpernschläge später nicht mehr daran, was gesagt worden war – sie sah nur Voltan.

Von der Geweihten aufgefordert, teilte Voltan Sprengler, der Inspektor der CriminalCammer, der Weibel des Puniner Tors, der Leutnant eines Schwadron der kaiserlichen Reiterei, seine Lippen. Seine angenehme, mitteltiefe Stimme brach sich vielfach an den Wänden des Tempels und erfüllte die Halle.
„Von heute an verspreche ich Dir diese Dinge: Ich werde mit Dir lachen in Zeiten der Freude und Dir Trost spenden in Zeiten der Sorge. Ich werde Deine Träume teilen und Dich unterstützen, Deine Ziele zu erreichen.
Ich werde Dir mit Begeisterung und Verständnis zuhören und Dir aufbauende Worte sagen.
Ich werde Dir helfen, wenn Du Hilfe benötigst und Dir Deinen Freiraum lassen, wenn Du ihn brauchst.
Ich werde Dir in guten und in schlechten Zeiten vertrauen, in Zeiten von Krankheit und Gesundheit.
Du bist mein bester Freund. Ich werde Dich immer respektieren und lieben.
Ich glaube an Dich, an die Person, die Du sein wirst und an das Paar, das wir zusammen sein werden.
Ich nehme Dich von ganzem Herzen zu meiner Ehefrau, Ich kenne deine Schwächen und Stärken und akzeptiere sie, so wie Du meine kennst und akzeptierst.
Ich verspreche, vertrauensvoll und unterstützend zu sein und immer das Glück und die Liebe unserer Familie zu meiner wichtigsten Priorität zu machen.
Ich bin Dein Partner in Reichtum und in Armut, in Krankheit und in Gesundheit, im Scheitern und im Erfolg.
Ich werde mit Dir träumen, ich werde mit Dir feiern und ich werde immer an Deiner Seite gehen, ganz gleich, welche Hürden unsere Leben bereithalten.
Du bist mein Ein und Alles – meine Liebe, mein Leben, mein Heute und der Rest meines Lebens.“

Niemand unterbrach ihn in seinem Versprechen. Atemberaubt blickte seine Braut ihn an. Ihre Augen waren voller Liebe. Sie wusste, dass er sein Gelübde vorbereitet hatte. Sie hatte das nicht getan – verrückterweise nicht, weil sie es nicht gewollt hatte. Sie hatte es immer wieder verschoben, nie die richtigen Worte zu Papier bringen können.
Nepheruna-Vesper atmete tief ein, füllte ihre Lungen mit Luft. Ihr Herz machte einen Satz. Hätte sie doch nur etwas vernünftiges auf Papier zu Stande bringen können…
Sie hörte die Worte in sich, die ihr Dexter Nemrod vor dem Tempel gesagt hatte.
Lass einfach dein Herz sprechen.
Und das tat sie.
„Als ich dich das erste Mal sah, Voltan- das war am Puniner Tor – da sahst du so unglücklich aus. Verbittert, zornig und hoffnungslos. Schon damals wollte ich dich unbedingt lächeln sehen.
Ich weiß, dass wir uns noch nicht allzu lange kennen, kein ganzes Jahr. Aber das spielt keine Rolle – wir teilen soviel, dass ich mir sicher bin, dass wir uns jetzt schon besser kennen als andere nach vielen Jahren. Und immer noch, will ich dich lächeln sehen.
Wir haben beide viel Leid erfahren in unserem Leben und wir haben uns einander anvertraut. Und ich weiß, auch ich bin nicht immer einfach. Ich stelle mich selber gerne in den Mittelpunkt. Aber als ich dich kennengelernt habe, da konnte ich nicht locker lassen – ich wollte unbedingt wissen, warum du so unglücklich bist, um es zu brechen!
Und als ich dann wusste, welch schlimmes Schicksal dich plagt, da wollte ich alles tun, um dich zu retten. Alles. Und wir haben es geschafft. Gemeinsam haben wir dein Leben gerettet.
Meine Ziele sind jetzt deine und deine Ziele sind meine. Und auch deine Sorgen waren und sind jetzt meine. Du bist mein Glück, Voltan.
Ich kann dir alles sagen und weiß, dass du Verständnis hast und nicht urteilst. Du bist der einzige. Ich kann deine Hand greifen und weiß, du lässt mich ein in dein Leben und mich ein Teil davon werden. Du bist ein Teil von mir Voltan, wie ich ein Teil von dir bin. Und zusammen werden wir zu einem Ganzen. Ich liebe dich so sehr.“

Beide tauschten Ringe. Sie küssten sich. Die Gäste klatschten. Es erschien ihr wie ein wunderschöner Traum – ein glückliches Ende. Mit dem Unterschied, dass es keine Geschichte war, kein Märchen, kein Roman von Rosenkron: Alles geschah wirklich.
Nach der Tempelzeremonie speisten sie gemeinsam die Armen, wie es Brauch war und anschließend ging das frischvermählte Paar hinüber zu dem Tanzsaal, dem Essen, der Feier.
Reden wurden von Braut und Bräutigam gehalten, sie nahmen die vielen Geschenke entgegen. Sehr viele Geschenke. Die Trauzeugen hatten vorausschauend vorgesorgt. Rychard und Rank drapierten die Präsente auf mehreren bereitgestellten Tischen. Um Cyri und Ineri – die beiden einzigen Vierbeiner auf der Veranstaltung, kümmerten sich zwei Tsa-Geweihte, die Nef nicht einordnen konnte, aber in ihr trotzdem ein Gefühl von Frieden auslösten – was auch sonst: fremd hin oder her, es waren Geweihte der jungen Göttin.
Als alle Gäste – fast 170 Anwesende – an der überlangen Tafel Platz genommen hatten, hatte die Braut in rot den Eindruck Teil eines Festessens zu sein, das für eine Königsfamilie hätte angerichtet worden sein können.
Nach dem Essen wurde getanzt.
Der Saal war überwältigend hergerichtete worden. All die Rosen, das Licht, die vielen Gesichter von Menschen, die einem nahe waren.
Prinz Kasparbald hatte selbst zwar nicht kommen können – Nef hatte das bereits im Vorfeld geahnt, die Prinzen und Prinzessinnen Aventuriens hatten wohl Sinnvolleres zu tun, als wochenlang zu reisen, um eine Bürgerhochzeit weit, weit weg zu besuchen – aber er hatte von einem persönlichen Gesandten seine Glückwünsche übermitteln lassen.
Der Abend verging bis in die Nacht hinein wie ein Tanz bei dem man seinen Partner wechselte, sich unterhielt, zum nächsten hüpfte und Neuigkeiten aus aller Welt zu Ohren bekam.
Besonders im Gedächtnis blieben ihr vier Dinge: Dass Dexter Nemrod mit ihr übers Parkett geschwebt war und ihr in seiner gestrengen Art mitgeteilt hatte, dass er sich in gewisser Weise für ihre Existenz verantwortlich fühlte, da er für seine Sonnenlegionäre verantwortlich ist – und ihr Vater nun einmal einer davon war, der dummerweise mit einer Hexe ein Kind gezeugt hatte, dass der Weißmagier Calfang und der Schwarzmagier Salpico mangels Alternativen einmal miteinander tanzten, dass Brin überraschend vorbei gekommen war – Prinz Brin – der der Heldin von Greifenfurt gratulierte und gefolgt von seinen Mannen auch gleich wieder ging und zu guter letzt, dass Voltan in seiner Rede dazu gestanden hatte, dass sie eine Tochter Satuarias war. Vor allen hatte er dazu gestanden und zwar nicht auf eine Weise, dass er es nur tolerierte – sondern mit liebevoller und starker Akzeptanz.

02. Travia 1014 BF
Der wunderschöne Spuk war vorüber. Voltan und seine frisch angetraute Vesper hatten nicht genug getrunken, um einen Kater zu haben und deshalb fanden sie sich zeitig unten im gemütlichen Schankraum ein, der zu einer Frühstückstafel umfunktioniert worden war. Voltan hatte ihr direkt nach dem Aufstehen nun seinerseits ein Geschenk gemacht: Wertpapiere als Brautgeschenk.
„Damit du abgesichert bist.“ hatte er liebevoll und gleichsam sachlich betont.

Noch einige Gäste waren zum Frühstück geblieben – die Braut schätzte sehr, dass sie einige Gespräche vom Vortag weiterführen konnte.
Und noch etwas kam ihr wieder in den Sinn: Sie hatte Garion noch am gestrigen Abend eines ihrer bisher größten Verschwiegenheiten offenbart: Dass sie gemeinsam einen Sohn hatten, den sie an den Donnerbacher Rondratempel übergeben hatte, als er noch ganz klein gewesen war.
Der Rondrianer war dementsprechend in Aufbruchstimmung, aber weniger traurig oder nachtragend als die jetzt traviagefällig verheiratete Hexe erwartet hatte.
Er berichtete, dass er die Zorganpocken überlebt hatte, in der Gor gewesen war, dass er Zirkel von Paktierern aufgespürt hatte, ja sogar, dass dunkle Mächte versuchten, den Dämonenmeister aus alten Sagen – Borbarad – zurück ins Leben zu holen!
Die Hochzeitsstimmung war unrettbar dahin, aber das machte nichts. Sie hatte sich in etwas anderes gewandelt.
Die Schönheit der idyllischen Augenblicke hatte nicht gerastet, das taten sie nie. Ein Eindruck von Lichtern, Geschenken und Tanz bliebe zurück und verankerte sich als wundervollste Erinnerungen in Voltans und Vespers Herzen. Aber nun mussten sie erkennen, was da draußen dräute: Ein Morgen, der weniger traumhaft war – eine Welt im Wandel. Und in ihnen beiden entstand keine Angst, sondern ein Gefühl von Wachsamkeit, von unbeugsamem Zusammenhalt und dem Drang etwas zu tun – etwas Bösartiges gemeinsam aufzuhalten.

Kuslik 1 (Salpico) (TRA 1014)

Ein Botenreiter erreicht am Nachmittag eines Tages im Travia des Jahres 1014 BF das Redaktionshaus des Hesindespiegels in Kuslik. Bei sich trägt er einen ledernen Botschaftenbehälter, dessen Deckel mit einem siegellosen Stück Wachs verschlossen wurde. Die Übergabe der Sendung wird von keinerlei weiteren Hinweisen begleitet. Nach Öffnung des Behälters allerdings präsentieren sich dem geneigten Leser gleich zwei Schriftwerke in schwarzer Tinte. In dem ersten – offenkundig einem Begleitschreiben – findet sich Folgendes.

„Geschätzte Herausgeber des Kusliker Hesindespiegels,

Ich wende mich an Euch, um einem Themenbereich Geltung zu verschaffen, der meiner Ansicht nach sowohl in der Lehre als auch in der praktischen Arbeit junger Magier deutlich zu kurz kommt. Zu oft verkommt unsere Kunst zum Selbstzweck an den Höfen der Adeligen oder gerät unter die Knute älterer und wohlhabenderer Magier. Mit dem beiliegenden Traktat möchte ich das Interesse jüngerer Kollegen auch an von der Lehrmeinung als abwegig eingestufte Forschungen wecken und stärken.

Zu diesem Zweck beschäftigt sich der Tractatus Temporalis mit der Erforschung temporaler Phänomene und versucht aufzuzeigen, welchen Nutzen die Forschung auch in phantastischen Dimensionen ihr eigen nennt.

Wissen ist Macht
Adeptus Salpico Monterey

Das zweite Schriftstück ist ungleich länger und lautet wie folgt.

 

 

Tractatus Temporalis – Erster Teil


Betreffend die zaubermaechtige Wirkung des Eisenrost und Patina

Von Adeptus Salpico Monterey, Halle der Geister zu Brabak
Gegeben zu Gareth im 1013ten Jahre nach dem Untergang Bosparans

Der ungewoehnlichen Wahl des Themas wegen will ich mich dem geneigten Leser kurz erklaeren. Die Reihe Tractatus Temporalis – und hier insbesondere ihr erster Teil – markiert den Wendepunkt meiner Forschungen. Bisherige Ergebnisse auf dem Gebiet der Temporalmagie waren stets das Produkt zufaelliger Beobachtungen oder Aufeinandertreffen.
Nun aber ist es an der Zeit sich der Forschung ernsthaft zu widmen. Das Tractatus Temporalis soll dabei zugleich Forschungsbericht, Erinnerung und Ansporn sein. Zugleich ist jedem Mitglied der drei Gilden bekannt wie prekaer der Umgang mit der Magie der Zeit ist und welche immensen Gefahren jemand auf sich nimmt, der ernsthaft Satinav selbst die Stirn zu bieten versucht. Auch wird diese Spielart der Magika in vielerlei Landen als Frevel sogar als Ketzertum betrachtet.
Um daher weder meine eigene Forschung zu sabotieren, indem ich es Nachahmern allzu einfach mache meine Ergebnisse zu nutzen, noch unnoetig den Unmut der zwoelfgoettlichen Kirchen zu wecken, sind die hier praesentierten Ergebnisse lediglich beschnitten. Sie werden meinen Fortschritt zwar skizzieren, ein wahres Portrait – um im Rahmen kuenstlerischer Metaphern zu bleiben – werde ich aber nicht liefern.
Mir ist vielmehr daran gelegen meine werten Collegae mit dieser Schriftenreihen zu ermutigen. Zu ermutigen ihre Forschungen auch ungewoehnlichen und nuetzlichen Forschungsgebieten zuzuwenden. Wenn man den Meinungen und Spezialgebieten anderer folgt, dann kommt man sicher ans Ziel, aber wahre Wunder wird man nur erleben, wenn man eigene Fußabdruecke hinterlaesst – und nicht in denen anderer wandelt!
Bei meinen vorhergehenden Studienreisen und Forschungsansaetzen waren mir nur wenige Menschen eine Stuetze und wahre Hilfe. Um ihre Muehen nicht zu unterminieren, will ich ihnen das Leben nicht erschweren, indem ich ihre Namen nenne. Moegen die Goetter ihre Leben und Seelen gnaedig betrachten.

Introduktion
Die Matrix des so genannten Eisenrost und Patina ist seit Jahrzehnten bekannt. Sie kursiert in den Kreisen der Gildenmagie, sowie unter Druiden und auch Schelmen. Ihr Hauptanwendungszweck ist in diesen Zeiten eine Demonstration magischer Macht. Die Vernichtung von eherner Wehr, von Schloessern oder solcherlei mehr.
Tiefergehende Untersuchungen sind ob des offensichtlichen Erfolges bisher ausgeblieben. Vielfach wird in Forschungsberichten und Feldstudien darauf verwiesen, dass jedem Gegenstand auch die Kraft seiner eigenen Vergaenglichkeit inne wohnt. Eine Kraft die den Verfall eines jeden Materials unaufhaltsam aber schwach und oft langsam vorantreibt und es schließlich zur Gaenze vergehen laesst. Der Eisenrost und Patina – so die verbreitete Ansicht – laesst diese Kraft nun anschwellen und ihre Wirkung staerker und weitaus schneller voranschreiten, sodass der Effekt mit bloßem Auge sichtbar und bald beendet wird. Das Material wird so aus sich selbst heraus vernichtet.

Meiner Ansicht nach ist diese Sichtweise zu kurz gedacht. Sie misst sich an der Annahme, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Sie formuliert eine These, die sie sodann aber weder beweist noch widerlegt. Stattdessen werden Beobachtungen, die nicht zu der gewuenschten Erkenntnis passen einfach ignoriert, waehrend schwache Indizien als Beweis gewertet werden.
Das, verehrte Collegae, ist keine belastbare Forschung! Das ist Geschichten erfinden, weil sie einem gefallen!
Dieser Aufsatz soll nun mit dem Auftrag ausgestattet sein, sich der pseudowissenschaftlichen Narretey entgegen zu stemmen und die Wahrheit ueber die Macht hinter der genannten Thesis offen und fuer alle Mitglieder unseres Standes erkennbar zu formulieren.

Vom Wesen der Zeit
Meine Erkenntnisse beruhen auf verschiedenen Faktoren. So habe ich zum einen empirisch gearbeitet, zum anderen aber philosophisch. Erst gemeinsam ergibt sich auf diese Weise eine Gesamterkenntnis, die meiner Ansicht nach verstaendlich und unumstoeßlich ist. Es ist daher von wesentlichem Wert zunaechst die philosophische Seite meiner Forschung zu verstehen.

Zeit ist ihrem Wesen nach nicht starr. Wechsel und Veraenderung sind ihr Wesen, sie sind es, was Zeit ausmacht, was sie fuer uns lebendige Wesen erst erfahrbar macht. Dabei ist Zeit aber nicht immer zerstoererisch. Vielmehr ist Zeit ihrem Kern nach ueber alle Maßen neutral. Sie betrifft jeden, bringt Tod, aber auch Leben. Sie nimmt ein Heim, wenn es zerfaellt, gibt aber auch eines, wenn der Baufortschritt sichtbar wird.

Aber all das tut sie nicht schlagartig. Merkmal einer temporalen Veraenderung ist, dass der Betroffene oder das betroffene Ding verschiedene Stadien der Veraenderung durchlaeuft. Ein Mensch wird geboren, waechst und wird reifer, ueberschreitet seinen Zenit, wird wieder kleiner und stirbt. Aber ohne Einwirkung von außen wird man nicht sehen, dass ein Mensch in seinem Zenit ploetzlich schlagartig runzelig und klein wird, um dann zu sterben.
Schlussendlich bleibt daher in diesem Abschnitt zweierlei festzuschreiben:

Ad primum: Zeit ist ein Kontinuum, werte Collegae. Sie schreitet voran, macht aber keine Saetze. Stets ist ein Ablauf zu beobachten, niemals eine ad hoc Veraenderung.

Ad secundum: Zeit hat Macht ueber jeden. Selbst jene, die sich unsterblich nennen, muessen anerkennen, dass die Zeit ihre Welt und ihre Ansichten zu aendern vermag.
Gerade ersteres ist konkret wichtig fuer meine Forschungen gewesen, wenn sie in diesem Fall auch nicht lange brauchten und waehrend meiner Reisen oder kurzer Aufenthalte in Staedten getaetigt wurden.
Eisenrost und Patina – Feldstudie

Nachdem die philosophische Betrachtungsweise erlaeutert wurde, will ich zu den Beobachtungen und Methoden meiner Empirie schreiten.
Fuer eine Testreihe habe ich mir zunaechst guenstige Gegenstaende aus Metall besorgt. Gebrochene Naegel, Schmiedeabfall oder alte Hufeisen. Sodann habe ich damit begonnen die kleinsten der Gegenstaende mit derselbigen Zauberformel zu besprechen.
Kleinere Proben, wie beispielsweise Nagelreste zerfielen dabei innerhalb von Sekunden. Ihre Aufloesung ging derart schnell von statten, dass eine Beobachtung zwar erfolgen konnte, allerdings wenige sichtbare Ergebnisse brachte. Einzig eines war bemerkenswert: Von den vernichteten Metallteilchen blieb stets ein Haeufchen Eisenoxid zurueck.

Dies war bereits ein erster Hinweis auf weitere Beobachtungen. Metalle, die zerschlagen werden, hinterlassen oft Splitter oder brechen nur an einer Stelle – lediglich altes Metall, dass laengere Zeit der Witterung und den Hoernern Satinavs ausgesetzt war, beginnt zu oxidieren. Dies allerdings wuerdet Ihr werte Collegae – mit Recht – bestenfalls als Indiz klassifizieren. Eine bloße Speculatio – kein Beweis.

Als ich mit meinen Studien fortfuhr, bemerkte ich eine weitere Besonderheit. Zwar zerfielen auch Hufeisen sehr bald, allerdings dauerte des dennoch laenger als bei Eisenspaehnen oder Nagelteilen. Fuer diesen Umstand gab und gibt es nur eine einzige Explanatio!

Die Dauer der Vernichtung eines Gegenstandes haengt von seiner Masse ab!

Diese Erkenntnis bereitete den Weg fuer weitere Forschungen. So besorgte ich mir Barren des Eisens, sowie groeßere Gegenstaende. Ein Schloss, sowie eine Metallschatulle waren ebenfalls Teil neuer Versuche.
Und tatsaechlich – ich sah‘ meine Vermutung bestaetigt. Je groeßer das Ziel des Cantus‘ war, desto laenger dauerte die schlussendliche Vernichtung. Und desto besser war der genaue Vorgang zu beobachten.
Die Metallbarren begannen sich zunaechst mit einer Patina zu ueberziehen, ehe sie in Windeseile zu oxidieren begannen. Dabei war gut zu beobachten, dass der Prozess – ganz wie in Natura – von außen nach innen verlief und stetig fortschritt, bis am Ende erneut das erwaehnte Haeufchen oxidierten Metalls als letzter, stummer Zeuge einstiger Pracht blieb.
Diesen Vorgang zu reproduzieren erwies sich als erstaunlich leicht. Zwar aenderten sich die Beobachtungen abhaengig vom Wesen des Gegenstandes der betrachtet wurde (so brachen Schwachstellen eines Schlosses selbstverstaendlich vor dem Rest seines Corpus unter der Last des Zaubers), im Allgemeinen aber blieb der Fortschritt der Vernichtung stets demselben Ablauf unterworfen.

Um nun ganz sicher zu gehen, galt es eine andere Perspektive einzunehmen. So geriet ich unlaengst unverhofft in den Besitz eines antiken Dolches, der mir selbst lieb und teuer ist. Dennoch – oder gerade deshalb – sollte er mir dienlich sein, um meine Erkenntnisse abzurunden.
Von einem lokalen Schmied ließ ich Kratzer in der Klinge vornehmen. Wichtig war: Sie wurden nacheinander beigebracht und waren deutlich voneinander unterscheidbar. Die Reihenfolge notierte ich mir gewissenhaft.

Darauf erfolgte die Anwendung des reversalisierten Eisenrost-Cantus auf die nunmehr beschaedigte Klinge. Die Beobachtung war die Folgende:
Die beschaedigte Klinge begann scheinbar wie von selbst die Kratzer und Kerben, die der Schmied geschlagen hatte zu beseitigen – in umgekehrter Reihenfolge! – ehe sie andere, kleinere Makel ausmerzte und schlussendlich in ungekannter Sauberkeit und Perfektion vor mir lag.

Conclusio
Der geneigte Leser der mir bis hierhin folgen kann wird sicherlich seine eigenen Schluesse gezogen haben. Auch, weil sie offenbar vor uns ausgebreitet sind.
Die bisherige Annahme ueber die Wirkweise des Zaubers muss davon ausgehen, dass jedem Gegenstand sowohl eine destruktive als auch eine kreative Kraft inne wohnt. Der Eisenrost und Patina – so die verbreitete Annahme – verstaerkt die destruktive Kraft, sodass der Zielgegenstand vergehen muss.

Hierbei aber tritt eine Ungenauigkeit zutage. Niemand kaeme doch auf die Idee zu einer verwitterten, alten Scheune zu sagen, sie sei „zerstoert“. Der Sprachgebrauch bestimmt dabei, dass eine Zerstoerung durch aeußere Einfluesse eintritt, die sehr rasch handeln. Ein Feuer beispielsweise oder eine Ramme.

Der Prozess, der hier zu beobachten ist, stellt aber keine ad hoc-Zerstoerung dar. Die Gegenstaende brechen nicht oder platzen. Sie altern. Das ist der einzig logische Schluss, der in Kombination der philosophischen Betrachtung des Problems mit den Beobachtungen ergeben darf.
Das Vergehen des Gegenstandes erfolgt in einem Kontinuum und auf eine Art und Weise, die nur der Zeit zu eigen ist: Er rostet und gibt schließlich nach. Bei groeßeren Gegenstaenden kann man dem Fortgang sogar zusehen.
Und dabei soll es nicht bewenden! Ebenso waere anzunehmen, dass der reversalisierte Versuch eine sofortige Besserung eintreten laesst, soll der Zauber doch lediglich die kreative Kraft des Gegenstandes anregen. Mehr noch: Es muesste dann sogar im Bereich des Moeglichen sein, dass der Gegenstand ueber seinen Urzustand hinaus waechst – vielleicht sogar einem gaenzlich anderem Zustand zustrebt. Das ist das Wesen der Kreativitaet – Neuschaffung!

Tatsaechlich aber erfolgt eine chronologisch korrekte(!) Aufwertung des Gegenstandes bis zu maximal seinem Ausgangszustand zurueck!
Damit bleibt endgueltig festzuhalten: Der Eisenrost und Patina ist mitnichten, wie es die bequemen Forscher unserer Zeit zu glauben wussten, weil es die einfachste Erklaerung war ein stumpfer Zerstoerungscantus. Kein besserer Hammer fuer die gebildete Schicht des Landes!

Der Eisenrost und Patina ist nicht mehr und nicht weniger als leibhaftige Temporalmagie! In seiner Wirkweise beschleunigt er die Zeit um den betroffenen Gegenstand herum, bis Satinavs Hoerner alles von ihm abgeschabt haben, was ihn ausgemacht hat!

Offen bleibt, warum dieser Effekt lediglich bei Metallen oder – weiter gefasst – nur bei unbelebten Gegenstaenden auftritt. Es ist davon auszugehen, dass der Thesiskern auf solche Weise modifiziert werden kann, dass er sich auch auf andere Materie, wie auch auf lebende Wesen auszuwirken im Stande ist. Fakt ist dabei, dass gerade echsische Magier in ihrer Erkenntnis geradezu beschaemend viel weiter sind als wir!
Ich schließe daher mit der Aufforderung an alle Collegae und Studiosi sich keinesfalls auf den Erkenntnissen vergangener Generationen auszuruhen. Wissen ist Macht! Keinesfalls darf man aufhoeren danach zu streben, noch – moegen die Goetter bewahren – an Wissen verlieren. Wendet euch Forschungen zu, die obskur erscheinen! Greift nach Themen, die euch interessieren und vielversprechend sind. Redet mit den alten und wirren, den ausgestoßenen. Seid dabei nur einer Sache stets sicher: Achtet darauf, dass ihr kontrollieren koennt, was ihr erfahrt. Jede Macht der Welt ist gefaehrdet, wenn es eine groeßere Macht gibt, die sie vernichtet – schlimmer noch – die alles vernichtet!

Salpico Monterey
Adeptus der Bruderschaft der Wissenden

Gareth 29 (Salpico) (TRA 1014)

Als Rychard am Abend eines langen und anstrengenden Tages von den Übungsstrecken des Rennstalls Winzberg nach Hause zurückkehrt, findet er einen Umschlag unter der Tür durchgeschoben, der mit schwarzer Tinte beschriftet ist. Die etwas krackelige Schrift verkündet „Rychard Lowanger-Greiber“. Die innen befindlichen Pergamentbögen sind ebenfalls schwarz beschriftet und offenbaren folgenden Text.

„Friede sei mit dir Rychard,

Da das Schicksal uns zusammen auf die Reise nach Selem schickt, will ich dir erläutern, was ich bei meiner letzten Reise herausgefunden habe und was davon wir auch auf dieser Reise wieder nutzen können. Außerdem beinhaltet dieser Brief so etwas wie eine Grobplanung dessen, was wir benötigen werden.

Zuletzt war ich von Praios bis Efferd des Jahres 1013 BF in Selem und habe die Stadt versteckt auf einem Frachtschiff verlassen. Es ist davon auszugehen, dass die Familie Musten’Cha nach dem Tod ihrer Enkelin nicht begeistert sein wird mich lebend zu sehen.

Eine zweite große Familie sind die S’Za Temen’Cha. Allerdings befinden sie sich auf dem absteigenden Ast. Die wenigen Familienmitglieder, die noch existieren haben viel Geld verloren und sind kaum noch magisch. Wir werden sehen, wie weit sie uns zu helfen bereit sind. Zuletzt haben wir gut zusammengearbeitet, aber dafür habe ich auch mit Magie nachgeholfen.

Selem war vor ewigen Zeiten als Elem eine blühende Stadt und Sitz mächtiger Magier. Es beherbergte sogar eine Magierakademie von der Heute nur noch gefährliche Ruinen – halb verborgen im Sumpf – übrig sind. Irgendwann straften die Götter den Hochmut der Bewohner indem sie einen riesigen Felsen auf die Stadt stürzen ließen. Danach war die Stadt bestenfalls ein Schatten ihrer selbst und wurde zu dem sumpfigen Nest, das es heute ist.

Da viele der Bewohner tatsächlich nach einiger Zeit zu degenerieren beginnen, halte ich es für möglich, dass der Stein außerdem eine Art Aura mit brachte, die dazu dient die Bewohner des Umlandes zu verdummen. Nur sehr starke Geister halten diesen Einfluss langfristig aus – und davon gibt es dort wenige genug. Irgendwann ist der eigenen Geist weit genug geschrumpft, um Selem nicht mehr verlassen zu können oder zu wollen. Das ist unser zweites Problem.

Zu erreichen ist die Stadt am besten per Schiff, da sie trotz allem als Umschlagsplatz für Händler aus aller Herren Länder dient. Die im Hafen vorgelagerten Inseln werden den einzelnen Regionen zugeordnet und oft als “Klein Zorrigan, Klein Festum” und so weiter bezeichnet. Dort kommen die jeweiligen Matrosen unter und löschen dort zumeist auch ihre Fracht.
Unser Ziel ist “Klein Perricum”. Dort gibt es eine Herberge mit Namen “Hotel Selemer Hof”, deren Besitzerin Edra Korninger mit mir befreundet ist. Sie wird uns – trotz des vermuteten Kopfgeldes – sicher Unterschlupf gewähren. Außerdem ist der Hafen vor einiger Zeit von einem Piraten mit Namen “El Hakir” übernommen worden. Die einzelnen Stadtteile Selems sind wie eigene Städte, daher trat man seinem Angriff nicht koordiniert gegenüber und verlor die Kontrolle beinahe umgehend. Bei meinem letzten Aufenthalt habe ich mit ihm (besser einem seiner Unteroffiziere) einen Waffenstillstand ausgehandelt, damit seine Männer mich in Ruhe lassen und ich niemanden von ihnen umbringe. Zwar ist der Gedanke dieses Abkommen wieder aufleben zu lassen reizvoll – allerdings bin ich mir einigermaßen sicher, dass diese Leute das Risiko ein paar Männer zu verlieren auf sich nehmen, wenn dafür ein Kopfgeld winkt. Wir unterrichten sie also besser nicht ohne Not von unserer Ankunft.

Wichtig ist zu verstehen, dass ein Leben in Selem nicht viel wert ist. Die Wachen – so sie denn vorhanden sind – helfen dir nur, wenn du für sie wichtig bist (also ein Verbündeter ihres Herrn, ein Geldgeber, und so weiter). Die Bewohner werden so tun, als würden sie einen Angriff nicht bemerken, um selbst keinen Ärger zu bekommen. Wenn uns also irgendwelche Verbrecher angreifen, dann dürfen wir nicht zögern sie möglichst grausam zu töten und einen entkommen zu lassen. Das ist der sicherste Weg sich den Abschaum langfristig vom Hals zu halten.

Es gibt dort zwar ein paar Tempel der Zwölfe, aber sie sind im Grunde nicht ernst zu nehmen. Die Geweihten stehen alleine und werden toleriert – mehr aber auch nicht. Möglicherweise kann uns allerdings die Efferdgeweihte weiterhelfen. Das letzte mal war ich mit ihr essen – sehr sympathisch.
Neben ihr scheint mir die beste Quelle, um uns rasch wieder auf den aktuellen Stand des Tagesgeschehens zu bringen, ein Echsenmensch mit Namen Chrmtschk zu sein. Ich habe ein paar Mal mit ihm zusammengearbeitet und ihn äußerst großzügig entlohnt. Er lebt direkt in der Stadt und hat als Hehler sicher einige Neuigkeiten anzubieten. Aber Achtung – die Achaz halte es für Schwäche wenn jemand Gefühle zeigt!

Da die Stadt im Sumpf liegt, wimmelt es nur so von Moskitos. Da ein Biss irgendwo zwischen lästig und gefährlich rangiert, sollten wir uns vor ihnen schützen. Die Toca-Mujak benutzen dazu Sansaro-Salbe. Die kann ich zwar herstellen – aber nur wenn ich Sansaro-Seegras bekomme. Um da ranzukommen müssen wir einen Fischer bezahlen. Und ich muss dich warnen – das Zeug riecht eher mäßig.Vielleicht kriegen wir sogar etwas davon hier in Gareth. Unmöglich ist es nicht.

Wir werden nicht umhin können einigen unserer Anliegen auch in der Nacht nachzugehen und es ist möglich, dass wir dabei Zauber sehen, die in der Finsternis vom Himmel zum Boden oder in die andere Richtung zucken. Das sind nicht unsere Angelegenheiten. Die närrischeren Vertreter meiner Profession glauben, dass sie mit arkanen Duellen den Titel des Herrn über Selem erringen können. Bisher hat sich mir aber nicht erschlossen wozu dieser Titel gut sein soll, also werde ich diese Angelegenheit vorerst ignorieren.

Ich habe versucht mich bei einer Führerin über die Tiere der Gegend zu informieren. Das Ergebnis: Wenn es sich bewegt, dann will es dich üblicherweise umbringen. Das gilt insbesondere für Schlangen und Kaimane in den Sümpfen.

Zuletzt – und das ist äußerst wichtig: Selem wirkt auf den ersten bis dritten Blick wie eine Ansammlung verwirrter, sabbernder Degenerierter. Aber in dieser Stadt sammeln sich seit Jahrhunderten die brillianten und gefährlichen Schwarzmagier, die sonst nirgendwo mehr hinkönnen. Meine Aufzeichnungen sprechen von meinem Besuch in der Silem-Horas Bibliothek, an den ich mich schon jetzt kaum mehr erinnere. Das spricht wohl Bände. Eben diese Bibliothek war es, die unsere Zielperson angelockt hat – also werden wir dorthin müssen. Und ich verspreche nicht zuviel, wenn ich dir sage, dass der Bibliothekar eine – Herausforderung ist.

Neben einigem Gold werden wir uns auf unsere Fähigkeiten und die eher geringen Verbindungen vor Ort verlassen müssen. Da ich aber vermute, dass das nicht ausreichen wird, empfehle ich, dass wir noch wenigstens einen Söldner oder Abenteurer mit uns nehmen, um unseren Rücken zu decken. Es wird schwierig werden Liscoms Spur zu entdecken, wenn er einen anderen Namen angenommen hat, aber sicher nicht unmöglich – immerhin haben wir seine Beschreibung und er hat sich durchaus namhafte Feinde in der Stadt gemacht.

Triff deine Vorbereitungen. Uns erwartet eine Stadt, in der du jederzeit mit einem Angriff rechnen musst. Wir brauchen Rüstungen und Verbände, die Zauber in meinem Stab und Tränke.

Und wir brauchen ein klein wenig Paranoia. Also tu’ mir den Gefallen und verbrenne diesen Brief sorgfältig, ehe wir Gareth verlassen.

Wissen ist Macht
Salpico“

Gute Zeiten, schlechte Zeiten 1 (Rahjard) (TRA 1014)

Kaum zwei Tage alt, war es dem Traviamond bereits gelungen sowohl Herrchen als auch Hund auszulaugen, mürbe zu machen. Unter einem hörbaren Ächzen ließ sich Rahjard achtlos auf das Bett im, mittlerweile fertiggestellten, Eigenheim im Garether Arenaviertel fallen. Auch ohne die letzten Stunden, schlechte oder überraschende Kunde von und über Garion sowie die Vorbereitungen für einen baldigen Aufbruch, waren diese Tage, eher Wochen, ein ziemlicher Akt gewesen. Schließlich hatte Neferu, tollkühn, ihr Versprechen eingehalten und war mit Voltan am Vortag den Traviabund eingegangen und wer hätte besser helfen können als er? Besonders wenn es darum ging, eine Feier zu organisieren. Zwar ohne den harten Alkohol und eine Schar Dirnen, so wie er früher oft gefeiert hatte, aber dafür gesittet und einem erlesenen Kreis von Menschen angemessen, darunter Gestalten wie Großinquisitor Nemrod, Vertreter verschiedener Magiergilden und, auch wenn ein Kommen nicht zu erwarten stand, hatte sich auch der Reichsregent auf der Liste derer wiedergefunden, die eine Einladung erhalten hatten.

Die Sprenglers. Er schmunzelte und schob die Rechte unter den Kopf, den Blick auf die Decke gerichtet.

Sie, die dereinst offenbar von Rahja in Grangor verspottet worden war, hatte den vermeintlichen Rahjafluch der auf den Freunden lastete durchbrochen, die Liebe, Geborgenheit und eine neue Familie gefunden und, das galt es obendrein nicht zu vergessen, hatte sich dafür dem Empfinden nach ein Stück weit von ihrer großen Liebe gelöst – Feqzjian. Das wusste selbst einem Al’Anfaner Mut zu machen, der selbst bisweilen noch am Gedanken an die Heilerin aus Hinterbruch hing und sich dafür verdammte, fortgegangen zu sein. Doch nicht jeder Moment dieser Feierlichkeiten, ob nun am Vortag oder heute, war in Glückseligkeit getränkt.
Denn er, der Ardarit, Garion, war auch nach der letzten Begegnung in Kurkum gereist und hatte genug dabei, die Feierlichkeiten zu sprengen. Aventurische Boten, die überall vom Erscheinen von Dämonen und anderen Tragödien kündeten, sprach außerdem von Reisen in die lebensfeindlichsten Gebiete überhaupt, erzählte von Magiern und Magierkriegen und mahnte schließlich die Rückkehr des Dämonenmeisters an.

Eisige Stille hatte sich – besonders von Seiten derer, die gar nichts mit solcherlei Themen anzufangen wussten und schlicht ein gutbürgerliches Leben führten – ausgebreitet, bis die Hexe Luzelin das Wort erhob und von Erlebnissen sprach, die fast 30 Jahre zurücklagen. 30 Jahre. Die meisten unter ihnen waren noch nicht einmal so alt und sahen sich jetzt mit solchen Dingen konfrontiert. Noch am Tisch, das war ihm sicherlich auch anzusehen, hätte er am liebsten einen lauten, gequälten Seufzer nach dem Nächsten ausgestoßen – denn war es nicht eigentlich sein Wunsch, nach all den Jahren ein geregeltes Leben zu führen, einen Alltag zu haben?

Heute hatte er sich stattdessen wieder, und sogar freiwillig, auf eine womöglich gefährliche Unternehmung eingelassen. Bethana, Selem, vielleicht Fasar. Orte, an denen der Bethanier gewirkt hatte – neben der Gor. Orte, die er an der Seite des Nekromanten Salpico abgrasen wollte, nach Informationen, auch über den Schergen Liscom. Einen Borbaradianer, den Garion laut eigener Aussage mit einigen anderen in der Gor gestellt und unter seinem Turm begraben hatte. Im Angesicht all dieser Umstände waren andere Enthüllungen dieser Tage verblasst und es wusste ihn weniger zu erheitern, wie Voltans Mutter kläglich an dem Versuch gescheitert war, die während der Feierlichkeiten anwesenden Vertreter der Inquisition auf die rote Hexe Neferu aufmerksam zu machen. Er schüttelte den Kopf.

In der Gor. So verhärtet die Fronten zwischen den Beiden auch waren, so sehr sich ihre Ansichten unterschieden, selbst er fing an sich um den Ardariten, den Recken ohne sonderlich viel Freude oder Vergnüglichkeit im Leben, zu sorgen. Denn, so viel schien sicher, es wurde gefährlicher. Die Namenlosen Tage in den Thermen waren Beweis genug und ein triftiger Grund dafür, in Gareth leben, aber nicht länger vagabundierend umherziehen zu wollen. 

Es lag ihm doch fern, im besten Alter in Borons Hallen einzuziehen. Und, dennoch: Wie konnte er unstetes Gemüt ruhig in den eigenen vier Wänden sitzen und eine Tasse Tee mit den Nachbarn schlürfen, während die eigenen mehr oder minder guten Freunde wie die Fliegen auf den Feldern Aventuriens fielen? Rahjard pustete die Luft scharf aus. Er hasste diese Momente, in denen selbst er zur Vernunft neigte, sich lieber in eine der vorderen Reihen stellte als das Leben schlicht zu genießen.

„Reich müsste man sein, oder dumm, oder am besten beides“, murmelte er.

Dann bräuchte es einen nicht interessieren, die eigenen Söldner würden es schon richten, oder man selbst würde den Ernst der Lage gar nicht begreifen und deshalb einfach weitermachen, wie gehabt. Unglücklicherweise war er derzeit knapp bei Kasse und auch nicht derart töricht. Also ein weiteres Mal Dere retten.

Rahjard seufzte. „Wie immer“, äußerte er angestrengt und dachte über den Plan nach.

Sich mit den Gefährten besprechen,

Vorkehrungen treffen,

Informationen sammeln,

Gegner festsetzen oder erschlagen,

Überleben,

Hund streicheln.

Gareth 26 (Salpico) (RON 1014)

Als er vor die Tür trat atmete er erst einmal tief ein. Es war noch früh am Morgen, die Sonne hatte noch nicht geruht in die Schatten der Schnittengasse hinab zu steigen und dennoch war es nicht ruhig. Obgleich die Straße, die der Magier hinab sah von nur wenig Menschen bevölkert war, so drangen doch aus anderen Gebieten der Stadt von den größeren Straßen her die Geräusche des Lebens auf ihn ein. Ohne jedes Anzeichen von Eile nahm Salpico sich einen Moment, um den Eindruck wirken zu lassen. Man nahm die Geräusche und einzelne Blickwinkel sehr viel genauer wahr, wenn man das tat. Es waren Momente an die man sich Jahre später noch erinnerte. Mit denen man auch dann noch ein Gefühl verband.
Solche Momente waren wichtig – umso wichtiger, wenn man ein langes und gefährliches Leben führte. Wenn man in der Lage sein wollte die Gesundheit seines eigenen Geistes auch dann noch zu erhalten, wenn die Welt um einen herum einen radikalen Wandel durchlief. Soviel hatte sein Mentor ihm unwissentlich bereits beigebracht und er wollte verdammt sein die Fehler des alten Mannes zu wiederholen, wenn er es denn vermeiden konnte.

Ein kurzer Blick über die Schulter zum Haus zurück zeigte ihm die Fassade hinter der er nun wieder lebte. Nun, da er aus Fasar endlich nach Gareth zurückgekehrt war. Die Fassade hinter der Sjören Vanderbloom sich mit ihm eine Wohnung teilte.
Langsam setzte er sich in Bewegung und folgte der Straße nach Westen. Die letzten Wochen waren voller neuer Erkenntnisse gewesen: Seine Sterblichkeit war ihm schmerzlich bewusst geworden, als er hilflos unter der attackierenden, brennenden Mumie gelegen hatte. Ohne seine Begleiter hätte Boron sich an diesem Tag seiner Seele bemächtigt. So erschreckend dieses Wissen war, so formend war es doch gewesen. Prioritäten hatten sich geändert, er hatte eine neue Seite an sich entdeckt – den Stolz – und er hatte erkannt, was seine Zukunft ausmachen sollte.
Aus seiner jetzigen Position heraus hatte er sich in einigen schlaflosen Nächten Gedanken gemacht, deren Ergebnisse er nun bewahrte.

Erstens: Er würde leben – und zwar nach seinen Wünschen. Dazu war es notwendig Entscheidungen zu treffen, die seinen Charakter festigen und formen würden. Entscheidungen wie die, sich von der Totenbeschwörung endgültig abzuwenden. Leichen zu erheben mochte in Notsituationen nützlich sein, aber es hatte sich als nicht alltagstauglich erwiesen. Zweifellos war das Detailwissen wertvoll – und sei es nur, weil er in seinen Lehrjahren viel über die Anatomie der Lebenden erfahren hatte. Und diese Lehrjahren waren es, die ihn in Form von Schulden noch immer verfolgten. Sie zu tilgen bedeutete einen Schritt hin zu der persönlichen Freiheit nach der er strebte.

Zweitens: Es gab Menschen, die waren wichtiger als andere. Das auszusprechen hätte vermutlich Empörung bei seinen Mitbürgern hervor gerufen, aber niemand konnte widersprechen ohne zu lügen. Und man musste sich zu jeder Zeit in seinem Leben bewusst sein, wer diese Menschen waren. In Gefahrensituationen galt es schnell und effektiv zu ihrem Schutz zu handeln. Neferu und ihre Familie gehörte dazu, Richard und auch sein Mentor. Vanderbloom ebenfalls. Von letzterem wusste er wo er sich befand. Was die anderen anging so war das nicht der Fall – das musste sich ändern.

Drittens: Er war ein stolzer Mensch. Was nicht meinte, dass er arrogant war – jedenfalls nicht offen. Vielmehr betrachtete er seine eigene Würde als unantastbar für Außeneinwirkungen. Sollte ärgerlicherweise der Fall eintreten, dass ein solcher externer Einfluss doch an seiner Würde kratzte, so war es notwendig und angemessen dieses Geschehen sofort aufzuhalten und wenn möglich umzukehren. So lächerlich es erscheinen mochte – das aktuellste Ärgernis war das antike Kleidungsstück, das sein Mentor ihm geschenkt hatte und das ein Opfer der Flammen geworden war. Seine Reste zu restaurieren war eines der vordringlicheren Ziele.

Viertens: Selbstbewusstsein war ein wichtiger Punkt jeder herausragenden Persönlichkeit, die als solche wahrgenommen werden wollte. Es war daher notwendig nach den eigenen Stärken und Schwächen zu forschen und sie auch dort zu finden, wo man sie nicht erwartete. Eines dieser eher überraschenden Talente hatte er erst kürzlich in Fasar entdeckt. Bei einer Operation am offenen Hirn hatte er erstaunliche Kunstfertigkeit bewiesen – auf einem Gebiet, das sich die Menschen besseren Standes einiges kosten ließen: Gesundheit.
Zu seinem Unglück beherrschte er lediglich die Wundbehandlung, wenn auch sehr gut. Was bedeutete, dass er sich eingehender mit der Behandlung von Krankheiten beschäftigen musste, um einen Wert für die Gesellschaft zu erhalten, die ihm einen Lebensunterhalt und auch die Verfolgung seiner Pläne langfristig garantierte.

Er bog auf die Puniner Straße ein und begann ihr nach Süden zu folgen. Da die Häuser von Nef wie auch von Rychard am gestrigen Abend leer gewesen waren, war es notwendig geworden das aktuelle Ziel zu korrigieren. Die Zeit bis zur Rückkehr der Hexe würde er damit verbringen jemanden zu finden, der ihn in die Kunst der Krankheitsbehandlung würde einweisen können. Aus den Erzählungen und Erfahrungen Neferus wusste er von einer Medica, die nahe am Puniner Tor eine Art Praxis betrieb. Sie war sein Ziel. Indem er ihr Hilfe anbot war es vielleicht möglich von ihrem Wissen zu profitieren. Wenigstens weit genug, um eine soldige Grundlage zu schaffen auf der er selbst während eigener Behandlungen weiter lernen konnte, worauf es zu achten galt. Davon abgesehen hatten die Echsen nahe Brabak ihm bereits einen gewissen Einblick gewährt.

Auf dem Platz vor dem Puniner Tor hielt er noch einmal inne, um den Anblick der wehrhaften Anlage in sich aufzunehmen. Seine Schulden zu tilgen war im jetzigen Augenblick möglich ohne seine eigene Barschaft endgültig zu erschöpfen. Außerdem hatte er die Erlaubnis Sjörens. Allerdings galt es danach rasch an gutes Gold zu kommen. Aus mehreren Gründen. Zwar war die Handlungsfreiheit nach Abzahlung seiner Ausbildungsschulden von einiger Relevanz, aber es gab noch andere Prioritäten für die das Edelmetall notwendig war.
Die Erste und Wichtigste davon war das Gestüt zu gründen. Nur mit ihm war es möglich weiteres Geld zu generieren, ohne seine ganze Lebenszeit hinein zu stecken.
Mit diesem Geld wollte sodann ein Zweitstudium der Heilung für Vanderbloom bezahlt sein – das Stipendium war Salpicos Versprechen an den liebgewonnenen Freund geworden, nachdem der seine Kräfte derart strapaziert hatte, um das Äußere des Adepten wieder zu dem zu machen was es einmal war.
Von dem was dann noch über war, sollten zunächst vier weitere Personen profitieren: Abdul Rethag, Tair, Mohammed und Lawin. Jeder dieser vier hatte entweder sein Leben für das seine in die Waagschale geworfen oder sein Leben auf andere Weise gerettet. Und es war ihm wichtig ihnen – und der Welt – zu zeigen, dass er das nicht auf die leichte Schulter nahm. Es war daher unausweichlich sie noch einmal zu entlohnen – oder in Abduls Fall anzustellen.

Ja, Loyalitäten waren wichtig. Sie bedeuteten Sicherheit, Ruhe und – ein Zuhause. Ein Zuhause wie das, was er aus dem Mittelreich zu machen gedachte. Hier im Kern des Reiches würde er leben und wirken. Natürlich würde er es verlassen um zu lernen, zu wachsen und zu helfen. Aber er hatte vor immer wieder hierher zurückzukehren. Aber dafür galt es seinen frommen Gedanken auch Taten folgen zu lassen.
Mit diesem Wissen setzte er sich wieder in Bewegung und hielt auf die Heilerstube zu.

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