Grangor

Grangor 14 (Garion)

Die Phase seines Schlafes dauert nicht einmal eine Stunde. Obwohl der frühe Morgen draußen bereits graute, schien es immer noch die beruhigende, zeitlose Schwärze der Nacht, die sie beide umgab, denn die schweren, dunklen Vorhänge waren zugezogen.
Neferu lag ruhig atmend tief in Borons Armen auf seiner Schulter.
Garion betrachtete die junge Frau lange, die sich vertrauensvoll dem Schlaf hingegeben hatte. Was sie wohl träumte? Ob er darin vorkam? Obwohl sein Körper warm war und die Wärme unter der Decke durch die aneinandergeschmiegten beiden Körper noch erheblich mehr Temperatur und Gemütlichkeit aufwies, fröstelte er.
Er musste seinen Mut wiederfinden, der ihm einst durch Küsse ihrer sinnlichen Lippen belohnt worden war.
Warum also nicht? Was hatte er zu verlieren?

Er neigte sich langsam vor und legte seine Lippen auf ihren schlafenden, weichen Mund. Sie reagierte nicht. Noch ein Stückchen schob er sich über sie und wagte mit der Zunge einen zärtlichen Versuch. Da! Ihre Arme hoben sich schlaftrunken und legten sich um seinen Hals, ehe sie den Kuss mit weiterhin geschlossenen Augen in einer steilen Kurve an Leidenschaft zunehmend erwiderte. In Garion flackerte eine zarte Hoffnung auf, auch er mehrte die Wildheit seiner begehrenden Bewegungen. Er fasste sogar den Mut seinen erregten Leib auf sie zu schieben.
Bis… ja, bis ihr ein Wort fiebrig gehaucht im Halbschlaf entkam: „Phexdan…“

Er wurde starr, doch ihre Hitze blieb. Sie schmiegte sich immerwährend an ihn und berührte ihn, als gäbe es nichts anderes von Priorität.
„Endlich…. Endlich darf ich dich-“, er drehte seinen Kopf zur Seite. Weg…nur weg von dem beißenden Schmerz, den ihre Lippen ihm bereiteten.
„Neferu, wach auf…“ bat er sanft und mit zitternder Stimme, „Ich bin nicht Phexdan… Wach auf und sieh mich an. Ich bin Garion… Garion, der dich liebt…“ Er fühlte seine Augen brennen, während er in die Dunkelheit starrte.
„Nein, ich will nicht aufwachen…“ erklang es leise und schlaftrunken, „Küss mich weiter… solange ich die Augen geschlossen halte, bist du meine Liebe, bist du Phexdan… Und deine Annäherungen sind mir willkommen…“
Drängend schob sie sich immer wieder dicht an seinen Leib. Rahja lachte nicht über ihn…Rahja spielte kein Spiel…sie führte Krieg, der nur ein Ziel kannte…totale Vernichtung.

„Neferu, nein… ich bin nicht Phexdan – Ich bin Garion! Und ich liebe dich! Ich gebe dich nicht her…“ Er umarmte sie fest, seine Worte hatten einen fast verzweifelten Klang bekommen. Nicht auf rahjaische Art war seine innige Umarmung, sondern eher in der Weise der Angst zu verlieren, was ihm am liebsten war.
Langsam schien sich der Schlaf komplett von ihr zu lösen.
„Garion…?“ murmelte sie zögerlich. „Was… was ist los mit dir?“
„Nef… Meine Nef…. Du kannst ihn nicht heiraten. Ich bin dein Gegenstück… Ich liebe dich seit dem ersten Tag, an dem ich dich sah.“ Heiß traten ihm erneut Tränen in die Augen und seine Stimme erlangte einen beklommenen Ton, trotz ihrer Festigkeit. „Du darfst ihn nicht heiraten, denn lange schon gehörst du zu mir. Erinnere dich an den innigen Kuss, den wir in Gareth in der Herberge Heldentrutz teilten. Erinnere, dass wir beieinander gelegen und uns beinahe einander hingegeben hätten…“ Noch nie hatte soviel Gefühl in seinen Worten gelegen. Noch nie war er so ehrlich zu ihr gewesen wie in diesem Moment. Noch immer lag sie in seinen Armen, geschützt durch die unwirkliche Dunkelheit des Raumes. Er hatte alles aufgegeben, hatte alle Ängste bei Seite geschoben, die Angst sie zu verlieren hatte die Angst von ihr verlacht zu werden ein für allemal besiegt.
Sie schien irritiert und überrumpelt, drehte sich von ihm fort. Einige Momente hing stilles Schweigen im Zimmer, das trotz Morgengrauen noch immer in tiefe Nacht gehüllt war.

„Ich erkenne dich kaum wieder… Hast du dich über eine Nacht so sehr verändert? Wo ist deine leidenschaftslose Beherrschung? Deine vernunftsbetonte Vorstellung von Liebe, die der meinen so gar nicht ähnelt?“
Er brannte ihr einen Kuss in den Nacken.
„Ich habe erkannt, dass meine Beherrschung dich hat von mir abwenden lassen. Ich will nicht länger beherrscht sein.“ Er streichelte sie mit seinen schwieligen Kriegerhänden so sanft wie möglich an der Schulter, ehe er auch dort eine Berührung seiner Lippen hinterließ. All das durfte sie ihm nicht rauben. Er konnte nicht darauf verzichten sie zu berühren, er würde als gebrochener Mann sterben…als Mann, den das Alter vor der Zeit erreicht hatte.
Ihre Antwort kam seufzend:
„Glaub mir Garion, Selbstbeherrschung ist eine gute Sache. Würde ich mich nicht selbstbeherrschen, würde ich nur Leid verursachen.“
Was meinte sie damit? Eine leise Stimme in ihm flüsterte einen Schleier von Hoffnung. Wenn sie sich nicht beherrschte… würde sie dann ihn, Garion küssen? Weil sie in Wahrheit etwas für ihn empfand, das sie nur in sich verborgen hielt?

Er forderte sie auf die Beherrschung sein zu lassen und sie begann wie in Trance schnell und mit sanfter Stimme zu sprechen.
„Wir lieben einander, seit sich unsere Blicke das erste Mal trafen, hier in Grangor, einen Tag nach der Ankunft. Er war so schön… Mein Füchschen. Auch wenn ich ihn nicht berühren kann… Er duftet nach Rosen… Sein schwarzes, strubbliges Haar ist weich… Seine grünen Augen… Nie hat mich jemand so durchdringend und intensiv angesehen wie er. Nie hat mich jemand so endgültig umarmt wie er. Er kann alles von mir haben. Alles… Ich werde ihm nichts verweigern.“
Garion fühlte die Schwärze des Raumes auf sich zukommen. Er hatte das Gefühl, er würde sich drehen und fallen und stammelte, sich an seinen Mut klammernd die Antwort:
„Ich kann auch nach Rosen duften, wenn du das willst… Mein Haar ist auch schwarz und weich… meine Augen sind auch grün…“
Sie reagierte nicht. Offensichtlich hatte sie seinen Rat befolgt und die Schranken ihrer Beherrschung niedergerissen. Ihre Worte entkamen so leicht den begehrten Lippen, dass es zusätzlich zu der Bedeutung schmerzte:
„Es ist als würde ein Stück von mir fehlen, wenn er nicht bei mir ist… Sind wir zusammen, bin ich erst vollständig. Ich habe ihn gebeten, mich zu küssen, aber er wollte nicht… konnte nicht… aus irgendeinem Grund. Ich nahm stattdessen seine Hand und streichelte sie so zärtlich es mir möglich war. Ich berührte sie mit meinen Lippen, ohne jedoch zu küssen. Ich sah, wie sich die Härchen seiner Hand im Schauer aufstellten… Behalte es für dich, ich weiß nicht, ob sie wollen, dass andere es erfahren: Phexje ist sein Bruder. Wir gingen zusammen auf den Markt, ich an der Hand des Kindes. Ich kaufte ihm einen Holzfuchs. Dann begegneten wir Phexdan. Seine blaue Kleidung schmeichelte seinem Leib – er ist nicht klobig und breit, sondern anmutig und athletisch. Wir… brachten Phexje gemeinsam zu einem Spielkameraden. Zu dritt, der Junge auf seinen Schultern. Auch wenn das Füchschen zwischendurch in einen der Kanäle sprang, um den Fuchs zu retten, der hineingefallen war….“ Sie hielt inne und der Redeschwall wurde endlich unterbrochen.

Die Übelkeit, die in Garion aufgestiegen war brachte ihn beinahe zum Bersten.
„Du siehst. Es ist besser, wenn ich mich selbst beherrsche. Sonst verletzte ich dich unnötig.“
Raunte sie leise. „Verzeih mir, aber… Es ist zu spät. Hättest du mich vor einigen Monaten diese Leidenschaft spüren lassen, dann… aber jetzt… Die Götter haben mich für Phexdan bestimmt. Endlich hat die Füchsin den Fuchs gefunden.“

Garion erstarrte. Er spürte wie sich etwas in ihm regte, etwas, dass er vor noch nicht all zu langer Zeit das erste Mal gespürt hatte. Es kroch aus der Nähe seines Herzens seinen Hals hinauf…dann übermannte ihn der Schlaf mit einer Wucht, die er nie für möglich gehalten hätte. Wie viel gnadenvoller war doch Boron, als es seine Schwester jemals gewesen war…

Grangor 13 (Garion)

Langsam streckte er sich auf dem Bett aus und betrachtete seine nackten Zehen für einen Moment der Stille. Er hatte darauf verzichtet sich auszuziehen, immerhin stand die Tür seines Zimmers offen. Es begann bereits zu dämmern und Neferu war noch immer nicht zurück – und wenn sie es war wollte er es sofort wissen. Es war schon einige Tage her, dass er ihr die Rose auf das Kissen gelegt hatte. Seitdem quälte ihn nagende Ungewissheit. Sie hatte die Rose mit keinem Wort erwähnt, weder ihm, noch (zumindest soweit er wusste) Richard gegenüber. Es war als stünde er vor dem Inquisitor, der noch mit seinen Schöffen über das Urteil beriet.

Mit einem unangenehmen Kloß im Hals rieb er sich über die geschlossenen Augen. Seine Gedanken klammerten sich an das kleine Zimmer in dem er lag. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er getan was er konnte. Sein Schicksal lag in Rahjas Händen, zumindest bist Neferu zurück käme. Zwar hatte er keine Ahnung wie er sie ansprechen, oder was er sagen sollte, aber er hatte sich geschworen herauszufinden, was anders war, warum sie kaum noch mit ihm sprach, wohin das wundervolle Flackern in ihre Augen verschwunden war. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend entzündete er die Kerze auf dem kleinen Nachttisch neben seinem Bett. Ein warmer, beinahe beruhigender Lichtschein machte sich im Zimmer breit und beschien das Bett und das sorgenvolle Gesicht des Geweihten. Eigentlich hatte er vorgehabt sich mit einem der Bücher aus den Regalen seines Gastgebers abzulenken, aber noch konnte er sich nicht dazu durchringen nach dem Buch zu greifen. Es gab noch so viel zu bedenken, so viele Sorgen, so viel Schmerz. Seiner trockenen Kehle entrang sich ein Seufzen.
Als er nach seinem Wasserschlauch griff musste er an seine Kindheit denken. Er hatte Angst vor der Dunkelheit gehabt, war jedes Mal wenn er in den Keller hinabsteigen musste schier wahnsinnig geworden. Er lächelte abgeschlagen. Damals hatte er gedacht, dass er niemals vor etwas mehr Angst haben würde als vor dem Keller der Burg Ithars…wie er sich doch getäuscht hatte.
Mit fahrigen Fingern verschloss er den Wasserbeutel wieder. Ihm war nicht nach trinken, so trocken seine Kehle auch sein mochte, er verspürte einfach nicht den Wunsch etwas zu trinken. Überhaupt hatte er, wie ihm nun auffiel, seit dem Ablegen der Rose kaum etwas getrunken und gar nichts gegessen. Merkwürdig, er spürte den Hunger, der ihn ohne jeden Zweifel plagen musste gar nicht.
Wo Neferu wohl gerade war? Ob sie diesen Phexdan suchte? Er drückte die Lippen aufeinander. Ob die Götter ihm etwas übel nahmen? Er hatte ihnen soweit er wusste nach bestem Wissen und Gewissen gedient. Sogar Grangor hatte er auf Geheiß Rahjas gerettet ohne dafür auch nur ein Dankeswort zu erhalten. Warum hätte sie ihm zürnen sollen? Unruhig warf er sich auf die Seite, sein Blick suchte und fand den Zweihänder, der inzwischen gereinigt und geschliffen an den Tisch lehnte. Er konnte die Spiegelung der Kerzenflamme in dem blitzenden Stahl sehen, auch sich selbst als verzogene Illusion. Den traurigen Rest dessen, was er eigentlich war.
Er legte die Hände unter seinem Kopf zusammen. Wie sein Leben wohl weiter verlaufen würde? Er wusste aus den Geschichten der Erzähler auf dem Markt in Festum, dass man auf schwere Zeiten später zurückblickte und sie als eine Art undurchsichtigen Knoten in seinem Lebensfaden empfand, als etwas dessen Verwirrungen man zwar inzwischen gelöst zu haben glaubte, die man aber dennoch nicht in vollem Umfang verstanden hatte. Langsam drehte er sich wieder auf den Rücken. Ithar hatte ihn ja gewarnt, hatte ihm gesagt, dass Liebe war wie sein Schwert wegzuwerfen und sich der Gnade des Gegners auszuliefern. Man mochte damit überleben, aber genau so gut konnte das Gegenüber einen foltern oder mit einem gezielten Stich töten.
Nun, da diese Unterhaltung schon einige Jahre zurück lagen spürte er die Wahrheit in Ithars Worten.
Mit einem gewaltigen Druck auf seinem Hals schwang er kurzentschlossen die Beine aus dem Bett. Der Boden kam ihm hart vor, jetzt, da seine Füße nicht von seinen Stiefeln umschlossen waren.
Schnellen Schrittes verließ er das Zimmer durch die ohnehin offene Tür und bog nach rechts ab, direkt auf das Zimmer zu, dass Richard und Neferu…oder Nef, wie er sie in Gedanken zu nennen pflegte, sich teilten. Richard musste da sein, er war selten spät noch unterwegs. Garion war sich darüber im Klaren, dass Richard nicht verstehen wollte, warum er gerade zu ihm kam, aber…er hatte eine seltsame Art von Vertrauen zu diesem Strauchdieb gefasst. Und er brauchte dringend jemanden zum reden.
Ein letztes Mal atmete er leise ein und fragte sich ober hinter dieser Tür die zweite Demütigung dieser Tage auf ihn wartete, dann klopfte er an und öffnete die Tür.
Garion verharrte. Das Zimmer vor ihm war leer, weder Neferu noch Richard waren anwesend. Wäre das alles gewesen, so wäre er geknickt in sein Zimmer zurückgeschlichen, aber ein kurzer Blick zeigte ihm, dass Richards Sachen verschwunden waren. Der junge Rondrit ließ seinen Kopf hängen, sicher, er hatte nicht viel von Richard erwartet, bestenfalls ein einziges freundlich gemeintes und in Gemeinheiten verpacktes Wort…oder ein mehr oder weniger mitfühlendes Schulterklopfen. Aber dass der junge Mann nun einfach verschwunden war ohne eine Nachricht oder ein Wort des Abschieds machte seine Zeit in diesem Haus nicht leichter. Kurz fasste er sich an die Stirn. Kopfschmerzen. Besser er legte sich wieder hin. Mit bekümmerter Miene zog er die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Rückweg zu seiner Kammer, wo er sich wieder auf dem Bett ausstreckte.
Schließlich griff er nach dem Buch. Eigentlich interessierte ihn das Thema nicht sonderlich und er hatte berechtigte Zweifel daran, dass das Buch ihn würde ablenken können. Aber wenigstens einen Versuch wollte er dem Autor einräumen, also klappte er das Buch auf und begann im Lichte der kleinen Flamme die Zeilen des Buches abzutasten. Er konnte immer noch nicht sonderlich gut lesen. Ja, es reichte um auch kompliziertere Texte zu lesen, aber er brauchte für jedes Wort einige Sekunden. Er hätte früher damit anfangen sollen.
Plötzlich zuckte er zusammen. Waren das Schritte? Rasch verließ sein Blick das Buch. Tatsächlich! Neferu war auf den Flur getreten, durch die offene Tür seines Zimmers konnte er ihre Gestalt sehen, wie sie inne hielt, offenbar von dem Licht in ihrem Augenwinkel angezogen.
Rasch legte er das Buch zur Seite und richtete sich im Bett ein wenig auf. „Neferu…!“, sie wandte sich in seine Richtung und kam den Gang in seine Richtung hinauf. Es hielt ihn nicht auf dem Bett, er musste zu ihr!
„Garion, warum bist du noch wach?“, sie war wunderschön. Die dunkle Haut, die grünen Augen. Er mochte ihre neue Frisur, auch wenn er wusste, dass sie ihr nicht viel abgewinnen konnte. Er mochte die neckischen Zöpfchen. „Ich wollte auf dich warten, ich habe mir Sorgen gemacht.“, brachte er erleichtert hervor. „Es war schon so spät und du warst noch nicht da.“ Sie nickte sachte. Da spürte er es – etwas stimmte nicht. Sein Blick glitt in ihr Gesicht. Tatsächlich, sie haderte mit sich…etwas quälte sie. Die Miene, die sie trug ähnelte der eines Kindes, das etwas zerschlagen hat und seine Tat nun gestehen musste. Dann fiel sie ihm plötzlich um den Hals. Starr vor Schreck blieb er stehen, er spürte sein Herz schmerzhaft in seiner Kehle, es raubte ihm den Atem ihre Arme um sich gelegt zu fühlen…sollte sie seine Gefühle erwidern? War es möglich, dass auch sie bisher nur nicht die richtigen Worte gefunden hatte? Er atmete leise durch und legte seine Arme um sie…endlich…endlich würde alles gut. Er spürte ihre Lippen an seinem Ohr…sie öffneten sich, um ihm das lange zurückgehaltene Geständnis zu machen. „Garion…ich…“, gleich war es so weit! „….werde heiraten… Aber Phexdan ist jetzt erst einmal zwei Monate fort, du hast also zwei Monate Zeit mich umzustimmen.“, freundschaftlicher Scherz vergiftete die Klinge die ihre Worte führten.
Plötzlich war ihm schlecht…die Arme, die sich eben noch liebend um ihn gelegt hatten waren zu glühenden Ketten geworden, die seinen Geist und Körper peinigten. Seine Beine verloren an Gefühl als habe ihn die Faust des Golems direkt in den Magen getroffen. Eine kalte Kralle legte sich scharf um sein Herz. Garion gab seinen Beinen nach und ließ sich nach hinten auf das Bett fallen – Neferu behielt ihn im Arm und landete halb auf ihm. „Phexdan…“, schoss es ihm durch den Kopf. Ihr Haupt kam auf seiner Schulter zur Ruhe. Wie…wie lange hatte er sich gewünscht, dass sie zurückkehrte…? Wie lange hatte er gebetet, wie lange stumm gefleht. Und nun trieb Rahja diesen grausamen Scherz mit ihm.
„Ich habe einmal geglaubt dich zu lieben Garion, aber dann ist mir bewusst geworden, dass du das nicht erwiderst. Mir ist klar geworden, dass du nur eine Frau gesucht hast, die dir Kinder gebären kann, die dir hilft die Erwartungen zu erfüllen, die an dich gestellt werden. Sicher…dafür suchst du dir die Beste, die du kriegen kannst. Aber wirklich lieben…tust du mich nicht.“, er musste sich verhört haben…sie…glaubte tatsächlich er liebte sie nicht? Sie glaubte…er empfand eine Art zärtliche Freundschaft und wollte sie ansonsten nur völlig leidenschaftlos als seine Angetraute? Der Geschmack von Eisen breitete sich in seinem Mund aus, als er sich auf die Zunge biss. Ehe der Schmerz verschwunden war, sprach sie weiter. In ihre Stimme hatte sich wehmütige Melancholie geschlichen.
„Weißt du…. Ich war bei ihm und…Ich…kann ihn nicht berühren…oder küssen, aus irgendeinem Grund… wie ein Fluch. Er erlaubt es nicht.“ Sie schluckte, während sie ihren Kopf an seinem Hals vergrub. „Aber eigentlich…ist mir das fast einerlei, solange wir zusammen sein können.“
In dem Moment, den er für seinen größten Triumph gehalten hatte…wurden die Lieder dieses Barden aus Unau wahr. „Es ist nicht der Fall der schmerzt…es ist der Moment, wenn du auf dem Boden aufschlägst.“
Er war hart aufgeschlagen…Tränen stiegen ihm in die Augen…sie war so nah…und weiter weg als je zuvor. Er spürte wie sich heiße Tränen ihren Weg über seine Wangen bahnten, die Trauer hatte ihn schließlich geschlagen…hatte sein Herz als eine Festung mit weit offenen Toren vorgefunden und hatte sie gestürmt…was hatte er noch zu verlieren…? Er weinte lautlos.
Neferus Stimme drang durch den Nebel seiner Gedanken:“Garion…weinst du…?“, einen Moment spürte er nichts und hörte nur das Rauschen in seinen Ohren. Dann erschienen Verteidiger auf der Mauer seines Herzens und drängten die Eindringlinge zurück. Er kannte dieses Gefühl…er spürte wie sein Geist sich der göttlichen Macht eines Harmoniesegens beugte und seine Tränen versiegten. Er schloss die Augen…sie war eine Geweihte des Fuches.
Er blickte sie mit geröteten Augen an…er ahnte Fürchterliches. „Ich vertraue dir Garion…du wirst mich nicht verraten…und du wirst niemals von meiner Seite weichen.“, Neferus Stimme war wie ein Peitschenhieb. Rahjas grausame Macht brach die Wirkung des Harmoniesegens, als sich ihre Wange an seine schmiegte. Die Verteidigung seines Herzens brach in sich zusammen und schon nutzte der Feind seine Chance. Glühende Eisen stachen nach seinem Herzen. Sie hatte Recht…sie konnte ihm vertrauen…und er würde niemals von ihr lassen können…aber er spürte, was diese Worte bedeuteten. Sie wusste nicht, dass er sie liebte. „Hast…du die Rose gefunden…?“, fragte er leise.
„Die war von dir…? Ich dachte sie wäre von…“, Garion spürte wie seine Kehle sich zuschnürte…ein unbarmherziger Würger, der ihm das kommende Wort gnadenlos weissagte. „..Phexdan.“
Das Bett wurde ihm eng…er wollte weg…weit weg. Er fühlte sich trotz Neferus geringem Gewicht, als sei er unter Tonnen von unbarmherzigem Gestein lebendig begraben. Sein Blick glitt zu dem Körper, der auf seinem ruhte und sich langsam in Borons Arme begab. Sie trug sogar die Kleider dieses Hurensohns…ahnte sie nicht, was sie ihm antat? Wieder begann er zu weinen…er gab sich der Trauer hin. Ihm war egal, was andere von ihm dachten, ihm war egal ob die Tür zu seinem Zimmer noch immer offen stand, er wollte weinen, er konnte nicht anders. Was ihm wichtig war lag zerschlagen am Boden. Neferu hatte das Messer tief in seine Brust gerammt und es herumgedreht…langsam…genüsslich. Er fühlte sich einsam obwohl sie neben ihm lag, er wusste, dass dieses Gefühl von nun an sein Leben beherrschen würde…Einsamkeit…niemand war geblieben. Ithar würde alt werden und sterben, Richard war weg…Ven…Ven würde irgendwann gezähmt und sesshaft werden, er würde ihn nur bei einem seiner spärlichen Besuche bei ihm und seiner Frau sehen. Und Neferu…? Neferu würde einen anderen heiraten…sich ihm hingeben. Wieder wurde ihm schlecht, seine rechte Hand krampfte sich zusammen, als sein Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes wurde und Ströme von Tränen sich ohne einen Laut auf den Bezug des Kissens ergossen. Er würde einsam sterben…nachdem er ein Leben gelebt hatte, das wie der siebte Kreis der Verdammnis auf ihm lasten würde, dem er sich aber nicht zu entziehen wagte…aus Furcht auch noch das Letzte zu verlieren, was er von Neferu hatte…ihre Gegenwart…ihre schmerzende Freundschaft und ihr vernichtendes Vertrauen. Er würde sich selbst zerstören während er sie schützte, das war ihm klar. Er musste alleine…den Weg in Borons Hallen antreten und Rahja würde ihn trotz seiner Taten verspotten.
Nein…diese Nacht würde er keinen Schlaf finden. Seine Nacht wurde zu einem Vorgeschmack seines zukünftigen Lebens. Er wagte es nicht sich zu bewegen…Dämonen zerrten an seinem Geist, Krämpfe schüttelten den geschwächten Körper und attackierten immer wieder sein geschundenes Herz. Erst als die Sonne das wunderschöne Gesicht der Frau, die er liebte schadenfroh in ihr Licht tauchte, forderte sein erschöpfter Körper seinen Tribut. Er klammerte sich an sein Bewusstsein…der Morgen bedeutete, dass Neferu erwachen würde…und wenn er dann schlief…würde er ohne sie erwachen…ihm graute vor der Dunkelheit…und doch…besiegte sie ihn. Er glitt in einen traumlosen, unruhigen Schlaf hinüber…

Grangor 12 (Rahjard)

Ohne besondere Ereignisse, ohne besondere Taten ließ Rahjard die letzten Tage in Grangor verstreichen. Lediglich zwei Dinge hatte er noch unternommen: sich Proviant gekauft und mit Nestor gesprochen. Dieser würde ihn mitnehmen, die Bettler würden es sehen. Sie würden wissen, dass er von dieser Stadt allmählich genug gesehen, dass er genug erlebt hatte. Jedoch waren die Tage die vor ihm lagen alles andere als erbaulich. Alleine mit weitestgehend Fremden auf einem kleinen Schiff, dann nach Ferdok… nach Gareth und Festum. Zwar hatte er es nicht eilig, doch der Gedanke, dass sein letzter Aufenthalt an der östlichen Küste bereits über einen Götterlauf zurücklag gefiel dem charismatischen Burschen auch nicht.

Eigentlich war sein Verhalten untypisch, insbesondere wenn man bedachte, dass er einen Mond, eineinhalb Monde nach Neferu gesucht hatte. Jedoch hatte sie seither nur Augen für Phexdan. Nicht einmal für einen kleinen Taschendiebstahl hätte sie sich wohl Zeit nehmen wollen, selbst als sie in einer von Rahja und Satinav geschaffenen Zeitblase gefangen waren hatte sie sich kurz ehe sich die Zeitstarre in Wohlgefallen auflöste offenbar zu ihrem Liebsten begeben. Allein dieser Gedanke gefiel ihm nicht, dass seine vermeintliche Schwester im Geiste sich seit ihren Erlebnissen bei einigen Eingeborenen nahe Al’Anfa einen feuchten Kehricht für ihn interessiert hatte.

Eifersüchtig? Ein wenig – nur nicht auf solche Weise wie der Ritter des alten Weges.

Was wollte sie in Ferdok? „Das geht dich nichts an“, hatte sie zurückgefaucht. Auch sonst schien sie sich, im Nachhinein betrachtet, gewandelt zu haben. Es fühlte sich fast so an, als wäre sie eine Fremde und nicht mehr jenes junge Ding, wegen dem er einen Reiter nach Arivor entsandt hatte oder jenes, welches ihm mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen in die Seite knuffte. Er war unzufrieden. Sie war irgendjemand, aber nicht die Neferu, die er wenigstens zu mögen gelernt hatte. Nicht die, die sich herausnahm in jeder noch so unpassenden Situation einen schlechten Scherz auf seine Kosten zu machen. Je mehr er darüber nachdachte, kam ihm auch Garion in den Sinn. Armer Bronnjar. Gerade jetzt sitzt er wahrscheinlich in Grangor, alleine. Denn die, mit der er den Bund Travias eingehen wollte, wandte sich von ihm ab und einem Bettler zu. Armer Rondrit. Als wäre er, betrachtet man seine Herkunft und sein Wesen, seinen Glauben und die Marotten… nicht schon genug von den Göttern gestraft worden.

Daher war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Bronnjar sich ebenfalls aus Grangor zurückziehen würde. Nach Arivor – oder zu Ithar, ins Bornland. Irgendwohin, wo er „seine“ Neferu nicht sehen müsste, wo er seinen Kummer, das Leid und das Wehklagen in dem Lernen neuer Liturgien oder körperlicher Ertüchtigung mit dem Schwerte ertränken könnte. Und dann war es das, vermutlich. Neferu würde sich auf Phexdan einlassen und er sich gewiss auch auf sie, Garion Rondrior von Arivor würde irgendwann ehrenvoll in einer Schlacht zugrunde gehen und er, …er würde erst einmal die Zeit bei Mirhidan genießen. Und dann weitersehen, ob es möglich wäre das eigene „Schicksal“ in ein noch besseres Licht zu rücken, im Vergleich zu dem tragischen des ehemaligen, bornländischen Sonnenlegionärs. Verkneifen konnte sich Rahjard ein mattes Schmunzeln in diesem Moment nicht, obwohl er fast ein wenig Mitleid für den Geweihten empfand.

Um dieses Ziel jedoch zu erreichen war es erst einmal vonnöten, seine sieben Sachen zusammenzupacken und Grangor zu verlassen. Eine leichte Aufgabe, deren Erfüllung er am nächsten Morgen mit Nestor im Schlepptau in Angriff nehmen wollte. Endlich… weg.

Grangor 11 (Neferu)

Sie fühlte sich gelähmt wie das Kaninchen vor der Schlange und starrte beirrt und wie die Personifikation der Konfusion geradeaus. Noch hatte sie nicht gewagt den Blick zu Phexdan zu wenden, der sich lächelnd neben ihr an das Brückengeländer gelehnt hatte.
Ihre Zunge fühlte sich an wie ein trockener Lappen, der am Gaumen klebte und die intensiv grünen Augen begannen zu brennen, da sie vergessen hatte sie auch ab und zu schließen zu müssen. Nie zuvor hatte sie so viele Stimmen gleichzeitig in ihrem Kopf gehabt, so dass sie vollkommen weggetreten in der Welt ihrer wirren und schnellen Gedanken gefangen war. Wo kam Phexdan so plötzlich her? Hatte er gelauscht? Wo war Maran? Hatte Maran Phexdan zu ihr geschickt? War Phexdan Maran? Wie konnte das sein? Fast gleichzeitig schlich sich ein Wort in ihr Unterbewusstsein. …Schattenlarve… Leise geflüstert übertönte der Begriff in einem Bruchteil von Sekunden alle anderen Spekulationen und Ideen, die sie in der Zeit des letzten Atemzuges innerlich im Zeitraffer ausgesprochen hatte.
Mit Hintern und Rücken lehnte sie gegen das steinerne Brückengeländer. Sie hatte sich mit nach hinten geführten Armen abgestützt, mittlerweile drückte sich jeder einzelne Finger schmerzhaft gegen das harte Material, so dass jegliche Farbe aus ihm wich.
Mühsam trennte sie ihre Zunge von ihrem Gaumen und schluckte schwer herunter. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie es geschafft hatte in ihrer Entrückung den Kopf zu ihm zu wenden. Mit sanfter Leichtigkeit lächelte er ihr wissend entgegen.
„Wo… kommst du her..?“ wisperte sie schließlich heiser und hoffte inständig auf eine Antwort, die sie zufrieden stellen konnte. Doch seine Antwort, die sie angstvoll vorhergesehen hatte, traf sie wie ein weiterer Schlag mitten ins Gesicht:
„Ich war doch die ganze Zeit da…“

Ihr Blut wallte heiß und unkontrolliert in die Richtung ihres Kopfes und wurde in Schüben abgelöst von kalter Gänsehaut. Sie erwartete, dass ihr jeden Moment schwarz vor Augen werden würde, doch es kam anders. Ihr Fluchtinstinkt war ob dieser unvergleichlichen Verlegenheit, nein…Scham, oder besser noch angstvollen Panik angeschlagen. Und ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und rannte blindlings über die menschenbefüllte Brücke. Sie schob und stieß, und bahnte sich wie ein fliehendes Tier, das keinerlei Rücksicht mehr nehmen konnte, ihren Weg. Fort. Sie wollte einfach nur fort. Welchem Spott hatte sie sich ausgesetzt! Sie hatte ihm in Unwissenheit ihr Inneres nach außen gekrempelt, sich einmalig verletztbar gemacht und nun musste sie… weg. Weit weg, ehe sie sich weiter der Lächerlichkeit preisgeben konnte.

Natürlich hatte sie ihn unterschätzt. Sie musste zugeben, sie hatte in keinem Fall damit gerechnet, dass er ihr nachkommen würde. Er war nicht der Typ, der anderen nachlief – jemand der vor Phexdan davonlief hatte selbst Schuld.
Am Ende der etwa 50 Schritt langen Brücke hielt sie inne und sah zurück mit der absoluten Gewissheit, dass er nicht länger in Sichtweite sein würde, aber schon stand er neben ihr.
Er war ihr nachgekommen.
Ihr Kopf ruckte zur Seite und der letzte Ausweg schien das Wasser des Kanals. Sie sprang. Wieder hatte sie ihn verkannt… Er sprang hinterher.

Sie schwamm wie um ihr Seelenheil, aber unter einer der Brücken holte er sie ein, da sich ihre Kleidung an einem Nagel verfangen hatte, der aus einem der hölzernen Pfeiler ragte. Zu spät. Er schwamm ihr Gegenüber, dass er Neferus bleiches (trotz Bräune) Gesicht sehen konnte und sah sie an, während seine Schwimmbewegungen ihn auf der Stelle hielten. Sie war außer Atem und rang nach Luft – er hingegen hatte sich anscheinend nicht einmal abmühen müssen ihr hinterherzukommen, sein Atem ging fast normal schnell.
Ihr Haar lag nass an ihrem Kopf an, ebenso wie seines, während sie sich im Schlagschatten der Brücke begegneten. Ihre flammenden grünen Augen starrten ihm entgeistert und vollkommen perplex entgegen, während ihr verschnellter Atem den offenen Lippen entkam. Sie sagte nichts. Das plätschern des Wassers, wie es rhythmisch ans Kanalufer schlug dominierte ebenso wie der Lärm der Menschen über ihnen die Akkustik.
„Warum musstest du auch in den Kanal springen? Das kann gefährlich sein… So musste ich dir wohl oder übel hinterher.“ sprach er ruhig, die Stille zwischen beiden durchbrechend. Außer ihren stetigen Schwimmbewegungen, die sie über Wasser hielten, war an Neferu kein Lebenszeichen zu bemerken.
Er kam ihr näher und schlang den rechten Arm um ihre Hüfte. Ihre Steifheit übertraf die eines Brettes bei weitem. Ihrer Kleidung wurde ein Loch gerissen, wo sich der Nagel verwickelt hatte, als er sie an sich zog. Sie hielt endgültig den bereits flach gehaltenen Atem an.
Behutsam hob er die verstörte junge Frau aus dem Wasser.

Tropfnass saß sie auf dem Stein, mit angezogenen Beinen. Phexdan hob sich ebenfalls aus dem Nass und wieder wurde sie seines athletischen, schönen Körpers gewahr, der sich deutlich unter der tropfenden Bettlerkleidung abzeichnete, die zuvor Maran getragen hatte und setzte sich unmittelbar neben sie, ohne sie jedoch weiter zu berühren.
Noch immer fiel ihr das Blinzeln schwer und entrücktes Starren und Ausdruckslosigkeit dominierten ein nichtvorhandenes Mienenspiel.
Nach mehreren Minuten öffnete sie dann doch die mittlerweile vor Kälte lila gefärbten Lippen.
„Wie… geht es deinem Garten?“ raunte sie weit weg.
„Gut. Er gedeiht prächtig… Und, was sagst du zum Wetter heute?“
Schnell wie ein Pfeil, der von der Sehne gelassen wurde antwortete die Streunerin aus Gareth, noch immer ohne zu seiner nahen Gestalt herüberzusehen.
„Der Himmel ist blau und die Sonne scheint, aber… es ist dennoch recht kühl.“
Er lachte erheitert auf: „Eigentlich meinte ich nur… dass das eine ähnlich peinliche Frage sei wie die nach meinem Garten.“

Neferu runzelte matt die Stirn und wagte nun einen Blick zur Seite. Da saß er. Phexdan, zum Greifen nahe. Phexdan, der nun praktisch jedes Gefühl kannte, das ihr Geist und ihr Körper im geheimsten Inneren beherbergten.
„Wieviel lächerlicher kann ich mich denn heute noch machen… Ich habe mir die ultimative Blöße gegeben.“ Sprach sie bitter und brachte damit ihre verworrenen Gedanken auf den Punkt. Mittlerweile begann sie zu zittern. Die nasse Kleidung entzog ihrem Körper die Wärme und ließ sie beben wie Espenlaub. Als er ihres Zustandes bewusst wurde, legte er wärmend einen Arm um ihre Schulter. Die Bettler, die überall die Wege der nähe säumten, wandten sich sichtlich von der Szenerie der beiden ab.
„Warum denkst du, es sei etwas Schlechtes, dass ich nun weiß, was du für mich empfindest?“ erklang seine sanfte Stimme an ihrem Ohr.
Sie verstand die Welt nicht mehr. Hatte sie sich so in ihm getäuscht? War sie ihm tatsächlich aufgefallen?
„Ich will… wie ich auch Maran bereits sagte… nicht nur ein einzelner Finger von vielen für dich sein, sondern… gleich beide Hände.“ wiederholte sie tonlos flüsternd, was ihr augenscheinlich viel Überwindung kostete.
„Was hindert dich daran?“ sprach die männliche Stimme ruhig.
„Du schläfst mit den Geweihten im Rahjatempel.“ entgegnete sie fast beklommen. Wieder schmunzelte er fast nachsichtig.
„Ich schlafe bei ihnen, das ist richtig, denn es ist warm dort. Aber sicher nicht mit ihnen.“
„Und was ist mit den halbnackten Tänzerinnen, die dich begleiten?“ wollte sie misstrauisch wissen.
„Sie ziehen lediglich die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich, mehr nicht.“
Verhöhnte er sie? Oder konnte es wirklich sein, dass… Sie blinzelte mehrfach und wagte nicht, den seligen Gedanken weiterfortzuführen, während ihre Lippen noch immer durch die Kälte in Bewegung waren. Sie beschloss seine Ernsthaftigkeit zu prüfen.
„Küss mich, Phexdan.“ provozierte sie ihn ernst und sah ihn fest an.
„Noch nicht…“ raunte er seine Antwort. „Ziehen wir dir erst einmal trockene Sachen an.“

Statt zu den Hortemanns zu gehen (Neferu sperrte sich dagegen), nahm er sie dann doch mit in die „Offne Hand“ in sein Zimmer, das ihr mittlerweile bekannt war.
Beide zogen sich um, während der andere wegguckte und sie musste unweigerlich lächeln, als seine nasse Kleidung an ihr vorbeiflog, an die Wand klatschte, herunterfiel und dort liegen gelassen wurde. Sie liebte ihn allein schon dafür, stellte sie innerlich in seltsamer Heiterkeit und Beschwingheit fest.
Blaue, sehr bequeme und gemütliche Kleidung hatte er ihr gegeben. Schnitt und Qualität waren recht bürgerlich und Hose, sowie Hemd passten ihr nur mäßig, da der Stoff um die Hüften herum etwas spannte und ihren gerundeten Po übermäßig betonte und widerrum um die Schultern und die Taille schlackerte.
„Man müsste es hier etwas enger machen…“ raunte sie und hielt mit den Fingern den Stoff an ihren Seiten fest, so dass er die weibliche Eieruhrfigur ihres Oberkörpers nachformte.
Als sie den Kopf hob und den Mann musterte, der mit ihr allein in diesem kleinen Zimmer stand, begann ihr das Herz wieder einmal bis zum Hals zu schlagen, bis sie das Blut in ihren Ohren rauschen hören konnte. Phexdan… Es war so ein Hochgenuss ihn einfach zu betrachten und selbst wenn sie die Augen schloss, konnte sie seine Präsenz weiterhin spüren, die ihr so angenehm war wie es nichts Vergleichbares auf Dere gab. Was hatte er nur mit ihr gemacht? Ohne wirkliche Kontrolle über ihr Handeln kam sie bedächtig auf den ebenfalls Blaugewandeten zu.
Er sah sie an und mit bebenden Gliedern, diesmal abern nicht mehr aus Kälte, kam sie vor ihm zum stehen.
Sie wollte ein für alle Mal wissen, was wahr und was falsch war. Sie hatte in den letzten Stunden und Tagen gelernt, dass sie sich auf ihre Spekulationen und Vermutungen alles andere als verlassen konnte, bei ihm hatte ihre hochgelobte Menschenkenntnis komplett versagt.

„Hast du.. das ernst gemeint?“
wisperte sie voll Festigkeit und Drängen in der sanften Stimme, während sie beide nur ein halber Schritt Abstand trennte.
„Was meinst du..?“ flüsterte er zurück.
„Den Traviabund…“ huschte es ihr schnell und gleitend über die wohlgeformten, roten Lippen.
„Ja, ich denke… ja.“ raunte er ihr mit weicher Stimme zu und der Blick seiner grünen Augen drang tief in die selbe Farbe der ihrigen.

Ihr wurde schwindelig und ein Hochgefühl bemannte sich ihrer. Eines, das ihr so fremd war, dass es sie fast von den Füßen warf. Sie bemühte sich hartnäckig um einen klaren Kopf.
„Seit wann? …Seit wann fühlst du etwas für mich?“ Setzte sie ihr zärtliches Gespräch fort, das bisher ohne Berühungen auszukommen schien. Sie war gehemmt und wollte sich nicht aufdrängen, denn er blieb auf Abstand.
„Seit wann… kennen wir uns?“ War seine leise Gegenfrage, die er ruhig stellte, nicht ohne das Grün ihrer beider Augen aus der Verschmelzung zu entlassen.
„Unsere erste Begegnung war vor.. vier Monaten. Auf der Brücke in der Nähe des Schneiders. Ich kam durch die Menschenmenge auf dich zu, auf der Suche nach Informationen.“ atmete sie schnell. Sie konnte ihrem Körper das Verlangen nach ihm nicht austreiben und ihr Leib reagierte auf seine Nähe und die leisen Worte.
„Von dem Moment an.“ beantwortete er ihre Frage dann ernst.

Wie auf Stichwort umarmte sie ihn innigst. Neferu vergrub ihr Gesicht in seiner Kleidung und drängte ihren warmen Körper an seinen. Auch er schlang für den Moment wie in Eile die kräftigen Arme um die etwa gleichgroße Frau und drückte sie so fest an sich, dass ihr beinahe die Luft wegblieb, doch das war ihr vollkommen gleich, im Gegenteil. Die Intensität seiner Nähe war Balsam für ihre Seele und sie fühlte sich in diesen wenigen Sekunden vollkommen wie nie: Sie hielt ihr Gegenstück, ihre Liebe in den Händen.
„Küss mich…“ bat sie erneut leise in die Richtung seines Ohres raunend.
Sogleich war der Spuk vorbei. Er beendete die Umarmung so abrupt wie sie entstanden war und alles in ihr setzte sich einem Trennen ihrer beiden Leiber entgegen, aber sie sagte nichts.
„Glaub mir.. Ich würde nichts lieber. Doch ich kann nicht…“ war seine niederschmetternde Antwort. Sie verstand die Welt von einer Sekunde auf die andere nicht mehr, als er seinen Blick von ihr fort zum Fenster wandte und ein melancholischer Glanz in seinen Augen beängstigende Überhand nahm.

Kurz blickte sie ihn fassungslos an und alles schrie in ihr in aufgebrachter Panik, dass die Liebe, die eben noch so sehr die ihre gewesen war schon wieder dabei war fortgerissen zu werden. Was hatte sie falsch gemacht? Warum konnte er sie nicht küssen…?
„Phexdan…“ flüsterte sie sanft seinen Namen und legte ihre Hand an seine Wange, die gleich darauf durch sein dunkles, zerzaustes, aber weiches Haare glitt. Sie hatte sich so oft vorgestellt eben das tun zu können.
„Warum kannst du mich nicht küssen…? Was ist los…?“ sprach sie mit Vorsicht und einem Hauch Angst in der Stimme.
Die Melancholie in seinem Blick nahm nicht ab. „Die Zeit wird es dir zeigen…“ raunte er eine mysteriöse Antwort, die sie alles andere als zufrieden stellte.
Neferu nahm seine Hand, sie zitterte. Mit vorsichtigen, samtigen Fingerspitzen streichelte sie Finger, Handfläche und Handrücken, ehe sie sie anhob und auch mit ihren Lippen streichelte, nicht küsste. Sie bemerkte, wie die Härchen seines Handrückens sich aufstellten und flüsterte ihm leise zu:
„Es ist… nicht schlimm, dass ich dich nicht küssen kann. Solange du nur bei mir bist.“

Er lächelte schwermütig. „Eigentlich… war die Umarmung schon zuviel..“
Sie ließ von seiner Hand ab und runzelte die Stirn.
„Ist es ein Fluch? Tut es dir weh? Wenn das so ist… werde ich dich nie wieder-„ mischte sich verwirrte Verzweiflung in ihre Worte. Sie durfte ihn also nicht berühren? Welche Art von bösem Zauber war das?

Mit immernoch traurigem Lächeln schüttelte der schwarzhaarige Gaukler den Kopf.
„Das ist es nicht… Aber.. ich muss jetzt gehen, Phexje und ich haben ein Treffen geplant.“
Sie nickte langsam und kam ihm sehr nahe und konnte sich nicht in soweit beherrschen, dass sie ihren Kopf hätte hindern können sich an den seinen zu schmiegen. Er reagierte nicht auf diese Annäherung.
„Kann ich nicht… mitkommen?“ bat sie leise, aber eindringlich.
„Ich fürchte Phexje hat soetwas wie einen Männerabend geplant.“ war die ernüchterne Antwort. Sie seufzte, wollte sie sich doch nicht von ihm lösen.
Doch die für die niederschlagenste Neuigkeit kam erst noch.

„Ich werde für einige Zeit weg sein.“ setzte er sie in Kenntnis. Langsam nickte sie. „Für wie lange…?“
„Etwa zwei Monate…“
„Zwei Monate?!“ Ihr zärtlicher Blick verwandelte sich wieder in ein fast entsetztes Starren.
Er schmunzelte sachte, die Melancholie hatte sich erbarmungslos und hartnäckig in seine grünen Augen gesät.
„Ja… zwei Monate. Ich muss gehen…“

Er drehte sich von ihr fort und schritt zur Tür. Schweigend sah sie ihm nach. Und einen Augenblick später… war Phexdan wieder wie aus ihrem Leben getreten.
Sie hatte geglaubt mittlerweile recht viel von ihm zu wissen. Aber in dem Moment, in dem sie wieder allein in seinem Zimmer stand, musste sie einsehen, dass sie eigentlich gar nichts wusste.

Grangor 10 (Rahjard)

Schweigend sah sich Rahjard im Zimmer um, dass er am vorherigen Praioslauf bezogen hatte. Dem jungen Phexje hatte er diesen Entschluss bereits zwei Tage zuvor verraten, das Haus Hortemann nach all den Monaten hinter sich zu lassen. Selbst das Bitten und Flehen der kugelrunden Töchter des Altvorderen hatte ihn nicht umstimmen können. Um nicht zu viel Aufsehen zu erregen hatte er es auch vorgezogen, sich nicht bei Garion oder Neferu abzumelden. Davon abgesehen hatte er sich erhofft, allmählich Abstand vom Gedanken der Garetherin mit dem Grangorer nehmen zu können. Und es würde ihnen vielleicht auffallen, dass er und seine Sachen sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatten.

Ruhig verschränkte er die Arme vor der Brust und schüttelte mit Blick aus dem Fenster, auf den Pilgerhafen, sachte das Haupt, schmunzelte dann jedoch plötzlich, als er sich den Namen des Gasthauses noch einmal auf der Zunge zergehen ließ – Silberfisch. Diese Veränderung sollte ein erster Schritt sein, ein erster Schritt fort aus Grangor. Die Fakten sprachen für sich… weder die Bettler, noch seine eigentlichen Begleiter würden ihn vermissen. Jedoch gab es noch immer eine Frage, auf die er keine Antwort kannte: „Wohin des Weges?“

Ein leises Seufzen entglitt seinen Lippen und er senkte den Blick zu dem kleinen Tisch, der unter der Fensterbank seinen Platz gefunden hatte. Darauf lag ein zusammengerolltes Papier, das er vor Wochen schon beschrieben hatte. Eigentlich wollte er es einem Beilunker oder sonst einem Boten anvertrauen, doch würde er auf diese Art und Weise nur das werden, was Neferu ihm vorwarf zu sein: ein Herzensbrecher. Nur warum wollte er überhaupt, wie kam er auf den Gedanken, ausgerechnet die geduldige Mirhidan aus ihrem goldenen Käfig zu entlassen? Ein Fehler, bedachte man, dass sie seine einzige, wirkliche Möglichkeit darstellte sich zurückzuziehen, außer er wollte selbst in seinem Schließfach in der Nordlandbank liegen.

Eher nebenbei hob er Mittel- und Zeigefinger der Rechten und kratzte sich an der Stirn. Als er beim letzten Mal einen Gedanken an sie verschwendet hatte, war sie noch die Wanderhure. Doch konnte sie ihm auch schlecht das Gegenteil beweisen. Wenngleich sie ob seiner Art wohl ahnen konnte, dass wenigstens er sich immer wieder Lust verschaffte – oder verschaffen ließ. Während sie geduldig abwartete…? Akribisch schüttelte er den Kopf und strich sich mit dem Zeigefinger nochmals über die Stirn, über die sich eine unnatürlich lange Falte erstreckte.

Zumindest Rahja war ihm nicht böse. Dann konnte es doch eigentlich nicht falsch sein.

Außer man belächelte Rahja und setzte den Glauben an Travia als Maßstab an. Dann wäre er verdammt, ein Dasein in den Niederhöllen zu fristen. Wieder schüttelte er den Kopf. Wenn er ehrlich zu sich selbst sein sollte, wusste er selbst nicht was er wollte. Durchatmend neigte er sich leicht vor und nahm das Papier mit der Rechten auf, nahm es in beide Hände und zerriss es etwa mittig. Nicht mal der erbärmlichste Weiberheld, würde sich solcher Methoden bedienen. Jedoch… bleib offen, was nun aus ihm und Mirhidan werden sollte. Besuchen würde er sie auf jeden Fall, auf ewig bleiben würde er nicht. Noch nicht. Vielleicht eines Praioslaufes, wenn er alt und gebrechlich war… wenn er sein durch und durch rahjagefälliges Leben in vollsten Zügen genossen hatte. Dann vielleicht… was?

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ließ sich Rahjard in den abgenutzten Sessel fallen der rechts neben ihm stand und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Das Bornland würde er auf jeden Fall aufsuchen. Also von Grangor nach Ferdok, von Ferdok nach Gareth und weiter nach Festum. Eine halbe Weltreise, die ihn immernoch weniger Dukaten kostete als zwei Wochen in Grangor. Naserümpfend legte er den Kopf in den Nacken und sah zur Decke auf.

Erst dann fiel ihm ein, dass er wahrscheinlich schon seit Tagen, wenn nicht Wochen… kein wirkliches Wort mehr mit seinen Begleitern gewechselt hatte. Wenn sie es nicht mitbekommen würden, wäre das aber auch kein Beinbruch. Neferu hatte Phexdan, das schien sicher… und Garion einen neuen Wilbur. Zwar etwas massiger, höchstwahrscheinlich aber ähnlich fromm und hilfsbereit.

Das Beste an diesem Wilbur war allerdings, wenn man es ernsthaft betrachtete, dass er kein Gaukler war. Denn Gaukler brachten ihm einfach kein Glück.

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