Salpico
Gareth 24 (Neferu) (PER 1013)
14. Peraine 20 Hal
Neferu strich ihm die Haare aus der Stirn. Dunkelblond oder hellbraun, wie Honig, wenn die Sonne sie erleuchtete. Ihre Hand glitt langsamer und länger durch die Strähnen, als es notwendig gewesen wäre. Sie kühlte Voltans Kopf mit einem feuchten Tuch, wischte ihm den Schweiß fort. Sie hatte ernsthafte Sorge um ihn, allerdings jetzt, wo sie bei ihm war, weniger als zuvor.
Die letzten Schritte vor seiner Tür hatte sie ein quälender Zwang schneller werden lassen. Sie hatte den Gedanken nicht ertragen, dass Dere diesen Mann verlor. Dass Gareth ihn verlor.
In unregelmäßigen Abständen erwachte er. Manchmal war er ansprechbar, dann wieder unruhig-fiebrig.
Mal erkannte er sie, dann fragte er wieder, wer da sei.
Sie verhielt sich so still, wie es ihre Selbstbeherrschung zuließ, erwärmte einen Stein für seine kalten Füße, kochte einen Tee, dessen Blätter sie vorsorglich mitgebracht hatte.
Und ironischerweise kam sie in diesem kleinen, schlicht eingerichteten Kasernenzimmerchen so zur Ruhe, wie schon seit Wochen nicht. Sie war ihm aus dem Weg gegangen, um diesem drängenden Gefühl, dass sie in ihrer Hexennatur nur zu gut kannte, keine Nahrung zu geben.
Aber sie hatte verloren, nachdem er ihr in der Schnittengasse im abendlichen Frühlingswind begegnet war. Er hatte sich umgedreht, ebenso wie sie und ihre Blicke waren sich begegnet. Kein höfliches, verabschiedendes Lächeln, sondern ein kurzer, unsicher-sehnender Blick traf sich von beiden Seiten in der Mitte, ehe sie sich hastig voneinander entfernten, jeder seinen eigenen Pflichten nachgehend.
Und jetzt saß sie hier, in der winzigen Offizierskammer, den Rücken an sein Bett gelehnt und las in dem neusten Schundroman von Autor Rosenkron.
Zuerst noch unruhig, schlief er weit nach Mitternacht einen tiefen Schlaf.
Sie zog sich auf den Stuhl zurück, den sie mit ihrem Umhang polsterte.
Was quälte diesen Mann? Warum zog er sich jeder Freundlichkeit, die über Höflichkeit hinausging so bestimmt zurück? Er ließ niemanden an sich heran. Wen hatte er verloren? Seine Schwester oder vielleicht.. eine Ehefrau?
Sie betrachtete im Kerzenlicht sein fieberfeuchtes Gesicht. Voltan war schon äußerlich zu ansehnlich, um so allein zu sein. Aber seine wohle optische Erscheinung war nicht gewesen, das sie beeindruckt und fasziniert hatte. Neferu drückte die Lippen sachte aufeinander.
Schöne Menschen gab es überall, zu Hauf. Nur leider verhielt sich ihr Inneres nicht immer gesund proportional zu ihrer hübschen Erscheinung. Bei Sprengler schien das anders, vielleicht lag es daran, dass er seinen eigenen Worten nach, und dem Spitznamen, den Torfstecher für ihn hatte, ein pummeliges Kind gewesen war. Voltans Geist schien ihr klar und gerecht, aber einsam. Er urteilte nicht vorschnell und gleichzeitig trieb der Aberglaube ihm die Furcht in die Knochen.
Ihre schlechte Laune hatte er mit Pilzbrot zu verbessern gesucht. Und auch als sie mitten in der Nacht zu ihm gekommen war, hatte er ihr voll Ruhe und Aufmerksamkeit im Schein der Kaminglut zugehört. Gut, es war um einen Paktierer gegangen, aber das hatte er nicht vom ersten Augenblick an gewusst. Er hatte ihr den nassen Umhang abgenommen, sie ans Feuer gesetzt und sie mit Wein und Brot verköstigt. Seine Gastfreundschaft und Geduld passte zu dem, was alte Nachbarn über eine jüngere Version gesagt hatten: „Ein so höflicher Junge!“
Torfstecher.., schnellte es durch ihre Gedanken, er kannte Sprengler von früher.. Er konnte vielleicht mehr sagen, über diese verschwundene Schwester und über ihn.
Zwar war ihr der Gedanke an den Nachtschatten unangenehm, hatte es doch erst wenige Wochen zuvor diesen beinahe-Unfall beim abendlichen Gezeche gegeben, aber was sollte es. Phexdan hatte Recht: Es war nichts, das sich nicht schnell aus der Welt schaffen ließ. Und sie musste wissen, ob der Vikar ein Quell neuer Erkenntnisse sein konnte.
15. Peraine 20 Hal
Ein steinerner, kurzer Schlaf hatte sie übermannt, ehe sie leise ihren Rucksack und den Umhang nahm und sich hinausstahl.
Hinaus ins erwachende Gareth. Der frische Wind vertrieb den Geruch von Krankheit, der ihr in der Nase lag.
Überall Bewegung. Wie hatte ihr der Geist Calamans während der Karmalqueste im menschenleeren Gareth vermittelt: Wir sind nichts ohne die Menschen, das Leben, den Trubel. Keine Herausforderungen, keine Interaktion, niemand, der einen anerkennen kann.
Sie bewegte sich durch den noch dürftigen, morgendlichen Strom von Leben. Auch wenn ihre Gedanken sich um den kranken Weibel rankten, gelangte sie wie von einem unsichtbaren Südweiser bewegt, zu Ahlemeyers alter Sattlerei.
Neferu weckte Phexdan vorsichtig, drückte ihm einen freundschaftlich-nassen Kuss auf die stachelige Wange, ehe sie ihm vom kranken Wachoffizier erzählte.
Der Halbmaraskaner war nicht glücklich darüber, sagte aber nichts gegen ihre Entscheidung, sich die letzte Nacht um ihn gekümmert zu haben.
Der Tag an der Weststadtmauer im Dienste der Spießbürger verging wie in einem Traum. Neferu war gedankenvoll, nicht bei der Sache. Wie durch einen Schleier ließ sie die Pflicht passieren, handelte wie ein Gerät.
Sie hasste und genoss ihren Zustand gleichermaßen. Sie kannte ihn, denn sie war und blieb ein Wesen des Gefühls, ganz gleich, ob sie in die graumagische Gilde eintreten oder einen Ratsposten in der Stadt erkämpfen würde. Sie hatte sich unglücklicherweise verliebt. Nicht das erste Mal. Es tat weh und zeitgleich war es erhebend und süß, wenn sie wenige Augenblicke in der Woche erlebte in denen es sich anfühlte, als würden diese zarten Bande von der anderen Seite erwidert werden.
Er hat sich umgesehen…
Neferu hatte sich vor Monaten damit abgefunden, dass traviaische Tugend nichts war, das ihr ins Blut gelegt worden war: Ein Geschöpf wie sie lebte Emotion und war geprägt von Phasen wankelmütigen Gefühlschaos‘.
Sie würde niemals etwas daran ändern können, auch wenn sie in unregelmäßigen Abständen ebenso daran litt, ihre Liebsten zu verletzen. So wie jetzt Phexdan. Sie liebte ihn mehr als jeden anderen Menschen und war sich sicher, dass sein Tod ihr irgendwann den Rest Verstand rauben würde (und sie meinte es nicht literarisch). Trotzdem hatte Voltan Sprenglers Ambivalenz ihren Geist verwirrt und eingenommen. Sie erinnerte sich an seine analytisch-scharfen Blicke mit denen er die Menschen am Tor geprüft hatte, wie ein Dieb, der seine Beute ermittelte und an den geheimnisvollen Anhänger, der ihn letztendlich als Inspektor der Criminal Cammer ausgewiesen hatte und ebenso an das von ihm geknackte Schloss ihres Grundstücks.
Er hatte durch all das mehr geöffnet als nur das Tor zu ihrem Garten.
Herb wehte eine Böe und verpasste ihr eine fröstelige Gänsehaut.
Am Rand ihrer Wahrnehmung wurde ihr bewusst, dass ihr heutiger Dienst zu Ende und sie auf dem Weg zur CriminalCammer war, um einen der Inspektoren schwer krank zu melden.
Sie war nicht in der Stimmung für Erledigungen. Im Grunde hatte es den Anschein, als sei ein stumpfer, lähmender Nebel über sie gekommen, kaum dass sie Voltans Krankenzimmer verlassen hatte.
Es hatte sie wirklich hart und unerwartet erwischt.
So wie sie hoffte, dass Sprengler sich bald von seinem Fieber erholte, so erhoffte ein Teil von ihr sehnsüchtig ihre eigene Erlösung, in welche Richtung die am Ende auch immer gehen würde.
Sie wanderte noch bis nach Sonnenuntergang durch Gareths Straßen. Und je mehr sie über sich selbst nachdachte, desto nüchterner und resignierter wurde sie. Es war nicht gerecht.
Nichts was ihr wiederfuhr empfand sie als Gerechtigkeit im größeren Sinne. Überall stieß sie auf schnelles Urteilen, Misstrauen und sogar offenen Hass. Hatte sie sich nicht ihr ganzes Leben bemüht, sich einzufügen, ihren göttergegebenen Platz zu finden? Pfeilschnell schossen die inneren Bilder von einem Extrem zum nächsten. Die Gedanken vom Ausbrennen ihrer Magie verschafften ihr keine Erleichterung, sondern einen trotzigen Zorn gegenüber der Menschen, die sie nicht akzeptieren konnten, wie Tsa sie auf diese Welt gelassen hatte, folgten solchen, es zu tun wie sonst auch: Einfach die Gegend zu verlassen. Ein Weiterziehen hatte ihr immer kurze Linderung verschafft. Es half mit Dingen abzuschließen oder sie wenigstens in eine tief vergrabene Kiste zu sperren. Gedanklich natürlich.
Um nicht als „Dunkles Gelichter“ zu gelten, entzündete sie in der aufkommenden Dunkelheit träge ihre Dienstlaterne.
Wegrennen, schon wieder? Fragte sie sich selbst und fand keine Antwort.
Wenn die Praioten meine Gedanken kennen würden… verfasste sie innerlich mit Unwohlsein. Es war nicht die Vorstellung, wie sie dann auf dem nächsten Scheiterhaufen lichterloh in Rauch aufgehen würde, vielmehr die Tatsache selbst, dass sie Gedanken hatte, die sie niemandem anvertrauen konnte, da sie sie selbst immer wieder zu der Entscheidung veranlassten, den Gefühlen eben nicht freien Lauf zu lassen. Sich dem entgegen zu stellen, was sie von Lucinda und auch Luzelin gelernt hatte. Die Frauen hatten sie gelehrt, dass jede Emotion von der Erdmutter herrührte und gelebt werden musste. Dass man sich ihr hingeben musste, im Großen wie auch im Kleinen.
Aber das konnte Neferu nicht. Sie wollte es nicht. Denn manche Gefühle erschienen ihr in Situationen, in denen sie aufgewühlt war, irrsinnig. Und sehr, sehr gefährlich.
Wenn sie an Tagen wie diesen litt, sah sie Gareth brennen. Sie sah ihre eigene Rache aus Feuer, Unheil und Zerstörung. Sie spürte diese Wut aufkeimen, die herrührte aus der Zurückweisung und dem Nichtverstehen aller.
Was auch immer in ihr steckte, es glich einem unberechenbaren Wesen, welches sich selbst als das Opfer sah und das durfte nicht heraus.
Vielleicht hatte sie es selbst erschaffen, indem sie von vornherein, bereits als Kind ihre sumugegebenen Emotionen heruntergeschluckt und versteckt hatte. Das war nicht unwahrscheinlich. Sie hatte sich selbst zu einem unter Druck stehenden Kessel gemacht, da sie nie gewagt hatte, den Deckel zu heben.
Aber das Kind war in den Brunnen gefallen, wie schon der Graumagier Salix so treffend bemerkt hatte.
Es half nur eines: Sich ganz ihrem Herren hinzugeben, listenreich, mit kühlem Kopf und voller Geheimnisse. Und einem Schmunzeln. Und wenn sie auch sonst nichts mit Bestimmtheit sagen konnte, dann doch, dass sie ihr Leben darauf verwettete, dass es Phex allein war, der ihr die Beherrschung lieh, dem Guten, dem Verstand in ihr stets Vorrang zu verschaffen.
Sie spürte trotz des Garether Windes die Wärme in sich aufsteigen, hörte im Kopf das samtige Lachen und mit einem Male fühlte sie sich geboren und auf dem richtigen Weg.
Wen auch immer sie liebte und in ihrem langen Leben lieben würde, Phex würde über ihnen allen thronen, als Stern ihres Innersten.
Die Erkenntnis gab ihr Trost.
Sie war müde. Nicht nur am heutigen Tag. Sie war es leid, wie schnell sich ihr Kopf verdrehte, wie schnell die Faszination eines ungewöhnlichen Charakters sie schonungslos packte.
Männer mussten sich keine Mühe geben.
Niemand hatte sie je erobert.
Sie selbst war diejenige, die dem Reiz erlegen war, sich in ihre Herzen zu stehlen. Nicht aus spielerischer Bosheit, sondern aus Neugier, Interesse und Verlangen. Ob es nun Garions verstockte Unschuld, Calfangs Verbissenheit, Zerwas‘ animalische Unberechenbarkeit oder Phexdans verspieltes Herumtreiben gewesen war: Sie alle hatten gemein, dass sie in ihr ins Auge gestochen waren.
Sie hatte sie absichtlich gereizt und mit aller Leidenschaft an ihrer Seite gewollt– nacheinander versteht sich.
Bei Garion war es hastig schnell gegangen, fast beängstigend schnell. Calfang und Zerwas waren härtere Brocken gewesen. Gelohnt hatte es sich nur bei Phexdan.
Wie eine Mirhamionette lief sie an den Fäden ihrer Hirngespinste. Ahlemeyers alte Sattlerei tauchte in der Dunkelheit auf. Immer wieder peitschte der beginnende Sturm Tropfen in ihr Gesicht.
Egal, wie ihr Leben bisher verlaufen war, sie war nicht zufrieden.
Immer nagte es an ihrer Seele. Ob es ein unstillbarer hexischer Wesenszug war oder schlicht die Tatsache, dass es ihr an einem Menschen fehlte, der ihr genau das gab, was sie brauchte und für den sie dasselbe tun konnte, vermochte sie nicht zu sagen.
Sie wollte nicht verbittern. Nicht schon jetzt, bei all der Zeit, die ihr blieb, hatte sie noch genug schlechte Jahrzehnte vor sich, davon war sie überzeugt. Sie wollte durchhalten, starrköpfig und geistesstark.
Ihr klarer werdender Blick offenbarte ihr Ahlemeyers Pension. Es brannte Licht, die Fenster vermittelten Wärme.
Augenblicke vergingen, in denen sie sich verhielt wie eine von Yol-Anas Steinstatuen.
Gehen? Bleiben? Einfach verschwinden?
Ein Ende mit Schrecken?
Ein tiefer Atemzug dehnte ihre Brust, als sie sich Phexdans süßes Lächeln vorstellte.
Nein. Nicht mehr. Nicht weglaufen.
Am Ende sah sie ihn nie wieder und das würde sie für immer bereuen. Für immer. Und das war lang.
Aber jetzt gerade konnte sie seine Anschmiegsamkeit nicht ertragen. Nicht ihretwillen, nicht seinetwillen. Sie verdiente seine Zuneigung nicht. Nicht jetzt.
Sich abwendend hielt sie schneller auf das Puniner Tor, den Weg ins Südquartier zu. Sie würde durch die Mannluke kommen, mit Hilfe des Ringes der Wache.
Der Tempel der Schatten war der einzige Ort, der sich wirklich nach Geborgenheit und Verständnis anfühlte. Sie konnte nicht anders und sprach die lautlosen Worte des Göttlichen Zeichens. Bitte, zeig mir, dass du bei mir bist, mein Herr, mein Liebster, mein Gott… Und sie erflehte heiß sinnend sein Lachen. Und Phex ließ es zu, gab ihr das Gefühl, beschützt zu sein und schmunzelte leise lachend in sie hinein. Doch auch Phex war nicht Satinav. Phex konnte nicht in die Zukunft sehen.
16. Peraine 20 Hal
Als Neferu die Augen öffnete, schmerzte es. Ein Lid war geschwollen und pochte unsäglich.
Wo war sie? Was war passiert? Die niedrige Morgensonne drang durch ein schäbiges, glasloses Fenster und flutete den kärglichen, aber sauberen Raum, den sie nicht kannte.
Ihre Fingerspitzen ertasteten das Bettgestell, auf dem sie lag. Die Wolldecke mit den gestopften Löchern kratzte auf ihrer nackten Haut.
Nackte Haut…
Sie fror.
Neferu versuchte sich zu erinnern, aber sie fand keinen Anhaltspunkt. Sie hatte Phexens Lachen gehört… Und dann? Wie war es weitergegangen?
Verwirrt versuchte sie sich aufzurichten. Ihr Körper fühlte sich steif an, sie fühlte Blessuren, als sie sich auf die Ellenbogen stützte.
Schritte kamen von links, gingen über Holz.
„Wie geht es Euch, Fräulein?“ eine verhärmte junge Frau lächelte matt und sah sie an.
War das nicht Tormans Mutter? Wie um alles in Dere…
Sie hatte zum Phextempel gewollt – mehr wollte ihre Erinnerung nicht preisgeben.
„Wie komme ich hier her..?“ Ihre Stimme klang überraschend funktional, wenn auch etwas heiser. Immerhin war sie nicht halbtot.
Die Miene der Mutter des kleinen Informanten wurde mitleidend.
„Die Jungs haben Euch schreien gehört und..“
„Schreien?“ Ungläubig starrte Nef sie aus einem großen und einem malträtierten Auge an. Sie stellte sich vor wie sie auf dem dreckigen Boden in Eschenrod lag und schrie. Es war nur ein konstruierter Gedanke, die Erinnerung an die Ereignisse blieb fern.
Behutsam und langsam ergänzte die Eschenroderin:
„Ihr seid hübsch, Fräulein – und habt diesen schönen Mantel getragen, sagt Fricken..“
Nef wurde übel. Eschenrod…
Genau, sie war nach Eschenrod gegangen, denn in einem Anflug von Euphorie hatte sie die kleine Hex (so der Name des Mädchens) und die zwei Jungen, die Anzeichen zeigten, sich dem Listenreichen dienlich erweisen zu können, mit in den Schattentempel nehmen wollen. Das Waisenhaus war ihr Ziel gewesen.
Sie hatte nicht an die Gefahren gedacht. Eschenrod war ihr immer vertraut gewesen. Sie hatte eine lange Zeit hier gelebt. Sie hatte sich sicher gefühlt, überlegen aller Gefahren der Straße, selbstbewusst gegenüber den Lungerern und Zerstörten. Und insgeheim musste sie sich eingestehen, dass sie unvorsichtig geworden war, ob all der Überheblichkeit, dem Gefühl, der Stadtteil würde irgendwie ihr gehören.
Und jetzt… Sie ahnte Schlimmes.
Ihre Finger schoben sich unter die Decke…
„Sie sind zu sechst gewesen, Fräulein.“ fuhr Frau Torman – so nannte Nef sie in Gedanken (denn sie war die Mutter von Torman, einem ihrer kleinen Spitzel) – fort.
„Sie haben euch den Umhang geklaut. Und was Ihr am Gürtel hattet. Und..“
Neferus Finger erreichten ihren Unterleib. Die kleinste Berührung dort trieb ihr Tränen in die Augen, als sie die Blutergüsse in den tieferen Regionen ertastete.
„Das… ist nur einer von Ihnen gewesen. Ihr hattet noch Glück, wahrscheinlich hätten die Euch umgebracht, aber die Jungs waren noch draußen und..“
Die Phexgeweihte erlag der Übelkeit und übergab sich.
19. Peraine 20 Hal
Seit drei Nächten war sie nun im Perainetempel und verschlief den halben Tag. Die Erinnerung an das Geschehene war nicht zurückgekehrt und würde es auch nie wieder. Salpico hatte seinen Zeigefinger auf ihre Stirn gelegt und die Bilder der Gewalttat mit Magie herausgerissen. Er hatte sie sich selbst einverleibt. Auch Phexdan hatte er sie gezeigt.
Nef befand sich in der ungewöhnlich seltsamen Situation, die einzige des Dreiergespanns zu sein, die sich nur aus Erzählung an die Schändung ihres eigenen Körpers erinnerte.
In den Händen von Dimione und Rohalides wollte sie genesen. Eine seltsam monotone Ruhe lag in ihr.
„Das ist der Schock.“ Hatte Dimione noch am ersten Tag erklärt.
Nef fühlte sich wie vor einigen Monaten, als Zerwas sie zur Ader gelassen hatte. Blass, kränklich und blutarm.
Die zwei Geweihten der lindernden Göttin hatten die Wunden bluten lassen. Erste Anzeichen einer schlimmeren Krankheit erforderten solche Maßnahmen.
Absurd. Hatte sie gedacht, als sie in einem warmen Bad aus Kräutern, Wasser und ihrem eigenen Blut gesessen hatte. Die bleierne Gefühllosigkeit irritierte sie.
Warum rastete sie nicht aus?
Phexdan und Salpico hatten wesentlich schwerer an der ganzen Sache zu tragen, hatten sie sich doch mit der Erinnerung belastet, die ihr erspart geblieben war.
Jeder der beiden ging auf seine Weise damit um. Phexdan ungewöhnlich still und sich abwendend, Salpico in sprühender Wut.
Sie konnte in dem Moment nur diese beiden um sich haben. Sie kannte sie am längsten, am Besten und auch wenn sie gute Freunde in Gareth gefunden hatte, wollte sie sich in diesen Tagen an das halten, was sie schon vorher gekannt hatte. Bevor sie zurück in die Hauptstadt gereist war.
So bat sie die Perainegeweihten, niemanden herein zu lassen, außer den tulamidischen Magier und den maraskanischen Wuschelkopf. Trotzdem hatte sie am Puniner Tor der blonden Wachfrau Helchtruta beim Durchkommen Bescheid gegeben, dass sie angegriffen worden war. Sprengler sollte wenigstens wissen, was los war.
„Wir müssen sie finden. Und wir müssen sie strafen.“ Hatte ihr Urteil über die sechs Männer gegenüber ihrer zwei engsten Freunde gelautet.
Selbst Phexdan stimmte diesem Maß an Selbstjustiz mit bitterer Miene zu.
„Aber lass es mich auf meine Art machen..“ hatte Salpico düster geschnarrt und unüberlicherweise hatte Neferu dem ihre Zustimmung gegeben.
„Auf deine Weise, Salpico.“
20. Peraine 20 Hal
Viel zu früh erwachte Neferu. Ihr Herz klopfte unregelmäßig und laut. Ihr war, als würde ihr Körper mit jedem Schlag in seiner Gesamtheit beben.
Ein Verfolgungstraum. Und mit diesem Traum kam der blanke Zorn. Sie ließ sich nicht in die Ecke drängen. Nicht verscheuchen noch schänden. Fremde, schäbige Männer hatten gewagt, sich ihrer mit roher Gewalt zu bemächtigen.
Sie wollte sie alle tot sehen.
Noch vor Mittag durfte sie gehen. Eigentlich hätte sie heute mit der Torman-Familie zu Mittagessen wollen, um einen Kontakt zur Alten Gilde herzustellen. Eigentlich. Statt dessen kleidete sie sich fast gänzlich in Schwarz, wie es selten war und Trug ihre rote Tuchrüstung dazu.
Sie wollte nicht noch einmal schutzlos in Eschenrod herumspazieren.
Gemeinsam mit Phexdan und Salpico, die – wie sie nebenbei bemerkte – beide zufälligerweise in Schwarz und Blau gekleidet waren, hielt sie auf das Puniner Tor zu, in der mittäglichen Perainesonne, die alles, jede Kontur, in klarer Deutlichkeit hervorhob und beleuchtete.
Sie wollte sich bedanken. Bei Tormans Eltern.
Und sie wollte sich nicht aufhalten lassen. Sie wollte stur tun, was sie heute ohnehin vorgehabt hatte. Sie wollte verbissen anknüpfen.
„Wo kommt ihr her und wo wollt ihr hin?“
„Wir sind aus dem Arena-Viertel und wir wollen nach Eschenrod, da wir gedenken dort in Kürze ein passables Bordell zu eröffnen. Wir haben vor zu diesem Zwecke eines der Häuser der Familie Bugenhoog aus der Weststadt abzukaufen.“ Ihre Antwort kam schnell und war nicht einmal gelogen.
Sie wurden durchgelassen.
Ihrer aller Finstermienen nach verwunderte es sie gar nicht, dass man das Grüppchen für eine Stichprobe auserwählt hatte. Phexdan und Salpico flankierten die Frau in ihrer Mitte und gemeinsam bogen sie in den Sonnenweg ein, die durch das Elendsviertel führende Ader.
Dutzende leere Augen beäugten sie missbilligend, ängstlich oder neugierig.
Die Wäscherin Hertwig Butterweck war bei der Arbeit und bekam von Neferu an diesem Tag keinen Kreutzer für eine Information, sondern nur ein knappes Nicken. Ein gutes Nicken. Ein Nicken bedeutete Verbundenheit, die locker oder fest sein mochte. Aber immerhin keine Abneigung.
Ihr Ziel war die Mietskaserne, in der Tormans Eltern lebten.
Die Mutter machte große Augen, als sie die fünf Dukaten bekam, die Neferu ihr in die Hand legte.
„Für meine Freunde will ich nur das Beste.“
Die Frau bedankte sich überschwellig und ihre Dankbarkeit nutzend, kam die Hexe zum Punkt.
„Und ich will Kontakt zur Alten Gilde.“
Als sie nach getaner Arbeit und ausgehandelter Abmachung wieder nach unten auf den Markt kam, schlug Salpico die Zeichnungen an, die Neferu von den sechs Männern gemacht hatte – immerhin die Gesichter hatte der Schwarzmagier sie sehen lassen.
Phexdan stellte sich auf einen Stuhl, während sich eine dreckige Menschentraube um ihn versammelte. Die Belohnung – Regenbogenstaub –war eine Verlockung für das Gesindel.
Huschenden Blickes bewegte sich Nef währenddessen über den Markt.
Sie wollte sich selbsttätig umsehen.
Und wider Erwarten war er da.
Nicht der Täter, der sie genommen hatte, einer von denen, die zu spät an der Reihe gewesen waren.
Er kauerte sich in den Schatten eines Hauses, maß seine Chance zu entkommen. Er hatte sie vielleicht noch nicht gesehen.
Sofort suchte sie Phexdans Augen. Sie gab ihm mit füchsischen Handzeichen zu verstehen. Die Nachricht wanderte weiter zu dem Magier. Und mit dessen Wut hatte niemand gerechnet.
Sie überwältigten ihn. Der Mann erhielt von ihr die Wahl: Den ungebremsten Zorn eines Dämonologen oder die Gerichtsbarkeit. Der Feigling entschied sich selbstverständlich für den zweiten der beiden Wege. So war er nur des Todes, wie er wohl vermutete.
Salpico und Phexdan hielten den Gefangenen, der aus vielen Körperöffnungen blutete, während Neferu sich am Puniner Tor bei Weibel Sprengler anmelden ließ. Sie warteten im Erdgeschoss des Wachturms, ehe der hochgewachsene Mann die Leiter hinabgestiegen kam.
Seine Verwunderung wich nach wenigen Augenblicken.
Neferu ließ den Gefangenen beschrieben, was er und seine Kumpanen getan hatten. Das Abpassen der Unvorsichtigen, das Vergewaltigen durch den Ersten, die Störung durch die Jungs und sogar die Absicht, sie anschließend zu beseitigen.
Aber das reichte ihr nicht.
„Zeig sie ihm! Zeig ihm die Erinnerung, Salpico! Ihr stimmt doch zu, es selber sehen zu wollen, Weibel?“
Voltan nickte. „Was muss er denn dafür-“
„Memorabia Falsifir.“ Unterbrach ihn die dunkle Stimme des tulamidischen Magiers.
Voltan Sprengler griff sich an den Kopf, seine grauen Augen weiteten sich.
„Macht, dass es aufhört!! Macht es weg!! Nehmt es fort!“
Salpico schnippte mit den Fingern und machte eine wegwischende Bewegung.
Soviel Macht in diesem Mann.. schlich es bewundernd durch Neferus Kopf. An diesen Tagen sah sie den Brabaker in einem anderen Licht. Die Hexe hatte die Oberhand in ihr. Und sie verlangte nach nichts als Rache.
„Macht ihn fertig für die Rabenstatt.“ Brach es außer Atem aus Sprengler hervor. Blass starrte er seine Gäste an.
„Weibel..?“ Die zwei anwesenden Wachen zögerten, „Meint Ihr nicht.. für das Gerichtsverfahren?“
Hastig nickte Voltan Sprengler.
„Für das Gerichtsverfahren. So ist es.“
22. Peraine 20 Hal
Gegen Mittag eilte Neferu bei Nieselregen durch Gareth. Der Weg war nur kurz, er führte sie von Ahlemeyers Unterkunft in der Schnittengasse zum Puniner Tor.
Sie brauchte dringend Rat. Einen verstandsbetonten Menschen, mit dem sie sich austauschen konnte. Sie musste reden, mit jemandem, der einen kühlen Kopf bewahren konnte oder von dem sie das wenigstens dachte! Zuerst Sprengler, dann Isenbrook und im Notfall auch Dexter Nemrod – so sah es ihr Plan vor.
Lamiadon war bei ihr gewesen. Auf Anraten Salpicos war der Elf gekommen und hatte einen Zauber gewirkt, der in der Lage war Sikaryan zu erspüren, die Lebenskraft, die einem Menschen und anderen lebendigen Wesen zuteilwurde, in der Sekunde, in der sie erschaffen wurden.
Und dieser harmlose Zauber hatte ihre Welt aus den Angeln gerissen.
Die Bastarde hatten sie geschwängert.
So unwahrscheinlich das auch gewesen war, so real war es jetzt.
Die Vergewaltigung hatte nicht nur ihren Körper geschunden und die Angst in ihr zum Vorschein gebracht, sie hatte auch deutlichere Spuren zurückgelassen. Male, die die Perainekirche nicht hatten heilen können. Ein Leben war in ihr erwacht und der Gedanke war so erdrückend, dass sie den Wunsch hatte, ihren Körper zu verlassen und in einem neuen und unbeschmutzen zu erwachen.
Der Weibel war zugegen.
Dieses Mal machte sie sich nicht den Spaß, sich an ihn heranzuschleichen. Sie wollte ihn nicht necken. Es schien ihr, als sah er die Panik und Abscheu in ihren Augen, er legte die Schreibfeder beiseite und stand von seinem Stuhl auf.
Er rückte ihn und einen weiteren an den Kamin der zugigen Wachstube.
„Setz dich.“ Bat er.
Sie setzte sich.
„Ich bin hier, weil ich jemanden brauche, der bodenständig ist und der mir einen guten Rat geben kann. Ich weiß, wir kennen uns nicht allzu lange, aber ich mag dich.“ Begann sie leise, ohne den Blick von seinen grauen Augen abzuwenden. Zwischen ihren Körpern lag Distanz auf zwei Ebenen. Die Stühle waren nicht sonderlich dicht aneinander geschoben. Diese weltliche Separation aber war verschwindend unwichtig neben dem zweiten Grund: Sie wollte ihren Körper für sich und er – vielleicht aus einer Höflichkeit, die ihn von Kindesbeinen an ausmachte heraus – schien es zu ahnen und ließ ihr Raum. Kein tröstendes Streicheln der Schulter, kein Rückenklopfen, nichts. Sie dankte es ihm zutiefst und ging auf in der körperlosen Verbindung ihrer Blicke.
„Es ist etwas passiert… Es ist fast schlimmer, als das, was in Eschenrod passierte, denn immerhin erinnere ich mich nicht mehr daran, dank Salpico. Lamiadon war bei mir. Er wirkte einen Zauber.“ Sie zitterte schwach und blickte ihn vielsagend an.
„Sie haben mir ein Kind gemacht. Und es wäre ein Tsafrevel, etwas dagegen zu unternehmen, oder nicht?“
Sie konnte nicht beschreiben, wie es passiert war, aber es war dem Inspektor gelungen, sie zu beruhigen. Kein oberflächliches Ruhigstellen, vielmehr eine innere Ruhe.
Vor Stunden hatte sie ihm mitgeteilt, wie es um ihren körperlichen Zustand bestellt war. Er war bestürzt gewesen, aber er hatte sie trotzdem gerettet.
Er hatte sie weder in den Arm genommen noch diverse Ratschläge erteilt.
All das hätte ihr nicht geholfen.
Stattdessen hatte er ihr Brot mit Pilzpastete gegeben und ihr zugesagt mit ihr in den Tsatempel zu gehen, um nachzufragen. Seine Präsenz nahm ihre Hemmung, diesen Gang zu gehen, denn sie musste ihn nicht alleine beschreiten.
Sprengler hatte sie für die paar Stunden in sein Leben aufgenommen und das hatte ihr wohlgetan. In eine Decke gewickelt lag sie vor dem Kamin, lachte leise über die Kiste, die er über die Bodenluke geschoben hatte und schmunzelte still über seine Reimgesänge mit denen er sich über die verhassten Akten ausließ. Sie wären danach quitt, sicherte er sich matt scherzend ab.
Und so hart der Boden der Wachstube auch sein mochte, ihr unruhiges Herz legte eine leichte, fast beschwingte Rast ein, verlangsamte, ließ sie tief atmen. Und sie schlief ein, begleitet vom sachten Kratzen von Feder auf Papier und dem Rascheln von Buchseiten.
23. Peraine 20 Hal
Schluchzend saß Neferu zusammengekauerte in ihrer Wohnung in Ahlemeyers Altstadthaus und nässte ihre Knie mit Tränen und Rotz.
Phexdan war die Nacht über weg gewesen, hatte sich volllaufen lassen. Und heute… hatte er Gareth und sie verlassen. Er hatte sein Zeug noch in der Nacht zusammengepackt und sich auf den Weg gemacht. Zwar hatte er sie gefragt, ob sie mit ihm kommen wollte, doch hatte er gewusst, dass sie nicht konnte. Zuviele unerledigte Aufgaben harrten in Gareth und hielten sie. Sie wollte nicht gehen, noch nicht. Doch der Maraskaner war am Ende. Er konnte nicht bleiben in dieser Stadt, die ihm in ihrer Größe und Grausamkeit alles abverlangt hatte.
Zwischen ihren Tränen und dem Gefühl allein gelassen worden zu sein, empfand sie Verständnis.
Trotzdem… Ohne Phexdan, ohne die Liebe ihres Lebens war sie dem schwarzen Loch ausgeliefert, das in ihr wartete. Zwar hatte sie Salpico, aber es dämmerte ihr, dass der Schwarzmagier das Schlechte ihres Wesens langfristig nährte, anstatt es mit Heiterkeit und Verständnis zu besänftigen.
Keinen Tag länger wollte sie in diesem Raum bleiben.
Während sie und Salpico ihre Zimmer räumten, herrschte tiefes Schweigen.
Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Und Nef spürte wie sich Kälte in ihr ausbreitete. Erst im Herzen und von da aus in die Zehen, Finger und jede Haarspitze.
Ihre Mimik wurde härter, der Schmerz nahm ab. Sie war wieder allein. Sie machte Phexdan keinen Vorwurf. Sie verstand ihn voll und ganz, war sie doch selbst oft genug vor Problemen davon gelaufen.
Als die Zimmer leer waren, das wenige Hab und Gut in einer Ecke stand, zog sie ihre besten Kleidungsstücke an, schnitt sich in den Fingern und verteilte das Blut auf ihren Wangen.
Satuarias Herrlichkeit.
Galant schob sie ihren Arm in den des Magiers.
„Gehen wir, Salpico. Wir werden ein Haus kaufen.“
Der Handel war gemacht, ihre Unterschrift getätigt. Die Bugenhoogs hatten nicht weiter gefeilscht, wie sie es erhofft hatte. Fünfhundert Dukaten hatten den Besitzer gewechselt und sie war jetzt die Besitzerin einer dreistöckigen Bruchbude in Eschenrod.
Während Salpico und sie das renovierungsbedürftige Gebäude besichtigten, trugen gut bezahlte Tagelöhner ihre Sachen hinein. Am Ende würde Salpico sie mit einem Zauber schützen. Niemand sollte je wieder Hand legen an die Dinge, die ihr gehörten.
Salpico konnte ihr das Versprechen abringen wenigstens die folgenden drei Tage noch in einer Herberge zu nächtigen in der auch das Fohlen Elster seinen Platz fand. Er mietete ein großes Doppelzimmer im „Schwert in Panzer“ und besorgte ihr Tollkirschensud.
Im Tsatempel (zu dem sie Sprengler am vorherigen Abend geleitet hatte) hatte sie erfahren, dass es nicht nur erlaubt, sondern sogar ratsam war, die Frucht einer Vergewaltigung zu beseitigen. Die Kinder, die daraus erwuchsen trugen nicht selten einen dämonischen Kern.
Sie schluckte den Sud. Zwei Stunden sollte es dauern, ehe er zu wirken begann.
Salpico war an ihrer Seite. Für seine Verhältnisse war er überraschend verständnisvoll.
Er nahm sie in den Arm und spendete ihr freundschaftlich Trost. Aber noch während er sie eng an sich gedrückt hielt, war ihr, als sei sie diejenige, die ihm den Halt gab, in der Welt zu bestehen und nicht anders herum.
Ihm war das Alleinsein ein solcher Graus, dass er sie brauchte.
Salpico war anschmiegsam. Wäre er ein Kater, er hätte geschnurrt, da war sie sich sicher.
Neferu sprach von ihrer Rache. Sie redete sich in Rage. Der Tod war nicht genug. Das Misshandeln durch einen Dämon – nicht genug. Sie spürte das schwarze Loch in sich größer werden, es verschluckte tsagefällige Farben und unauffälliges Grau.
Die Ereignisse hatten an ihrer Willenskraft geschabt, sie abgerieben, nach und nach.
Sie wollte die bezahlen lassen, die es gewagt hatten, sich an ihr zu vergreifen – und zwar in einem solchen Maße, dass es nie wieder jemand auch nur erwägen würde, die Hand gegen sie zu erheben! Sie sollten sie fürchten und in geflüsterter Hochachtung von ihr sprechen!
Ihre eigene Stimmlage schreckte sie auf. War das noch sie?
Salpicos pechfarbene Augen sahen sie besorgt an. Selbst er riet ihr ab, sah, was das Gefühl mit ihr tat.
„Ich muss nach draußen…“ Sie erhob sich hastig, zog sich an, verschloss die Fuchsfibel im roten Lodenstoff des Umhangs.
„Wir werden gehen.“ Salpico war zur Stelle, bereit ihr ein Freund zu sein. Doch sie wollte nicht nur um die Häuser streifen.
„Ich gehe allein.“
„Du wirst gehen.“ Gestand ihr Salpico schnarrend zu.
Sie wollte zu Voltan Sprengler. Abermals.
Der Wind hatte sie steifkalt geweht, als sie schnellschrittig durch die Kaserne in Nardesheim eilte, um dem zu begegnen, dessen Ruhe sie schon einmal zur Vernunft hatte bringen können. Und es war nicht nur das – sie genoss jeden Augenblick, den sie teilten. Es war für sie jedes Mal schwer, zu gehen, wenn er zugegen war. Er zog sie an. Seine Worte waren klug und verständig.
Und er war ein Inspektor der CriminalCammer und sie eine Phexgeweihte, deren letzter Einbruch eine Woche her war.
Verphext. Verhext.
Voltan Sprengler gab ihr nicht das Gefühl, sie vor eine Herausforderung zu stellen. Da gab es nichts, was sie bei ihm durchdringen wollte. Natürlich war sie neugierig auf das Leben des Mannes. Eine gesunde Neugier, ein ehrliches Interesse. Aber ihr war nicht daran gelegen Langmut auf die Probe zu stellen oder Etikette zu brechen. Sie wollte seine Gesellschaft, ganz schlicht.
Sie klopfte. Dreimal rasch.
„Ist offen..“ Er klang müde, abgekämpft. Ein bisschen genervt sogar.
Andächtig langsam, als dringe sie in das Allerheiligste eines Tempels vor, öffnete sie die Tür.
Er saß auf einem Stuhl nahe dem Kamin und blätterte in einigen Akten, die auf seinem Schoß lagen.
Als er endlich aufsah, stand sie schon im Raum, schloss die Tür hinter sich.
Seine grauen Augen weiteten sich voll Überraschung.
„Du..!?“ mehr entkam seinen Lippen nicht, er erhob sich sofort, legte noch in derselben Bewegung die Pergamente auf den Tisch und schloss zu ihr auf.
Sie blickte ihm in dieses sprachlose Gesicht und die ambivalent vielsagenden Augen.
„Guten Abend, Voltan. Ich… wollte mit dir sprechen. Phexdan hat die Stadt verlassen und wir – Salpico und ich, haben unsere Zimmer geräumt.“
„Das habe ich gemerkt, ich bin da gewesen.“ Entgegnete er hastig.
„Wo seid ihr nun?“ fügte er eilig hinzu, schuf Distanz zwischen ihnen und schob einen zweiten Stuhl an den Kamin.
„Bitte setz dich!“
Sie fühlte sich durcheinander. Mehrere Male startete sie den Versuch zu formulieren, was ihr durch den Kopf schoss, doch ihre eigenen Gedanken unterbrachen sie ein ums andere Mal.
Immer wieder blickte sie ihm in die Augen, was sie ganz klassisch noch weiter aus der Bahn warf.
„Diese Ereignisse der letzten Zeit, sie hinterlassen Spuren. Ich fühle mich… geschädigt. Ich will ihnen wehtun, Voltan. Nicht nur Gewalt an sich, auch das, was sie…“
Plötzlich fiel ihr etwas ein. Das eingenommene Gift! Sie hatte es gänzlich vergessen.
Sie riss die Augen auf.
„Verflucht!“
Voltan starrte sie an: „Was ist los?!“
„Ich habe dieses Gift zu mir genommen und.. es wird bald wirken!“
„Gift?! Welches Gift? Wer hat es dir verabreicht!?“
„Salpico!“ Sie ahnte, dass dieses Gespräch in ein Missverständnis führen würde, wenn sie sich nicht konzentrierte.
„Er hat es mir besorgt, wegen…“ andeutend legt sie die Hand auf ihren Unterleib. „Ich hatte nur vergessen, dass ich es genommen habe! In etwa einem Stundenlauf wird es wirken!“
Sie biss die Kiefer aufeinander. Soetwas Dummes… Sie wollte nicht vor ihm bluten, heulen, stinken und leiden.
Das war nicht die Seite von sich, die sie diesem Mann so früh offenbaren wollte.
„Du kannst hier bleiben! Nimm das Bett, ich-“
„Nein, schon gut – ich werde in Kürze gehen.“ Sie bemühte sich um Gelassenheit. „Es ist nur so.. Ich habe heute dieses Haus in Eschenrod gekauft. Ich will dort hinziehen. Ich werde Eschenrod die Stirn bieten. Ich will mich wieder sicher fühlen…“
Sie schüttete ihm ihr Herz aus. Baute auf das Fundament des Vertrauens, das sie beide gelegt hatten. Sie erzählte ihm von ihren Gefühlen der Rache. Dem Gefühl der Angst. Sie gestand ihm, dass sie einen Zauber genutzt hatte, um von vornherein ein Feilschen zu unterbinden. Sie wollte ihm noch so vieles mehr von sich preisgeben, ohne eine Gegenleistung zu fordern oder nur zu erwarten.
Sie machte sich verletzbar. Und sie war sich darüber im Klaren. Aber es tat so furchtbar gut, diesem Mann zu offenbaren, wer sie war. Auch wenn er dann und wann mit Bestürzung reagierte. Nie wandte er die Augen ab. Und es beruhigte sie. Die Dunkelheit in ihr wurde kleiner.
Als die Schmerzen, die die Tollkirsche hervorrief nahezu unerträglich wurden, war sie bereits fast in der Herberge, geleitet von Voltan Sprengler.
Gareth 23 (Neferu) (TSA 1013)
Klimper..!
Später am Tage der überstürzten Morgenentscheidung bezüglich des Bordells ‚Rahjas Festung‘, saß Neferu im Schneidersitz in einer der Nischen des Tempels der Schatten und übte sich im Meditieren. Es wollte nicht klappen.. Ihre Hände waren zitterig, eigentlich musste sie schlafen. Sie würde noch den ganzen Tag Kopfschmerzen haben. Aber Zeit für Schlaf war nicht.
Ihre Astralkraft war aufgebraucht und dieser Zustand fühlte sich an wie schlimmer Hunger.
Klirr.. Die Münze war ihr schon wieder auf den Boden gefallen.
Jedes Geräusch riss sie aus der Konzentration.
Seufzend musste sie erkennen, dass es ihr heute nicht gelingen würde, das Silberstück über die Finger wandern zu lassen.
Morgen würde sie sich mit Voltan Sprengler treffen, dem mysteriösen Weibel von Tor Süd… Sie brütete immer wieder über seinem Geheimnis.
Es machte ihr Freude, Theorien aufzustellen, wer er war und woher er kam. Sie kannte diesen Mann nicht, hätte aber geschworen, dass er Phex nicht eben fremd war.
Sie fühlte sich durch ihn auf eine angenehme Art herausgefordert – auch wenn die Herausforderung selbst noch von Nebel umwoben war.
Als sie im Schacht nach oben kletterte, um den Tempel zu verlassen und die Seilerei zu betreten, lief Neferu Jereminas in die Arme.
Sie packte die Gelegenheit ganz nach Phexens Geschmack und versuchte einen Monat Schulunterricht für die Waisenkinder aus ihm herauszuüberreden. Alle Tricks der Argumentation fruchteten bei ihrem Vogtvikar nicht. Aber immerhin bedrängte sie ihn so sehr mit ihrer Herzensangelegenheit, dass er mit ihr zur Abendmesse des Tempels der Sterne ging.
Seiner Ansicht nach, tat er damit genug: Er gab ihr einen guten Tipp.
Der Sternentempel des Phex lag im Westen der Stadt, ganz in der Nähe des Hauptsitzes der Praioskirche.
Ein sehr offizielles, reich gestaltetes Gebäude, das als Tempel der Kaiserfamilie galt, war der Fuchs doch ihr Patron.
Ein Gerücht besagte, dass er sehr schnell errichtet worden war und dass die Finanzierung aus einem kollektiven Raubzug aller Phexgeweihten in Gareth bestand.
Das Bauwerk hatte etwas von einem Schloss mit seinen Flügeln und der Kuppel, all dem Weiß und Gold und Silber.
Auf dem Weg dorthin, den sie sich durch Nieselregen kämpften, erzählte Neferu ihrem Mentoren von den Almadanern. Sie beschönigte ein wenig und hob besonders präsentierend die Leiche in ihrem Garten hervor.
Torfstecher machte den Anschein, als hätte er von der Bande bereits gehört und sei gar nicht gut auf sie zu sprechen.
Das befriedigte Neferu. Diese Männer waren auf dem falschen Weg und das musste ihnen aufgezeigt werden. Sie fühlte sich bestärkt.
Zwar erhielt sie vom Phextempel nur eine einzige Dukate für ihr Waisenkinder-Vorhaben – und diese Dukate war hart errungen (Am Ende doch von Torfstecher!) – allerdings traf Neferu im Tempel der Sterne einen Mann, den sie da nicht erwartet hatte: Den Reichsgroßgeheimrat Dexter Nemrod.
Sie hatte in den Orkenkriegen als Spitzel für ihn gearbeitet und auch wenn er ein strenger und ernster Kerl war – sie hatte ihn immer gemocht. Ein Typ von Mann an dem andere zerschmetterten, ein Fels, ein Verhängnis für jedes Schiff – so einen Mann hätte sie sich als Vater gewünscht.
Der Fehler, diesen Gedanken Torfstecher gegenüber laut auszusprechen, amüsierte den Vogtvikar der Südstadt vortrefflich.
Neferu hatte keine Berührungsängste, sie wagte sich an den Großinquisitor heran, der sich auf seinen Gehstock stützte, grüßte ihn höflich.
Sie erzählte ihm lang und ausschweifend von der Geschichte der Waisenkinder, nutze all ihr Geschick im Argumentieren.
Zum Glück waren sie zu früh gekommen, die Messe hatte noch nicht begonnen.
Und auch wenn Nemrod ihr Ansinnen im Namen der Praioskirche nicht uneingeschränkt unterstützte, so gestand er ihr zu, acht Götternamen zu finanzieren.
Das war eine Machtdemonstration.
Und nicht nur das, er knüpfte Bedingungen an die Unterstützung: Die Bildung musste in der Stadt des Lichts stattfinden – für alle Kinder. Außerdem erwartete er, dass die fünf Klassenbesten nach Abschluss des ersten Jahres in den Dienst der Praioskirche Gareths treten und von da an zu Diensten sein sollten, je nach Neigung und Talent.
Sie konnte nicht ablehnen und das wusste er.
Der Geweihte des Fuchsgottes am Altar war komplett verhüllt. Man konnte schwerlich sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, denn auch die Stimme war dunkel und unbestimmt.
Unter der Sternenkuppel des Tempels fand ein Gottesdienst statt, wie Neferu ihn selten gesehen hatte. Ein Ritter in voller Rüstung, das Visier ein Fuchskopf, wurde im Namen Phexens einem Segen unterzogen.
Ein Fuchsritter…
Rituelle Worte wurden gesprochen, es wurde gebetet und die Kaiserfamilie geehrt.
Und anschließend, nachdem die Messe vorüber gegangen waren, richtete der Reichsgroßgeheimrat noch einmal das Wort an die Hexe.
Eine gute, hinterlistige Taktik, die den ‚Gegner‘ in Sicherheit wähnte, war dem Inquisitor nicht unbekannt und er setzte sie ein. Denn erst jetzt – nach dem Phexdienst – sprach er sie auf den Schmähzettel an, den sie vor Jahren in Greifenfurt hinterlassen hatte. Die Frage danach, wer so etwas geschrieben haben könnte, war so stechend formuliert, dass sie nicht anders konnte, als sofort zu gestehen. Sie wusste, ahnte, dass Nemrod einer war, der Lügen riechen konnte. Wie lange hatte sie nicht mehr an den Tag in Greifenfurt gedacht, als sie die Bannstrahler als Hundehurensöhne (was auch immer das sein sollte) bezeichnet hatte. Immerhin hatte sie keinen Geweihten beleidigt. Aber das hier reichte, um die Zunge herausgeschnitten zu bekommen. Sie unterlag Hitzewallungen und flehte die Götter an, für Nemrod als Informationsquelle wichtig genug zu sein, dass er sie nicht beseitigen wollen würde. Denn sie fühlte – jetzt hatte er sie in der Hand. Wie dumm war sie damals nur gewesen, einen Zettel zu hinterlassen!
„Ich erwarte Euch am Praiostag zum Gottesdienst. In der Stadt des Lichts.“
Ihr wurde schwindelig. Sie und Torfstecher blieben zurück, sahen dem Mann mit dem steifen Bein nach, der langsam auf den Gehstock gestützt, den Tempel durch offene Tore verließ und in den Hintergrund des bleigrauen Nieselabends überging.
Sie würde also bestraft werden für ihre Frechheit. Bei einem Praiosgottesdienst. Neferu war ernsthaft in Sorge, was dort mit ihr geschehen würde. Andererseits wusste sie, dass der Großinquisitor es leichter haben könnte, wenn er sie einfach nur vernichten hätte wollen. Er wusste wer sie war – nicht nur, dass sie auf die gefühlsstarke Art der Hexen Magie wirken konnte, er wusste auch, dass sie eine Geweihte der Zwölfe war. Dexter Nemrod war kein Idiot. Er gab sich nicht mit halbherzigen Informationen zufrieden. Er bohrte in jeden wackeligen Stein, bis er am Ende nur das sah, was darunter lag. Und es war ihm auch bekannt, dass sie vor einem Jahr nach Gareth in die Metropole des Praios gekommen war, um sie alle zu warnen. Sie hatte ihre Sicherheit aufgegeben, um die Welt zu warnen, vor dem, was vielleicht kam. Vor dem Weltenverschlinger von dem die Rollen der Beni Rurech sprachen. Selbst wenn es einen Disput ausgelöst hatte und einige der dahergelaufenen Satuarienstochter nicht geglaubt hatten, so war sie das Risiko dennoch eingegangen.
Und dazu kam, dass sie für die KGIA gearbeitet hatte und eine Heldin von Greifenfurt war – offiziell zumindest. Inoffiziell hatte sie sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, zumindest nicht ausschließlich. Natürlich waren ihre Dienste für die damals belagerte Stadt außerordentlich, ohne Zweifel, aber irgendwann hatte der rote Tod sie zu sich geholt und sie ihm gleich gemacht.
Es schauderte sie, als sie daran zurückdachte.
Der frühe Abend tauchte Gareth in fast gänzliche Dunkelheit – Mada würde ihre Schleier in der heutigen Nacht verbergen, es war Neumond.
Sie schlenderte allein über den Eisenmarkt und ließ die Gedanken um ihre Pläne kreisen. Die meisten Stände der Verkäufer waren schon abgebaut, einige wenige handelten aber noch, ihre Waren anpreisend – wenn auch etwas heiserer, jetzt, wo sich ihr Arbeitstag dem Ende neigte.
Wenigstens wusste sie jetzt etwas mehr über den ominösen Voltan Sprengler und seinen Hintergrund: Bevor sich ihre Wege getrennt hatten, hatte sie Torfstecher nach dem Weibel gefragt. Und er kannte ihn. Sprengler sei ein dicker Junge gewesen, damals in Wallgraben, hatte der Vogtvikar ihr anvertraut. Klein-Voltan wollte mit den anderen Halbstarken spielen, aber sie hatten ihn nicht gelassen. Er hatte damals den Spitznamen ‚Dickfinger‘ bekommen, war auch körperlich angegangen worden. Neferu irritierte diese Neuigkeit. Ein fettleibiger Phexensdiener…? Was steckte dahinter? Waren ihre Vermutungen falsch?
Hatte er Verbindungen zu Eschenrod, die mehr waren als dienstlicher Natur? Oder nicht?
Und überhaupt: Wer kümmerte sich um die Belange von Eschenrod? Die Stadtvogtei wahrscheinlich.. Die Worte des Almadaners gingen ihr nicht aus dem Kopf. Feuerbrunnen.
Genau. Bis zum Sommer wollte sie wenigstens einige errichtet haben. Vielleicht fünf an der Zahl, das sollte vorerst genügen.
Sie konnte Sprengler fragen, ob er ihr half eine solche Idee umzusetzen. Und wenn nur, um seine Reaktion zu sehen und ihn dadurch besser einschätzen zu lernen. Es kam selten vor, dass sich Leute ihrer Menschenkenntnis derart entzogen.
Was bedeutete nur die weiße Feder, die in schmieriger Farbe an ihrer Mauer zurückgelassen worden war? Ein Bandenzeichen?
Wer von diesen verfluchten Almadanern hatte das Mädchen Jelka auf dem Gewissen und warum hatte man sie bei ihr abgelegt?
Da!
Neferu hielt auf einen Mann zu, der nach Feinschmied aussah. Zangen, Sägen und Feilen zeigten sich in seiner Auslage, die er gerade zusammenpackte. Sie kaufte eine feine Feile. Zur Schmuckherstellung gab sie an und ließ das Bürgerfräulein heraushängen. Exquisit. Damit würde sie die Münze, die um ihren Hals hing, anschleifen können, um immer ein Messer bei sich zu haben.
Im Notfall konnte sie damit hantieren, ohne dass jemand ahnte, dass sie einen scharfen Gegenstand bei sich trug.
Die Pflaster Gareths hatten sich verdüstert, seit die Almadaner da waren.
Was Neferu in ‚Rahjas Festung‘ und im Keller ihres Grundstücks gesehen und gehört hatte, war genug gewesen, sich vorzubereiten.
Sie wollte bekämpfen, was nicht im Sinne Phexens war: Gier ohne Maß, Ausbeutung ohne Skrupel und Kriminalität, die Menschen das Leben kostete.
Einst hatte Rychard ihr einen Freundschaftsdienst erwiesen. Oder eine Wiedergutmachung. Was es war, konnte sie nicht sagen, aber was er ihr gebracht hatte, veränderte seit dem ihr Leben: Durch die Magazine der Criminal-Cammer wusste sie, wer ihre Mutter gewesen war. Eine Hexe aus dem tiefsten Süden, die zwei Männer geliebt hatte.
Und sie wusste, wer dafür verantwortlich war, dass sie geboren worden war. Nicht der Ehemann der Kemi, sondern ein Inquisitor des Praios. So hatte es ihre Mutter in ihrem eigenen Tagebuch beschrieben, das in der Cammer jahrelang verwahrt worden war, ehe Rychard es für sie entwendet hatte.
Praionor von Wiesenfeld hatte das Haus ihrer Familie niedergebrannt, als er herausgefunden hatte, dass seine Geliebte eine Hexe war, die ein Echsenei zur Welt gebracht hatte, aus dem ein Kind geboren worden war.
So Neferus Theorie. Möglicherweise war es anders gewesen, aber wie auch immer die Vergangenheit gestrickt war, eines hatte sie daraus gelernt: Die CriminalCammer lagerte Wissen und Beweise.
Sie sah die Stadtmauer des Nordtores hoch über der Stadt aufragen. Sie hielt darauf zu, bog aber kurz vorher rechts ab.
Nach Wallgraben oder Rosskuppel wollte sie nicht.
Das Gebäude, das sie betrat, war groß – ein mehrstöckiger Komplex mit dunklen Schindeln, das einst ein Hotel gewesen war. ‚Tobrischer Hof‘ hatte es geheißen.
Ein Mann saß unten an einem Schreibtisch und blätterte durch Bücher. Er stellte sich als Firnmer Termoil vor. Ein Grangorer.
Sie erklärte ihm ihr Anliegen und mittels eines Glöckchens wurde ein weiterer Mann der Cammer herbeigeklingelt, um sie zum Büro der ‚Exzellenz‘ zu führen.
Neferus Überraschung war nicht klein, als derjenige, der auf das Klingeln reagierte, kein geringerer war als der heitere Eulrich Durenald, der Weißmagier, der gemeinsam mit Meinloh von Gareth in der Smaragdnatter gewesen war. Inspektor Eulrich Durenald von Amt 7, wie sie jetzt herausfand. Der Albernier mit der magischen Ausbildung in Thorwal hatte also durchaus auch seine Geheimnisse.
Die Exzellenz selbst entpuppte sich als noch größere Überraschung: Ihre Gnaden Isenbrook war Nandusgeweihte und die Frau, die ihr vor Tagen die Übernahme zweier Monate für den Unterricht der Kinder zugesagt hatte. Die nach Mohacca riechende Fremde, die sie im Hesindetempel getroffen hatte.
Jetzt ergab sich zumindest ein Sinn hinter dieser Sache, war Nandus doch der Sohn Hesindes und gleichermaßen der Gott, der die Bildung vorantreiben und unterstützen wollte und das überall in Aventurien.
Gerhalla Isenbrook saß in einem kleinen Büro am Ende eines langgezogenen Zimmers voller leerer Schreibtische und blätterte rauchend durch Stapel von Akten. Dicke, graue Schwaden von Mohacca erschwerten die Sicht auf die Leiterin der CriminalCammer und zwangen Neferu zu einem unterdrückten Husten.
Neben Isenbrook stand eine steinerne Schale voll von Resten aufgerauchter Zigarren.
„Euer Exzellenz, mein Name ist Neferu Banokborn. Ich bin Bürgerin der Stadt Gareths und heute morgen wurde eine weibliche Leiche im Keller meines unfertigen Hauses in der Weststadt gefunden. Ich habe das Mädchen untersucht – und war daraufhin in Rahjas Festung in Eschenrod. Ich habe dort Informationen über die Almadaner erfahren, die Euch vielleicht Interessieren.“
~
Gerhalla Isenbrook war an den Hinweisen und Beschreibungen bezüglich der Almadaner brennend interessiert.
Sie ging einen Handel mit Neferu ein, Informationen gegen Geld.
Um ein Inspektor der CriminalCammer zu werden, taugte Neferu zwar nicht – die Nandusgeweihte forderte unabdingbare Loyalität für die Cammer und andere, ältere Verbindungen hätte Nef niemals verraten können (und zudem hätte Isenbrook sie mit Sicherheit auch gar nicht genommen, bei so wankelhaftem Lebenslauf…), aber als Neferu ging, hatte sie das Gefühl, dass da hinter dem Schreibtisch ein Verbündeter mit ähnlichen Idealen saß. Jemand, der Phex nahe war und die Sicherheit der Stadt garantieren wollte.
Mittlerweile war es draußen gänzlich dunkel und Tag war Nacht gewichen.
Neferu war schnell unterwegs, als sie zurück zu Ahlemeyer in die wärmende Stube ging.
Eine Nandusgeweihte.. Mit Sicherheit konnte Gerhalla Isenbrook helfen, wenn es darum ging, einen geeigneten Lehrer für die Waisenkinder Südquartiers zu finden.
~
Mit dem nächsten Morgen brach der Markttag herein und mit ihm zahlreiche Karren und Händler.
Gareth war an diesem Tag der Woche noch überfüllter als sonst und lauter. Es war ein kalter, heller Morgen, ohne Wolken, aber mit viel Wind.
Die Praiosscheibe war deutlich am Himmel, aber dennoch rieben sich die Handelnden fröstelnd die Finger und stießen Atemwolken in die Luft.
Neferu zog die rote Tuchrüstung über ihre Kleidung – nur vorsichtshalber.
Sie bereitete sich darauf vor, Voltan Sprengler wiederzutreffen. Und sie wusste nicht, in welche Winkel Gareths sie die Ermittlungen führen würde.
Das Puniner Tor lag von Ahlemeyers alter Sattlerei aus nicht weit entfernt, so dass Neferu das Aufstehen hatte hinauszögern können.
Frühstück im Bauch und in dicke Lagen Stoff gepackt, schlenderte die Tulamidin zur Grenze Alt-Gareths.
Die Tortürme ragten hoch in den sonnigen Himmel und teilten sich sein Blau mit den vorbeigleitenden Tauben. Hier pfiff der Wind ganz besonders.
Im Tor beginnend ragte die Schlange an Menschen, die nach Gareth wollten weit über Sonngrund. Die Wachmänner hatten gut zu tun, all diese Leute zu kontrollieren und eine Übersicht zu bewahren.
Neferu trat aufs Gelände der Wachmanschaft zu Gareth. Sie durchmaß den Hof zu einem der Tortürme, wo ein Wachmann seinen Dienst tat.
„Entschuldigt, wo finde ich Weibel Sprengler? Ich bin heute morgen mit ihm verabredet.“
Sie wurde zum gegenüberliegenden Turm geschickt, wo eine Rampe hinaufführte, bis hin zu einer Tür.
Der diensthabende Wachmann führte sie hinein – ein Raum von dem mehrere Türen abgingen und in dem sich eine Stiege nach oben befand.
Kisten waren hier aufeinander gestapelt und ein Tisch, der ein wenig an die Seite gedrängt stand, verriet, dass Wachhabende hier Karten spielten.
Zwei Feuerschalen spendeten mattglimmendes Licht und mäßig Wärme.
Für sie ging der Weg nach oben, die Leiter hinauf. Eine hölzerne Luke mit Eisenbeschlägen wurde aufgeklappt.
„Weibel Sprengler? Hier ist eine Frau, die nach Euch fragt.“
Man hatte den Unteroffizier Sprengler in einen Raum quartiert, der eigentlich das Zeughaus war. Die ganze Etage des ersten Stocks war voll von Regalen, Truhen, Kisten und Waffenständern. Es war kalt und zugig – die muffige Luft roch nach Leder und Metall.
Sprengler selbst hatte man an einem Schreibtisch dazwischen drapiert. Neben seinem gab es einen weiteren Tisch, der leer war und als Ablage diente. Ansonsten, neben all dem Kram, den die Männer und Frauen der Garether Wache brauchten, sich auszustatten, gab es nur noch den Kamin, in dem das Feuer aufgescheucht flackerte. Er war vor Kurzem erst geschürt worden.
Voltan Sprengler hockte an seinem Tisch und betrachtete mit verkniffen-konzentrierter Miene ein Schriftstück, das er eben zur Seite legte.
Das dunkelblonde Haar hatte er zurückgebunden und wie sonst stand dieser übernächtige Zug um seine Augen.
Der Wachmann, der sie geführt und begleitet hatte, salutierte, klappte die Luke zu und sie hörte seine schweren Schritte die Stiege hinuntersteigen.
Ihre Augen glitten zu dem Mann, der sie an diesem Morgen herbestellt hatte.
„Ich wusste gar nicht, dass Ihr ein Schreibtischtäter seid.“ Sie lächelte ihn heiter an.
Sein Augenausdruck entspannte sich einen Deut.
„Da sagt Ihr was. Eigentlich ist das auch nicht, was ich gern tue, aber einer muss es tun. Die Wache ist heillos unterbesetzt. Es gibt zu wenig Gardisten verteilt auf zehn Wachstuben in ganz Gareth.“
„Ist der Sold so schlecht?“ Sie schmunzelte, er bot ihr einen Stuhl an, erhob sich und schob die Sitzgelegenheit ans Feuer, ehe er sich wieder setzte.
„Wollt Ihr etwas essen?“ fragte er. Sie verneinte.
Was für ein höflicher Mann… Sicher nur eine Masche, seine phexische Vergangenheit zu Kaschieren…
„Nun, es reicht zum Leben. Trotzdem – es ist mehr zu tun, für weniger Geld als anderswo.“
Neferu nickte sachte, noch immer mit einem neckenden Lächeln auf den Lippen. „Und was sind Eure eigentlichen Aufgaben, Weibel?“
Sie ließ sich von ihm den Aufbau der Wache erklären und ebenso die Aufgaben der einzelnen Ränge. Jede Wachstube hatte ihren eigenen Hauptmann und über ihnen allen stand der Obrist, der sich laut Sprengler wenig aus seiner Villa in Heldenberg hinausbewegte.
So, so.. Neferu hörte halbherzig zu, um dem Gespräch einen Vorlauf zu geben. Der Unteroffizier schien sich gar nicht in seiner Arbeit gestört zu fühlen. Sie hatte beinahe das Gefühl, dass dieser pflichtbewusste Mann froh darüber war, eine Rechtfertigung zu haben, sich eine Pause zu gönnen.
Die kleine Unterbrechung der Arbeit des Mannes wurde zu einer längeren.
Das Gespräch floss dahin, sein Interesse und die damit verbundenen Fragen kosteten beinahe soviel Zeit wie Neferus Ausführungen oder ihre Neugier.
Neferu spürte, dass sie ihm vertrauen wollte. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie misstrauisch bleiben musste.
„Ich bin gestern.. noch in Eschenrod gewesen.“ gab sie irgendwann preis, als sich ihr Dialog endlich der eigentlichen Aufgabe widmete: Dem Tod von Jelka.
Sie erzählte ihm vorsichtig von dem miserablen Versuch in Rahjas Festung an weitere Informationen zu kommen. Sie unterschlug, was auf ihre Phexdienerschaft hindeutete und malte alle satuarischen Gaben aus, die sie zur Flucht angewendet hatte. Der Schalk in ihr kicherte innerlich, als er wieder in dieses abergläubisch-skeptische Starren verfiel. Trotzdem war eher eine kindliche Ängstlichkeit in seinem Blick zu sehen, keine missgünstige Abneigung. Ohnehin, ihr Alleingang in ‚Rahjas Festung‘ erboste ihn nicht, wie sie erwartet hatte. Verwunderlich…
„Habt keine Angst, Sprengler – ich bin völlig harmlos. Das weiß auch die Praioskirche, deshalb habe ich es nicht nötig, ein großes Geheimnis aus meiner Kraft zu machen. Auch wenn die Kirche des Götterfürsten weiterhin davon ausgeht, dass ich keine Zauber mehr anwende. Was ich auch nicht tue, wenn ich nicht gerade in Lebensgefahr bin und mit der Hilfe der Magie zu entkommen versuche.“ Sie ließ etwas weg, übertrieb dafür an anderer Stelle. Die Hexe mühte sich, ihn auf seine Angst hinzuweisen, um sie dann zu zerstreuen. Er musste sich mit seinen bitteren Vorurteilen auseinandersetzen, um sie zu überwinden. Sie wollte ihm helfen.
Er fragte nach, wollte mehr wissen: Eine Hexe offen vor der Praioskirche?
Zuerst war sie unsicher, ob sie ihm anvertrauen konnte, warum sie bei den Garether Praioten einen Stein im Brett hatte.
Aber dann erzählte sie ihm von dem Geheimnis aus den Rollen der Beni Rurech. Dass etwas kommen würde, das die Welt vernichten konnte… Sie vermied den verheißungsvollen Namen Borbarad nicht. Selbst wenn er nur eine Theorie war.
Sprengler war ein Mann der Führungsebene der Wache – vielleicht war es nicht schlecht, wenn er davon wusste. Sie betonte mehrfach, dass es sein konnte, dass es sich um einen Übersetzungsfehler, ein schlicht falsches Gerücht oder ein Ereignis handelte, das noch hundert Jahre in der Zukunft lag.
Aber er.. nahm es ernst.
„Ich muss meine Männer darauf vorbereiten, Untote zu bekämpfen. Ihr kanntet doch einen Schwarzmagier? Macht Ihr mich mit ihm bekannt?“
Sie sah das Unbehagen in seinen Augen, den tiefen Aberglauben. Aber sein Pflichtbewusstsein, das Bedürfnis die Städter zu beschützen übermannte all die Furcht in ihm. Und das bewunderte sie, also versprach sie es ihm.
„Ich bin bei der CriminalCammer gewesen.“ Noch eine Offenbarung. Sie erzählte ihm gerne Dinge, die nicht jeder wissen sollte, aber deren Wissen letztendlich nicht viel mehr war, als ein Test. Gab er weiter, was sie ihm anvertraute?
„Ihr seid doch auch ein Inspektor der Cammer, nicht war?“ Sie riet ins Blaue, wollte einen Verdacht ausschließen oder bestätigt wissen.
„Nein, wir arbeiten uns lediglich zu.“ Antwortete er ruhig. Neferu nickte matt und setzte fort:
„Leider eigne ich mich nicht als Inspektor. Ich bin zu tief in Eschenrod verwurzelt. Ich könnte nie einen Verrat an alten Loyalitäten begehen. Aber ich kann eine Art Informant bleiben. Gutes Geld, gegen gute Informationen. Außerdem sprach Isenbrook vom ‚Stadtwachendienst in spezieller Verwendung‘. Hättet Ihr Verwendung für mich, Sprengler?“
Noch am selben Tag nahm sie von ‚Dickfinger‘ das rote Barett, den blauen Wappenrock und den Fuchsring der Wache entgegen. Sie hatte es wohl geschafft ihn zu beeindrucken.
Sie sollte wiederkommen. Am gleichen Tag. Zur siebten Abendstunde. Ans Puniner Tor.
~
Um die Zeit zu überbrücken, erledigte sie die Aufgaben ihrer Liste.
Bei einem Scheibenmacher im Glaserwinkel von Nardesheim erstand sie etwas Teerpappe. Die würde sie irgendwann für TeGuden brauchen.. Der blasierte Stadtadvokat war noch immer in ihren Gedanken, sie würde ihre Rache bekommen. Der Name des Glasarbeiters war Tsatin Muska. Sie versprach ihm, ihn Nerix Sandsteiner, ihrem Architekten, zu empfehlen.
Auch die Kindervermittlung nahm weiter Gestalt an. Lamiadon – der ein kleines Mädchen namens Wilimay adoptiert hatte, die ebenso gerne Rätsel mochte wie er, half ihr ein Flugblatt zu entwerfen – er bestand auf ein Gedicht darauf. Sie ließ es für einige Münzen von Schreibwilligen in der Smaragdnatter kopieren. Der Traviatempel und auch der Eidechsentempel der jungen Göttin, beteiligten sich daran, diese Information unter das kinderlose Volk zu bringen. Letzterer übernahm zwei Monate Ausbildung für die kleinen Eschenroder, denen der Luxus Eltern zu haben nicht vergönnt war.
Auf dem Eisenmarkt informierte sich die Phex-Hexe, gewandet in bürgerliche Kleidung über die Härte und Geldwerte von Adamanten (zur Schmuckherstellung selbstverständlich, nicht um Glas zu ritzen!) und besorgte sich guten Klebstoff aus backigstem Harz.
Sie traf sich mit Salpico, erzählte ihm von Sprenglers Wunsch, eine Lehreinheit bezüglich untoter Gefahr abzuhalten und aß mit ihm zum Mittag. Er tat geheimnisvoll, als er beteuerte, ihr einen Adamanten besorgen zu können.
Und das Beste: Sie würde am kommenden Tag mit ihm einkaufen, ihn in eine neue Robe stecken!
Mittels eines Ruhe Körper – Ruhe Geist legte der Schwarzmagier die Hexe für zwei Stunden schlafen. Sie sollte für den Abend ausgeruht sein…
~
Es dunkelte bereits, als sich fünfundzwanzig schwer gerüstete Veteranen zusammen mit Unteroffizier Sprengler und einer schwarzhaarigen Frau mit leuchtend blauen Augen namens Korporal Millheimer (das war Neferu mit Hilfe ihres Hexenreifs…), die sie nie zuvor gesehen hatten, am Puniner Tor sammelten, um allesamt durch die Mannluke nach Eschenrod zu marschieren.
Sprengler selbst, der schon ihr Anführer im Orkenkrieg gewesen war, hatte die Frau als „wichtig“ bezeichnet. Sie sollten alle auch dafür Sorge tragen, dass sie nicht abgestochen wurde.
Er selbst ging mit der Fremden vorne weg.
Neferu spürte, wie ihr Blut wallte. Das war das Südquartier nicht gewohnt: Eine ganze Mannschaft bewehrter Krieger, darunter Stadtgardisten. Noch marschierten sie die südliche Reichsstraße hinab.
Sie raunte leise zu Voltan: „Phex wird verkannt, weißt du das?“ Sie machte eine kleine Pause. Warum sprach sie davon? Wollte sie eine Ader bei ihm ansprechen?
„Er wird gesehen, als der Händler, der Dieb… Er ist soviel mehr. Er liebt die Menschen. Deshalb tut er, was er tut. Auf seine Art.“ Sie wollte ihm erklären, warum sie tat, was sie tat. Ihr fiel nicht ein, wie sie es besser formulieren konnte. Aber dann… erinnerte sie sich an eine Geschichte aus dem Vademecum und begann zu rezitieren:
„Phex aber liebte die Menschen aus tiefster Seele und sah, dass jeder Gott Alverans ihnen Gaben schenkte. Phex aber ward nur als listig gescholten. So ging er zu Rahja und Tsa und sah, wie die Menschen sich in Lust vereinten und Leben gebaren. Doch fand sich in der Lust nicht immer auch Freude und Leichtigkeit wieder. Und so sagte Phex voll List: Lasst mich den Menschen Heiterkeit schenken, auf dass sie eure Gaben noch vollkommener spüren. Und sie willigten ein und so brachte Phex uns den Witz.
Weiter ging er zu Ingerimm und Peraine und sah, wie die Menschen Werkzeuge formten und Äcker pflügten. Und er sprach zu ihnen: Seht dort im Norden formen sie Pflugscharen und pflügen die Felder, wissen aber nicht, sich zu verteidigen. Dort im Süden ist der Pflug fremd und sie schmieden Waffen, um sich die Nahrung zu nehmen. Weshalb ist das so? Und sie antworteten, dass jeder das schmiede und aus den Feldern hole, was er sich selbst erarbeite. So schenkte Phex den Menschen den Handel, auf dass sie Waren tauschen können und die Gabe, sich ein Handwerksstück einfach zu nehmen, statt es selbst mit Fleiß zu bauen.
Und als er sah wie Menschen Handel trieben und über Land und Meer reisten, ging er zu Travia und Efferd: Seht, die Menschen sind eurer Gnade unterworfen auf ihren Reisen, sie brauchen die Gastfreundschaft und das wärmende Feuer, kämpfen aber gegen die Gefahren der Meere und stürme. Lasst mich sie beschützen wenn sie auf Handelsreisen Unterkunft suchen und wenn sie ihre Schiffe zum Handel auf die Meere fahren. Und so wurde Phex der Patron der Händler auf ihren Reisen.
Dann sah er die Dunkelheit des Nachthimmels. Er erkannte Boron als den Vater der Dunkelheit und Hesinde als die Mutter Madas. Phex aber wollte Teil dieses wundervollsten Gebildes sein und sprach: Schenkt mir einen winzigen Teil eures Nachthimmels und ich werde ihn schmücken euch zum Gefallen. Und als ihm ein nur verschwind geringer Teil der Nacht zuteil wurde, da verteilte er diesen am hanzen Himmel: Hier ein winziger leuchtender Punkt, dort ein zierlicher Lichtschein, da ein klitzekleiner Schatz. Und so erstrahlen die Sterne heute für jeden sichtbar am ganzen Firmament, obwohl die dunkle Nacht doch den viel größeren Teil des Himmels ausmacht. So wurde Phex der Herr der Sterne.
Voll Bewunderung blickte er zu Firun und Rondra, die sich im Wettstreit maßen. Und er ging zu Firun und sprach: Herr der Jagd, lehre mich, wie auch ich ein Jäger werde, so will ich dir gegen Rondra beistehen. Firun willigte ein und Phex lernte die nächtliche Jagd. Zu Rondra aber ging er und sprach: Herrin des Kampfes, lehre mich, wie auch ich ein Kämpfer werde, so will ich dir gegen Firun beistehen. Rondra willigte ein und Phex lernte den listigen Kampf. Und so lehrte er die Menschen seine Weise zu jagen und zu kämpfen.
Zuletzt ging er zum Göttervater Praios. Er staunte über die göttliche Ordung, doch sah er auch, wie einige sich nicht scherten um Gesetz und Ordnung. So sprach er: Wie kannst du dulden, dass jene, die deine Ordnung nicht anerkennen, sich aufschwingen über die Braven, die dich vergöttern? Und Praios antwortete, er könne nicht jene bestrafen, die die nicht in seinem Licht wandeln, denn er sei die Gerechtigkeit. Phex aber sah sein Meisterstück vor Augen und sprach: Vater Alverans, lass mich für dich in Dunkelheit und mit List erkunden, was die Feinde deiner Ordung planen, lass mich sie betrügen und strafen, wo Unglauben waltet. Praios aber sah, dass Phexens Hilfe nötig war. Und auch wenn er Phex deshalb verachtete griff er von nun an auf den Listigen zurück, um das zu tun, was getan werden musste.
All diese Gaben seiner göttlichen Geschwister brachte er den Menschen, doch eine gab er ihnen von sich aus: Sie selber sollten entscheiden über den Einsatz dieser Gaben. Denn Phex liebte die Menschen. Aus tiefster Seele.“
Voltan Sprengler sah die Sprechende lange an, während die Meute von Bewaffneten gen Eschenrod marschierte. Dann nickte er leicht und seine Mundwinkel hoben sich einen Deut.
„Ich denke auch, dass Phex verkannt wird.“ sagte er nur.
Sie bogen nach Eschenrod ein.
Gestalten huschten in Gassen, starrende Augen verfolgten sie hinter kaputten Fenstern. Niemand wollte bei dieser Art von Razzia bei irgendetwas Illegalem erwischt werden.
Auch der Goblin Knüppel-Golle starrte der Großgruppe mit offenem Mund nach.
„Du solltest expandieren, Golle!“ rief Neferu in ihrer für ihn unbekannten Gestalt. Innerlich lachte sie befreit. Sie fühlte sich gut, in anderem Äußeren unter den Leuten zu sein. Sie hatte ihm schon als Neferu geraten, sein Geschäft zu erweitern, vielleicht half diese ‚Zweitmeinung‘, ihren Wunsch zu unterstreichen.
‚Rahjas Festung‘ lag vor ihnen – erleuchtet und in regem Betrieb.
„Sollen wir Lärm machen, Weibel?“ fragte einer der Armbrustschützen aus Voltans ‚Regiment‘.
Der Angesprochene nickte entschlossen. „Ja, aber umstellt nicht das Haus. Wer fliehen kann, kämpft nicht auf Leben und Tod. Wir wollen Tote vermeiden.“
Die groben Veteranen traten die Tür krachend aus ihren Angeln.
„Razzia! Keiner bewegt sich!“
Trotz des Rufes, warf ein Freier einen Tisch um, versuchte sich in Sicherheit zu bringen. Auch andere reagierten nicht gelassen auf diese Meute Bewaffneter.
Unten stellten die Soldaten die Personen in der Schankstube. Fenster splitterten. Es gab blutige Nasen.
Neferu lief zur Treppe.
„Wo ist di Calmo?!“ rief sie, rannte die Stufen hinauf.
Niemand antwortete ihr aus dem Tumult.
Sie riss die Tür auf von der sie wusste, dass sich keine Hurenkammer dahinter befand.
Drei Männer sprangen auf, die gesessen hatten. Ein Almadaner, zwei heimische Eschenroder.
Geld lag auf dem Tisch, sie hatten sicher gerade um eine Anstellung verhandelt.
Die Schläger hatten noch keinen Vertrag unterzeichnet. Sie wollten sich aus diesem Ärger heraushalten und verpissten sich. Nef ließ sie durch.
Unten wurden Armbrüste gespannt.
Auf der Empore wartete Neferu auf den Almadaner. Sie erkannte ihn: Er war bei ihrem letzten Besuch gestern gewesen – er war es, den sie bewusstlos gewürgt hatte.
Er kam auf sie zu, versuchte sich an einem schmeichelnden Lächeln.
„Ich weiß, wer ihr seid – was ihr seid. Wo ist Di Calmo!?“ spie ihm Nef entgegen.
Der Schwarzhaarige mit dem Federhut grinste schmierig. „Ich weiß nicht, wovon Ihr redet! Dies hier ist ein angesehenes Bordell..!“
„Ich habe gesagt, ich komme zurück. Da bin ich! Ich habe andere mitgebracht! Wie geht es dem Glatzkopf? Haben sich seine Sehstörungen gegeben?“ zischte sie.
Sein Gesicht wurde schlagartig ernst. Er erkannte sie.
„Du bist das, Metze… Du hast keinerlei Beweise gegen uns, du Schlampe. Du wirst bezahlen..“
„Wir haben Beweise. Wir haben einen Magier. Und er befragte Jelkas Geist. Glaubt Ihr immer noch, Ihr kommt davon?“ sie war von der Eisigkeit ihrer Stimme überrascht und log in Vollendung.
Aber es half. Er wurde blasser.
„Ich werde dich töten!“ zischte er schlangengleich und akzentvoll.
„Dann versuch es..!“ forderte Nef ihn kampfbereit auf, mit einem bissigen Lächeln. Sie konzentrierte sich. Gleich würde sie ihn zu Boden hechten…
Der Almadaner zog sein Rapier…
Zwei Bolzen durchbohrten ihn sofort und er sank Blut hustend in sich zusammen, als er starb.
~
Neferu nahm die fünfunddreißig verängstigten Mädchen mit, als das Gebäude geräumt war, die letzten Freier flüchteten. Kehrten die Almadaner zurück, würden sie keine Huren mehr haben, die für sie arbeiteten. Die Hexe untermauerte ihren Plan mit einigen Münzen, die die Verbreitung des Gerüchts gewährleisteten, dass die Südländer ihre Mädchen misshandelten, sie töteten – und schlimmer noch – mit den Nichtzwölfen im Bunde waren und man seine unsterbliche Seele riskierte, wenn man für sie arbeitete.
Von ihren neuen Schützlingen erfuhr ‚Korporal Millheimer‘, dass di Calmo der Vetter des Conde war. Und dass der Conde derjenige mit der roten Feder war… Irgendwann würde sie diesen Mann finden und ihn zur Rechenschaft ziehen! Jelka würde gerächt werden.
Mit Sprenglers Hilfe fand sie eine Unterkunft für die verstörten Frauen: Die Herberge Heldenrast im Schlossviertel. Zu dieser Jahreszeit hatte sie immer leere Betten.
Sie handelte zwei Mahlzeiten am Tag aus und zahlte für einen Monat im voraus.
Als sie die vielen Dirnen untergebracht hatten, begleitete Sprengler sie ein Stück.
„Und?“ Sie drehte ihren Armreif in der Dunkelheit des Neumondes und war wieder sie, „was gefällt dir besser – grün oder blau?“ Sie hielt es für angemessen ein wenig neckisch zu kokettieren, ihn aus der Reserve zu locken.
„Grün.“ sagte er nur, ohne sie anzusehen.
~
Als sie in der Stille ihres Bettes bei Ahlemeyer lag, drehte sich Phexdan zu ihr um.
„Ich bin euch gefolgt.“ raunte er ihr leise zu. „Von den Dächern aus, habe ich euch zugesehen. Und da waren andere. Im Schatten verborgen. Sicher sechs bis acht an der Zahl. Almadaner. Sei vorsichtig…“
Die Almadaner kannten also ihrer aller Gesichter.
Theoretisch.
Wieder einmal war sie froh, dass Luzelin ihr einst diesen Armreif als Belohnung für einen großen Dienst gegeben hatte. Sie berührte das Mondsilberschmuckstück mit dem blauen Stein, atmete tief durch und schmiegte ihren Kopf an Phexdans Schulter.
Kurz bevor Borons seeliger Schlaf sie umfing, dachte sie an Voltan Sprenglers starrend-faszinierten Blick, als sie sich der Huren angenommen hatte. Es war ein erstauntes Innehalten gewesen.
Sie dachte an sein Gesicht. Und an die Almadaner.
Er war in Gefahr.
Gareth 19 (Neferu) (TSA 1013)
Gefährlich ist es, im Nebel zu wandern.
Ja. Nein.
Die Kraft des Phexhandschuhs aus der Brache vermochte es zu helfen, Backsteine zu entdecken, die unter den unzähligen Weiteren der gemauerten Kanalisation besonders waren.
Denn dahin hatte der geheime Gang sie geführt: Nach unten. In die düsterfeuchten Wurmlöcher, die seit Jahrhunderten unter der Stadt lagen und von jedem Menschen mit Verstand gemieden wurden.
Sie war schon einmal hier gewesen, es war nicht einmal lange her. Das Gewirr von Gängen war ein Irrgarten und ein gefährlicher dazu, konnte man doch nie sagen, was sich hier unten eingenistet hatte und nur darauf wartete, gesundes Frischfleisch zwischen die Kiefer zu bekommen. Sie dachte an die Ghoule und fröstelte. Und ebenso versuchte sie die Gedanken an all die trippelnden, fiepsenden Ratten zu verdrängen.
Die Mauersteine, die auf den Handschuh reagierten, ließen sich aus dem Verbund der Wand lösen. Auf ihren Rückseiten, waren Worte graviert.
Ja, ist es. Gefährlich im Nebel zu wandern. Antwortete Neferu in Gedanken und ging in die Richtung auf der das ‚Ja‘ verzeichnet war.
Nebel konnte Schutz bedeuten, aber nur der Närrische würde die mögliche Gefahr ignorieren. Ähnlich war es hier unten, in den Gedärmen alter Zeit.
Leise bewegte sie sich vorwärts, immer voran.
Phex hilft dem, der sich selbst hilft.
Ja. Nein.
Eindeutig ja. Sie folgte auch dieser Richtung und leise drangen raue Männerstimmen an ihr Ohr.
Vorsichtig schlich sie in der Dunkelheit des Garether Untergrundes voran. Sie wollte lieber langsam sein, als irgendwelchen Halsabschneidern hier unten in die Finger zu geraten.
Der Zauber der Katzenaugen ließ sie einigermaßen sehen. Tunnel um Tunnel, alle sahen sich so ähnlich. Ihre Orientierung waren nur die Angaben auf den Steinen.
Bei einer falschen Antwort lauert der Tod.
Ja. Nein.
Ja. Sie war sich ziemlich sicher, dass das hier kein Spiel war. Ein Wartungstunnel verband zwei Abschnitte. Die Stimmen wurden lauter. Der Hall der Wände ließ sie näher erscheinen, als sie waren. Vorsichtig spähte Nef um die Ecke und fand drei Männer, die auf einem notdürftig errichtetem Lager ausharrten, auf etwas zu warten schienen. Wie sie aussahen, ungepflegt und abgerissen, gehörten sie sicher nicht zur Alten Gilde. Sie machten zotige Witze, lachten dumpf, aber leise.
Neferu wollte die Kerle nicht verletzen. Aber sie mussten gehen, denn sie saßen mitten in ihrem Weg. Die Hexe riss sich ein Haar aus, band eine Schlaufe und warf den Knoten in einer bedachten Bewegung in die Richtung der Gestalten. Konzentriert separierte sie das Gefühl von Macht, dem Verbreiten von Schrecken und dem Genuss, wenn andere vor einem schreiend flohen. Ihre Gedanken formten das Bild einer Mauer, ließen gepeinigte Seelen schreien, Arme aus Blut und Feuer ausstrecken und den Geruch von Schwefel und Rauch verbreiten.
Die drei Schmuggler sahen die dämonische Wand und suchten ihr Heil in der Flucht. Abergläubisch fluchend stieben sie davon und ließen Decken, einen alten Rucksack und einige leere Flaschen Alkohol zurück.
Die Lauernde im Schatten atmete sachte durch und beglückwünschte sich zum Aberglauben des einfachen Volkes, der ihr selbst normalerweise negativ entgegen schlug, wenn sie sich als das offenbarte, was sie war: Eine Tochter Satuarias. Aus dem Geschäft der drei würde heute wohl nichts mehr werden. Trotzdem musste sie achtsam bleiben.
Es roch muffig und feucht da unten. Irgendwie nach Pilzen. Vom Lärm der Metropole hoch über ihr war nichts zu bemerken.
Sie betete inständig, keinem Ghoul zu begegnen. Oder zumindest nicht die Besinnung zu verlieren, wie das letzte Mal. Dieses Mal war sie allein. Es war kein Phexdan da, der ihr den Arsch retten konnte. Sie hatte dieses drängende, ehrgeizige Gefühl, dass das hier unten ihre Prüfung war und niemandes sonst. Die vormalige Schnitzeljagd hatte sich als etwas viel größeres entpuppt, das konnte sie spüren. Es war ein Test. Und am Ende stand alles oder nichts. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, ihre Sinne blickten scharf in die Gänge, in das Labyrinth Unter-Gareths.
Der Kerker der Stadt ist ausbruchssicher.
Ja. Nein.
stand auf der Rückseite des nächsten Steins geschrieben. „Nein.. sicher nicht..“ flüsterte sie leise in die kühle Luft.
Kaum, dass sie die Kurve genommen hatte, stach ein Schimmer in ihre empfindlichen Augen. Sie bemerkte, wie sich die schmalen Pupillen der Katzenaugen verengten.
Was war das?
Da, am Ende des Ganges leuchtete es Rot. Alles war bedeckt von rotem Moos.
Feuermoos… Sie hatte davon gehört. Von Phygius. Das Zeug war schlimmer als klassische Säure. Es fraß alles Organische. Metall, Stein oder Glas waren vor ihm sicher. Sollte ihr Weg hier zu Ende sein? Das Moos bedeckte den Boden sicher ganze fünfzig Schritt weit, sie konnte kaum das Ende dieser flammenfarbenen Flechte sehen.
Die Tunneldecke allerdings war frei davon. Es hatte sich nur auf dem Boden und an Teilen der Wände ausgebreitet. Sie drückte die Lippen aufeinander, dachte nach.
Und dann hatte sie es! Sie kehrte hastig um, nahm den direkten Weg zurück zu dem dürftigen Lager der immer noch absenten Schmuggler. Sie nahm die zwei leere Flaschen mit.
Auf ihrem Weg sammelte sie vier Backsteine ein, die nicht mehr ganz waren und irgendwann aus den alten Wänden gebrochen waren.
Das war halsbrecherisch. Mal wieder.
Ihre behandschuhten Finger griffen einmal beherzt in ihre Faust. Dann ließ sie es darauf ankommen.
Immer zwei Steine als Trittfläche legte sie vorsichtig auf das Feuermoos. Einen dritten, um den unsicheren Pfad über das Feuer mit ihm fortzuführen. Und einen letzten als Ersatz. Sie ließ ihren Umhang und das meiste Zeug in ihrem Rucksack zurück. Sie wollte nicht fallen. Sie wollte nicht im Moos zu einem Häufchen Nichts vergehen.
Die Flaschen nutzte sie als Stütze links und rechts. Sie flüsterte leise ein Stoßgebet, bat um Glück.
Auf diese Weise quälte sie sich in einer schier unendlichen Zeit über das tödliche Gewächs, das sie in Augenblicken vollständig aufzulösen vermochte.
Der Schweiß stand auf ihrem roten Gesicht. Nicht nur ein Krampf plagte sie. Aber etwas trieb sie an. Zuerst die Neugier und die Gewissheit, dass da am Ende etwas war, das es wert sein würde. Und als sie auf der Mitte war, trieb sie der Willen zu überleben an.
Und dann.. endlich.. hatte sie es geschafft.
Sie fiel keuchend auf den feuchten Kanalisationsboden und wollte den nackten Stein küssen – was sie dann doch besser unterließ. Sie blieb eine gefühlte Stunde liegen, massierte ihre gepeinigten Beine und Arme, ehe ihre angestrengte Muskulatur sich bereit erklärte, sie weiter voran zu tragen. Nur voran..
~
Haarscharf war die Moosakrobatik gewesen. Wie hätte das ausgehen können… Sie wischte den Gedanken fort.
Ein fünfter Stein wartete an einem Gitter in der Mauer auf sie.
Glaubst du, dass es den Mond gibt?
Ja. Nein.
Natürlich gab es ihn. Sie folgte der linken Abzweigung. Eine steinerne Wendeltreppe führte so tief herunter, dass man ihr Ende nicht sehen konnte.
Sie wusste nicht viel, aber dass es den Mond tatsächlich gab, den obersten Erleuchteten der Phexkirche, das zweifelte sie niemals an.
Mit jedem Schritt nach unten wurde es wärmer. Ging sie ins Innere von Sumus Leib? Warum hörte die Treppe nicht auf? Da waren nur ihre Schritte und dann und wann ein Tropfen.
Das seltsame Gemisch an Gefühlen in ihr wallte auf: Hochstimmung und bedrückende Mulmigkeit.
Der Steinzylinder in dem sie sich in die Tiefen schraubte, gab ein weiteres Geräusch preis von dem er irgendwann gänzlich erfüllt war: ein Rauschen. Zuerst war es leise, doch irgendwann, denn ihre Schritte wurden nicht zaghafter, schwoll das Rauschen zu einem regelrechten Getöse an.
Sie betrat den Boden des Zylinders. Ein Gang lag offen vor ihr. Laut brach sich das Geräusch wütenden Wassers tausendfach an gemauerten Wänden.
Neferu trat langsam durch den Durchgang.
Sie kam in einen zweiten Zylinder, in dem es ohrenbetäubend laut war. Und vor allen Dingen war es eine Sackgasse. Ein frei hängender Steg ragte ziegelgemauert über einem Abgrund, einem tosenden Strudel! Und an dem Steg wuchs rotglimmend Feuermoos, nur in der Mitte einen schmalen Grat frei lassend.
Die Geweihte wagte sich wenige Schritte vor, spähte dank ihrer magischen Augen und mittels eines spiegelnden Dolches hinab auf den wirbelnden Strom.
Dort unten schwamm etwas.. Ein großer dunkler Körper kämpfte auf der Stelle, immer gegen die mächtigen Wasser an.
Sie biss die Kiefer zusammen, dass es knirschte. Ein Dämon? War das da unten ein Dämon? Die Kreatur musste monströs groß sein…
Gut, dass sie Erpelgriebs Rädchen dabei hatte. Doch das Windrad blieb still. War es doch keine niederhöllische Kreatur oder funktionierte das alberne Spielzeug schlichtweg nicht..? Hatte Erpelgrieb sie übers Ohr gehauen?
Neferu fühlte sich ratlos. Was sollte sie hier? Was erwartete das Rätsel von ihr? Sie musste irgendeine zündende Idee haben.
Weiter ging es auf keinen Fall, da war sie sich sicher, nachdem sie sich noch einmal gründlich umgesehen hatte.
Da waren nur der Steg und der Strudel…
Da fiel ihr auf, dass ganz am Ende des Steges ein Backstein lag.
Vorsichtig, nach ein paar Wimpernschlägen des Zauderns, näherte sie sich dem gefahrvollen Feuermoos und angelte den Quader mit einer erloschenen Fackel zu sich heran.
Auf seiner Rückseite stand in deutlicher Gravur:
Du denkst, alles ist sinnlos? Geh zurück, sei fleißig, demütig, ängstlich. Du glaubst, alles ist voller Sinn? Stürz dich mit einem Salto vom Feuersteg.
Sie starrte den Stein an.
Es verschlug ihr einen Moment lang gänzlich den Atem.
Fleißig, demütig, ängstlich.. klang es in ihrem Innern wider.
Die Kreatur dort unten schwamm noch immer in einer ewiglichen Aufgabe gegen die Flussrichtung.
Sie haderte mit sich. Sterben wollte sie nicht. Was war, wenn das alles nur eine Finte war?
Aber.. was war, wenn es das nicht war…?
Fühlte es sich wie eine bösartige Falle an?
Nein. Sie hatte das Gefühl, vor etwas ganz Großem zu stehen. Vor der größten Sache ihres bisherigen Lebens.
Phex, was auch immer ich finden werde… Ich werde es dir schenken. Alles davon soll dein sein!
Sie trat zurück, nahm Anlauf … und sprang.
~
Das Rauschen war fort. Da war nur Stille, so dass ihr eigenes Atmen, das glücklicherweise noch immer intakt war, das einzige war, das sie hören konnte.
Dann sprach wie aus dem Nichts heraus eine Stimme zu ihr. Sie wagte die Augen zu öffnen und blickte in eine Höhle gigantischen Ausmaßes. Tropfsteine ragten von der entfernten Decke herab und alles war in ein bläuliches Licht getaucht, das von einer felsigen Empore aus zu scheinen schien.
Wenige Schritt von ihr entfernt stand ein Mann in grauer Robe.
Und überall – auf jedem Flecken des Bodens – befanden sich Hügel und Berge aus Schätzen, Kostbarkeiten! Ein Meer aus Dukaten, Reichtümern und Artefakten.
Sie vergaß das Atmen, während der Graue sie begrüßte.
Er warf die Kapuze zurück. Es war ihr Vogtvikar, der Leiter des Tempels der Schatten. Jereminas Torfstecher.
Lebte sie noch? Sie musste – denn Torfstecher war nicht tot. Auch wenn sie sich so bisher die ewigen Hallen Phexens hätte vorstellen können.
„Wo bin ich?“ war das erste, was ihr einfiel.
„Das hier ist Phexens Silberhort. Und du bist jetzt sein Hüter.“
„Silberhort?“ Es versagte ihr die Sprache.
„Der Großteil aller Opfer an Phex aller Zeiten landete und landet hier – ohne unser Zutun. Es geschieht einfach. Phex selbst tut sein Werk.“
„Was? Hüter?“ Sie war schon einmal ein besserer Gesprächspartner gewesen.
Irgendwo klimperten Dukaten. Ein neuer Gegenstand tauchte auf. Ein kürzlich gespendetes Opfer an den Herrn des Nebels kullerte von einem Geldberg hinab, bis es seinen Platz fand zum Liegen zu kommen.
Staunend wie ein Kind starrte sie die fremde Umgebung an.
„Er hat dich für würdig befunden. „Torfstecher schmunzelte. „Die drei Vogtvikare Gareths gelangen immer hier her. Hüter gibt es nur einen. Du hast ein Jahr Zeit, ein neues Rätsel zu gestalten. Das letzte Mal hat es vier Jahre gedauert, bis das aktuelle Rätsel nun von dir aufgelöst wurde. Ich hatte die Vision, dass du kommen würdest, deshalb bin ich hier.“
„Vier Jahre!“ Noch immer ließ die Faszination und der Schrecken, mit dem Leben davongekommen zu sein nicht nach. „Wer.. war es vor mir? Wer war der Hüter?“
„Talimee Nebelstern war deine Vorgängerin.“
Langsam kam Neferu auf die Beine. Alles klimperte und klirrte, Münzen rollten.
„Es ist dir gestattet, etwas zu nehmen.“ Mit einer anbietenden Geste deutete er auf all den Reichtum, „Nimm dir, was du willst…“ Die letzten Worte waren mahnend. Gier war alles andere als eine Tugend und nichts, was Phex schätzte.
„Und du kannst einen Gast herbringen, der sich genau einen Gegenstand aussuchen darf. Nur einen einzigen. Der Gegenstand wird ihn erkennen, nicht anders herum.“
Neferu nickte stumm, die Flut von Informationen und der Anblick edelster Gegenstände ließ sie glauben, zu träumen. Glücklicherweise war sie nie goldgierig gewesen.
„Und..“ setzte der Vogtvikar an, „Der Mond soll ab und zu hier herkommen, Sprich ihn nicht an! Das bringt Unglück.“
„Wie.. werde ich ihn erkennen?“
„Du wirst ihn erkennen.“
Ich habe Phex seinen eigenen Hort geopfert… kam es ihr in den Sinn. Sie schmunzelte, als sie an ihr Versprechen kurz vor dem Sprung dachte.
Und dann sprach sie es aus: „Ich habe Phex versprochen, was auch immer ich finden würde. Ich kann nichts nehmen.“
„Sei nicht albern, Bescheidenheit ist keine Tugend. Du hast es dir verdient. Du hast Phex seinen Hort geschenkt – ich habe es wohl gesehen: Als du ankamst, verschwand alles für einen Augenblick und war dann wieder da. Und jetzt legt der Graue dir seinen Hort offen. Er belohnt dich.“
Jereminas wandte sich um. Dann zeigte er ihr den Ausgang und beschrieb ihr die Möglichkeit zurück in diese heiligen Grotten kehren zu können.
Nachdem sie mehrere Stunden in dem Hort geruht hatte – tatsächlich wäre sie fast eingeschlafen, der Ort hatte trotz seiner Imposantheit etwas Friedliches – sah sie sich genauer um. Sie ließ Geld zwischen ihren Fingern hindurchrinnen, beguckte sich schöne Kannen und prachtvolle Gemälde. Sie zog Ringe auf die Finger, nur um sie wieder abzulegen. Es war schöner das alles zu bestaunen, anstatt es zu besitzen. Sie fand einen wunderschönen Dolch für Salpico, einen reichbestickten aranischen Teppich und eine Karte, die in einer feingearbeiteten Hülle aus Bosparanienholz steckte für Phexdan, einen Doppelkhunchomer in reicher Scheide, voll von Rubinen und Diamanten für Zerwas.
Das waren ihre Geschenke an die Menschen, die sie liebte.
Sie selbst nahm zwei Bücher und eine Erinnerungskette an sich. Erinnerungsstücke hatten ihr schon immer gut getan. Die Kette sah aus wie eine Phiole an einem Silbergeschmeide, mit eingefassten roten Steinen.
Am Ende zog sie am Seil und stand wie durch Zauberhand mitten in der Nacht im Theater ‚Fuchsbau‘..
~
Am nächsten Morgen war das Wetter schön. Wenige Wolken bedeckten einen klaren Frühlingsmorgen. Mit voranschreitendem Tsa kam der Geruch von Blüten und von frischem Wind.
Es war der Beginn des elften Tsa im Jahre 1013 nach Bosparans Fall.
Und es war der Tag an dem Muamer ibn Hakim, den zu dieser Zeit jeder nur als Zerwas kannte, nach Khunchom ging, in die Stadt, in der seine Ahnen gelebt hatten. Mit dem Doppelkhunchomer, dem letzten Geschenk auf seinem Rücken, verließ er Gareth.
Neferu wusste, sie konnte ihm schreiben, auch wenn Boten teuer waren. Sie wusste, er war nicht ganz aus der Welt.
Sie tröstete sich, dass das nicht das letzte Kapitel ihrer gemeinsamen Zeit sein musste, hatten sie beide doch die Ewigkeit vor sich.
Er hatte ihr zum Abschied gesagt, er wolle ihre letzte Liebe sein.
Ob er sich mit diesem Gedanken selbst Trost schenkte oder ob er es wahrhaftig so meinte, war einerlei. Der Geschmack auf ihrer Zunge war durch diese Worte weniger bitter gewesen, verhießen sie doch, dass es in dieser Sache kein endgültiges Ende gab. Neferu war nicht gut dabei, wenn sie mit endgültigen Enden zu tun hatte. Sie hatte hart mit Abschlüssen zu kämpfen.
Die Phex-Hexe ließ sich durch den Trubel der Stadt treiben, ihren Gedanken nachhängend. Elster war bei ihr. Die junge Stute liebte lange Spaziergänge. Irgendwann waren sie beide noch hinter Rosskuppel auf der Reichsstraße. Gareth und seine ländlichen Vorstädte verblassten in der Entfernung.
Das dunkle Haar wurde von der Frühjahrsbrise verweht und sie ließ sich auf einem Meilenstein nieder, während Elster den Hals bog und das frische, kurze Tsagras zupfte.
Und wie sie da saß fing Neferu an zu weinen, bis ihr Gesicht ganz entstellt, rot und unansehnlich war. Es war befreiend, so weit weg zu sein und einfach die Schleusen zu öffnen.
Sie hockte da eine ganze Weile, Elster kümmerte es nicht, solange sie etwas zu fressen in Aussicht hatte. Den Mittag musste der Tag schon passiert haben, als ein älterer Reisender das Wort an sie richtete. Der Mann war Zyklopäer. Er hieß Mermydion Phyrikos und er entschied zuzuhören. Er war ein guter Mann, stets bemüht, das richtige zu tun und eine helfende Hand zu reichen, wenn er es als notwendig erachtete. Ein freundlicher Ausländer, der nach Wallgraben wollte. Neferu hatte keine Ahnung, wer er war. Aber sie erzählte ihm tränenblind von dem Menschen, der gegangen war und den sie lange Zeit geliebt hatte, aber dann irgendwann nicht mehr.
Irgendwann hatte sie sich soweit gefasst, dass sie ihm den Rennweg zeigte, denn der war sein eigentliches Ziel. Sie verabschiedeten sich und Neferu wusste, dass sie den Fremden wohl nie wieder sehen würde.
Irgendein Fremder…
Auch Zerwas war einst irgendein Fremder gewesen. Und vielleicht würde er es wieder werden. Aber vielleicht auch nicht.
Mit stumpfem Gefühl im Bauch, trottete sie verhangenen Blickes an der Seite der gutgelaunten Elster zu Ahlemeyer. Sie würde von nun an dort wohnen.
Phexdan erwartete sie.
Er schloss sie in die Arme, drückte sie wohlmeinend und gab ihr Wein zu trinken – Aquenauer Südhang… Wie passend das war.
„Du hast Kummer. Lass uns trinken!“ Er lächelte aufmunternd und sie hielt seinen Rat für durchaus befolgenswert. Gemeinsam mit Salpico soffen sie die halbe Nacht und scherten sich nicht um den Kater, der am nächsten Morgen unvermeidbar auf sie lauern würde.
~
Nach den ersten Tagen Herumliegen und die Decke anstarren entschloss Neferu, dass sie vom Nachdenken keine neuen Geistesblitze erringen würde.
Es war seltsam, dass Zerwas gegangen war. Noch seltsamer war, dass er ihr nicht fehlte. Es war vielmehr so, als sei die Wunde, die sein vermeintlicher Tod in Greifenfurt gerissen hatte, endlich verschlossen worden war. Sie hatte auf einem guten Weg abschließen können. Ohne Gewalt und Zwiespalt. Ohne Hinterhalt.
Phexdan und Neferu mieteten die Wohnung des ersten Stocks bei Ahlemeyer. Ein Versorgen von Elster war im Preis inbegriffen, der Stallmeister von gegenüber spielte bei der Vereinbarung mit. Die sechzehn Dukaten im Monat hatten es in sich, aber gemeinsam würden sie die Summe stemmen können.
Sie wollte sich nicht in eine Beziehung mit Phexdan stürzen. Und sie spürte, dass er das genau sowenig im Sinn hatte. Sie wollte nur die Nähe ihres Vertrauten. Und sie wollte ihm Nähe schenken. Nicht zwingend körperliche Nähe, auch wenn das Füchschen des Nachts tat, was es mit am Besten konnte: Sich anschmiegen, trotz dem er jede leidenschaftliche Regung vermissen ließ.
Sie wollte versuchen, mit ihm zusammen zu wachsen, wie Geschwister im Geiste.
Ihre Liebe für Phexdan hatte bis jetzt alles überstanden. Und sie war noch da.
Sie musste ihn nur ansehen und wusste, dass dieser wirre Maraskaner ihr das Liebste auf der Welt war.
Phexdan war ihr Halt – damals wie heute. Gut gelaunt und lächelnd. Auch wenn sie nie ganz bei ihm ankam, wenn er Geheimnisse hatte und dazu neigte, Chaos statt Ruhe zu stiften, so fühlte sie sich in seiner Gegenwart lebendig.
Die folgende Woche übten sie nach Einbruch der Dämmerung stets gemeinsam das Klettern in Tuchrüstung und bespitzelten TeGuden. Zwar hatte Neferu vor, sich mit dem Errichten des Dachstuhls Zeit zu lassen, aber es war nie zu früh, mit den Vorbereitungen zu beginnen. TeGuden verdiente gut. Er hatte ein Haus in Heldenberg, in der Windmühlenstraße. Ein altes Gebäude im bosparanischen Stil. Er kam regelmäßig nach Hause und hatte keine direkten Nachbarn. Soweit, so gut.
Phexdan probierte die Karte aus, die Neferu ihm aus dem Silberhort mitgebracht hatte – mit dem Ergebnis, dass sie magisch war. Sie zeigte einem einen bestimmten Ort oder den Aufenthalt einer Person, wenn man nur danach fragte. Es funktionierte nur mit einer Suche innerhalb Gareths, aber schon das war Gold wert. Nur schien der Geist in der Karte außerordentlich eigensinnig und widerspenstig zu sein, so dass sie wohl letztlich nicht mehr als eine Spielerei war, denn man konnte davon ausgehen, dass das Artefakt streikte, wenn man es wirklich dringend brauchte. Sie spielten mit dem aufsässigen Geist, fragten nach allem, was ihnen einfiel.
„Wo ist Phexdan?“ fragte Neferu zuletzt, die direkt neben ihm lag.
„Wollt ihr mich verarschen, ihr dummen Bälger?“ schrieb die Karte beschimpfend mit dem magischen Sand, der ihr Mittel der Kommunikation war.
Beide Menschen sahen sich an und mussten ehrlich und unwillkürlich lachen.
~
Auch Tage nach Zerwas‘ Fortgehen hatte Phexdan sie nicht angerührt. Ein Teil von ihr verstand ihn. Er brauchte Zeit. Nach allem, was geschehen war. Sie hatten einen Totgeglaubten erhoben und trotz dem er ein Paladin Borons geworden war, blieb er ein Vampir. Ein anderer Teil vermisste Körperlichkeit. Sie dachte wehmütig an die alte Zeit, als sie Phexdan von sich werfen musste, um zu Atem zu kommen. Sie hatte weder von Zerwas, noch von Phexdan aus Begehren gespürt. Keiner hatte sich mit ihr vereint oder es nur darauf ankommen lassen. Sie schämte sich, dass ihr das Gefühl fehlte, sich jemandem ganz hinzugeben und jemanden so zu erleben, wie im innigsten Moment. Sie musste diese lästigen emotionalen Fesseln abwerfen, die ihren Verstand ständig mit Gefühlsduselei und dem Bedürfnis nach Tuchfühlung blockierten.
Sie musste sich auf etwas Greifbares konzentrieren: Ihren eigenen Aufstieg in Gareth.
Mit all ihren Referenzen ging sie zum Magistrat und meldete, ihre Heldenurkunde in Empfang nehmen zu wollen. Es hatte sie gegeben, nach dem Sieg über die Orks, nach dem was sie, Garion, Richard und Tarambosch in Greifenfurt geleistet hatten. Ihr Anliegen würde bearbeitet werden, wurde ihr zugesichert. Sie hasste Ämter.
Im Magistrat begegnete ihr ein schielendes blondes Mädchen. Was für eine merkwürdige Erscheinung sie war – so verloren… Ihre leicht abstehenden Ohren rundeten das Bild ab.
Sie war ganz offensichtlich fremd in der Stadt und wirkte so weltfern und fehl am Platz, dass Nef sich gezwungen sah, sich ihrer anzunehmen.
Die Kleine war eine Schwarzmagierin aus Mirham. Sie sah gar nicht wie eine der dunklen Gilde aus. Neferu musste unwillkürlich über das naive Ding lächeln und gleichzeitig empfand sie den Ansatz von fürsorglicher Zärtlichkeit in der Brust. Sie wollte ihr eine Freundin und eine Anleitung sein.
„Komm mit, ich kenne da eine gute Frau, die Zimmer vermietet…“ Sie nahm den Blondschopf mit zu Ahlemeyer.
Der Tsa wollte nicht vergehen. Jeder Tag war gespickt mit Aufgaben: Dem Rekrutieren von Spitzeln in Eschenrod, dem Einholen von Kostenvoranschlägen für ihre Hauseinrichtung, dem Waschen lassen von Theobaldus (dem Propheten vom Scherbenmarkt), dem mildtätigen Annehmen einiger Bedürftiger (und dem Wissen, daraufhin einen gut zu haben), Gängen zu Ämtern und dem ersten Dienst an die Spießbürger. Die Patrouille in Heldenberg war nicht nur ein Abarbeiten ihrer bürgerlichen Pflichten gegenüber der Stadt, sondern auch eine Möglichkeit, die Villa von TeGuden im Auge zu behalten.
Auch bemühte sich die Hexe, die Kinder im Waisenhaus zu besuchen, herauszufinden, wo die Talente und Neigungen der Kleinen lagen. Sie sah auch bei denen vorbei, die bereits raus waren, aus der dreißigköpfigen Schar von Halbwüchsigen, die eine Anstellung gefunden hatten. Es sollte ihnen gut ergehen, dafür wollte Neferu Sorge tragen. Besser als ihr selbst in früherer Zeit und besser als sie es bisher gehabt hatten. Und irgendwann würden die Waisen es ihr zurückzahlen, sich an sie erinnern und ihr einen Gefallen tun. Sie war trotz allem eine Phexgeweihte.
Isabella Hafergarb, die blonde Magierin, die Nef im Magistrat getroffen hatte, mietete sich ebenfalls bei Ahlemeyer ein, direkt neben dem Zimmer von Salpico.
Sie war in der Lage Kleidung mittels ihrer Kräfte umzunähen, was Nef staunend zur Kenntnis genommen hatte. Und sie führte Selbstgespräche, was immer wieder irritierte.
Alles in allem schien sie ein unsicheres Mädchen zu sein, die aus unerfindlichen Gründen ihre Eltern mied, die ebenfalls in Gareth lebten.
Phexdan war mit seinen eigenen Dingen beschäftigt. Er knüpfte Kontakte zur Alten Gilde und dressierte den Affen. Auch sein Garten bekam eine gute Portion seiner Aufmerksamkeit. Mal war er da, mal nicht. Er tauchte erneut ab in seine eigene Welt.
Neferu versuchte sich nicht mit ihren Gedanken zu beschäftigen. Wenn sie das tat, bekam sie einen Spiegel ihrer eigenen Fehler vorgehalten. Sie hatte keine Lust darauf. Also vermied sie, sich daran zu erinnern, dass ihr der anhängliche, temperamentvolle Phexdan aus Grangor fehlte.
Und dann… eines morgens schien es soweit zu sein, dass etwas von ihm zurückkehren wollte. Klamm und kalt lag Gareth draußen vor dem beschlagenen Fenster. Phexdan herzte sie wie seit Monaten nicht und endlich waren die Küsse wieder da, die sie so erbeben ließen. Fordernde Küsse…
Vielleicht wäre es weiter gegangen, hätte Ahlemeyer nicht geklopft. Ein Bote war gekommen. Mit ihrer Heldenurkunde. Sie musste zahlen, aber wen scherte die Dukate.
Endlich! Sie hielt die Reputation in den Händen und war seltsam stolz auf sich. Sie hatte etwas erreicht. Sie war ein Kriegsheld! Ehrlich zufrieden zeigte sie Phexdan die Auszeichnung.
Guter Laune backte sie an diesem Morgen mit Phexdan in Ahlemeyers Küche Kekse.
Sie wollte sie an die Wachen des Puniner Tors verteilen, um ein Stein im Brett zu haben, wenn es darauf ankam.
Die Wächter sahen furchtbar übernächtigt aus. Die Frage, ob sie nicht genug Schlaf bekämen, begründeten sie mit ihrem Weibel. Die Kekse nahmen sie gerne.
Phexdan und Neferu schlenderten Hand in Hand durch Eschenrod. Wie immer sammelten sich Pilger vor den Toren des jähzornigen Thorn Aisingers, der für heilig gehalten wurde. Man munkelte, Zyklopen hätten ihn ausgebildet und seine Waffen seien besser als die von vielen Ingerimm-Geweihten.
Sie wanderten beschwingt zum Tempel der Schatten, sahen sich an, lächelten. Die Morgensonne erhellte die Gesichter der Menschen.
Die Karren standen den halben Eslamsweg entlang. Es herrschte ein Gedränge, wie es das nur in Gareth gab. Wären sie Taschendiebe auf der Pirsch gewesen, sicher hätten sie reiche Beute gemacht!
Sie stiegen den Geheimgang in den Tempel hinab, die grauen Seidentücher überall im Raum vermittelten den Eindruck von Rauch oder Nebel.
Die Phexgeweihten schritten über das altbekannte Garradanbrett auf dem Fußboden: Weiße und schwarze Kacheln. Und jede gab ein anderes Geräusch von sich. Ein Lachen, ein Würfeln, ein Klopfzeichen, ein Schlossklicken.. Sie opferten im Schrein vor der Holzstatue und erhielten den hellverwaschenen Kiesel, den Phex jedem schenkte, der ihm eine Gabe darbrachte.
Anschließend trennten sich die Wege des Maraskaners und der Tulamidin. Ein bisschen traurig sah sie ihm nach – wie er das Ende des herrlichen Morgens einleitete. Wie er wieder auf seine eigene, geheime Mission ging, wie eine Katze, die ihre geheimen Schleichwege mit niemandem teilen wollte.
Sie selbst blieb noch im Tempel. Sie wechselte ein paar Worte mit Torfstecher und sann über das Rätsel nach, dem sie sich jetzt gegenübersah. Einen Götterlauf hatte sie Zeit..
Als sie durch das Puniner Tor zurück nach Alt-Gareth ging, fiel ihr unter den anderen Wachgardisten ein Mann ins Auge. Er gehörte zur Wache, ein Gefreiter vielleicht. Gab es diesen Rang überhaupt? Blondes zurückgebundenes Haar. Ein nachdenklicher Typ. Sie grüßte ihn lächelnd, er sah sie nur kurz an, als wäre es ihm nicht gelungen, gänzlich Abstand zu seinen einnehmenden Gedanken zu halten.
Sie musste einen Gemmenschleifer finden, der ihr ein Bürgersiegel machte! Ein NB sollte es sein, geschwungen und edel.
Ein paar Süßigkeiten für Phexdan kaufte sie ebenso ein. Sollte das Füchschen sich über etwas Süßes freuen! Sie liebte es, ihn befreit grinsen zu sehen.
~
Ein grauer, bleierner Tag war gekommen. Gemeinsam mit strömendem Regen – beides lockte nicht, das Haus Ahlemeyers zu verlassen. Es war warm und kuschelig drinnen, dank Salpicos Hitzeglyphen. Zu warm, laut der Hauswirtin, die sich darüber beschwerte, dass aus einem ihrer Eier ein Küken geschlüpft war.
Trotzdem musste Neferu diesen fast heimatlichen Ort verlassen. Sie war viele Verpflichtungen eingegangen, auch wenn viele nur moralischer Natur waren.
Die Mängelliste vom Waisenhaus war wichtig – es war ihr überaus ernst, zu wissen, an was es fehlte, welche Kosten gedeckt werden mussten.
Die kleine Isabella – sie wusste nicht, warum sie an sie als „die Kleine“ dachte, war die Magierin doch noch ein Stück größer als sie selbst – konnte gar nicht nicht gut mit Schmutz und hatte ein Auge auf Salpico geworfen. Und allein war sie offensichtlich auch nicht gerne, denn an diesem Morgen klemmte sie sich an Nefs Fersen.
Im Regen nahm die Tulamidin die Blonde mit nach Eschenrod. Bella war alles andere als begeistert von dem ganzen Dreck und Schmutz. Und von den Kindern war sie es noch weniger.
„Diese dreckigen kleinen Hände! Das gibt Handabdrücke! Nimm sie weg!“ Das Zitat hallte in Nefs Geist nach und unwillkürlich musste sie schmunzeln.
Immerhin stellten sie durch das Durcheinander im Waisenhaus fest, dass Kuliff magisch begabt war: Das Kind, das versuchte sich an Isabella festzuhalten, war gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen (selbstverständlich von der Magierin ausgelöst), hatte begonnen zu schreien und der kleine Junge mit dem magischen Potential schaffte um sich herum eine Aureole aus Stille, so dass man das Kleinkind zwar plärren und rotzen sah, es aber nicht hörte.
Nef und Mutter Harika versuchten dem Zirkus Herr zu werden, die Kleinkinder zu beruhigen, die im Chor solidarisch mitheulten, während die Magierin türmte und sich vor den Halbwüchsigen in Sicherheit brachte.
Die Ereignisse im Waisenhaus provozierten einen handfesten Streit mit Salpico. Nefs Idee den kleinen Kuliff in einer weißmagische Akademie in Gareth anzumelden stieß auf taube Ohren und nicht auf Gegenliebe. Selber adoptieren wollte er den Bengel aber auch nicht. Dabei wäre es auf lange Sicht so wunderbar gewesen, einen Verbündeten innerhalb der Weißmagier zu haben.
Akut war das Problem nicht – Kuliff war ohnehin noch vier Jahre zu jung für eine Akademie, aber irgendwann mussten sie darüber entscheiden.
Es waren einfach zu viele Kinder. Zu viel Verantwortung. Und es war nicht einmal das einzige Waisenhaus der Stadt. Zu viele Seelen ohne Perspektive. Nicht, dass die jungen Menschen Eschenrods, die noch Bezugspersonen hatten, es leichter hatten. Doch bei ihnen hatte man keinen Zugriff, keinen Weg einen einfachen Einfluss auf ihr Leben zu nehmen – das war anders bei den Elternlosen.
Im Wind des immernoch graupeligen Tages, der langsam sein Licht verlor, kamen sie zurück zum Puniner Tor.
Ihre kleinen Pflänzchen hatten ein neues Gerücht für sie gehabt: Jemand war ins Gebiet der Alten Gilde eingedrungen.. Eine Information, die vielleicht zu anderer Zeit wichtig werden würde.
Das Tor war noch offen, aber es durfte nicht mehr lange dauern und statt dem weiten Durchgang wäre nur noch die Mannluke zu passieren, für die man gute Gründe haben musste, ehe sie einem dann auch tatsächlich geöffnet wurde.
Ihre Füße waren nass, als sie den kurzen Tortunnel passierte.
Sie blieb stehen. Sie musste Nägel mit Köpfen machen, jede Möglichkeit ergreifen, das Haus der Kinder zu entlasten.
So versuchte es sie am Tor. Neferu erklärte den Gardisten das Schicksal der Kinder und bat um Mithilfe, sie zu vermitteln. Sollten sie mitbekommen, dass sich jemand sehnlichst Nachwuchs wünschte oder selber kinderlos sein und es sich anders erhoffen: Sie hatte die Lösung.
Ein bisschen kam sie sich so vor, als würde sie die Kinder verscherbeln.
Aber sie tat es nur zu ihrem Besten, sie auf diese Weise anzupreisen. Immerhin hörten die Wachen sie an, mehr hatte sie gar nicht erwartet. Sie würden die Augen offen halten, versprachen sie. Sollte sie ein Flugblatt aufhängen wollen, so sollte sie sich an den Befehlshabenden wenden, der nicht zugegen war. Er hieß Voltan Sprengler, wie ihr mitgeteilt wurde und wäre wohl am Besten mit einem Schriftstück zu erreichen, da er diesen Tags die Abend- und Nachtschicht hatte und noch nicht am Posten.
Sie schloss nicht aus, irgendwann noch einmal mit diesem Sprengler wegen des Anliegens, das ihr am Herzen lag, noch einmal zu tun zu haben.
Gareth 18 (Phexdan & Neferu) (TSA 1013)
Niemand hatte damit gerechnet, dass Phexdan so kurz nach einem Aufenthalt im Perainetempel krank werden würde.
Den kälteempfindliche Maraskaner, der den Winter ebenso verabscheute wie sein pelziger Gefährte Dajin es tat, erwischte ein ganz mächtiger Dumpfschädel und er verbrachte zwei Tage leidend und unbrauchbar unter einer dicken Decke in seinem Zimmer bei Ahlemeyer. Und wie er doch litt!
Kaum dass Neferu in die alte Sattlerei gekommen war, um nach ihm zu sehen, bemühte er sich nach Kräften, sein regelrechtes Siechtum überzeugend darzustellen.
Und es half: Sie konnte nicht nein sagen.
Sie konnte nicht ablehnen, als er sie mit leiser Stimme und fiebrig gläsernen Augen fragte, ob sie bei ihm bleiben und sich um ihn sorgen würde.
Salpico erklärte sich murrend bereit, einmal quer durch das winterliche Gareth zu stapfen, um dem Blutsauger bescheid zu geben, dass er vorerst alleine in seiner vermaledeiten Wohnung in Rosskuppel auszuharren hatte. So formulierte es Phexdan in Gedanken.
Ihm gefiel der Gedanke. Nicht, dass er sich nicht wirklich hundeelend fühlte. Aber dieser kleine zusätzliche Triumph gegen den Vampir versüßte ihm die Gliederschmerzen und das Brummen im Schädel.
Der letzte Kampf um seine Frau war noch lange nicht geschlagen. Und das war sie: Seine wankelmütige, weichherzige, vorschnelle Hexenfrau, die für ihn Tee kochte, wenn er krank war. Er hatte schon vor Jahren entschieden, dass er sie haben wollte. Keine andere passte besser zu ihm. Keine andere war so schwer zu halten.
„Bringst du mir Stricken bei? Ich will ein Jäckchen… für Dajin..“ keuchte er kränklich, einem inneren Themawechsel abrupt folgend. Sie bejahte. Er würde stricken lernen!
Seine Finger berührten ihr Haar, als sie diese Nacht bei ihm lag.
Das Fieber ließ ihn frösteln und schwitzen, seine Stirn hämmerte. Aber durch den nebeligen Schleier der Krankheit war sie da.
Er drückte seinen Körper eng an sie und umarmte sie innig. Er gab ihr die Wärme, die sie bei dem Unsterblichen nie bekommen konnte und noch mehr.
~
Am Rondratag dann, kränkelte Neferu selbst. Sie hatte sich angesteckt, als sie Phexdan viel zu nahe gekommen war. Sie schob den Gedanken hastig bei Seite. Sie konnte nicht darüber nachdenken.
Phygius würde an diesem Tag in einer der beiden Tavernen erscheinen und sie musste ihm begegnen! Aber erst gegen Abend…
Es lag kaum mehr Schnee, begann früh zu tauen dieses Jahr. Er blieb zurück als bräunlicher Matsch, der von tausenden Füßen und Hufen in den Boden getreten wurde, bis er verschwand und nur schlammige Straßen zurückließ.
Sie nutzte den Tag, um Verträge zu besiegeln. Phexdan ruhte sich aus, das Fieber war allmählich gesunken.
Zerwas begleitete Neferu, er hatte sie am Eisenmarkt abgepasst.
Zu gerne hätte sie mit ihm gesprochen, ihm Antworten gegeben zu Fragen, die er nie gestellt hatte. Sie wollte ihm mitteilen, dass sie sich schuldig fühlte. Dass sie am Leben hing. Am pulsierenden Leben mit all seinen Facetten. An einem Leben voll Wärme und Chancen und Zerbrechlichkeit. Neferu wollte dem schönen, stattlichen Unsterblichen mitteilen, dass sie nicht bereit war für die Ewigkeit. Aber dazu war sie nicht mutig genug. Sie hatte Angst, ihn so zu verletzten und auch davor, dass sie ihn verlieren würde. Angst aus Egoismus und das es eine solche war, wusste sie. Es machte ihr zu schaffen, doch sie fühlte sich machtlos sich selbst gegenüber.
Neferu nieste. Sie hoffte, dass es bei ihr nicht zu Fieber kommen würde.
Sie unterschrieb ein Abkommen mit dem Alchemisten Grabensalb und erhielt als Vorschuss einen schwachen Astraltrank. Großartig! Im Gegenzug gab er ihr eine Liste von Ingredienzien, die er aus der Brache brauchte.. Meteoreisen, rauchendes Braunöl, Spinnennetze, schwarzer Mohn. Zusätzlich als Beweis, dass sie im Stande war, auch wertvollere und seltenere Dinge zu bekommen, erhielt er als Vorgeschmack ihre Jadesteine, die sie schon seit Jahren in Gareth lagerte.
Sie eilte durch die Stadt, fragte bei Gesses Eisen- und Rüstwaren nach der Herkunft von Meteoreisen und zu guter letzt besuchte sie den Architekten Nerix Sandsteiner in Wallgraben, um mit ihm den Bauvertrag auszuhandeln und ihn beim Magistrat beglaubigen zu lassen. 3221 Dukaten wechselten durch die Festumer Handelsstube den Besitzer.
Ab jetzt war sie arm. Völlig arm!
Ein gutes Gefühl. Seltsamerweise. Ab jetzt konnte sie alles erreichen, denn sie hatte nichts. Bis auf einen funktionierenden Brunnen auf einem leeren, großen Weststadtgrundstück. Sie konnte sich etwas verdienen, von dem sie auch merkte, dass es einen Unterschied machte. Das erste Mal an diesem Tag lächelte sie, denn sie hatte etwas verloren. Es war seltsam, dass es gut tat.
Sie blickte schuldbewusst zu Zerwas, der sie zur Almada-Stube begleitete wie ein dunkler, prachtvoller Leibwächter. Sie sah seine wachsamen Augen auf ihr und der Umgebung, doch sie konnte in seinem Blick keine Liebe erkennen, denn sie war verborgen hinter einem unruhigen Geist, den er nicht nach außen weichen, nicht erkennen ließ. Stoisch schritt er voran, sprach über die Pferde, den Hof auf dem er arbeitete und über die Vergangenheit. Nie kam ihrer beider Zukunft über die Lippen – weder über seine, noch ihre.
Er scherzte auf seine aristokratisch-intellektuelle Art und gab ihr nonverbal zu verstehen, dass er sich gut fühlte, wenn sie bei ihm war – aber es war unverkennbar, dass sich auch unter seiner Oberfläche etwas zusammenbraute.
Phygius II entpuppte sich als junger Mann mit Augenglas, der Oliven liebte und aus dessen Taschen es bellte. Er ließ sich überzeugen, sie in die Brache zu begleiten, sofern man versprach, sich von schwarzen Türmen fern zu halten. Er erzählte, dass sein „Vormieter“ im Brachenturm ein Gildenbruder gewesen war, dem die täglichen Gefahren der Brache dann irgendwann doch den Gar aus gemacht hatten.
Er stellte seine offensichtlich chimärologisch erschaffene Belllilie Hassan vor und wollte Neferu am morgigen Tag am Blitzbaum treffen. Einige Stunden nach Sonnenaufgang.
Die Geschichten, die Phygius zum Besten gab und die Neferu mit Fragen anfachte, um dem Magier Interesse zu suggerieren, waren grotesk: Menschen die ins Wasser gehen wollten und magisch mit einem Hecht verschmolzen wurden, ein Bärwolfhai namens Hadrian, gefährliches Feuermoos und „unnette“ Hexen in der Brache. Der Mann war ganz eindeutig verrückt. Nicht wegen der Themen, die er auf Lager hatte, sondern wegen der Art, wie er sie vortrug. Fast leichtfertig… Eine traurige Kreatur, wie aus einer Tragikkomödie. Und der einzige, der ihr helfen konnte…
~
Den kommenden Morgen verbrachte sie mit letzten Vorbereitungen. Vom Artefaktmagier Erpelgrieb konnte sie ein kleines Windrad erstehen, das sich wild drehen würde, sobald sich etwas Dämonisches näherte. Es funktionierte allerdings nur ein einziges Mal. Ihre Tuchrüstung, um beweglich zu bleiben und nicht im Sumpf zu versinken, eine geweihte Waffe, Mondstaub, Steinsalz, Bannstaub, eine Decke mit einem Pentagramm… Sie ging alles noch einmal durch. Hatte sie etwas vergessen?
Mit Zerwas schritt sie in der aufkommenden Helligkeit zur Brache. Es fühlte sich gefährlich an, aufregend und vollkommen halsbrecherisch!
Neferu unterdrückte ein Zittern durch das Aufbeißen ihrer Kiefer.
An dem alten, gesplitterten Baum fanden sie Phygius, der bereits wartete.
Von überall her drangen Geräusche ohne ersichtliche Quelle auf sie ein, aus dem Augenwinkel schwankte knarrend etwas Baumelndes an einem Ast. Sie vermied genauer hinzusehen.
Ihr Weg führte sie auf einem Pfad entlang zu einem uraltem Boronsanger. Die Steine der Gräber waren bemoost und von Satinav ihrer Festigkeit beraubt worden. Viele bröckelten, andere waren zerbrochen.
Unschuldig. Stand da auf einem Grabstein. Einen Augenblick später etwas anderes: Travihilde 873 nBF.
Neferu gab sich alle Mühe, nichts von dem, was sie hier sah, besondere Bedeutung beizumessen. Innerlich sprach sie wiederholend zu sich selbst: Lass dich nicht täuschen, dir keine Angst machen. Es ist nur eine Illusion, um dir den Verstand zu kosten.
Da war auch ein Grab mit ihrem eigenen Namen… Schnell folgte sie der Richtungsangabe des Papiers, welches das Rätsel aufwies.
Hörner klangen durch den Nebel, Baumwesen griffen mit dürren Fingern nach den Eindringlingen, ein uraltes Pentagramm aus Steinen und Steinpilzen ließ sie sich orientieren.
Die Brache hatte ihre eigenen Gesetze, was die Zeit anging, es dunkelte gegen Mittag.
Ein Rauchfeld, undurchsichtig und beißend, raubte Neferu den Atem und die Sicht. Sie rief nach Zerwas, aber der antwortete nicht. Konnte es nicht. Er rang mit einer Kreatur..
..die urplötzlich verschwand, als sie einen Bärenschädel ertastete.
Der Schädel vom Rätselpergament…
Was war diese Brache nur? Eine Aneinanderreihung von Gefahren und unerklärlichen Phänomenen. Eine Brutstätte von allem, was den Zwölfen fern war.
Sie folgte stur den Richtungsangaben auf der Karte, ließ sich nicht locken und nicht rasten.
Überquerte eine absurd schöne Lichtung, ein Blumenmeer auf dem mitten darin eine goldene Statue des Götterfürsten stand.
„Mit blitzendem Stahle gegen finster Gezücht mit Schwarz gegen Schwarz, die Wahrheit vernichtet jedes Gerücht.“ Stand da in den nachtdunklen Sockel gemeißelt.
Mit Scheuklappen des Willens ausgestattet, ging sie vorüber, nach rechts. Ein Bach rauschte. Sie wurde schneller, als sie die drei Steine in seinem Bett wiedererkannte, die auf das Papier gemalt waren. Es konnte nicht mehr weit sein!
Der Wald wurde dichter, die wirren Äste niedriger. Sie bildeten ein Dach. Die Bäume wurde mit jedem Schritt, den sie zurücklegte bleicher…
Und dann erkannte sie auch diesen Hinweis: Das Knochenhaus!
Eine Tür führte hinaus.
Es war wie im Traum… In einem unnatürlichen Alptraum, in dem sich alles verformte und nichts fest stand.
Hinaus ging es auf eine Wiese blasser Tulpen in Menschengröße, die ihre Köpfe kränklich in den düsteren Himmel ragten.
Der Weg durch das Blumenfeld war lang und beschwerlich. Die absonderlichen Pflanzen wiegten sich, zwangen sich in die Wahrnehmung, wie eine Seuche breiteten sie sich aus. Wo eben noch keine gewesen war, wuchs eine Neue, die einen ohne Arme festzuhalten versuchte!
Phygius, Zerwas und Neferu bissen sich durch. Und irgendwann, außerhalb der bleichen Stauden erwuchs etwas anderes: Ein Felszacken mit silbernen Adern im Gestein.
Mit der Hilfe von Zerwas erkletterte sie den felsigen Finger und überblickte die Büsche. Dort sah sie in einiger Entfernung den See! Sie glich ab. Ja! Er ähnelte sogar der Zeichnung auf der Schatzkarte.
Neferu fühlte das Blut in ihren Ohren, ihre eiligen Füße hielt im Labyrinth aus Hecken in die Richtung, die sie für die Richtige hielt. Hinter ihnen wuchs der Weg zu einer verworrenen Mauer aus Dickicht…Und es wurde immer dunkler.
Bis sie an eine riesengroße Buche gelangten. Außer Atem – bis auf den Vampir – blickte sie in die Baumkrone hinauf. Die Wipfel schienen gesund und voller Leben. Da war sogar ein Rotkehlchen in seinem Geäst! Der mächtige alte Riese passte nicht in dieses verfluchte Land. Seine Blätter rauschten beruhigend in einem lauen Wind.
Und an seinen üppigen Wurzeln stand eine beschlagene Holzkiste.
Das Schloss war verzwickt, aber keine große Herausforderung.
Neferus Herz klopfte in aufgeregter Erwartung, als sie den Deckel aufklappte: Ein sauberes, weiches Handtuch lag darin. Die Stickerei verhieß, dass es sich um eines aus dem Seelander handelte. Darunter lagen eine leere Flasche Aquenauer Südhang und ein Paar schwarze Handschuhe mit dem Symbol des Listenreichen.
Ein sonniges Lächeln dominierte Nefs Mimik, als sie die Schätze begutachtete.
Sie zeigte sie Zerwas und auch er hob schwach einen Mundwinkel.
Als sie gegangen waren und die Hexe zurückblickte, war da nur der vom Blitz zerstörte, uralte Baumstumpf. Vom einstigen Leben in seinem mächtigen, sattgrünen Geäst war nichts mehr zu sehen und auch der Vogel war fort.
~
Salpico analysierte die Gegenstände. Handtuch und Weißweinflasche waren definitiv nicht magisch und lediglich Hinweise auf einen Ort: Den Seelander.
Die Handschuhe hingegen waren anderer Natur. Im dünnen, schwarzen Leder war Magie schwach verwoben. Astrale Spuren, die unter das Hotel führten, das sie ohnehin schon verdächtigt hatte, der nächste Schauplatz der phexischen Schnitzeljagd zu sein.
Bevor sie dem nobelsten der noblen Etablissements einen Besuch abstattete, tauschte sie die Ingredienzien, die sie in der Brache gefunden hatte bei Grabensalb ein.
Sie wollte sich ohnehin Zeit lassen. Die Brache hatte sie ausgelaugt. Neferu entschied, den Seelander gleich um einige Tage zu verschieben.
Wichtiger war ohnehin, sich mit Zerwas auszusprechen. Er war Jahre fort gewesen und sie hatte weitergelebt. Sie war nicht glücklich gewesen, aber das Rad der Zeit hatte sich gedreht.
Den ganzen Tag streunte sie durch Gareth.
Sie zeigte Phexdan die Grundlagen des Strickens, kümmerte sich um das Fohlen Elster, sah bei ihrer Freundin Duridanya vorbei, ließ Phexdan die Seele Dajins prüfen (wider erwarten war der Affe keine Kreatur der Niederhöllen) und nachdem sie den Stadtadvokaten TeGuden bei Sonnenuntergang nach Hause verfolgt und ihn einige Momente bespitzelt hatte, kehrte sie „Zuhause“ in Rosskuppel ein.
Zerwas wartete, starrte aus dem Fenster der Dachwohnung. Er hob den Kopf als sie kam. Ihrer beider Blicke verrieten, dass sie reden mussten.
Bis nach Mitternacht saßen die zwei Alterslosen beisammen.
Sie sprachen über die Bedeutung eines langen Lebens und über ihre Ziele.
Zerwas war die Unsterblichkeit gewöhnt. Er hatte ein Meer von Möglichkeiten und bisher war er an der Küste geblieben und nur deshalb erschien ihm diese unendliche Zeitspanne trist und grau. Neferu hingegen war noch mitten drin im menschlichen Leben. Die Ewigkeit hatte noch keine Spuren an ihrem Gemüt, ihrer Seele hinterlassen. Sie war gewöhnungsbedürftig für ihn in ihrer Menschlichkeit mit ihren menschlichen Gewohnheiten und Bedürfnissen. Er sprach aus, was an ihm nagte. Jahr für Jahr schien alles, was er tat, weniger Freude zu bereiten. In Trallop hatte er Männer (vermutlich großzügig) bezahlt, damit sie seinen Schatz aus dem Versteck in Greifenfurt bargen. Seine Unsummen, die da hinter der unsichtbaren Tür warteten. Er wollte das Geld investieren, für einen Zweck der Boronkirche. Neferu verstand nicht vollständig, was er vor hatte, aber sie war froh, dass er etwas verfolgte, das seiner Existenz einen weiteren Sinn gab. Einen guten Sinn, im Dienste eines der Zwölfgötter. Die Hexe konnte nicht anders. Sie musste in seinen Geist eindringen.
Sie hatte erwartet, dass sie an seinem Willen brechen würde. Dass er sie nicht durchlassen würde.
Aber es ging verhältnismäßig leicht, einen Blick zu erhaschen: Ein Häuschen im Horasreich, am Wasser gelegen. Ein Geldsack war auf dem Schild abgebildet. „Horas d’Or“ konnte sie lesen. Dann änderte sich das Bild und mehrere fein gekleidete Männer saßen in bürokratischer Manier beieinander in einem dunklen Raum. Männer einer Stiftung… Dann brach das Bild ab. Er fixierte sie. Sicher hatte er gemerkt, dass sie in seinen Kopf eingebrochen war. Doch er sagte nichts dazu, vielleicht hatte er es sogar absichtlich zugelassen.
Sein kühler Humor, die ruhige, bodenständige Art beeindruckten sie, wie es auch damals gewesen war.
Wenn er etwas für sie tat, hatte sie nie das Gefühl, dass er eine Gegenleistung erwartete. Und trotzdem.. Diese Art von Gefühlen reichten nicht. Und auch er zweifelte, wie sie feststellte. Ihrer beider Liebe war verjährt. Waren zu einer schönen Erinnerung aus Greifenfurt geworden. Zerwas‘ Ziele waren ein gewisses Maß an Macht und ein Denkzettel für Greifenfurt. Was waren ihre Ziele? Sie wollte sich etwas in Gareth aufbauen.. irgendetwas. Wie sollte sie das spezifizieren?
Es war nicht greifbar. Aber sie wusste, dass ihre Zukunft in Gareth lag. Wenigstens ihre nahe Zukunft.
Und jedes seiner Worte ließen sie erkennen, dass sie seine Stärke überschätzt hatte.
Der Verlust des Schwertes hatte eine tiefere Wunde geschlagen, als dieser stolze Mann preisgegeben hatte. Zurückgelassen hatte Seulasslintan einen unsterblichen Mann, der verunsichert war, der sich selbst nicht traute und sich nicht einmal wagte, sich einer Frau zu nähern, aus Furcht unkontrollierbar und unberechenbar zu werden.
Er hatte sich die letzten Wochen zurückgezogen. Er blieb lieber allein, erstickte im Keim schon jede aufkommende Leidenschaft und jedes forsche Gefühl.
Es tat Neferu weh, diesen einst so starken Mann so zu sehen. Es überkam sie der Wunsch, für ihn da zu sein, ihm zur Seite stehen. Sie wollte ihm helfen, sich selbst wiederzufinden.
Aber als Geschöpf des Gefühls wusste sie, dass sie ihm kein großer Nutzen sein würde und dass sie diese stoische Zurückhaltung wohl nicht lange würde ertragen können.
Und deshalb riss sie sich zusammen und überließ ihn sich selbst. Es war am Besten so.
Er – ursprünglich eine leidenschaftliche Kreatur – musste seine Selbstkontrolle perfektionieren, um die Kraft zu erlangen, wieder zu sich selbst zu finden.
Sie begrub den Gedanken, anknüpfen zu müssen, denn sie hatte verstanden, dass sie ihm die Sicherheit, die er brauchte nur geben konnte, indem sie bald schon getrennte Wege gingen.
~
Das Gespräch mit Zerwas klang in ihren Gedanken nach, als sie Tage später endlich zum Hotel Seelander ging.
Die Hintertür kam ihr Recht. Und ebenso der Fakt, dass Parel sich bis in dieses außergewöhnlich teure Hotel hochgearbeitet hatte.
Vor vier Jahren hatte er noch einige warme Mahlzeiten im Lowanger-Greiber-Waisenhaus bekommen, jetzt war er mit seinen fünfzehn Jahren fast raus aus den Kinderschuhen und steckte in einer geregelten Arbeit.
Und das im Seelander! Sie fühlte Stolz. Er war zwar nur für minderwertige Aufgaben verantwortlich, aber das im Seelander! Ihre Gedanken konnten es nicht oft genug wiederholen. Er war ihre Eintrittskarte. Mit seiner Unterstützung – auch wenn er erst intensiv überredet werden musste – konnte sie unbemerkt in den Keller gelangen.
Zuerst schien der Keller unscheinbar. Er hatte gewaltige Ausmaße und war randvoll mit Wein in Kisten, Fässern, Fässchen und Flaschen.
Die größten Fässer lagen auf ihrer Seite und hätten sicher einer kleinen Familie Platz geboten, wenn sie sich zusammengekauert hätten..
Auf einem der Fässer prangte: Aquenauer Südhang.
Hinter diesem erstaunlich leichten Fass für dieses enorme Ausmaß verbarg sich ein undeutliches Wandrelief im Stein. Einige Symbole waren da in den Backstein graviert, andere standen hervor.
Ein Sichelmond war darunter. Und das Drücken seiner Form öffnete einen schmalen Gang…
Gareth 16 (Neferu) (TSA 1013)
Nur noch drei weitere, sich immer aufs Neue wiederholende, endlose Tage!
Es war nicht so, dass sie und Phexdan die Zeit ungenutzt ließen. Neben all dem Düngen und Jäten blieben zum Abend und an einigen Tagen auch zwischendurch einige Stunden zur freien Verfügung und in dieser Zeit fokussierten sich die beiden Phexgetreuen auf den grauen Herrn. Sie beteten und meditierten, übten sich im Wortgefecht und vor allem lachten sie viel. Er sprach über die Liturgie der Seelenprüfung. Einmal war da dieser braungebrannte Perainegeweihte gewesen, gerade als sie eine weitere Lektion in Sachen kluges Verstecken und Ausnutzen der Schatten hinter sich gebracht hatten. Unweigerlich ein Fremder, der sich umsah wie nur Fremde es tun, die zum ersten Mal oder nach langer Zeit erstmals wieder einen Ort aufsuchten. Er badete im heilsamen Rundbecken, einem kleinen Bassin im Tempel, dessen Wasser durchsetzt war von Salzen aus dem Berg und allerhand anderem gesundheitsfördernden Pülverchen, die Nef nicht kannte. Der fremde Geweihte – und er war unweigerlich ein Geweihter, lag doch ganz in seiner Nähe die typische grüne Kutte – planschte also und wusch sich, während Neferu sich den Scherz erlaubte, ihn vom Rand aus nasszuspritzen, ohne dass der Badende den Verursacher des plötzlichen Schwalls Wasser hatte ausmachen können.
Es steckte auch ein beträchtliches Stückchen Schalk in Phex und seinen Jüngern…
Zu behaupten, dass Neferu in diesen zwölf Tagen litt, wäre übertrieben gewesen. Allerdings stellte sie selbst fest, dass ihr die wenig freiheitlichen Aktivitäten im Peraine-Tempel unter den Nägeln brannten, sie unruhig machten, obwohl das Haus der Göttin von Ackerbau und Heilkunst ein Ort der Ruhe und Geborgenheit war, zweifellos.
Doch wie ein kätzischer Straßenstreuner brauchte sie die Möglichkeit, ganz wie es ihr beliebte, mal hierhin und mal dorthin zu stromern. … Und das blieb aus. Also wälzte sie sich schlaflos herum, so energisch, dass sie sogar Phexdan weckte. Trotz dem sie wunderbar umsorgt wurde, war Neferus Laune daher nicht die Beste. Und gerade der Maraskaner wurde Zeuge davon, wenn sie wiedereinmal kratzbürstig bis zum Jähzorn neigend, seine Zuneigung abwies. Er war davon überzeugt gewesen, seine Nef in der Zeit des gemeinsamen Einsitzens im Tempel in kürzester Zeit mit Pauken und Trompeten wieder erobern zu können. Enttäuscht war er trotzdem nicht. Phexdan war nicht der Typ für Enttäuschung, lieferte Phex ihm schließlich diese grandiose Herausforderung. Nicht, dass Nef für ihn nur eine Herausforderung gewesen wäre… Aber dass die unausgeglichene Hexe ihren Launen ausgeliefert alles andere als leicht und langfristig von etwas völlig überzeugt und eingenommen war, stellte einen Nebeneffekt dar, der ihn nicht abschrecken konnte. Trotzdem.. sie zog sich im Laufe ihrer beider Gefangenschaft eher zurück, als dass sie ihm entgegen kam. Den Grund dafür kannte er nicht, so oft er auch versuchte in ihren dunklen Kopf zu gucken, sobald sie neben ihm stand.
Als der friedliche Trott des Tempels, die Ölungen und all das Blumenumsorgen sein Ende fand, spürte Neferu das Gefühl puren Glücks.
Es war der dritte Tsa im Jahre 1013, als Neferu von Rohalides und seiner herbschönen Dimione schon in den frühesten Morgenstunden in die Freiheit entlassen wurde. Es hatte draußen endlich geschneit und die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen.
Rohalides legte den Arm um die Schulter seiner Frau, als er dem seltsamen Gast in Rot nachsah, der durch den Schnee lief wie ein junger, verspielter Hund und den fröstelnden Dunkelhaarigen mit dem Rabennestkopf mit Schneebällen drangsalierte. Der Zyklopäer war ein friedfertiger Kerl, immer gutmütig und geduldig. Aber selbst in ihm gab ein heimliches Stimmchen zu, dass er froh war, die zwei Rabauken, die zweifellos dem heitersten der Zwölfe angehörten, los zu sein.. Immerhin fünf Dukaten hatte die rote Frau gespendet.
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Zerwas hatte nur für sie beide zwei Zimmer in Rosskuppel gemietet, eine winzige Wohnung im ersten Stock eines niedrigen Bauernhauses auf dessen Reetdach nun der Schnee lag. Die Bauern mit Namen Nella und Storko, gute Garether Landwirte mit einem kleinen Jungen waren schlichte, herzliche Leute, die sich ihr Misstrauen dem blassen Schwarzhaarigen mit dem aristokratischen Gesicht gegenüber nicht anmerken ließen. Höfliche Leute eben, die froh waren, ein zusätzliches Entgelt für den ausgebauten Dachboden zu bekommen und die sich einredeten, schon sehr viel seltsamere Gäste untergebracht zu haben. So ignorierten sie, dass der Herr mit dem Haar einer aranischen Tänzerin stets das Essen verschmähte und immer auswärts zu speisen schien. Er war eben ein feiner Herr, nickten sie verständnisvoll und sagten auch nichts zu den nächtlichen Schritten auf dem knarrenden Holz. Denn Schlaf schien ihr neuer Mieter ebenfalls nicht zu finden – wie sie diesen armen Menschen doch bedauern mussten!
Salpico hingegen war bei einer Sattlerin untergekommen, deren schmales, aber sehr hohes Häuschen im Arenaviertel seinen Platz hatte, eingepfercht in eine Reihe anderer Häuser ähnlicher Bauart. Frau Ahlemeyer hieß die gute Vermieterin, eine früh gealterte Witwe in den Vierzigern, die immer wieder von ihren zwei Söhnen sprach, die sicher irgendwann zu ihr nach Hause kommen würden. Fragte man nach, so hörte man heraus, dass die beiden in die Orkenkriege ausgezogen und nicht wiedergekommen waren… Aber bald, ja bald, wären die Burschen wieder zuhause! – wurde Frau Ahlemeyer nicht müde zu beteuern und lieferte gleich noch eine Beschreibung der Buben, falls die Herrschaften sie einmal zu Gesicht bekommen sollten.
Salpico lächelte verkniffen und kramte mühevoll die Details dessen, was er an sozialen Fertigkeiten aufgeschnappt hatte aus den staubigsten Nischen seines Verstandes. Die beiden Sprösslinge seiner naiven – oder vielleicht geistig am Schicksal ihrer Familie zerbrochenen – Vermieterin waren sicher quicklebendig wie ein Wiesel. Ein altes Wiesel mit Rheuma und Hüftleiden. Blind und vor zwei Wochen von einem Rübenkarren überrollt. Anders ausgedrückt: Sie waren ohne jeden Zweifel so tot wie zahllose junge Männer und Frauen, die in den Krieg gingen und nicht zu ihren Familien zurückkehrten. Aber obwohl Salpico bewusst war, dass die Dunkle Halle der Geister seine sozialen Talente unweigerlich hatte verkümmern lassen, besaß er den Anstand seine Annahme über den Verbleib der Ahlemeyer-Knaben nicht einmal anzudeuten.
„Selbstverständlich kommen Eure von den Göttern zwölfmal gesegneten Söhne zurück an den Herd ihrer liebenden Mutter.“ kam es so überzeugt wie möglich über seine vollen Tulamidenlippen. Erst nach zwei oder drei Augenblicken wurde ihm bewusst, dass echte Überzeugung üblicherweise von einem Lächeln begleitet wurde und so hob er die Mundwinkel zu schnell, zu hoch und zu plötzlich.
Er bemühte sich. Er wollte vermeiden der gutherzigen Sattlerin das Jahr zu vermiesen. Insbesondere, solange er hier noch lebte. Man konnte viel über ihn sagen – dass er Leute verprellte, die ihm halfen gehörte (üblicherweise) nicht dazu. „Aber natürlich werde ich mich umhören! Ich bin bald im Süden des Kontinents und werde mich dort nach ihnen umsehen – vielleicht haben sie eine wichtige Geheimmission. Ihr wisst schon Al’Anfa vielleicht.“
Das mütterliche Nicken und die in den Augen der Frau aufblitzende Hoffnung brach ihm beinahe das Herz. „Sicher bringe ich bald Nachricht von ihnen! unterstrich er – und ging im Geist bereits das Gespräch mit den ruhelosen Seelen der beiden hingeschlachteten Jünglinge durch, in dem er zu klären gedachte, welche Geschichte man der wirren Mutter auftischen konnte, um ihr Leid zu lindern.
Dem Nekromanten war vage bewusste, dass Ahlemeyer immer noch redete. Sich bedankte vielleicht, oder mehr von ihren Söhnen berichtete, damit er sie erkennen würde, wenn er nur erst vor ihnen stünde. Für seine Magie allerdings war es kein Probleme das tote Bruderpaar zu finden, ein größeres Problem war es, nicht mit Boron und seinen Dienern aneinander zu geraten. Während also die Dame des Hauses von Lieblingskuchen und Kinderdecken schwadronierte, trug Salpico sich mit dem Gedanken schwanger Hilfe bei Marbo zu suchen. Ein kleines Zeichen der Zustimmung erleichterte die Angelegenheit ganz erheblich – auch auf weltlicher Ebene. Man wusste nie, wann der Vampir mit den beneidenswerten Haaren (ob gutes Haar einer der Vorteile des frei bestimmten Untodes war?) auf die Idee käme seinen Glauben an den Herrn Boron (Welch Ironie!) handfest zu verteidigen. Nein – darauf konnte er verzichten, entschied er, während die letzten drei nötigen Zutaten für die Lieblingsspeise des einen Bruders zu seinem einen Ohr hinein und zu dem anderen wieder hinaus wanderten. Es war schlimm genug gewesen noch eine letzte Nacht mit dem unangenehm hungrigen Todesboten in der Smaragdnatter verbringen zu müssen. Das Einzige, was sicheren Schutz gegen diesen Kerl bot war Dajinn VII., der…bei Boron und Hesinde! Der Affe! Wie lange hatte er ihn nicht gefüttert? Zwei oder drei…Tage? Eilig wirbelte er herum und ließ Frau Ahlemeyer mitten in einem Monolog über bestickte Kinderkissen stehen.
Am anderen Ende der Stadt, außerhalb ihrer Mauern erbebte im bäuerlichen Rosskuppel ein dürres Bäumchen in einem der feldbegrenzenden Knicks. Seine blattlosen Zweige schlugen gegeneinander, als er seinen festen Halt im kalten Mutterboden verlor und an den Feldrand zu einigen anderen entwurzelten Sträuchern geworfen wurde.
Ohne zu schwitzen, zu frieren, schwer zu atmen – oder auch nur einen irgendwie gearteten Puls – sah Zerwas zu Storko hinüber. Auf der anderen Seite des Feldes mühte der Hausvater sich ebenfalls damit ab, das Feld von allzu sehr überhängenden Zweigen oder Ästen zu befreien.
Eine anfallende Arbeit im Winter – ebenso wie das ganzjährige Füttern der Tiere und das Ausmisten der Ställe.
„Angelegenheiten für Bauern und Knechte.“, hätte er noch vor einigen Jahren gesagt. Aber heute war es eine notwendige Arbeit. Notwendig um den Kopf frei zu bekommen, aber notwendig auch, um zu wachsen. In seiner Zeit bei den Kindern der Nacht, hatte er eine simple Wahrheit erfahren. Wer mächtig ist, ist nicht notwendigerweise auch gefährlich. Gefährlich waren nur die, die Macht und die Überzeugung etwas Besseres zu sein als die weniger Mächtigen in sich vereinten. Simpel ausgedrückt: Wer mächtig und zugleich konstruktiv sein wollte, musste Demut lernen. Und eben das bedeutete die Arbeit, die für diese Familie wichtig war, ebenfalls als wichtig anzunehmen und mit den ihm gegebenen Stärken zu erledigen, während er seine Schwächen in Kauf nahm.
Letzteres war leicht gesagt zu dieser Jahreszeit – war der Himmel doch oft genug verhangen und grau.
Die Strichliste, die er auf der Unterseite eines der Tische in seiner Wohnung führte, hatte ihm verraten, dass Neferu am heutigen Tage aus dem Exil des Peraine-Tempels zu ihm zurück finden würde. So kam es, dass er sich den Schritten auf dem nahen Feldweg mit einem Lächeln zuwandte.
Die Wiederbegegnung mit Zerwas nach fast zwei Wochen verlief seltsam. Noch während ihres Aufenthalts im Tempel hatte sie eine Nachricht von ihm bekommen: Er hatte endlich eine Unterkunft gefunden, die ideal war. Für sie beide. Beide allein. Mit gemischten Gefühlen umarmte sie den Uralten und ließ sich die Kammer im Dach zeigen. Sie hatte gewusst, dass Zerwas die enge Unterbringung in der Smaragdnatter von vorn herein verabscheute hatte. Zu viert in einer Dachkammer war seinem Verständnis von Privatsphäre zuwider gelaufen.
Er hatte dieses animalische Lefzenziehen um den Mund herum, dieses Zittern der Nasenflügel, wenn ihm etwas missfiel. Und das hatte sie da gesehen.
Sie war froh, dass die beiden Tralloper Fohlen, um die Zerwas sich wirklich ausgezeichnet gekümmert hatte, wohlauf waren und endlich mehr Platz hatten, die Hufe zu bewegen.
Auch sonst gefiel ihr der Hof. In seiner naiv-pragmatischen Ländlichkeit wirkte er besinnlich, behütet, wie das Abbild eines geregelten Lebens.
Sie irritierte, dass Zerwas mit den Hofbesitzern ausgemacht hatte, für sie zu arbeiten. Seine kräftige Mithilfe drückte den Preis beachtlich, aber irgendetwas verstörte sie an dem Bild des Vampirs mit von Erde schmutzigen Nägeln. Es passte nicht zu ihm und trotzdem war sie gleichzeitig froh darüber. Erleichtert, dass unter dem Eindruck des perfekten Mannes, der erhabenen Eleganz und der übermenschlichen Anziehungskraft etwas war, das sich nicht scheute, schmutzig zu werden. Von Arbeit schmutzig – nicht vom spritzenden Blut seiner hilflosen Opfer.
Sie erzählte ihm eine Kurzfassung des Tempelaufenthalts und machte sich dann an ihre überfällige Gareth-Runde. Während Zerwas den Bauern zur Hand ging, hegte sie theologische Diskussionen über Tsatuaria im Tsa-Tempel und verunsicherte die dortige Kindergärtnerin mit ihren angedeuteten, ketzerischen Theorien (die sie selbstverständlich so formulierte, dass ihr nichts vorzuwerfen war). Anschließend führte ihr Weg sie zu Alrik Garether, dem Hauptmann der Spießbürger. Sie sicherte sich einen Termin für ihren dreiwöchigen Dienst als Wächterin. Sie bestaunte zum wiederholten Male das Theater ‚Fuchsbau‘ am Brig-Lo-Platz – es war sechsstöckig! – und endete zum Nachmittag im ‚Lowanger-Greiber-Waisenhaus‘ in Eschenrod.
Sie trug ihre, wie sie sie nannte ‚Abenteurerkluft‘, weshalb sie nicht ganz so argwöhnische Blicke auf sich zog, als wenn sie in ihrer Bürgerkleidung erschienen wäre.
Es war auch ganz einfach sicherer, nicht zu hochtrabend durch das Südquartier zu stolzieren. Das wusste sie zu gut.
Nach einigen Worten der Höflichkeit ließ Nef sich von der Heimmutter, einer Traviageweihten mit ehrlichen runden Augen von reinstem Blau, zu den Kindern begleiten. Etwa dreißig von ihnen lebten hier – Waisen der Straße, wie sie selbst vor Jahren eine gewesen war. Ohne eine Gruppe konnte man im Südquartier kaum überleben. Oder man verkam zu einer Mauerpflanze, die vegetierte und nichts anderes mehr verinnerlicht hatte als das bettelnde Heben der verknöcherten Hand wenn jemand vorüberging.
Zwei wertvolle Informationen nahm sie mit aus ihrem kleinen Blumengarten, wo sie ihre vielversprechenden Pflänzchen behüten ließ: Der eine – ein junger Mann namens Pavel war wegen herausragender Fähigkeiten bis in den Seelander vermittelt worden, wo er eine Ausbildung erhielt. Der Küche selbstverständlich nur, aber auch das war ein wahres Wunder – ein Junge aus Eschenrod wusch die Teller der Reichsten. Ob da ein unehelicher Vater mit schlechtem Gewissen seine Finger im Spiel hatte?
Der zweite Sprössling war die vielversprechende kleine Efferdlieb. Mit neun hatte sie angefangen zu nähen und nun war sie elf Jahre alt. Neferu wurde ein ganzer Satz Kleidung ausgehändigt, die das Mädchen genäht hatte. Kindliche Nähte, ein großzügiger Stich, aber so gleichmäßig als hätte das Kind bereits ein Jahrzehnt Erfahrung.
Neferu begutachtete wie eine reiche Gönnerin das blondbezopfte Kind. Efferdlieb war ernst und hatte Augen, die so tief und streng blickten, dass man sie wesentlich älter schätzen konnte, als sie an Jahren zählte.
Während die Phex-Hexe die Kleine begutachtete wie eine Investition in die Zukunft, stand diese ganz ruhig.
Efferdlieb… ging es durch Nefs Kopf. Sie war so genannt worden, weil man sie als Kleinkind herumirrend und schmutzig am Fluss gefunden hatte. Efferdlieb sollte eine Zukunft haben. Und einer von den Beweisen werden, der zeigte, dass auch die, die ganz unten waren, durch Fleiß und Durchhaltevermögen ganz nach oben kommen konnten. Und irgendwann sollten all diese elternlosen Kinder leben wie Hal in Alveran.
Neferu bündelte die kleinen Kleidungsstücke und machte sich auf dem Weg zurück in die Altstadt, es dunkelte schon. Sie musste sowieso zu Störrebrandt. Vielleicht konnte sie so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber zuvor holte sie Phexdan vom Brig-Lo-Platz ab.
Mit den Worten „Wenns dunkel wird am Göttermonument!“ war er schon zur frühen Stunde entschwunden und nur die Zwölfe konnten ahnen, wo er sich so dringend herumtrieb. Sie rollte mit den Augen.
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Schon drei Stunden lag sie im Bett und starrte eine neue, hölzerne Decke an.
Sie hatte es tatsächlich geschafft. Zwar war sie unangenehmerweise beim ersten Anlauf von der Ausstrahlung Störrebrandts im wahrsten Sinne des Wortes aus den Schuhen gehauen worden – eine peinliche Situation, die zwei Leibmagier des Kaufmannes hatten sie untersucht und so die Magie in ihr festgestellt – doch neben diesem Ohnmachtsanfall (schon wieder einer! Und das, obwohl sie die Prozedur Rohalides‘ über sich hatte ergehen lassen!) hatte der Pfeffersack zugestimmt, sich Efferdlieb einmal anzusehen, nachdem er die Arbeit ihrer kleinen Hände vorerst kurz einschätzend überflogen hatte. Und sie war auch in sein Archiv gelangt. Anscheinend interessierte es einen der reichsten Männer Aventuriens selbst, was aus seinem Wagenzug 2098-031 geworden war. Sie hatte nämlich in Erfahrung bringen können, dass dieser Handelszug, begleitet von fünfzehn Personen und einigen Ballen Fellen und Stoffen, in denen Mondsilber und Arkanium transportiert worden war, auf nimmerwiedersehen irgendwo im Bornland verschollen waren. Mit Pferd und Wagen, alles weg – nicht einer hatte ihr Ziel, Norburg, erreicht.
Aber es war nicht einmal die Akte selbst, die sie so aufwühlte, sondern ein Pergament, das in ihr lag. Es passte thematisch und optisch nicht zu Störrebrandts Archiv, sondern es zeigte ein klassisches Rätsel… Symbolisch gezeichnete Orte, eine Fuchsfährte.. und drei Häuser mit einem Fuchskopf. Sie hatte ihren nächsten Hinweis gefunden!
Neferu wandte den Kopf, als Zerwas das Schlafkämmerchen betrat. Unverschwitzt mit kaum zerzaustem Haar, dazu ein undeutliches Lächeln, kam er auf sie zu.
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