Perricum 7 (Garion)
Kategorien: 1013 BFDie Zeichen der SiebenGarionPerricumTaramboschVitusWilliamZeitraum: PER 1013
Mit einem raschen Griff legte der Rondrit einen neuen Holzscheit in die züngelnden Flammen des Lagerfeuers, das tanzende Schatten an die Felswände der Trollzacken warf. Die Holz- und Schmutzreste in seinen Handflächen rieb er beiläufig an seiner Hose ab, ehe er sich wieder setzte und einen Blick in die Runde warf, deren Wächter er die kommenden drei Stunden war. Vor ihm, gebettet auf Schlafmatten oder dem Boden und geschützt von Decken oder Schlafsäcken lagen ein Elf, ein Zwerg und zwei Menschen. Einer von beiden Freibeuter – wenigstens – der andere Medicus und Deserteur. Und über ihnen alle spannte sich das Himmelszelt mit unzähligen funkelnden Sternen, dominiert vom fahlen Licht des Madamals.
Ein tiefer Atemzug des Kriegers riss die kühle Abendluft tief in seine Lungen und weitete seine Brust, ehe er den Atem wieder fahren ließ. Die Gruppe, die sich die schützende Wärme des Feuers teilte, war derart bunt gemischt, dass es Garion bisweilen wie ein Wunder erschien, dass sie zusammenhielt. Das Grün seines verbliebenen Auges verfing sich an den blonden Haaren des Elfen. Cyruions Alter war schwer zu schätzen, aber wie vermutet war er der Älteste der Runde. Es war schon einige Jahre her, dass sie sich kennengelernt hatten – damals zunächst an Bord eines Schiffes, dann zu Fuß auf dem Weg ins Landesinnere. Von Beginn an hatte der Elf sich durch eine beinahe absonderliche Tierliebe ausgezeichnet, gleichzeitig aber am Kreislauf des Tötens wie selbstverständlich teilgenommen. Empathie und Gnadenlosigkeit in gleichem Maß – wie Garion fand ein deutliches Zeichen für die naturnahe Lebensweise der elfischen Sippen, die sich vom Erbe ihrer Vorfahren distanziert hatten, um die Fehler derer die vor ihnen waren nicht zu wiederholen.
Trotzdem hatte Cyruion stets auf die eine oder andere Weise den Eindruck erweckt, seinen elfischen Wurzeln entrückt zu sein. Hatte sich menschlich gekleidet, hatte aber nie menschlich geklungen, hatte nach Wissen gedürstet wie ein Mensch, aber hatte den menschlichen Essensgewohnheiten weitgehend entsagt. Ihre Wege hatten sich getrennt, als der Magier sich einer Haijagd verweigert hatte und diese – wie er es genannt hatte – unnütze Grausamkeit nicht hatte mit ansehen wollen.
Garion strich sich gedankenvoll über seine rechte Braue und blinzelte etwas Rauch aus seinem tränenden Auge. Und jetzt – Jahre später hatte sie der Zufall wieder zusammengeführt. Cyruion hatte Perricum in Begleitung einer Gesandtschaft der Senne Nord erreicht, um sie in magischen Belangen zu beraten und im Notfall einzugreifen. Gemäß dem Gedankengut seiner Alma Mater in Donnerbach war er das Gruppenmitglied, das ihm am wenigsten Sorgen bereitete. Cyruion war bisweilen ein wenig weltfremd, aber er war umgänglich und geduldig, war um Völkerverständigung bemüht. Die üblichen Aversionen von Elfen gegenüber den Angroschim waren bisher nicht ruchbar geworden – nicht einmal als ‚Stummel‘ oder ‚Halbmann‘ hatte er Tarambosch betitelt.
Die Aufmerksamkeit des Wachhabenden glitt von dem blonden Elfen fort und kettete sich an den ebenfalls blonden Angroschim. Er wusste, dass der gedrungene Bartträger sich bereits zurückhielt. Trotzdem war es unverkennbar, dass offene Worte, Konfliktbereitschaft und ja – auch eine Spur rassistischer Vorurteile in seinem Blut kochten. Dennoch würde Garion niemals auf ihn verzichten wollen. Nach ihrem ersten Treffen in Ranak bei Kap Brabak hatte sich schnell herausgestellt, dass sie gerne und gut zusammenarbeiteten. Ihr Ehrverständnis und sogar Teile ihrer Weltsicht deckten sich, wenngleich ihr kultureller Hintergrund und ihre Ausbildung bisweilen für geteilte Meinungen sorgten.
So war dem Zwerg die Abneigung allem Echsischen gegenüber in Fleisch und Blut übergegangen, während in der Glaubenslehre Rondras der hohe Drache Farmelor als Gemahl der Göttin selbst gepriesen wurde. Die Diskussion über diesen Punkt war kürzlich aufgeflammt, war aber rasch (und vorläufig) beigelegt worden.
Gedankenverloren rieb der Wächter Daumen und Zeigefinger aneinander, während er die Gestalt des beinahe totengleich schlafenden Zwerges betrachtete. Doch obgleich die Emotionen des Zwerges von Zeit zu Zeit für Ärger innerhalb ihrer Gruppe sorgen konnten, betrachtete er ihn nicht mit Sorge. Selbst wenn der Axtschwinger sich mit seiner ganzen Gruppe stritt, so würde das Auftauchen eines gemeinsamen Feindes doch für eine geschlossene Front sorgen. Auch das lag den Kriegern Xorloschs im Blut – im Krieg dachte man praktisch, nicht emotional.
Als sich ein fremdes Geräusch in das Knacken des Feuers mischte, sah der Rondrit auf. Die Gegend in der sie sich befanden, galt im Allgemeinen als gefährlich, wenn sie auch bisher nicht angegriffen worden waren. Mit einer Hand am Griff seines Schwerts erhob er sich von dem kleinen Felsen, auf dem er saß, und ließ den Blick in die nähere Umgebung des Lagers fahren. Der Ort war gut ausgesucht. Die kleine Mulde war von drei Seiten von größeren und kleineren Felsen umgeben und öffnete sich mit der vierten zum Weg. Das Licht des Lagerfeuers war auf diese Weise nicht sehr weit zu sehen und der Wind nicht allzu harsch. Ein paar Schritte führten ihn auf den schmalen Weg hinaus, von wo aus er einen noch besseren Blick hatte. Eine Gefahr war aber nicht zu sehen – kein Grund also die anderen zu wecken und in Alarmbereitschaft zu versetzen. Nun wieder ruhiger setzte er sich an seinen Platz zurück und angelte nach seinem Proviantbeutel und Wasserschlauch. Während er etwas Proviant verzehrte, lenkte er seinen Blick zu den beiden Menschen hinüber. William und Vitus. Beide männlich und beide schwer einzuschätzen.
William hatte ein loses Mundwerk, flinke Finger, die nur zu gerne auch genutzt werden wollten und verbog sich die Realität auf eine Weise, dass eine leise Stimme in Garions Kopf aus jedem „Das ist wahr!“ ein „Das ist wahr!-scheinlich wahr.“ machte. Tatsächliche Talente hatte William seit Garion ihn kannte, nicht gezeigt. Wenn man von ‚Sich Ärger einhandeln.‘ und ‚Das Wirtshaus leer trinken.‘ einmal absah. Die Geschichten des jungen Seefahrers waren beinahe so groß wie sein Ego und hinter jeden Ecke lauerte ‚Die Eine‘, um sich ihm voll der Liebe an den Hals zu werfen.
William war ein Buch mit sieben Siegeln und Garions größte Sorge. Dabei ging es nicht einmal um die erfundenen Geschichten, die mangelnde Etikette, das mangelnde Wissen um das Pantheon oder die bisweilen vorgeschobene Inkompetenz. Wesentlich größeren Eindruck hinterließ der Umstand, dass William mit all dem so bereitwillig herausrückte. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass Menschen selten ihren wahren Charakter offen legten, wenn sie ihr Gegenüber nicht kannten. Wenn der Seefahrer genauso war, dann stellte sich die Frage, was er hinter der Fassade verbarg. Das Bild eines plündernden Freibeuters oder – schlimmer noch – Piraten verfestigte sich immer mehr. Zuletzt als die Admiralität Perricums bestätigt hatte, Williams Vater aus ähnlichen Gründen zu suchen. Vor diesem Hintergrund hatte es ihn überrascht, dass der Mann in Zeiten der größten Not in der Ordensburg der Ardariten aufgetaucht war, um dort nach Hilfe zu suchen. Das war vernünftig gewesen – beinahe zu vernünftig für den Charakter, den er sonst an den Tag gelegt hatte. Aber – war es Vertrauen gewesen oder Opportunismus? Hatte er sich seinen Gefährten anvertraut oder nur gewusst, dass sie ihm helfen würden, die Suppe auszulöffeln, die er sich eingebrockt hatte?
Langsam massierte der Adelige sich seine Nasenwurzel. Früher oder später würden sie alle gemeinsam in die Klemme geraten und dann würde sich zeigen, ob in William jemand steckte, auf den man sich verlassen konnte oder ob er eher versuchen würde seine eigene Haut zu retten – egal wen oder was er dafür opfern musste. In jedem Fall hielt er es für besser sein Auge auf ihm zu behalten.
Erneut sondierte Garion die Umgebung des Lagers. Wachdienst nahm er stets ernst. Eine Einheit – egal wie gut ausgebildet – war zu ihren Ruhezeiten am verwundbarsten. Gelang es einem Angreifer die Wache lautlos auszuschalten, so war es ein leichtes die schlafenden Gruppenmitglieder im Schlaf zu töten oder kampfunfähig zu machen. Garion wollte verdammt sein, wenn das während seiner Wache geschah. Noch einmal drückte er sich von dem Stein hoch und drehte eine Patrouillen-Runde um das Lager. Einige Minuten lang hielt er den Blick in die Dunkelheit gerichtet, um sein Auge daran zu gewöhnen. Wieder war alles still – wenn man von den normalen Geräuschen einer Nacht in der Wildnis einmal absah. Der Wind rauschte durch einige der mageren Gewächse, hier und dort raschelten kleine Tiere und die Feuchtigkeit des Holzes ließ das Feuer krachen. Gute zwanzig Schritt vom Feuer entfernt, lehnte er sich an den Steilhang der den Weg begrenzte und sah von dort zu seinen Begleitern hinüber.
Vitus mochte ein Deserteur sein, aber er war als Heiler schon rein objektiv wichtig für die Gruppe. Und wenn man genau genug hinsah, dann war es nicht allzu schwer zu erkennen, wie schwer seine Schuld ihn belastete. In Perricum hatte er sich dem Urteil der heiligen Rondra ergeben und war bei der Gruppe geblieben, obgleich er Zeit und Gelegenheit zur Flucht gehabt hätte. Garion mochte nicht glauben, dass ihm oder den anderen von Vitus Gefahr drohte. Dennoch war der Mann schwer zu durchschauen. Kaum einmal sprach er – und wenn er es tat, dann war er oft offener und emotionaler als sein Handeln es hatte erwarten lassen. Er war gläubig, gut ausgebildet und soweit der Rondra-Geweihte das beurteilen konnte, aufrecht. Die Liebe war es, die ihn vom Weg abgebracht hatte – und da war er beileibe nicht der Erste. Sich auf ihn zu verlassen war noch nicht ohne jedes Risiko, aber es bestand Hoffnung, dass er sich beweisen würde. Gerade nachdem die Gruppe beschlossen hatte, ihm bei der Abzahlung seiner Strafe zu helfen, schien es Garion als habe die Bindung sich gefestigt. Und für Zwist innerhalb der Gruppe würde die verständige Art des Mannes aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht sorgen.
Er ertappte sich dabei, dass beim Anblick der vier Schlafenden ein Lächeln über seine Lippen rann. Die Gruppe mochte in ihrer Zusammensetzung untypisch sein, aber labil war sie nicht. Nach allem was er wusste, war es gut möglich, dass sich an diesem Feuer genug Talent, Fähigkeit und Wissen versammelt hatte, um alles was das Schicksal ihnen entgegen schleudern wollte zu überwinden. Es galt nur die beiden wichtigsten Regeln dieser Welt zu beachten. Erstens: Zu wissen, wann es an der Zeit ist etwas zu tun. Zweitens: Zu wissen, wann es an der Zeit ist nichts zu tun. Vorsichtig stieß er sich in der Plattenrüstung von dem Stein ab und hielt wieder auf das Feuer zu. Dort angekommen setzte er sich vorsichtig wieder, schabte aber mit seiner Rüstung über den Stein, was eine kurze Bewegung des Elfen zur Folge hatte. Es wurde wirklich Zeit für eine Kettenrüstung.
Von seinem Platz aus betrachtete er die ungleichen und bisweilen gefährlich unbekannten Gefährten. So oder so: Für die kommenden Stunden war es an ihm jeden einzelnen dieser Männer mit seinem Leben zu beschützen. Genau wie er es auch nach Ablauf dieser Stunden tun würde, Tag um Tag, Woche um Woche, Götterlauf um Götterlauf. So lange sie sich als gut erwiesen. Denn wenn es nach ihm ging, dann galt für diese Gruppe dasselbe, was für den Ardaritenorden galt: Wir stehen zusammen, wir fallen zusammen.