Rahjard

Grangor 17 (Rahjard)

Nicht einmal im Schlaf konnte sich Rahjard mehr des leichten Lächelns erwehren, das seinem Antlitz im Zusammenspiel mit seinen anderen Aspekten in den vergangenen Praiosläufen einen (eher unfreiwilligen) Hauch von Vollkommenheit verliehen hatte. Ausgelöst hatte niemand geringeres als der Knappe der Göttin die ungewohnte Glückseligkeit beim bukanischen Piratenspross. Die Rechte des Rondrageweihten hatte sich mit Schwung in das Gesicht von Phexdan gedrückt. Doch nicht etwa das Leid des Bettlers und Gauklers, sondern viel mehr das des Geweihten ließ ihn derart frohlocken. Noch bevor sich Rahjard auf Phexdan zubewegt hatte, stellte er sich jedoch die alles entscheidende Frage, was die Motivation für diesen „Schicksalsschlag“ gewesen sein mochte. Konnte es sein und war es möglich, dass die Wurzel allen Übels tatsächlich nichts weiter als die täglich zunehmende Frustration hinsichtlich des Verlusts seiner geliebten Neferu war und dass er nicht einsehen konnte oder wollte, dass sie ihm einen grangorer Bettler vorzog?

Sicherlich waren die Liebe und ihre Mysterien noch nie das Spezialgebiet der Weiberhelden aus der Familie Lowanger-Greiber gewesen, dennoch war Rahjard trotz all der fehlenden Erfahrung von einer Sache überzeugt und zwar, dass noch mehr dahinter stecken musste. Denn schließlich kann nur verloren werden, was man bereits besessen hat. Es beschwerte sich doch auch niemand bei einem Würfelspiel von vier Runden, mit vier Teilnehmern, schon in der Dritten darüber eine Dukate verloren zu haben, wenn der Einsatz bis dahin bei zwei Silbertalern lag. Garion war es nie gelungen, sie zu seinem Eigen zu machen. Worüber beklagte er sich also, …sexuelle Unausgeglichenheit?

Eine Antwort wollte ihm nicht einfallen und daher betrachtete er stirnrunzelnd das Geschehen, wie der Ritter des alten Weges von einigen Gardisten abgeführt wurde. Nicht seine erste Haftstrafe, die er in Grangor verbüßen musste, und gewiss auch nicht die letzte. Schließlich stand Rahjard vor Phexdan. Beide nickten einander leicht zu, begutachteten sich für einen Augenblick den jeweils anderen und kamen erst dann allmählich ins Gespräch. Zunächst ging es, wie nicht anders zu erwarten, um die möglichen Gründe von Garion zum Serientäter zu werden. Kurz zuckte Rahjard mit den Schultern und entgegnete dem Bettler nachfolgend, dass es an den tiefen Gefühlen des Bronnjaren für die Halb-Thorwalerin-Halb-Tulamidin liegen musste. Eine Situation, in der ihm nach einem Augenrollen zumute war. Phexdan wohl auch.

Solche Schlüsse zu ziehen stellte für keinen der Beiden eine Herausforderung dar.
Wenige Fußschritte später fanden sich beide in einer improvisierten Heilerstube wieder, die Rahjard bekannt vorkam. Auch er hatte sich in der tiefsten Gosse irgendwelcher Städte schon die Nase richten lassen müssen, in Andrafall. Einer Stadt, im glorreichen Königreich Andergast.
Zumindest kurz trieb ihm dieser Gedanke ein Schmunzeln auf die Lippen, ehe Phexdan alle Aufmerksamkeit mit nahezu weibischem Gehabe wieder auf sich lenkte: „Aua!“
Beinahe hätte Rahjard noch angefangen Phexdan zu bemitleiden, tat er doch so, als wäre dies die erste geballte Faust eines anderen Mannes gewesen, die sich in sein Gesicht verirrt hätte. Unmerklich schüttelte der Bukanier sein Haupt, während Phexdan immerhin bewies, keine bleibenden Schäden von diesem Hieb davongetragen zu haben: Er beabsichtigte, die Haftstrafe des Rondriten zu verlängern. Zwei, drei oder vier Wochen? Nach kurzer Überlegung zog sich eine Sorgenfalte über die Stirn des Halb-Norbarden.
„So gerne ich das auch sehen würde, ich glaube Neferu mag Garion.. irgendwie. Gutheißen würde sie es sicher nicht, wenn sie herkommt und er insgesamt drei oder vier Wochen einsitzen muss. Eine oder zwei sollten genügen, ihn etwas abzukühlen“, meinte Rahjard und Phexdan nickte. „Warte hier… das mache ich lieber allein“, entgegnete der Bettler und verschwand im nächsten Gebäude, welches Rahjard aufgrund all der Banner und sonstigen Verzierungen zweifellos der städtischen Garde zuordnen konnte.

Schulterzuckend sah er dem Bettler nach und verschwendete einige, wenige Gedanken an den eitlen, liebestollen Knappen der Göttin und Ritter des alten Weges, Garion Rondrior von Arivor; ob er die kommenden Praiosläufe genießen würde und was Neferu wohl von seinem Überfall auf Phexdan halten würde. IHREM Phexdan. Kurzzeitig flammte ein Grinsen in seinem Gesicht auf, bis er den Gaukler wieder erspähte und ihm nach einem kurzen Nicken mitteilte, dass der Rondrit genug Zeit haben werde, über sein Fehlverhalten nachzudenken. Zu diesem Zeitpunkt übermäßige Schadenfreude zu zeigen war sicher nicht angebracht, doch das musste er auch gar nicht… Phexdan gelang es als Meister der Improvisation, Rahjard auf andere Gedanken zu bringen als das Leid des Geweihten, indem er ihn in sein Lieblingsteehaus einlud. Das behauptete er zumindest. Ein erster, das Etablissement sondierender Blick offenbarte dem dunkelhäutigen Bukanier jedoch, dass es sich dabei weniger um ein Teehaus zu handeln schien, als ein drittklassiges Bordell. All die gemütlichen, kuscheligen Ecke, die raumtrennenden Vorhänge und ein leichter Duft von Rauschkräutern ließen zumindest darauf schließen. Dumm nur, dass er mit Phexdan dort war… wo dieser doch überhaupt nicht sein Typ war. Rahjard hob ohne ein Wort darüber zu verlieren einen Mundwinkel an und ließ sich gegenüber von Phexdan nieder, nachdem dieser sich einen Platz ausgesucht und die erste Runde – Tee – ausgegeben hatte. Wie schon auf dem Weg dorthin, sprachen die beiden hauptsächlich über die offenbar einzige Frau in ihrer beider Leben, die maraskanliebende Neferu.

Alleine die Frage, wie sie sich überhaupt kennengelernt hatten, wie seine erste Begegnung mit Garion verlaufen war und die letzten Ereignisse rund um Andergast, Burg Dragenstein und Marek den Schlitzer oder ein erneutes Nachfragen bezüglich Archon Megalon nahmen etwa eine halbe Stunde, wenn nicht mehr, in Beschlag. Tatsächlich war Rahjard in all den Jahren viel herumgekommen, hatte viel mit Neferu erlebt… leider auch einiges mit Garion. Zwar konnte er es auch in seinen Erzählungen einigermaßen kaschieren, doch Phexdan hatte es zu diesem Zeitpunkt mehr als geahnt, dass Rahjard alles andere als Sympathie oder mehr als den Gedanken einer Zweckgemeinschaft für den Rondrageweihten übrig hatte. Dann jedoch verstummte der Redeschwall Rahjards, als Phexdan unerwarteten Besuch erhielt und ihm etwas ins Ohr getuschelt wurde. Ein recht kurzes, knappes und präzises: „Komm mit“, hatte Rahjard dazu veranlasst, an der Seite von Phexdan durch Grangor zu eilen, bis hin zum Efferdtempel, den sie ebenso schnell durchquerten wie die Stadt. Bis sie schließlich, was Rahjard zu einem leichten Schlucken veranlasste, in einem ihm völlig fremden Gewölbe standen. Schlagartig war es ihm klar geworden, wohin all die Dukaten der Bettler geflossen waren. Solch eine Stadt ohne einen solchen Ort, das wäre auch kaum zu glauben gewesen. Rahjard wollte gerade ein Lächeln aufsetzen, als ein Ruck durch seinen Leib ging. Phexdan, der eben noch vor ihm gewesen war, hatte sich auf einmal hinter ihm versteckt und hielt sich an der Schulter des mehr oder minder unbekannten Bukaniers fest, dessen Brauen sich bei diesem Anblick leicht wölbten. Dass es um Phexje gehen sollte, hatte er eher auf dem Weg an diesen Ort mitbekommen, dass sich Phexdan aber zu etwas nicht trauen würde – das war ihm neu.

Schulterzuckend trat er voran in den kleinen Raum, in dem nicht viel mehr Bett und ein Boroni standen. Im Bett lag Phexje, beinahe wieder quickfidel. Rahjards Kinnlade machte augenblicklich Anstalten, nach unten auf den Boden zu sacken, während sich Phexdans Hand schlicht an seiner Schulter verkrampfte. Neferu hatte Erfolg gehabt, …hatte sie? Etwas missmutig betrachtete Rahjard erst den Jungen, dann den Boroni und wieder den Jungen. Dann stürmte Phexdan förmlich vor und nahm die Gelegenheit war, sich an seinen totgeglaubten Bruder zu klammern. Eine Sache, die dem Boroni ebenso wenig gefallen wollte, wie jedes einzelne Wort, das gesprochen wurde. Selbstverständlich zählten die eigenen Laute nicht dazu. Rahjard musste spätestens bei der dritten Ermahnung mit den Augen rollen.

Lediglich ein einzelner Augenblick hätte selbst dem oft so gefühlskalten Bukanier eine Träne in die Augen getrieben, als der Boroni Phexdan entgegnete, dass der kleine Phexje noch recht schwach sei und in dieser Zeit etwas bräuchte, an dem er sich festhalten könne. Einen Wimpernschlag später hatte Phexdan ihm bereits einen hölzernen Fuchs in die Hand gedrückt. Eben jenen, den er einst von Neferu auf dem Markt geschenkt bekommen hatte. Während sich alle der Tatsache erfreuten, den Fuchs und Phexje wieder vereint zu sehen, knirschte der Boroni mit den Zähnen. Wahrscheinlich hatte er, noch während er sprach, an etwas anderes gedacht, irgendetwas das mit Boron zu tun habe, aber im Leben nicht an einen Holzfuchs.

Minuten vergingen und man sah Phexdan an, dass er der Bitte des Boroni nur sehr ungerne nachkam, dem Jungen noch ein wenig Ruhe zu gönnen. Doch was sein musste, musste sein. Noch während sie die das gut gehütete Geheimnis, den im Bau befindlichen Phextempel zu Grangor, verließen, überkam Rahjard allerdings ein wenig Unmut. Auf der einen Seite freute er sich, dass Phexje wieder unter den Lebenden weilte und Alveran hatte verlassen dürfen, jedoch… war Neferu mit 3000 Dukaten fortgegangen. Dreitausend. Durchaus eine Summe, mit der man vieles, das nicht unbedingt boron- oder überhaupt zwölfgöttergefällig sein musste, anstellen konnte. Phexdan klopfte ihm eher nebenbei auf die Schulter und zerrte Rahjard mehr mit in seine Lieblingstaverne, oder die nächstbeste. Was genau, darüber wollte er nicht weiter reden. Sicher war nur, dass Phexdan eine großangelegte Feier für zwei Personen im Sinn hatte. Seine Investition am Tresen sprach zumindest dafür. Noch ehe sie jedoch auch nur ein Wort über Phexjes plötzliche Rückkehr verloren, ging es wieder um die Angebetete des Rondriten – und von Phexdan. Auch bei diesem, durchaus fröhlichen Beisammensein konnte Rahjard wieder über vieles erzählen. Allen voran das, was Neferu ihm über die Jahre übermittelt hatte. So sprachen sie von Maraskan, ihrer liebsten Insel, und auch von Scheïjian. Ihrem letzten, großen Schwarm, ehe sie Phexdan begegnet war.

„Was gibt es schöneres als einen Maraskaner?“, meinte Phexdan darauf unter anderem, was Rahjard dazu veranlasste die Stirn sachte zu runzeln und das Kinn sodann leicht anzuheben. „Ich bin doch auch ganz schön anzusehen“, entgegnete er dem Bettler und es fiel ihm selbst schwer, sich in diesem vor Arroganz nur so strotzenden Moment keinem schallenden Lachen hinzugeben. Sein Possenspiel war jedoch derart überragend, dass er sich die Gedanken daran nicht anmerken ließ. Phexdan wölbte dennoch nur die Brauen und raunte ihm ein leises „naja“ entgegen. Beinahe so als wüsste er um diesen Umstand, den er sich aber nur ungern eingestehen wollte. Rahjard schmunzelte daraufhin abermals, ehe er die Augen leicht zusammenkniff.

Was war das? Er blinzelte leicht… und fuhr dann mit seinen Erzählungen fort, gar nicht realisierend, dass er und Phexdan eher nebenbei einen nach dem anderen Humpen geleert hatten und es dem jeweils anderen immer schwerer fiel, den Gegenüber vor lauter leichtem, mittelschweren und unüberhörbaren Lallen überhaupt noch zu verstehen. Insbesondere bei einer Aussage musste Phexdan noch einmal nachhaken, orderte offenbar vorsichtshalber dennoch Ausschank im Wert von vielleicht zwanzig Dukaten. Rahjard hatte jedoch alle Mühe, sich noch einmal zu wiederholen. Er glaubte, es wäre gerade um Phexje gegangen… was, hm. Seine Schultern leicht hebend wiederholte er, was ihm als erstes wieder in den Sinn kam: „Irgendwie.. muss sie das geschafft haben.. sie hatte 3000 Dukaten und meinte wir.. könnten ihr vertrauen. Hoffentlich hat sie aber.. ihre Seele nicht für… seine gegeben.“

Phexdans Gesicht verzog sich leicht, er nahm einen ordentlichen Schluck aus dem nächsten Humpen… und noch einen, ehe er unter einem recht dumpfen Aufschlag zu Boden ging und wenige Augenblicke später von einigen Bettlern aufgehoben und sein herumliegendes Habe eingesammelt wurde. Während Rahjard versuchte aufzustehen, trugen sie ihn bereits hinaus. Er folgte wankend und gab nahe der Tür beinahe noch eine Flugeinlage zum Besten, die einen der Bettler auch zu ihm hinübersehen ließ. Dieser fragte ihn… irgendetwas und der mitgenommene Bukanier nickte langsam. Sie brachten ihn wohl dorthin, wo sie Phexdan in solchen Fällen auch hinbrachten, dachte er sich noch und legte den Kopf anschließend in den Nacken.

Unter einem lauten Dröhnen seines Kopfes öffnete der Halbnorbarde-Halbmittelländer seine Augen und sah sich um, rieb sich die Stirn und schreckte leicht auf, als er Phexdan in einem Bett neben sich liegen sah. Sofort ruckte sein Blick herum zu einem Vorhang und musterte die Einrichtung an sich. Bei den Zwölfen… waren sie etwa gerade dort, wo er dachte, wo sie waren und hatten sie irgendetwas getan? Phexdan brauchte noch einige Minuten, ehe auch er erwachte und sich schlicht und ergreifend erhob, um sich waschen zu lassen. Rahjard folgte ihm, mit mehr als nur einem Hauch von Skepsis in der Miene, in Richtung des hinteren Bereiches, wo sich einige Geweihte der Schönlinge annahmen und eine zierliche, aber wenigstens gutaussehende Geweihte ihn auf Nachfrage darüber aufklärte, wie die beiden hergekommen seien und das zwischen ihm und Phexdan nichts gewesen sei. Zumindest nichts, das laut genug war um es zu hören. Damit lächelte sie ihm verschmitzt zu und Rahjard kniff die Augen zusammen. Er brauchte etwas Ablenkung, sah zu der Geweihten und war überzeugt, dieser Augenblick wäre ideal für eine Massage… ein Gebet.

Phexdan hingegen verließ den Tempel ohne viele Worte an seinen Begleiter zu verlieren. Er habe zu tun, oder etwas derartiges war es wohl. Im Angesicht des anstehenden Gebets mit der Rahjageweihten war es nicht leicht, sich auf Phexdan und seine Worte zu konzentrieren. Er würde ihn schon wiederfinden. Dafür gab es in Grangor doch all die Bettler, um Phexdan zu finden, so man ihn suchte…

Grangor 12 (Rahjard)

Ohne besondere Ereignisse, ohne besondere Taten ließ Rahjard die letzten Tage in Grangor verstreichen. Lediglich zwei Dinge hatte er noch unternommen: sich Proviant gekauft und mit Nestor gesprochen. Dieser würde ihn mitnehmen, die Bettler würden es sehen. Sie würden wissen, dass er von dieser Stadt allmählich genug gesehen, dass er genug erlebt hatte. Jedoch waren die Tage die vor ihm lagen alles andere als erbaulich. Alleine mit weitestgehend Fremden auf einem kleinen Schiff, dann nach Ferdok… nach Gareth und Festum. Zwar hatte er es nicht eilig, doch der Gedanke, dass sein letzter Aufenthalt an der östlichen Küste bereits über einen Götterlauf zurücklag gefiel dem charismatischen Burschen auch nicht.

Eigentlich war sein Verhalten untypisch, insbesondere wenn man bedachte, dass er einen Mond, eineinhalb Monde nach Neferu gesucht hatte. Jedoch hatte sie seither nur Augen für Phexdan. Nicht einmal für einen kleinen Taschendiebstahl hätte sie sich wohl Zeit nehmen wollen, selbst als sie in einer von Rahja und Satinav geschaffenen Zeitblase gefangen waren hatte sie sich kurz ehe sich die Zeitstarre in Wohlgefallen auflöste offenbar zu ihrem Liebsten begeben. Allein dieser Gedanke gefiel ihm nicht, dass seine vermeintliche Schwester im Geiste sich seit ihren Erlebnissen bei einigen Eingeborenen nahe Al’Anfa einen feuchten Kehricht für ihn interessiert hatte.

Eifersüchtig? Ein wenig – nur nicht auf solche Weise wie der Ritter des alten Weges.

Was wollte sie in Ferdok? „Das geht dich nichts an“, hatte sie zurückgefaucht. Auch sonst schien sie sich, im Nachhinein betrachtet, gewandelt zu haben. Es fühlte sich fast so an, als wäre sie eine Fremde und nicht mehr jenes junge Ding, wegen dem er einen Reiter nach Arivor entsandt hatte oder jenes, welches ihm mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen in die Seite knuffte. Er war unzufrieden. Sie war irgendjemand, aber nicht die Neferu, die er wenigstens zu mögen gelernt hatte. Nicht die, die sich herausnahm in jeder noch so unpassenden Situation einen schlechten Scherz auf seine Kosten zu machen. Je mehr er darüber nachdachte, kam ihm auch Garion in den Sinn. Armer Bronnjar. Gerade jetzt sitzt er wahrscheinlich in Grangor, alleine. Denn die, mit der er den Bund Travias eingehen wollte, wandte sich von ihm ab und einem Bettler zu. Armer Rondrit. Als wäre er, betrachtet man seine Herkunft und sein Wesen, seinen Glauben und die Marotten… nicht schon genug von den Göttern gestraft worden.

Daher war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Bronnjar sich ebenfalls aus Grangor zurückziehen würde. Nach Arivor – oder zu Ithar, ins Bornland. Irgendwohin, wo er „seine“ Neferu nicht sehen müsste, wo er seinen Kummer, das Leid und das Wehklagen in dem Lernen neuer Liturgien oder körperlicher Ertüchtigung mit dem Schwerte ertränken könnte. Und dann war es das, vermutlich. Neferu würde sich auf Phexdan einlassen und er sich gewiss auch auf sie, Garion Rondrior von Arivor würde irgendwann ehrenvoll in einer Schlacht zugrunde gehen und er, …er würde erst einmal die Zeit bei Mirhidan genießen. Und dann weitersehen, ob es möglich wäre das eigene „Schicksal“ in ein noch besseres Licht zu rücken, im Vergleich zu dem tragischen des ehemaligen, bornländischen Sonnenlegionärs. Verkneifen konnte sich Rahjard ein mattes Schmunzeln in diesem Moment nicht, obwohl er fast ein wenig Mitleid für den Geweihten empfand.

Um dieses Ziel jedoch zu erreichen war es erst einmal vonnöten, seine sieben Sachen zusammenzupacken und Grangor zu verlassen. Eine leichte Aufgabe, deren Erfüllung er am nächsten Morgen mit Nestor im Schlepptau in Angriff nehmen wollte. Endlich… weg.

Grangor 10 (Rahjard)

Schweigend sah sich Rahjard im Zimmer um, dass er am vorherigen Praioslauf bezogen hatte. Dem jungen Phexje hatte er diesen Entschluss bereits zwei Tage zuvor verraten, das Haus Hortemann nach all den Monaten hinter sich zu lassen. Selbst das Bitten und Flehen der kugelrunden Töchter des Altvorderen hatte ihn nicht umstimmen können. Um nicht zu viel Aufsehen zu erregen hatte er es auch vorgezogen, sich nicht bei Garion oder Neferu abzumelden. Davon abgesehen hatte er sich erhofft, allmählich Abstand vom Gedanken der Garetherin mit dem Grangorer nehmen zu können. Und es würde ihnen vielleicht auffallen, dass er und seine Sachen sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatten.

Ruhig verschränkte er die Arme vor der Brust und schüttelte mit Blick aus dem Fenster, auf den Pilgerhafen, sachte das Haupt, schmunzelte dann jedoch plötzlich, als er sich den Namen des Gasthauses noch einmal auf der Zunge zergehen ließ – Silberfisch. Diese Veränderung sollte ein erster Schritt sein, ein erster Schritt fort aus Grangor. Die Fakten sprachen für sich… weder die Bettler, noch seine eigentlichen Begleiter würden ihn vermissen. Jedoch gab es noch immer eine Frage, auf die er keine Antwort kannte: „Wohin des Weges?“

Ein leises Seufzen entglitt seinen Lippen und er senkte den Blick zu dem kleinen Tisch, der unter der Fensterbank seinen Platz gefunden hatte. Darauf lag ein zusammengerolltes Papier, das er vor Wochen schon beschrieben hatte. Eigentlich wollte er es einem Beilunker oder sonst einem Boten anvertrauen, doch würde er auf diese Art und Weise nur das werden, was Neferu ihm vorwarf zu sein: ein Herzensbrecher. Nur warum wollte er überhaupt, wie kam er auf den Gedanken, ausgerechnet die geduldige Mirhidan aus ihrem goldenen Käfig zu entlassen? Ein Fehler, bedachte man, dass sie seine einzige, wirkliche Möglichkeit darstellte sich zurückzuziehen, außer er wollte selbst in seinem Schließfach in der Nordlandbank liegen.

Eher nebenbei hob er Mittel- und Zeigefinger der Rechten und kratzte sich an der Stirn. Als er beim letzten Mal einen Gedanken an sie verschwendet hatte, war sie noch die Wanderhure. Doch konnte sie ihm auch schlecht das Gegenteil beweisen. Wenngleich sie ob seiner Art wohl ahnen konnte, dass wenigstens er sich immer wieder Lust verschaffte – oder verschaffen ließ. Während sie geduldig abwartete…? Akribisch schüttelte er den Kopf und strich sich mit dem Zeigefinger nochmals über die Stirn, über die sich eine unnatürlich lange Falte erstreckte.

Zumindest Rahja war ihm nicht böse. Dann konnte es doch eigentlich nicht falsch sein.

Außer man belächelte Rahja und setzte den Glauben an Travia als Maßstab an. Dann wäre er verdammt, ein Dasein in den Niederhöllen zu fristen. Wieder schüttelte er den Kopf. Wenn er ehrlich zu sich selbst sein sollte, wusste er selbst nicht was er wollte. Durchatmend neigte er sich leicht vor und nahm das Papier mit der Rechten auf, nahm es in beide Hände und zerriss es etwa mittig. Nicht mal der erbärmlichste Weiberheld, würde sich solcher Methoden bedienen. Jedoch… bleib offen, was nun aus ihm und Mirhidan werden sollte. Besuchen würde er sie auf jeden Fall, auf ewig bleiben würde er nicht. Noch nicht. Vielleicht eines Praioslaufes, wenn er alt und gebrechlich war… wenn er sein durch und durch rahjagefälliges Leben in vollsten Zügen genossen hatte. Dann vielleicht… was?

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ließ sich Rahjard in den abgenutzten Sessel fallen der rechts neben ihm stand und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Das Bornland würde er auf jeden Fall aufsuchen. Also von Grangor nach Ferdok, von Ferdok nach Gareth und weiter nach Festum. Eine halbe Weltreise, die ihn immernoch weniger Dukaten kostete als zwei Wochen in Grangor. Naserümpfend legte er den Kopf in den Nacken und sah zur Decke auf.

Erst dann fiel ihm ein, dass er wahrscheinlich schon seit Tagen, wenn nicht Wochen… kein wirkliches Wort mehr mit seinen Begleitern gewechselt hatte. Wenn sie es nicht mitbekommen würden, wäre das aber auch kein Beinbruch. Neferu hatte Phexdan, das schien sicher… und Garion einen neuen Wilbur. Zwar etwas massiger, höchstwahrscheinlich aber ähnlich fromm und hilfsbereit.

Das Beste an diesem Wilbur war allerdings, wenn man es ernsthaft betrachtete, dass er kein Gaukler war. Denn Gaukler brachten ihm einfach kein Glück.

Grangor 3 (Rahjard)

Missmutige Blicke striffen zur Traviastunde immer wieder das hölzerne Einzelbett, in dem seine Begleiterin und zeitweise auch der Knappe der Göttin ihre Ruhe gefunden hatten. Voneinander getrennt. Neferu hatte ohnehin kaum bis kein Interesse an Garion – oder war sehr talentiert, tiefergehende Gefühle für den Rondriten mit reiner Schauspielkunst zu übertünchen. Kurzerhand legte sich ein mildes Schmunzeln auf seine Lippen und er hob den Blick schließlich zum Fenster an. Eigentlich konnte es ihm herzlich egal sein, mehr Hoffnungen durfte sich in diesen Stunden wahrscheinlich Phexdan machen. Dieser Bettler – und Gaukler. Immer diese Gaukler. Das Schmunzeln wich zunehmend einem ernsteren Gesichtsausdruck, ehe es durch ein Augenrollen endgültig abgelöst wurde. War er denn der einzige, der diesen Leuten nichts abgewinnen konnte?

Sein Brechreiz hätte ihn schon damals in Andrafall beinahe übermannt, als sich der Rondra-Geweihte Hals über Kopf in den hübschen und keuschen Gauklerburschen Wilbur verliebt hatte und ihn am liebsten mit sich genommen hätte. Tragisch, dass Wilbur gegenüber seiner Familie einige Verpflichtungen hatte. Sonst würde er es, damit rieb Rahjard sich mit beiden Händen ruhig über das Gesicht, an diesem Praioslauf mit gleich zwei passabel dreinblickenden Gauklern zu tun haben, die seiner Begleitung den Kopf verdrehten.

Seufzend erhob er sich und öffnete eine seiner Gürteltaschen – ein Wunder, noch war es Grangor nicht gelungen, Rahjard seiner Reichtümer zu berauben. Dann schüttelte er kurz den Kopf. Selbst wenn es Zeit war zu versuchen, Neferu von Phexdan zu trennen und Garion von einem etwas dickeren, hässlicheren Wilbur – wo zog es ihn nach diesen Ereignissen, den Morden an den Altvorderen und der Zerstörung des Namenlosenkultes überhaupt hin?

Vielleicht Neersand, Hinterbruch… Mirhidan. Die einzige Frau seit Jahren, die er sich schon lange hielt. Sozusagen etwas ernstes oder auch nicht. So wie sie aussah, konnte sie sich vor Angeboten wahrscheinlich kaum retten und liebte es, mit irgendwelchen Fremden in den Rahja-Tempel zu gehen… um zu beten. Selbstverständlich. Was sollte sie auch sonst mit diesen Leuten tun, einmal davon abgesehen, dass sie sich um deren Wunden kümmern konnte?

In diesen Tagen war ihm aber nach allem, nur nicht nach dem Bornland. Was er benötigte war, so murmelte er es zumindest zu sich, „ein wenig Abwechslung.“ Ein wenig Vergnügen, nicht unbedingt in einem Tempel. Eher in einer Art und Weise, wie Dora es wohl verstanden hatte sie zu leben. Ein langgezogenes Seufzen drang mit einem Mal durch den Raum. Rahjard blinzelte – und sah zu dem Fuchs vor seiner Nase.

„Abwechslung – du willst gehen?“, fragte Phexje und umklammerte das Geschenk des garether Fräuleins wieder mit beiden Armen und Händen. Wortlos ließ sich Rahjard mit dem Rücken voraus in sein Bett zurückfallen. „Nein, noch… nicht“, raunte er dem Jungen zu.

„Nur das Haus verlassen, denn ich denke, wir sind deinem Vater lange genug zur Last gefallen.“

[1][2][3][4]