Bettler und Gaukler

Grangor 6 (Neferu)

„Rahja liebt jeden. Warum glaubt Ihr, dass es bei Euch nicht so ist?“ Wurde sie begrüßt.
Ein gutaussehender Moha, der vom Aussehen her auch ein Tulamide hätte sein können, nahm sich ihrer an. Sie wurde in eines der nobel anmutenden Badebecken geführt und ausgiebig, aber sanft gewaschen, nicht ohne den Geweihten zu ermahnen, sie nicht an den heiligsten Stellen zu berühren (aus irgendeinem Grund empfand sie das als Anmaßung, selbst von einem Diener der Liebesgöttin – oder eher erst recht deshalb.).

Sie ließ es sich nicht nehmen mit dem Rahjapfaffen über drei Stunden zu diskutieren, über Liebe, Schmerz, Travias Ansichten und die Vereinigung zweier Leiber.
Seine rahjaische Auffassung von alledem trieb ihr hauptsächlich nur ein Stirnrunzeln auf das Gesicht. Diese Verrückten kannten keine solch inbrünstige Liebe, dass sie eine einzige Person für sich allein hätten haben wollten. Der Gedanke war ihnen fremd und der Geweihte bezeichnete ihn gar als egoistisch.
Sie rauchte Rauschkraut – das erste Mal in ihrem Leben. Sie rauchte viel Rauschkraut. Zuviel.
Bunte Punkte und verschwommene Farben waren in ihre Wahrnehmung gedrungen, als der Moha sie in einen der abgeschiedenen Nebenräume geführt hatte.
Sie hatte bereits zuvor verlauten lassen, dass der, dem ihre Liebe einzig gehörte (für den Rahjapriester ein unrichtiger Umstand) flinke Finger besaß. Nun, durch die Auswirkungen des Krauts gab sie auch seinen Namen preis.
„Phexdan…“
Der nackte, gutgebaute Südländer kannte ihn. Er bestätigte, dass Phexdan oft mit den liebestollen Bewohnern des Tempels, also der Priesterschaft, das Lager teilte.
Etwas zuckte unter Neferus Auge, sie hatte genug gehört.
Während der Geweihte sie eingehend massierte und beide sich fortwährend unterhielten, gab es wenigstens ein Thema, das Neferu ein Schmunzeln auf die Lippen zwang: Offensichtlich hatte Abelmir, so der Name des Schönlings, intimen, wenn auch nicht zu intimen Kontakt zu Richard gehabt. Immerhin, vielleicht konnte sie ihren Frust etwas dämpfen, indem sie ihre Mitwisserschaft dem langjährigen Kumpanen neckend unter die Nase rieb.
Die Halskette – ein Erinnerungsstück. Sie lenkte das Thema zu ihrem eigentlichen Kernproblem zurück. Der Geweihte legte ihr seine Sicht der Dinge dar und schilderte ihr bildlich mit einer anderen Rahjageweihten, dass „Erinnungsstücke“ nicht unbedingt Vergangenheit sein müssen (Die Frau hatte ihm ebenfalls vor einigen Jahren eine Kette geschenkt und immer noch liebten sie sich heiß und innig – körperlich natürlich.).
Auch für die Rondriten fand Abelmir einige beschwichtigende und positive Worte.
Neferu seufzte und zog so lange an der Rauschkrautpfeife, dass sogar der Rahjageweihte sie ermahnen musste, während er ihre Pobacken massierte, was ihr mittlerweile – verklärt durch den Rausch – auch einerlei war.
Mehrere Stunden verbrachte sie mit dem fremden Mann, bis sie sich anschickte zu gehen. Sie erhielt von dem Moha noch ihren allerersten lang anhaltenden und tief intensiven Zungenkuss, ehe sie sich berauscht auf die nächtigen Straßen wagte. Obwohl… nächtlich? Es musste bereits früher Morgen sein.
Ihr wurde blümerant zu Mute und sie lehnte sich keuchend an eine Hausmauer.
Schweißperlen traten auf ihre Stirn und flackernde Punkte und Kreise in allen Farben tanzten um sie herum – ganz offensichtlich war sie diese Drogen nicht gewöhnt.
Schwankend und mit wattigen Gedanken schwebte und strauchelte sie vorwärts durch die menschenleeren, grangorianischen Gassen.

Irgendwann, das Zeitgefühl hatte sie endgültig verloren, fingen ihre stecknadelkopfgroßen Pupillen Phexdans Brücke ein. Sie schleppte ihren Körper, der nicht ganz so reagierte, wie sie es gewohnt war zu dem Flecken Grund, auf dem der junge Hochgeweihte sich für gewöhnlich tagsüber aufhielt.
Nur ganz kurz ausruhen…

Grangor 5 (Garion)

Müde ließ er seinen Blick durch das kleine aber gemütliche Zimmer schweifen. Es war etwas größer als die Kammer, die er in Arivor bewohnt hatte. Das Bett war frisch bezogen, weiße Bezüge – eine Seltenheit, musste man sie doch öfter wechseln. Das kleine Fenster, das der Tür gegenüber lag war offen und frische Luft durchdrang das Zimmer. Neben dem kleinen Tisch mit Stuhl stand eine Kiste, die offenbar für die Habseligkeiten etwaiger Gäste gedacht war.

Garion verzog das Gesicht. Alles in allem konnte man durchaus sagen, dass er Glück gehabt hatte. Weder hatte sich ein Lüstling an Neferu vergangen, noch war die Stadt vernichtet oder sein Goldbeutel durch einen teuren Tavernenaufenthalt vernichtend geschlagen worden. Ein Tiefer Luftzug erinnerte ihn an seine drei gebrochenen Rippen. Wenigstens hatten die Enden der Knochenbögen keine Organe getroffen – zumindest hatte er keine Schmerzen die darauf hindeuteten. Wieder Glück gehabt. Der Blick des Rondriten wanderte weiter zu seiner rechten Hand. Erst jetzt wo er es sah wurde ihm wieder bewusst, dass diese noch immer den Griff eines recht schweren Zweihänders umklammerte, sodass es schmerzte.
Er schloss die Augen und ließ sich von einem weiteren Atemzug peinigen, ehe er die Waffe an die Wand neben dem Bett lehnte und seine gekrümmten Finger ein wenig öffnete…wieder Schmerzen. Schmerzen schienen sein Schicksal zu sein. Vorsichtig bewegte er die Finger der Rechten ein paar Mal, jedes Mal ein wenig weiter, bis die Haut schließlich zwar noch spannte, die Finger sich aber weites gehend ohne Schmerzen bewegen ließen. Er brauchte dringend ein Bad. Glücklicherweise hatte Richard ihm das Badezimmer der Familie Hortemann, deren Gast er nun schon seit einiger Zeit war direkt am ersten Tag gezeigt, es lag nur eine Tür weiter. Ein Umstand, der ihm mehr als nur recht war, er verspürte wenig Lust sich blutverkrustet, dreckig und stinkend ein weiteres Mal an den Mitgliedern der ohnehin etwas pikierten Familie vorbeischleppen zu müssen.
Vorsichtig begann er die Schnallen auf der linken Seite seines Harnischs zu öffnen. Er mochte die Rüstung. Das momentan ein wenig schmierige Metall wies herausgetriebene Adern auf, wie sie Blätter preis gaben, wenn man sie sich sehr genau besah. Tatsächlich verlieh dieses Muster der Rüstung etwas martialisches, konnte ein zufälliger Beobachter die Blattadern auch für die eines Menschen halten. Aber das störte ihn nicht, er mochte seine Rüstung wie sie war.
Schon riss ihn wieder ein heißer Schmerz aus seinen Überlegungen. Er hatte die Riemen, einem angelernten Automatismus folgend, vollständig geöffnet, was die Rüstung unweigerlich hinab rutschen und auf seine geschundenen Rippen hatte prallen lassen. Er biss die Zähne aufeinander, es war nicht klug sich auf den Schmerz einzulassen! Mit einer schnellen Handbewegung hob er das Gewicht der Rüstung von den Knochen ab und zog sie vollständig von seinem Oberkörper. Eine Wohltat, endlich konnte er freier Atmen, mit weniger Schmerzen. Leise keuchend schob er den Harnisch in die Ecke hinter dem kleinen Stuhl. Erst würde er sein Bad bekommen, dann seine Rüstung. Ein Blick an sich hinab zeigte ihm ein dreckiges, blutiges Leinenhemd grober Machart und eine grobe wollende Hose, die in zwei festen Stiefeln mündete. All das würde eine gute Wäsche benötigen, das musste er einsehen. Seufzend machte er einen Schritt auf die Kiste zu und ging ein wenig steif davor in die Knie, nur nicht zu viel riskieren. Schmerz aushalten mochte tapfer sein, zu dumm sein um Schmerz zu vermeiden war dämlich. Er brauchte neue Kleider, keinesfalls wollte er nach seinem Bad wieder in die Kleider steigen, die er nur am Leib trug. Auch wenn er es jetzt noch nicht merkte – er war sich sicher, dass er gut ohne ihren Gestank leben können würde.
Ein Blick in die Kiste genügte Garion vollauf um zu finden was er suchte. Bis auf einen Satz dunkelblauer Kleidung und zwei dazu passender Stiefel war die Kiste leer. Das was er vor sich sah, war alles was ihm gehörte – alles was er sein Eigen nennen konnte. In dem Versuch diesen Düsteren Gedanken zu entkommen griff er rasch zu. Er hatte Glück gehabt, das würde ihm jeder bestätigen. Immerhin hatte er den Schlag dieses Golems überlegt – und das mit nur drei gebrochenen Rippen. Er hatte außerdem ein Dach über den Kopf und auch die Aussicht auf ein gemütliches Bad in warmem Wasser, völlig ungestört würde ihm so mancher neiden. Trotzdem…er fühlte sich nicht wie vom Glück begünstigt. Er war niedergeschlagen.
An der Tür zum Flur hielt er noch einmal inne und sah zu dem erbeuteten Zweihänder hinüber, den er nach einem Moment des Zögerns am Griff packte und mit sich nahm. Seine Körper dankte es ihm mit einer neuerlichen Schmerzwelle, verkrampfte und übersäuerte Muskeln straften die Taten des vergangenen Tages hart. Mit verzogenem Gesicht öffnete er die Tür seines Zimmers und trat auf den Flur hinaus.
Nur zwei Schritte benötigte er um die Tür des Baderaumes zu erreichen und einen Dritten um in den Schutz des geschlossenen Raumes einzutauchen und die Tür hinter sich zu schließen. Für einen Moment ließ er einfach den Anblick des Raumes auf sich wirken. Das Bad war bereits bereitet. Von dem heißen Wasser in dem Zuber in der Südwestecke des Raumes stiegen wohlige Dampfschwaden auf, die den Raum bereits mit einem angenehm feuchtwarmen Klima versehen hatten. Durch das geviertelte Fenster in der Ostwand des Raumes fiel warmes, honiggelbes Licht auf den hölzernen Boden und in der Nähe des Zubers stand ein Stuhl bereit auf dem er seine Kleider würde ablegen können.
Mit einem hörbaren Atemzug befreite er sich aus der Starre und legte den Riegel vor die Tür hinter sich. Er wollte ungestört sein so lange es ging.

Mit einem Blick auf die lange Klinge in seiner Hand runzelte er die Stirn. Warum hatte er den Zweihänder eigentlich zum Baden mitgenommen? In dem Wunsch das Gewicht loszuwerden lehnte er das große Schwert direkt neben der Tür an die Wand die dieses Zimmer mit dem seinen gemein hatte und trat zu dem Stuhl hinüber um seine sauberen Kleider auf die Sitzfläche zu legen. Nach einem Moment des nachdenklichen Innehaltens schob er die dazugehörigen Stiefel einfach unter den Stuhl. Der Platz war genau so gut wie jeder andere. Rasch sah er sich noch einmal in dem Raum um, er hatte gehofft einige Duftöle…vielleicht sogar DAS eine zu finden.
Ein schmales Brett, dass als eine Art hoch angebrachtes Regal fungierte, über dem Fenster des Raumes bannte seinen Blick. Dort standen einige Tiegel, Flakons und Fläschchen.
Zwei Schritte und einen raschen Blick weiter erklomm ein mattes Lächeln seine Lippen. Da war es…tatsächlich, der Duft seiner sorglosen Jugend. Mit der rechten Hand griff er nach einem der Flakons, der beschriftet war mit „Rapslicht“. Ja, er hatte Glück. Er seufzte leise und senkte den Blick ein wenig um aus dem Fenster hinaus auf den Gang und den sich eine Etage tiefer anschließenden Hof sehen zu können. Die Tore des Kontors mussten weit offen sein, der Hof war lichtüberflutet. Zwei junge, füllige Mädchen stritten dort unten um etwas, dass er hier oben nicht verstehen konnte. Ein melancholischer Ausdruck trat in seine Augen. Die beiden hatten sich in Richard verguckt, das war so offensichtlich, dass es sogar ihm – Garion – nicht entgangen war. Auch auf sie wartete Schmerz, so war das Leben. Mit dem Alter nahm der Schmerz zu. Mit leicht verengten Augen wandte er sich seufzend um. Das Bad würde ihm wenigstens eine angenehme Umgebung für seine Gedanken schaffen, wenn schon keine große Linderung.
Vorsichtig öffnete er den Flakon in seiner Hand und nahm eine Nase des vertrauten Dufts, ein nostalgisches Flackern erfüllte für einen Moment seinen Geist, dann aber zog er das Fläschchen wieder von seiner Nase weg und gab ein wenig seines Inhalts in das Badewasser. Er wusste was passieren würde…es würde nur Sekunden dauern und der ganze Raum würde von dem Duft erfüllt sein, einem Duft, der ihn seltsam schwermütig machen, ihm aber auch das Gefühl der Geborgenheit vermitteln würde.
Er stellte das Fläschchen wieder an seinen Platz als ihn auch schon der warmfeuchte Geruch erreichte, und ihm für einen Moment Tränen in die Augen trieb, die er an nichts festmachen konnte. Hin- und Hergerissen zwischen zwei vorherrschenden Gefühlen zog er sich das vor Dreck starrende Hemd vom Leib und warf es über die Stuhllehne. Die Stelle an der der Golem ihn getroffen hatte war dunkelblau, stellenweise schwarz, nur an den Rändern zeigten sich hier und dort gelbliche Heilungsansätze. Leise atmete er durch und fuhr sich durch die staubigen Haare. Der Heiler hatte gesagt es würde heilen, darauf sollte er sich verlassen. In Gedanken versunken öffnete er die Schnürung der Wollhose und zog sich die Stiefel von den Füßen.
Der Moment der wohligen Wärme war gekommen. Während er sich dem Bottich auf wenige Finger näherte wurde der Geruch, der den Raum wie eine schützende Verheißung durchzog intensiver, ein Kloß bildete sich in seinem Hals und er verharrte einen Moment. Dieser Moment war ein Wechselbad der Gefühle.
Schließlich gelang es ihm den Bann zu brechen. Vorsichtig hob er ein Bein an und setzte es direkt durch die Wasseroberfläche auf den Grund des Zubers. Wieder begrüßte ihn Schmerz, als das heißte Wasser seine Haut umschloss, es prickelte. Ohne abzuwarten setzte er den zweiten Fuß hinterher. Er wusste wie sein Körper reagieren würde. Es würde nicht lange dauern, da würde eine…etwas übertriebene, aber dennoch wohlige Hitze über den Schmerz siegen. Vorsichtig ließ er sich in das Wasser gleiten, konnte spüren, wie das Wasser einen Teil seines Gewichts zu rauben schien, den Druck seiner Muskeln von seiner Lunge nahm. Tief atmete er ein. Jetzt…jetzt war es so weit.
Vorsichtig legte er den Kopf in den Nacken und sah an die Decke hinauf. Seine Zeit in Grangor war anders verlaufen als er sich vorgestellt – sich erhofft hatte. Aber…wann verlief schon einmal etwas wie er es geplant hatte? Ein freudloses Schmunzeln konnte er nicht zurückhalten. Schon in den ersten Tagen seines Aufenthalts war er mit einem Wirt und den Bettlern aneinandergeraten. Er hatte den Bettlern zu wenig geben, hatte Richard ihm erklärt. Aber Garion hatte kaum etwas zu geben. Wenn man es genau nahm gehörten ihm nicht einmal die paar Münzen, die er noch in seinem Beutel verborgen hielt. Seinem Gesamtvermögen von vier Silbertalern und vier Hellern standen Schulden in Höhe von 176…nein…181 Dukaten bei der Nordlandbank gegenüber.
Rasch hob er eine nasse Hand aus dem Wasser und fuhr sich damit über das Gesicht. Er stellte sich vor, wie seine Hand dabei eine feuchte Spur durch sein staubiges Gesicht zog, dann hielt er sich die Nase zu und zog seinen Kopf vollends unter Wasser, strubbelte seine schwarzen Haare durch und rieb sich das Gesicht. Als er wieder auftauchte kam ihm die Luft die sein Gesicht berührte unangenehm kühl vor, auch wenn er wusste, dass es jedem, der diesen Raum betrat wie eine Schwitzhütte vorkommen musste.

Grangor 4 (Neferu)

Die nachfolgenden zwei Monate entpuppten sich als Chaos und als ein Netz der Ungewöhnlichkeiten.
Sie hatte sich ihrem verworrenen Gefühl Phexdan gegenüber nicht hingeben wollen (außerdem wollte sie ihm den Triumph nicht gönnen, sie auf die endlose Liste seiner Eroberungen zu schreiben) und Grangor auf dem Seeweg hinter sich gelassen. Nestor war gut bezahlt worden, damit er sie nicht verriet.

In Ferdok gelangte sie durch Zufall in das Haus eines Magus, der sie mittels Zauberei mit nach Maraskan nehmen wollte, um irgendein arkanes Phänomen zu studieren – gegen gute Bezahlung natürlich.
Maraskan. Scheijian. Ihr kam der Name des Mannes in den Sinn, den sie Jahre lang zu lieben geglaubt hatte. Wenn sie jetzt an ihn dachte, war er ein schemenhafter Geist mit schwarzen Augen, in kurzer Zeit um Monate verblasst. Sie versuchte sich an die Konturen seiner Gestalt in ihrem Geist zu klammern und ihre Ideale in dieses Mitglied des Zweiten Fingers Tsas zu projizieren, den sie kaum kannte. Lange hatte sie ohne Erfolg nach ihm gesucht. Allein um Phexdan weiß zu machen, es gäbe da bereits den Mann ihres Lebens, hatte sie dem Gaukler von Scheijian erzählt. Auch wenn es stimmte und sie noch vor einigen Wochen so gedacht hatte, war er in dem Moment nur ein Mittel gewesen, um sich unerreichbarer und interessanter zu machen. Leider hatte diese Masche bei Phexdan nicht gefruchtet. Sicher war er sie gewöhnt von all den Frauen, die um ihn herumscharwenzelten und um seine Gunst buhlten.
Wie auch immer – der Magier wollte mit ihr nach Maraskan und sie war nur allzu bereit diesen Zufall als Wink der Götter zu verstehen, die versuchten, sie wieder auf den Weg Scheijians zu führen.
Leider hatte die ganze Geschichte dann doch wenig mit den Zwölfen zu tun: Der Zauber schlug fehl und sie landete allein auf einem Baum im Regenwald südlich von Al’Anfa und stieß unglücklicherweise (oder glücklicherweise?) auf eine Gruppe Eingeborene, die sie gefangen nahmen, ihr die geliebten Haare gewaltsam schnitten und sie zwangen einen Hund zu mimen – denn mehr war sie für diese Eingeborenen vom Stamme der Oijianijias nicht wert.
Als das Dorf der Waldmenschen angegriffen wurde, konnte sie sich beweisen. Sie rettete die Häuptlingstochter und erschlug einige Angreifer des feindlichen Stammes. Fortan änderte sich die Situation, sie wurde in den Stamm integriert, bekam ihre eigene Hütte und von beinahe allen Respekt. Besonders zu dem alten Schamanen Hanah-Kau-Kee hatte sie ein gutes Verhältnis, was in einer Blutsbruderschaft mündete. Sie besiegte noch einen untoten, uralten Feind des Dorfes, einen Yaq-Hai und durfte sich von nun an den Titel „Bezwinger des Yaq-Hai“ in der Sprache der Oijianijia nennen, die sie in den Grundzügen erlernt hatte. Der Abschied ergab sich dadurch, dass sie ein bösartiges, Unfrieden bringendes Artefakt in die Zivilisation tragen musste, nicht ohne die Bitte des Dorfes zurückzukehren.
Im Spiegel eines ruhigen Waldsees erkannte sie sich selbst kaum wieder. Ihre Waffe war ein biegsamer Holzstab, umwickelt mit Krokodilsleder und mit den Federn eines Regenbergadlers geziert. Ihr kurzes Haar war durch mehrere Flechtzöpfe wieder bis auf die Brust verlängert worden. Ihre Haut war dunkel, die tulamidische Abstammung in ihr – die auch Phexdan wohl nicht verleugnen konnte – hatte dafür gesorgt, dass sie farblich mittlerweile eher einem Moha glich. Ihr Haar hingegen war ausgeblichen und zusätzlich rötlich getönt worden. Die Kleidung ähnelte grob der, mit welcher sie aufgebrochen war – mit der Ausnahme, dass diese hier, sowohl was das Hemd, als auch den kurzen Rock anging, aus gleichfarbigen Flicken bestand, die kreuz und quer zusammengenäht worden waren – von ihr selbst.
So erreichte sie die Zivilisation und in selbigem Zustand auch nach 50 Tagen Fortbleiben wieder Grangor.
Sie hoffte nach dieser langen Zeit geheilt zu sein von dieser lästigen Vernarrtheit, aber kaum hatte sie das Stadttor passiert, als sie auch schon merkte, dass ihre Füße sie schnurstracks zur „Offenen Hand“ führten.
Sie versuchte sich kurzzeitig zu konzentrieren, um einen Plan zu fassen und aus ihrer Schwäche das Beste zu machen, aber ihr Herz schlug ihr dermaßen zum Hals, dass sie ihre eigenen inneren Worte nicht verstehen konnte. Gelassenheit und Selbstbewusstsein – diese zwei Merkmale versuchte sie zwanghaft und unterstützt durch ein stummes Mantra auszustrahlen, als sie dann doch etwas zu kräftig die Tür zur Pilgerherberge aufstieß. Es wurde still und viele Augen richteten sich auf die dunkelhäutige Frau mit den ungewöhnlichen Zöpfen, die grangoruntypisch komplett in Rot gewandet war.

Ihr erster Blick fiel auf Richard und Garion, die zusammen mit Phexdan an einem Tisch saßen und sie so massiv in ihrer dortigen Kombination irritierten, dass sie wie nach überzogenem Auftritt heischend mehrere Minuten aufrecht und wortlos in der offenen Tür stehen blieb.
„Neferu! Da bist du ja wieder!“ lächelnd und mit ausgebreiteten Armen kam ihr zu allererst Phexdan entgegen, was ihre Irritation in die Grenzenlosigkeit Alverans erhob. Sie hoffte inbrünstig erhaben und ernsthaft zu wirken – glücklicherweise hatte sie darauf geachtet ihren Mund geschlossen zu behalten, um nicht Maulaffenfeil zu halten. Das war doch schon mal was.
Garion wirkte alles andere als glücklich und hatte einen auffälligen Schnitt im Gesicht. Als er zu ihr eilte, besann sich der Fuchs und klopfte ihr nur kurz auf die Schultern, ehe er recht schnell die Herberge verließ.
Neferu wartete immer noch auf sein Zurückkommen, als ihre zwei Begleiter sich lange zu den Hortemanns begeben hatten.
Sie blieb wach und studierte sein Zimmer, wie sie das Durchwühlen und Nachstellen und das stehlen eines Briefes in Geheimschrift gedanklich positiv verpackte. Erst als die Praiosscheibe sich in rotem Licht über Grangor erhob, ging sie schweigend und müde zum Hause Hortemann zurück.

Ein Auftrag erreichte eben jenes Anwesen – Treffen zur 14. Stunde am Rahjatempel. Alle drei folgten dem Aufruf.
Aber stattdessen, wurde ihre Welt aus den Fugen geworfen.
Noch jetzt schluckte Neferu ihre Angst herunter, wenn sie an ihren Tod dachte. Sie war gestorben, weil Ingerimm, Efferd und Rondra so entschieden hatten. Ein Kult des Namenlosen beherrschte insgeheim die Stadt und eine ausnahmslose Zerstörung sollte diese Gefahr bannen. Doch Rahja liebte Grangor und vollzog einen Pakt mit Satinav – die Zeit hatte still gestanden.
Neferu hielt kurz inne. Es war bereits dunkel und etwas windig. Sie rieb wärmend die Arme und blickte sich zögerlich um. Ihre Gedanken hatten sie weit fortgerissen und sie versuchte ihren momentanen Standort zu identifizieren. In der Ferne erblickte sie den Rahjatempel. Sie war wohl mehrfach im Kreis gelaufen. Matt atmete sie aus. Der Rahjatempel.
Sie war Rahja persönlich begegnet, sie hatte die personifizierte Liebe getroffen. Enttäuschung und Verbitterung hatte sie die Göttin spüren lassen, was sie längst bereute. Was sollte folgen auf unglückliche Liebe, wenn man der Liebesgöttin für diese Umstände zürnte? Doch nur noch unglücklichere Liebe. Ihr wurde kalt.
Sie hatte es gewagt die große Göttin anzusprechen.
„Warum quälst du mich?“ War ihre törichte Frage gewesen und die Antwort der Bewohnerin Alverans war folgendermaßen ausgefallen: „Liebe ist Freude und Schmerz.“ Sie hatte in dem Moment die Antwort der Göttlichen als Hohn empfunden, nun gingen ihre Gedanken vollkommen andere Wege. Vielleicht suchte sie die Freude an falscher Stelle? Hatte sie nur ein Talent? Den Schmerz des Gefühls zu spüren und zu entfachen?
Immerhin hatten sie drei es allein geschafft Grangor zu retten. Alle 8000 Menschenseelen – gerettet durch ihre Hand. Weil sie ein Haar rechtzeitig verbrannten, das dem Namenlosen Höchstselbst gehört haben sollte. Auch die Seele von Phexdan… flüsterte es sanft in ihren Gedanken und sie erinnerte sich an den Moment, die letzten Sekunden des zeitlichen Stillstandes, in denen sie wie um ihr Leben rennend zu eben jenem fand, und ihm das Schneeflockenamulett umlegte, bevor sie sich so rasch entfernte wie sie gekommen war. Was er wohl gedacht haben mochte, als ganz plötzlich die Kette an seinem Hals erschienen war?
Sie lächelte in Melancholie bei diesem Gedanken und malte sich in den schillerndsten Farben aus, dass er sie heimlich liebte – ihr Geschenk küsste und es nah bei seinem Herzen trug. Schnell schüttelte sie den rührseligen und unwirklichen Gedanken von sich.

Was hatte sie anschließend getan, nachdem bekannt geworden war, dass die Fremde aus Gareth und ihr Begleiter (von Garion hatten die Bewohner von Grangor wohl noch nicht viel mitbekommen) sie alle gerettet hätten? Sie war ins Haus Hortemanns gegangen, hatte zielstrebig das Zimmer vom spielenden Phexje aufgesucht und war dem Kind heulend wie ein Klageweib um den Hals gefallen.
Aus irgendeinem Grund erschien ihr der kleine Fuchs in dem Moment als der einzige Trost. Er bat ihr seinen Holzfuchs an, doch sie erneut Mut und Kraft nach diesem Einbruch schöpfend, erhob sich und sprach in leiser Ruhe: „Behalte ihn, Phexje. Ich muss meinen eigenen Fuchs finden.“
Die Antwort des Kleinen kam unerwartet.
„Wenn du das Füchschen suchst… versuch es mal hinter dem Efferdtempel.“
Wenige Sekunden war sie perplex gewesen. Das Füchschen? Phexdan?
Zwar hatte sie mit ihren Worten ausdrücken wollen, dass sie denjenigen, der durch Rahja für sie bestimmt worden war noch würde finden müssen, aber der sofortige Hinweis auf Phexdan durch seinen kleinen Bruder, gab Neferu seltsame Hoffnung, die sie aus Angst mit Pessimismus zu vertreiben suchte.
Dennoch, sie drehte sich um und rannte, nicht achtend auf die Menschen, die ihr den Weg versperrten, die stechenden Lungen kaum spürend.
Sie gelangte zu jenem Garten, spähte über die hohe Mauer, die sie unter skeptischen Blicken erklommen war und sah ihn. Phexdan, wie er sich sorgsam um die Pflanzen des Tempelgartens kümmerte.
Ihre Gedanken hatten einen Ausflug in die Vorstellung einer perfekten Zukunft gewagt und zeichneten sie selbst, wie sie nach ihm rief – er, wie er sich erhob und auf sie zulief – und sie beide, wie sie sich innig und in endlich erkannter, gegenseitiger Liebe umarmten.
Wunschträume, die sie auch aufgrund ihres Kitschgehaltes peinlich berührt fortwischte.
Sie fasste sich ein Herz und näherte sich so leise es ihre Schritte vermochten, ehe sie sich noch ungesehen neben ihm niedersetzte. Er schien wirklich überrascht.
Wieder begann sich ein Redeschwall von ihren Lippen zu lösen. Sie hatte noch immer nicht herausgefunden, worauf dieses Phänomen möglichst viel in seiner Gegenwart sinnlos und haltlos zu plappern rührte. Hatte sie Angst er könne etwas sagen, dass sie mehr verletzte als Klinge oder Pfeil?
Sie gab ihm den gestohlenen Brief mit der Geheimschrift aus seinem Zimmer zurück und zeigte deutliche Reue.
„Du kannst alles haben, was ich am Leib trage.“ Dieser Satz fiel während des Gespräches über die Aneignung des Briefes. Für was hielt er sie? Sie wollte keinen schnöden Mammon, sie wollte …-
„Ich will nicht, was du am Leib trägst!“ brüskierte sie sich etwas zu ereifernd.
Seine Antwort war ein Grinsen.
„Willst du etwa den Leib?“ Unter wildem Verneinen versuchte sie das Erröten ihrer Wangen zu unterdrücken.
Sie erzählte ihm außerdem, wie die Kette um seinen Hals gelangt war.
„Ich denke, die Kette reicht mir als Erinnerung.“
Ihr Herz wurde schwer. Er hatte sie gedanklich bereits weit fort geschickt und sich mit einem Souvenir zufrieden gegeben. Ihre Fantasievorstellung beidseitiger Liebe zerbrach schmerzhaft in zwei Teile.
Nachdem sie Rahjarosen gepflanzt und währenddessen monologisiert hatte, wie ungut sie und eben diese Göttin der Liebe sich verstünden, verließ sie den Garten.
Doch kaum hatte sie das Tor passiert, rebellierte alles in ihr und sie musste sich die ungeheure Blöße geben, umzukehren. Sie hatte doch glatt vergessen, sich lächerlich zu machen.
„Willkommen Zuhause.“ Begrüßte er sie lächelnd.
Sie hatte ihr Versäumnis nachgeholt und ihm erklärt, dass sie seine Zeitstarre nicht ausgenutzt hätte. Dann… verließ sie den Garten endgültig.

Ihre Gedankenfahrt neigte sich dem Ende, ebenso ihr zurückgelegter Weg.
Sie stand vor den noch offenen Toren des Rahjatempels. Unschlüssig, frierend und doch in gewisser Weise festen Willens, spendete sie dem Tempel der Göttin von Schönheit, Liebe und allen Wonnen zwanzig Dukaten.
„Betet für mich..“ raunte sie den Tempelwachen durch die Zähne zu und begab sich hinein.
Als sich die nächstbeste geweihte Person an sie wandte, sprach sie in melancholischer Ruhe:
„Ich glaube… Rahja liebt mich nicht. Ich fühle mich starr und erfroren, jenseits von Küssen und Zärtlichkeit in wahrhaftiger Liebe. “

Arivor 1 (Garion)

Sein rechter Arm schmerzte noch immer, als er die kleine Kammer betrat, die ihm während seiner Zeit in der Ordensfestung in Arivor als Heim diente. Vor den Mauern der wehrhaften Anlage hatte sich die Dunkelheit schon vor Stunden über das Liebliche Feld gesenkt, aber das hatte keinesfalls das Ende der Kämpfe in der Übungshalle bedeutet. Ständig wechselnde Gegner machten es unmöglich sich auf einen bestimmten Kampfstil zu verlassen – genau wie es gedacht war. Kurz vor den offiziellen Schlafzeiten war einer der Ritter der Göttin zu seinem Gegenüber geworden und hatte ihm das Schwert mit einem Schlag aus der Hand geprellt, dessen Wucht er jetzt noch zu spüren glaubte. Vorsichtshalber schob er die Tür der Zelle mit seiner linken Hand in’s Schloss zurück, ehe er sich den rechten Oberarm noch einmal rieb und seine Waffenhand ein paar Mal öffnete und wieder schloss. Langsam begann das Gefühl der Taubheit sich zurück zu ziehen. Wie er dieses unangenehme Kribbeln hasste…

Schließlich ließ er seinen Blick über die Einrichtung der Kammer schweifen. Viel war es nicht, aber viel besaß er ja schließlich auch nicht. Sein Blick glitt über den großen Doppelkhunchomer, der nahe des Eingangs an der Wand lehnte. Er hatte sich angewöhnt ihn von innen an die Tür zu lehnen, seit er hier war. Zwar war nicht zu befürchten, dass jemand versuchen wurde gerade HIER einzubrechen, aber er hatte sich nun einmal dran gewöhnt die Türen seines Schlafplatzes auf diese Weise zu sichern.
Kurz rieb er sich über die Augen und das von Bartstoppeln übersäte Gesicht. Trotz der Anstrengung des Tages war ihm noch nicht danach sich in das kleine Bett in der Nordwestecke des Raumes zu legen. Stattdessen fand sein Blick den Weg hinüber zu dem niedrigen Waschtisch aus dunklem Holz. Er war ein Teil des spärlichen Luxus‘ der sich in dem kleinen Raum verbarg.
Warum sollte er die Zeit die er ohnehin nicht würde schlafen können nicht sinnvoll nutzen? Mit zwei langen Schritten überwand er die Distanz zu dem hölzernen Möbelstück und klappte es auf. Ein wenig verzogen, aber doch gut zu erkennen sah ihm sein eigenes Antlitz entgegen, reflektiert von der polierte Silberscheibe im Deckel des Tischchens. Ja – seine Hand hatte ihn nicht getrogen, eine Rasur konnte ihm durchaus nicht schaden. Ein Wunder, dass ihn niemand darauf angesprochen hatte…andererseits…vielleicht war das der Grund für diesen mächtigen Schlag?
Mit einem gezielten Griff fischte der junge Rondrit das zusammengeklappte Rasiermesser aus den „Tiefen“ des Tischchens und betrachtete es einen Moment. Der Griff, der zugleich als Schutz für die Klinge aus scharfem Stahl diente, war aus einfachem Holz, sogar ziemlich abgegriffen. Das Messer war schon in Gebrauch gewesen, ehe er es besessen hatte. Trotzdem und trotz des Umstandes, dass es gestohlen war, war es sein wertvollster Besitz. Mit einer vorsichtigen Bewegung zog er die Klinge aus dem Griff hervor und betrachtete sie einen Moment. Er hatte sie gesäubert und geschärft, bis sie ihrem Ruf als Rasiermesser alle Ehre machte, es begleitete ihn auf jede Reise und er war sich sicher, sollte es dereinst nicht mehr zu gebrauchen sein, würde er es eher ausbessern lassen, als sich ein neues zu kaufen.
Wieder glitt sein Blick auf die spiegelnde Fläche vor ihm. Er hatte keinen Rasierschaum, überflüssiger Luxus, den er sich weder leisten konnte, noch wollte – ein wenig Wasser reichte vollkommen.
Rasch stieß er die linke Hand in das Wasser der Schüssel am Grund des Waschtischs und benetzte seine Wangen, das Kinn und die Oberlippe. Dann atmete er noch einmal tief durch und setzte das Messer an um den Kampf gegen seinen Bart zu beginnen.
Während das leise, auf eine merkwürdige Art vertraute schaben des Messers in seine Ohren drang, begannen seine Sinne zu schweifen. Er fühlte das griffige Holz des Rasiermessergriffs unter seinen Fingern, spürte wie die scharfe Klinge seine Wangen striff und auf ihrem Weg jedes Haar mit sich riss, das hervor sprießte. Nur noch eine Woche würde er hier bleiben, dann würde er sich wieder auf den Weg machen müssen. Mit sorgenvoller Miene dachte er an seinen schwächlichen Goldbeutel. Das gute Stück hatte diesen Namen gar nicht verdient. Alles was sich darin befand waren vier Silbertaler und 4 Heller, von Gold war gar nicht zu reden. Und doch würde es reichen müssen, zumindest vorerst. Wie es ihm in Arivor anbefohlen worden war hatte er vor eine Reise zu unternehmen, eine Reise die ihm die großen Tempel der Herrin Rondra zeigen sollte.
Einen Moment hielt er in der Rasur inne. Vielleicht hatte er ja Glück? Sein Blick legte sich auf die Schneide des Rasiermessers in seiner Hand. Ein paar schwarze Barthaare hatten sich dort niedergelassen, die er rasch mit seinem Daumen abwischte. Vielleicht hatte er ja Glück und er würde auch diese Reise nicht alleine antreten müssen? Einen Moment lang sah er in die Spiegelung seiner eigenen Augen hinab und betrachtet sie nachdenklich. Dann aber wandte er sich der zweiten Wange zu, wobei er darauf achtete den Spitzbart an seinem Kinn nicht zu sehr auszudünnen. Er wollte nicht diese horasischen Bartstreifen, sondern einen richtigen Kinnbart.
Wieder begann das charakteristische Schaben der Rasur und befreite die Gedanken Garions von der Enge der Kammer um ihn herum. Er würde zuerst nach Gareth reisen – zu Fuß, die Kutschfahrt dorthin war viel zu teuer. Mit ein bisschen Glück würde er dort, im Südquartier, im Roten Hahn auf Neferu und Richard treffen.
Leise atmete er ein. Neferu, sie war es, die ihm das Rasiermesser geschenkt hatte. Sie war schön, ohne jeden Zweifel, aber das war es nicht, was ihn an ihr faszinierte, jedenfalls nicht das alleine. Vielmehr war es ein gewisses Funkeln in ihren grünen Augen, das ihn von Anfang an gebannt hatte, das ihn dazu gebracht hatte freche Spitzen zu ertragen und ihnen sogar eine lustige Seite abringen zu können. Sie waren schon Wochen lang unterwegs gewesen. Mit Richard und ohne Richard. Sie war sogar in sein Bett gekrochen…nur weil ihr kalt war natürlich. Er wagte sich nicht einzubilden, dass sie etwas für ihn empfinden mochte. Andersrum allerdings…

POCH,POCH – es klopfte. Mit gerunzelter Stirn wandte Garion sich zur Tür um:“Herein!“, wer mochte um diese Zeit noch stören? Die allgemeine Bettruhe hatte schon seit sicher einer halben Stunde Bestand. In der sich öffnenden Tür erblickte er einen jungen Novizen, sicher nicht älter als 12, vielleicht 13 Jahre. Er hielt ein gesiegeltes Stück Papier in der Hand.

„Herr, ein Beilunker Reiter brachte dies für euch. Er sagte der Absender hätte ihm aufgetragen auszurichten es sein dringend!“, das Gesicht des Jungen war ein wenig gerötet, er war offenbar gelaufen.
„Lies es vor, Junge.“, damit wandte er sich wieder der Silberscheibe zu. Es fehlte nur noch ein kleiner unnachgiebiger Flecken auf der rechten Seite, dann war er fertig. Dem lesenden Jungen hörte er nur mit halbem Ohr zu, die Details konnte er später noch einmal selbst lesen. Das wesentliche schien ihm, dass Richard und Neferu in Grangor waren. Offensichtlich hatten sie in Gareth ein recht lukratives Angebot bekommen und waren ihm nach Grangor gefolgt. Er setzte zur letzten Bewegung an.

„Ein armer Teufel schindet sich, das stadbekannte, garether Fräulein von etwa zwangzig Götterläufen seiner Engelsreinheit zu berauben. Seit Wochen schon stellt er ihr nach und sie ist nicht mehr in der Verfassung sich gegen den Halunken zu erheben.“, Garion spürte das bösartige Brennen einer glatten Wunde auf seiner Wange, ehe er realisierte, dass er zusammengezuckt war. Engelsreinheit rauben?! Er stellt ihr nach und sie kann sich nicht mehr gegen ihn erheben?!
Ohne auf das Blut zu achten, dass seine Wange hinunterfloss ließ er das Rasiermesser in die Waschschüssel fallen und wirbelte zu dem Novizen herum.
„Gib schon her!“, fuhr er ihn an und riss dem verdatterten Jungen das Pergament aus der Hand. Rasch überflog er die Zeilen um sich auch ganz sicher zu sein sich nicht verhört zu haben. Tatsächlich! Da stand es schwarz auf weiß. Er fasste einen Entschluss.

„Herr? Darf ich mich zurückziehen?“, entkam es den Lippen des Novizen leise.
„Nein, darfst du nicht. Pack meine Sachen zusammen und gib dem Ordensmeister Wort. Ich werde meine Kammer noch heute Nacht räumen, es gilt die Ehre einer jungen Frau zu retten, Rondra würde mir zürnen ließe ich auch nur eine Sekunde verstreichen. Na los! Lauf!“, die Gedanken kreisten in seinem Kopf. Beilunker Reiter waren schnell, aber der Bote hatte für den Weg von Grangor bis nach Arivor sicher anderthalb, eher zwei Tage gebraucht. Hoffentlich war es nicht bereits zu spät.

Schnell wischte er sich mit dem Handrücken das Blut von der Wange, mehr Zeit war nicht, die Wunde würde an der frischen Luft rasch verkrusten, es war unsinnig sich über diesen kleinen Schnitt aufzuregen. Er warf sich ein dunkelblaues Hemd tulamidischer Machart über und wandte sich dem Zimmer zu. Es war einer der wenigen Augenblicke wo er froh war kaum Besitztümer sein Eigen zu nennen, es würde kaum sehr lange dauern alles, was in der Kammer war zusammen zu räumen. Seine Rüstung würde der Noviz aus der Rüstkammer holen. Mit einem schnellen Griff fischte er das Rasiermesser aus der niedrigen Schüssel und wischte es oberflächlich an seiner Hose ab. Das musste reichen – er würde es in Grangor neu Ölen. Im Vorbeigehen griff er das Papier vom Schreibtisch, knüllte es zusammen und schob es in eine Tasche seiner Hose. Zuletzt packte er den Doppelkhunchomer knapp unter dem Heft an der Scheide und löschte die Kerze, die den Raum erhellt hatte, dann trat er auf den Flur hinaus.

Am Portal der Festung angekommen stand der Novize bereit:“Der Ordensmeister ist unterrichtet, Herr. Er versichert euch, dass ihr die rechte Entscheidung getroffen hat und, dass die Herrin es gut heißen würde, wenn ihr eure Fähigkeiten nutzt um Grangor schneller zu erreichen. Was er damit meinte wollte er mir nicht sagen Herr.“, Garion stutzte. Sicher, er hatte erwartet, dass der Ordensmeister gutheißen würde, was er tat…aber das…? Er nickte dem Jungen zu.
„Gut, danke. Hilf mir die Rüstung anzulegen, ich habe es eilig.“

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„Ärgerlich, das war absolut unnötig!“, huschte es Garion durch den Kopf. Er war ungehalten, er hatte den Weg nach Grangor schnell bestreiten wollen und jetzt das! Rasch warf er einen Blick durch die Äste des Gebüsches das ihn verbarg zu den drei Männern. Einer von ihnen war mit einem Netz bewaffnet, zu dem er nur einen Langdolch trug, die anderen Beiden mit langen Speeren. Sie suchten ihn, das war ihm klar, er hatte eben doch übertrieben. Wäre er doch nur nicht auf der Straße geblieben, aber der Weg war ihm so ungewohnt vorgekommen und die Angst Zeit zu verlieren, weil er sich verlaufen könnte hatte ihn getrieben! Er konzentrierte sich wieder auf die Männer. Er konnte sie von hier aus nur in schwarz-weiß sehen, aber es reichte doch sie auseinander halten zu können.Sie hatten sich aufgeteilt, die Männer mit den Speeren waren nach rechts und links, zu den Bäumen rübergegangen, aber der schmierige Kerl mit dem Netz hielt direkt auf sein Gebüsch zu. Das war seine Chance, dieser Kampf war ungleich, aber er hatte nicht vor ihn ernsthaft zu führen, er wollte nur durchbrechen und seinen Weg fortsetzen. Nicht, dass er dem Kampf ausweichen wollte, oder Angst davor gehabt hätte – nein, aber er durfte sich nicht aufhalten lassen, Rondra würde dafür Verständnis zeigen.
Als der Mann sich dem Gebüsch bis auf zwei Schritt genähert hatte, sprang Garion mit einem langen Satz auf ihn zu. „RONDRA!“, wollte er brüllen, was aber in die Nacht hinausschallte, war das wütende Gebrüll eines Löwen.
Die Wucht des Angriffes Riss den Mann mit den Netz von den Füßen, noch im Fall rief er panisch um Hilfe, ehe ihn die 160 Stein des Löwen unter sich begruben und verstummen ließen. Ohne einen Blick zu den Seiten zu werfen kam Garion wieder auf die Tatzen – der Weg war frei! Ohne weitere Zeit zu verlieren setzte er mit langen Sprüngen auf den Waldrand im Nordwesten zu. Die Narren würden es nicht wagen ihre Speere zu werfen und einholen würden sie ihn erst recht nicht…dafür waren sie viel zu langsam.

Grangor 3 (Rahjard)

Missmutige Blicke striffen zur Traviastunde immer wieder das hölzerne Einzelbett, in dem seine Begleiterin und zeitweise auch der Knappe der Göttin ihre Ruhe gefunden hatten. Voneinander getrennt. Neferu hatte ohnehin kaum bis kein Interesse an Garion – oder war sehr talentiert, tiefergehende Gefühle für den Rondriten mit reiner Schauspielkunst zu übertünchen. Kurzerhand legte sich ein mildes Schmunzeln auf seine Lippen und er hob den Blick schließlich zum Fenster an. Eigentlich konnte es ihm herzlich egal sein, mehr Hoffnungen durfte sich in diesen Stunden wahrscheinlich Phexdan machen. Dieser Bettler – und Gaukler. Immer diese Gaukler. Das Schmunzeln wich zunehmend einem ernsteren Gesichtsausdruck, ehe es durch ein Augenrollen endgültig abgelöst wurde. War er denn der einzige, der diesen Leuten nichts abgewinnen konnte?

Sein Brechreiz hätte ihn schon damals in Andrafall beinahe übermannt, als sich der Rondra-Geweihte Hals über Kopf in den hübschen und keuschen Gauklerburschen Wilbur verliebt hatte und ihn am liebsten mit sich genommen hätte. Tragisch, dass Wilbur gegenüber seiner Familie einige Verpflichtungen hatte. Sonst würde er es, damit rieb Rahjard sich mit beiden Händen ruhig über das Gesicht, an diesem Praioslauf mit gleich zwei passabel dreinblickenden Gauklern zu tun haben, die seiner Begleitung den Kopf verdrehten.

Seufzend erhob er sich und öffnete eine seiner Gürteltaschen – ein Wunder, noch war es Grangor nicht gelungen, Rahjard seiner Reichtümer zu berauben. Dann schüttelte er kurz den Kopf. Selbst wenn es Zeit war zu versuchen, Neferu von Phexdan zu trennen und Garion von einem etwas dickeren, hässlicheren Wilbur – wo zog es ihn nach diesen Ereignissen, den Morden an den Altvorderen und der Zerstörung des Namenlosenkultes überhaupt hin?

Vielleicht Neersand, Hinterbruch… Mirhidan. Die einzige Frau seit Jahren, die er sich schon lange hielt. Sozusagen etwas ernstes oder auch nicht. So wie sie aussah, konnte sie sich vor Angeboten wahrscheinlich kaum retten und liebte es, mit irgendwelchen Fremden in den Rahja-Tempel zu gehen… um zu beten. Selbstverständlich. Was sollte sie auch sonst mit diesen Leuten tun, einmal davon abgesehen, dass sie sich um deren Wunden kümmern konnte?

In diesen Tagen war ihm aber nach allem, nur nicht nach dem Bornland. Was er benötigte war, so murmelte er es zumindest zu sich, „ein wenig Abwechslung.“ Ein wenig Vergnügen, nicht unbedingt in einem Tempel. Eher in einer Art und Weise, wie Dora es wohl verstanden hatte sie zu leben. Ein langgezogenes Seufzen drang mit einem Mal durch den Raum. Rahjard blinzelte – und sah zu dem Fuchs vor seiner Nase.

„Abwechslung – du willst gehen?“, fragte Phexje und umklammerte das Geschenk des garether Fräuleins wieder mit beiden Armen und Händen. Wortlos ließ sich Rahjard mit dem Rücken voraus in sein Bett zurückfallen. „Nein, noch… nicht“, raunte er dem Jungen zu.

„Nur das Haus verlassen, denn ich denke, wir sind deinem Vater lange genug zur Last gefallen.“

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