Bettler und Gaukler
Gareth 1 (Garion) ( –––)
Fröstelnd zog er seinen Wollumhang bis unter sein Kinn, sodass seine Füße ohne wärmende Decke zurückblieben. Die Nacht war außergewöhnlich kühl, das kleine Feuerchen, vor dessen tanzenden Flammen er noch immer den Umriss Richards sehen konnte, vermochte seine Wärme nicht bis zu ihm zu senden. Garion zog die Beine an. Vielleicht hatte er Glück und seine Füße würden so noch mit unter den schweren roten Umhang passen.
Begleitet von einem lautlosen Seufzen richtete er seinen Blick nach oben. Wie so oft hatte er seine Wachsplane über einen niedrigen Ast geworfen und mit Seilen an den Seiten befestigt, sodass sich eine Art Zeltdach ergab, das an Kopf und Füßen offen war. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die nahe Decke seines winzigen Schlafsaals.
Endlich ein paar Stunden Ruhe… Ein paar Stunden um über die vergangenen Wochen nachdenken zu können. Er musste lächeln, als die Stimme seines Vaters – seines wirklichen Vaters – in seinem Kopf nachhallte:“Garion, für deinen Lebensweg ist eines ganz wichtig, wenn du ein besseres Leben führen willst. Denke nach, Garion, benutze deinen Kopf. Und tue es oft! Denke über _alles_ nach, was dir widerfährt! Dann wirst du deinen Weg schon machen mein Junge.“
Sein Vater hatte ihn an sich gedrückt und ihm liebevoll das Haar gestreichelt. Es war eine der vielen angenehmen Erinnerungen seines Lebens – er tat seinen Eltern unrecht, er besuchte sie so gut wie nie.
Leise saugte er die kühle Luft der Nacht tief in seine Lungen und drehte sich auf die Seite.
Es war schon über einen Monat her, dass Neferu und er aus Grangor aufgebrochen waren.
Garion hatte die Stadt verlassen, seinen Weg auf der Suche nach den Tempeln der Herrin fortsetzen wollen und konnte nicht umhin Neferu, die er liebevoll „Nef“ nannte, den Wunsch zu unterbreiten ihn zu begleiten.
Neferus Antwort hatte ihn erfreut und getroffen zugleich:“Natürlich komme ich mit dir Garion. Wo du hingehst…da gehe auch ich hin. Außerdem…ist Phexdan ohnehin zwei Monate nicht in der Stadt.“
Unterbewusst leckte er sich über die Lippen. Die Frage ob sie ihm auch gefolgt wäre, wenn Phexdan in der Stadt gewesen wäre, nagte an ihm. Mit jedem Tag schien ihre Bindung zu diesem Laffen stärker zu werden, während er selbst spürte wie sie ihm weiter entglitt.
Gemeinsam waren sie in Richtung Norden mit dem vorläufigen Ziel Gareth aufgebrochen, waren einen Monat quer durch das Land gewandert…und doch war die Zeit für den Rondriten nicht die erhoffte Linderung und Wiedergutmachung für die vorangegangenen Wochen gewesen. Neferu hatte kaum geredet – und wenn dann zumeist darüber wie sehr sie Phexdan schon jetzt vermisste.
Es hatte ihm die Wanderung beschwerlicher vorkommen lassen. Oft war er durch pure Unachtsamkeit gestrauchelt, einmal sogar der Länge nach hingeschlagen. Nein – dieser Marsch quer durch das Liebliche Feld und das Mittelland war keine seiner angenehmsten Erinnerungen, aber er hätte diesen Monat einsamer Ruhe mit Neferu für nichts in der Welt eingetauscht.
Vorsichtig drehte er sich wieder auf den Rücken und starrte zu der improvisierten Zeltdecke hinauf. Draußen hatte es zu regnen begonnen. Kleine und große Tropfen prasselten auf die mit Wachs behandelte Plane, perlten an ihr ab und versickerten harmlos im Boden neben Garions Schlafstatt. Er mochte das Geräusch des Regens, wie er nur knapp über ihm auf seinen Schutz prasselte und ihn nicht berührte. Es hatte etwas Gemütliches, etwas Geborgenes – es hatte etwas von einem Heim. Einen Moment lang besah er sich seinen Regenschutz. Ja, das hier war das einzige Heim, das er hatte, sein einziger Rückzugsort. Wieder sah er in Richtung seiner Füße und zu dem Feuer hinüber, dessen Flammen inzwischen beinahe erstickt waren und dem Regen nur noch schwache Gegenwehr lieferten. Die glimmende Kohle fesselte seinen Blick und entführte seine Gedanken…brachte sie zurück in die Vergangenheit.
Sie hatten Gareth nach etwas mehr als einem Götternamen erreicht und waren sofort in das Südquartier gezogen, hin zum Roten Hahn, einer recht verrufenen Gaststätte, die Neferu schon seit Kindestagen eine Heimat gewesen war. Er musste schmunzeln. Das Südquartier war nicht unbedingt die Gegend Gareths in der man oft einen Rondrageweihten in vollem Ornat zu sehen bekam. Wie so oft hatten die meisten Gäste der kleinen Schenke ihm Blicke voller Skepsis, Misstrauen und von Zeit zu Zeit auch offenem Hass zugeworfen, hatten ihn keinen Augenblick aus dem Auge gelassen, bis sie sich hatten versichern können, dass er tatsächlich nur mit den beiden ihnen bekannten Frauen an einem Tisch sitzen wollte. Sein Blick war zu Lanyana geglitten. Sie war der Grund, warum der Rote Hahn jedes Mal der erste Anlaufpunkt in Gareth war. Die Badocelfe war eine der Bedienungen an der Theke der Spelunke und eine der ältesten Freundinnen Nefs. Das Gespräch der beiden Frauen war eine Weile hin und her gegangen und hatte sich dann dem Unvermeidlichen zugewendet.
„Du, Lanyana, ich hab‘ da Jemanden kennen gelernt.“, hatte Neferu gekichert. Etwas in Garion hatte sich zusammen gezogen. Er hatte gewusst, was die folgenden Stunden ihm bringen würden und sich nach einem Ausweg umgesehen, der sich ihm in Form eines etwas abgerissenen Tavernenbesuchers offenbart hatte. Der Mann redete über eine schnelle Dukate, die sich in Donnerbach, des Endziels ihrer Reise machen lassen sollte – etwas, das ihn, so es in göttergefälligen Bahnen verlief, durchaus interessierte. Der Inhalt seines Goldbeutels war erheblich zusammengeschrumpft und es schien nur noch eine Frage von Tagen zu sein, dass er ihn im Stich lassen würde.
Keine fünfzehn mal sechzig Augenblicke später hatte er wieder an dem Tisch der beiden Frauen gesessen. Die Geschäfte des Fremden waren offenbar das Ergebnis einer wilden Mischung von Alkohol und Diebstahls, einer Art des Dukatenverdienens, die Garion schon immer weit von sich geschoben hatte. So war er zurück an den Ort seiner Demütigung gekehrt, hatte sich an dem Wasser gelabt, dass Lanyana ihnen umsonst überlassen hatte und dem Gespräch der Frauen mit einem Ohr gelauscht. Wieder ein Abend, der sein Leben nur bereicherte, weil Neferu in seiner Nähe war. Minuten waren ihm zu Götternamen geworden, bis ihm das Getränk eine weitere Möglichkeit geboten hatte sich zu entziehen. Ein allzu menschliches Bedürfnis hatte ihm den Weg aus der Taverne gewiesen, um Wasser abschlagen zu können.
Vorsichtig bewegte er seine Hüfte ein wenig zu den Seiten. All zu viel Platz sich zu regen hatte sein Eigenheim tatsächlich nicht. Die Plane war günstig gewesen, aber besonders viel Freiraum bot sie wahrlich nicht. Aber was beklagte er sich? Ob der nächste Morgen nun noch einen steifen Rücken in die Waagschale warf, die unlängst zu seinen Ungunsten ausgeschlagen war oder nicht war eigentlich kaum von Interesse.
Sein Blick glitt zu den letzten Resten des Feuers hinaus. Richards Gestalt konnte er nicht mehr ausmachen, vielleicht hatte er sich unter einen Baum zurück gezogen, vielleicht in seine eigene Unterkunft. Seufzend befühlte er den umgenähten Saum seines Umhangs.
Richard…von ihm hatte er sich ein wenig Hilfe in diesen schweren Tagen und Wochen erhofft. Hatte gehofft, dass unter der oft unfreundlichen oder abfälligen Schale so etwas wie ein weicher Kern steckte. Aber es zeichnete sich mehr und mehr ab…Richard war es egal ob Garion nun unter Neferus Entscheidungen litt. Er war ihr Freund…und betrachtete Garions Sorgen…sein stilles Leiden als eine willkommene Abwechslung zu den angeblichen Erfolgen, die das Leben des Bronnjaren zu begleiten schienen. Oft kam es Garion so vor als sei die Abneigung gegen ihn schon in Richards Herzen gewesen, als ihre Wege sich noch gar nicht gekreuzt hatten. Stets hatte er eine bissige Bemerkung für ihn über, nie ein Wort des Trostes…oder gar des Lobes.
Garion drehte sich auf den Bauch. Aber trotzdem. Er hatte sich in seiner Naivität eingebildet Richard könne ihn vielleicht doch auf seine Weise verstehen. Könne ihm helfen seine Last zu tragen. Kurz rieb er sich über die Augen. Was ihm fehlte war jemand mit dem er reden konnte, jemand, dem er vertraute, den er gut kannte, vor dem ihm seine Schwächen aber nicht unangenehm waren. Neferu war so jemand…aber in diesem Fall waren es ja Neferu und ihre Entscheidungen die ihn quälten. Mit ihr darüber zu reden…undenkbar.
So stand er also allein. Allein mit sich in einem winzigen Zelt. Einer kleinen Insel in den rauschenden Wogen des Regens rund um es herum. Er fühlte sich einsam…und einen Moment lang war er versucht zu Richard hinüber zu gehen. Ihn einfach anzusprechen, sein Herz auszuschütten, sein Innerstes nach außen zu wenden und zu sehen was passierte. Aber…etwas hielt ihn zurück. Leise, langsam und wie ein Meuchler in dunkler Nacht kehrte die Erinnerung an den Abend im Roten Hahn zurück.
Er war vom Abort zurück in die Taverne gekommen und hatte sich gesetzt – gerade in dem Moment als auch Neferu sich erhob, um das stille Örtchen an der Außenwand der Taverne aufzusuchen. Er war mit Lanyana allein zurück geblieben. Hatte sich etwas von dem Wasser eingeschenkt und einen Schluck getrunken während er die junge (?) Elfe beobachtet hatte. Seit ihrem ersten Treffen hatte er sie gemocht. Sie war frech…meist fröhlich und schien keine Verzweiflung…keine tiefgehenden Sorgen zu kennen. Obgleich er sie kaum kannte war er sich sicher, dass eine so alte Freundin Neferus Verständnis für seine Schmerzen haben würde, er hatte das Wasserglas von seinen Lippen genommen und auf dem grob gezimmerten Tisch abgestellt, als sie sich über den Tisch zu ihm herüber gebeugt und ihn angesprochen hatte:“Na? Hat dir jemand deine Geliebte genommen…?“. Sie hatte schadenfroh gegrinst.
Eine Erwiderung war ihm im Halse stecken geblieben. Nur mit Mühe hatte er Tränen der Enttäuschung niederkämpfen können, als ihm bewusst geworden war, dass er auch hier in Gareth, der größten Stadt Aventuriens…mutterseelenallein war. Er hatte den Blick auf den Tisch gesenkt und geschwiegen, hatte der Frage ausweichen, sie nicht hören wollen.
Aber Lanyana hatte nicht locker gelassen, sie war um den Tisch herum zu ihm hinüber gerückt und hatte ihn mit dem Ellenbogen angestoßen:“Na…? Nun sag doch was…“
Groll hatte sein Herz erfasst, der Wunsch ihr entgegen zu brüllen, wie viel Hoffnung er in sie gesetzt hatte, wie sehr er sie für diese grundlose Attacke verachtete, war unerträglich geworden. Er war aufgestanden, hatte sie ohne ein weiteres Wort sitzen lassen und war hinaus auf die nächtlichen Straßen des Südquartiers getreten, von denen er sich Ruhe, wenn schon keinen Trost versprochen hatte. In der Tür war Neferu ihm entgegen gekommen, er hatte ihr das Geschehen nur kurz erklärt…denn wie es schien zog es sie wieder nach drinnen…zurück an den Ort wo eine alte Freundin auf sie wartete…
Er selbst war in der kühlen Nacht zurückgeblieben, hatte sich neben der Eingangstür an die Holzwand gelehnt und die Straßen der Stadt beobachtet, in denen der einzige Trost eine alte Bettlerin war, die ihm nach einer Spende von zwei Hellern in aufrichtiger Dankbarkeit eine Umarmung geschenkt hatte und damit zu der einzigen Person geworden war, die ihm in dieser Nacht ein mattes Lächeln auf die Lippen gezeichnet hatte.
Wenig später, als ihm die aufziehende Morgenfeuchtigkeit klamm in die Glieder gefahren war, hatte er sich wieder in den Schankraum begeben. Der Tisch an dem Neferu und Lanyana gesessen hatten war leer gewesen und die Elfe, die wieder hinter dem Tresen ihren Dienst versehen hatte, würdigte ihn keines Blickes, als er mit hängenden Schultern in das einzige Zimmer der Taverne geschlichen war, das er sich mit Neferu und der Elfe teilte. Neferu hatte bereits in ihrem Bett gelegen – einem von zweien, sein Schlafplatz hatte aus einer Matte auf dem schmutzigen Boden bestanden. In früheren Zeiten hatte er sich – zumindest in Gedanken – über einen solchen Schlafplatz beschwert. An diesem Abend aber war er dankbar gewesen für die Möglichkeit sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Trotzdem hatte er es nicht lassen können Neferu zu fragen ob sie bereits schlief. Sie hatte nicht geschlafen, hatte ihm noch eine Weile auf seine Fragen beantwortet, war aber seiner Hand die er zu ihr hinauf gestreckt hatte ausgewichen, mit ihren Gedanken ganz ihrem geliebten Phexdan verschrieben gewesen, bis sie der Schlaf übermannt hatte.
Er hatte noch über eine Stunde gebraucht um in einen unruhigen Schlaf hinüberzugleiten, der ihn mit alptraumhaften Visionen davon gequält hatte, wie Neferu ihre Unschuld an diesen verfluchten Bettler verlor.
Mehrfach war er in dieser Nacht aufgewacht, hatte Ratten von seinem Kopf verscheucht und einmal ein Insekt berührt, das mit raschen tippelnden Schritten das Weite gesucht hatte. Er hatte sich den Kopf gestoßen und den Rücken verlegen, aber nichts von alledem konnte sich mit dem Schmerz messen, den der Traum verursacht hatte. Das lustvolle Keuchen Phexdans, der sich zwischen Neferus geöffnete Beine drängte, hatte ihn noch eine ganze Weile verfolgt, ihn auch drei Tage später nicht losgelassen und ihn in den Schlaf begleitet. Nach einem recht kargen Frühstück hatten sie den Roten Hahn verlassen und sich auf den Weg zur nächsten Kutschstation gemacht.
Garion blinzelte ein paar Mal in die Dunkelheit über ihm. Von dem Rondriten unbemerkt hatte der Regen Kraft gewonnen und die untere Kante seiner improvisierten Decke durchnässt. Unangenehme Feuchtigkeit legte sich auf seine Haut, als er sich Mühe gab die Beine noch ein Stück weiter anzuziehen. Hätte er doch nur sein Zelt mitgenommen.
Vorsichtig bewegte er seine klammen Finger ein wenig und rieb sich die Augen. Wie spät es wohl sein mochte? Die Sonne war schon lange hinter dem Horizont versunken und auch die Feuerstelle hatte der Regen endgültig besiegt – er konnte sie nicht mehr sehen. Um ihn herum herrschte drückende Dunkelheit und ließ seine Welt auf seine Gedanken zusammen schrumpfen.
Was wohl in zwei Götternamen sein würde? Seufzend rieb er sich über die Stirn und schob die rasch erkaltende Hand dann wieder unter seine Decke. Neferu würde Phexdans Anvertraute sein und er…er wäre vollkommen allein. Er spürte wie Verbitterung in ihm aufstieg, sich wie Galle den Weg nach oben bahnte und sich bitter in seinen Mundraum ergoss, in dem sich sofort ein merkwürdiger Geschmack breit machte. Eines hilflosen Lächelns konnte er sich nicht erwehren. Sicher würden ihn alle für verrückt halten, wenn er sich nach der Schließung des Traviabunds zurückzog, sich irgendwohin absetzte, an einen Ort selbstgewählter Einsamkeit. Keiner von ihnen würde verstehen können, warum er sich freiwillig noch weiter isolierte.
Nachdenklich schloss er die Augen. Freiwillig würde diese Entscheidung keinesfalls sein und – wie er vermutete – auch nicht dauerhaft, aber er war sich sicher, dass er die Nähe einer vermählten Neferu nicht würde ertragen können, wusste, dass ihm die Einsamkeit wie eine warme Decke vorkäme. Gedankenverloren strich er von innen über die Plane, die ihm ein Mindestmaß an Sicherheit bot…sie war feucht, vielleicht von seinem Atem, vielleicht vom Wetter selbst. Wie um neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen rieb er seine Finger aneinander. Seine Gedanken indes wandten sich wieder der vergangenen Reise zu.
Es war nicht einfach eine Kutschpassage nach Donnerbach zu finden. Zwar waren an der Kutschstation Gareths zwei Reisekutschen gewesen, doch war eine schlicht davon gefahren, als sie noch überlegten, welche Strecke sich am ehesten anböte, während sich gerade eine fünfköpfige Herrengesellschaft angeschickt hatte die andere zu besteigen.
Innerlich hatte er sich darauf eingestellt die Fahrt auf dem Kutschbock als Wache zu bestreiten, getrennt von Neferu, wieder einmal…abgeschnitten von jedem freundlichen Wort.
Aber es war anders gekommen. Nef war hatte sich etwas unter ihre Tunika geschoben und war mit leidender Miene auf die Männer zugetreten. „Verzeiht ihr Herren, aber ich trage ein Kind unter dem Herzen…und mein Bruder und ich müssen rasch nach Donnerbach zu meinem Gemahl.“, das waren in etwa ihre Worte gewesen. Er war vor den Kopf gestoßen gewesen. Nicht weil sie gelogen und ihnen ihre Kutschfahrt nicht eben rechtmäßig verschafft hatte. Nein…es hatte ihn geschmerzt, dass er nicht einmal in diesem Lügenkonstrukt, in dieser Illusion als ihr Gemahl hatte gelten können…dass er ein weiteres Mal der große Bruder gewesen war.
Grangor 15 (Garion)
Sie hatte ihm den Rücken zugedreht. Zu spät sollte es sein…
Er presste die Augen zusammen. Ja, er hatte Mut bewiesen, hatte ihr endlich sein Herz ausgeschüttet, hatte gehofft ihr seine Gefühle beweisen zu können. Aber sie hatte ihn abgelehnt, jeden seiner Versuche ihr nahe zu kommen kaltherzig zurückgewiesen. Hatte ihm gesagt, dass er den Mut drei Monde zuvor hätte finden müssen.
Er verfluchte sich, klagte sich selbst vor dem Tribunal der Götter an, haderte mit dem Schicksal.
Sanft drückte er seinen Körper von hinten an ihren. Einen „toten Fisch“ hatte sie ihn genannt…
Das war es also, was man erhielt, wenn man sich in ruhiger Zurückhaltung übte…
Das war es, was man erhielt, wenn man sich Mühe gab, niemanden zu verletzen, indem man Rücksicht nahm.
Der Löwe in seiner Brust brüllte getroffen. Wie von der Kette gelassen begann er zu toben. Hitze stieg in ihm auf. Da bewegte sich der Körper vor seinem – Neferu drehte sich auf den Rücken und stellte ihre Beine auf. Seine Hand stieß mutig vor und fuhr über ihre Haut, glitt über ihre Hüfte und ihren Bauch. Ihr Atem ging heiß, kein Unbehagen lag in den tiefen Zügen. Ihre Hand berührte seine und führte sie fordernd ihren Körper hinauf.
Die Fronten hatten sich geklärt. Garion stand auf der einen, Phexdan auf der anderen Seite, ein Kampf war unausweichlich.
Vorsichtig schob er sein Bein über ihres und strich damit über die weichen Innenseiten ihres Oberschenkels.
„Ich liebe es deine weiche Haut zu berühren…“, flüsterte er in ihr nahes Ohr.
„Andere Frauen haben auch weiche Haut, Garion…“, gab sie zur Antwort und versetzte seinen Geist damit in flammende Unruhe, er wollte keine andere Frau!
„Sie sind mir nicht wichtig…alles was ich will bist du.“, er hörte sie leise einatmen, wie es schien hatte er endlich etwas gesagt, was ihr Herz berührte. Sie führte seine Hand an sich hinab:“Dann berühr mich Garion.“
Nichts hielt ihn zurück, als er sich ihr vollends zuwandte und seinen tastenden Fingern freien Lauf ließ. Wie lange hatte er diesen Wunsch tief in sich verschlossen, immer in dem Gedanken sie nicht zu brüskieren…und nun lag er hier mit ihr und genoss was er tat. Ihre Lippen begegneten seinen und öffneten sich weit genug um seiner Zunge Einlass zu gewähren. Wie im Fieber antwortete er ihr, ließ seine Zunge vorstoßen und eröffnete den Tanz ihrer Leiber. Dicht zog er sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr:“Eben noch hast du jede meiner Annäherungen als ungeziemt zurückgewiesen…was ist los…?“
Die weibliche Stimme die ihm antwortete war die Neferus, doch erschreckte ihn die ihr innewohnende Sinnlichkeit beinahe. „Ich habe mich umentschieden… Garion… Schlaf mit mir.“
Er fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen, ihm wurde heiß und kalt. Wollte sie ihm tatsächlich ihre Jungfräulichkeit schenken oder war das eine neue List Rahjas, die es auf seine totale Vernichtung abgesehen hatte und ihr perfides Spiel mit ihm zu spielen gedachte?
Ihm blieb keine Zeit den Gedanken weiter zu führen. Er versank in dem gierigen Wirbel seiner Instinkte, der Löwe hatte die Oberhand gewonnen und zwang den Körper des Geweihten auf den der jungen Frau. Das war es also: nach Wochen, Tagen und Monaten voller Schmerz und Entbehrung hatte Rahja endlich ein Einsehen und gestand ihm zu, was er sich schon so lange ersehnte, was er kaum zu hoffen gewagt hatte. Alles in ihm schrie danach sie sanft zu nehmen, ohne sie zu verletzten, aber sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Wie im Wahn fiel er über sie her, drang mit aller Macht auf sie ein und bemächtigte sich ihres Leibes. Sie genoss was er tat. Er spürte Schweiß, der sich schimmernd zwischen ihren Körper gebildet hatte, fühlte wie Neferu von einer Gänsehaut übermannt wurde, wie sich seine Nackenhaare in verzehrender Lust aufstellten.
„Bitte lass das keinen Traum sein.“, flüsterte er leise in die Dunkelheit hinein, an niemanden bestimmten gerichtet. Doch trotz des unbestimmten Empfängers erfolgte eine leise Antwort. Die Stimme war die Neferus: “Doch…aber das hast du geahnt.“
Garions Bewegungen wurden langsamer: “Du bist nicht sie…du bist ein Gedankenbild…nicht die Frau die ich liebe.“ Er spürte ihren heißen Atem an seinem Ohr. „Ich bin sie…du fühlst mich…ich bin real…dein Traum ist die Wirklichkeit.“
Etwas in Garion sträubte sich dagegen ihre Worte anzuerkennen…sein Traum war nicht die Realität…Träume waren nichts wert…waren Hirngespinste, Wunschvorstellungen. Er drehte sich auf den Rücken und zog den nackten Leib seiner Geliebten mit sich.
„Du bist nicht Neferu…du bist ein Teil meiner Gedanken…ein Wunsch. Nichts, was mir helfen kann.“.
Sie hob die Arme an und warf ihr Haar zurück. Ihr blanker Busen bewegte sich im Takt ihrer Hüfte, die sich auf dem Leib des Rondriten vor und zurück schob und ihm die Freuden Rahjas offenbarte.
„Ich bin ihr Unterbewusstsein…das was sie wirklich will. Sie wird diese Nacht den gleichen Traum haben wie du.“, ließ sie ihn keuchend wissen. Ihr Unterbewusstsein? War es möglich, dass ihre Geister sich auf der Ebene der Träume trafen?
„Was muss ich tun, damit sie sich mir zuwendet…?“, fragte er leise, unterbrochen von einem Laut der lustvollen Ekstase, die von ihm Besitz ergriffen hatte.
Er erhielt keine Antwort.
Dann öffnete er die Augen. Die Dunkelheit des Zimmers stürzte über ihm zusammen, begrub alle Hoffnung unter sich. Sein Blick wanderte zur Seite, wo ein Sonnenstrahl, der durch die Vorhänge in den Raum eingedrungen war die wahre Neferu beschien. Sie war noch immer von ihm abgewandt, die Kleider, die ihren Körper noch immer verbargen, waren die des Mannes, den sie liebte.
Es…waren nicht seine Kleider.
Schwermut griff nach seinem Herzen, als er ihre Zöpfe betrachtete, die sich wie die Strahlen einer dunklen Sonne um ihr Haupt ausgebreitet hatte. Er konnte nicht anders…er streckte seine Hand nach ihr aus und berührte sie am Arm.
„Schläfst du…?“, einen Moment lang herrschte Stille in dem Raum. Die Gefühle in seiner Brust rangen um die Antwort auf die Frage, ob er sich freuen sollte nicht gehört worden zu sein oder ob ihn die Enttäuschung übermannen sollte, weil sie ihn nicht einmal bemerkte, wenn er sie ansprach. Dann aber wurde ihm die Entscheidung abgenommen:“Nein, Garion…ich schlafe nicht.“
Er blinzelte sachte. Sollte sie im gleichen Moment aufgewacht sein wie er selbst…? Hatte die Neferu in seinem Traum die Wahrheit gesagt…? War sie ihr Unterbewusstsein gewesen? „Hast du etwa…die ganze Zeit noch nicht geschlafen?“, er brauchte einfach Gewissheit.
„Doch, habe ich…und ich hatte einen sehr…beängstigenden Traum.“, ihre Stimme beherbergte ein wenig Misstrauen:“Seit wann interessiert dich, was ich träume…? Ich erkenne dich nicht als den Garion, der du noch gestern warst.“
Er biss sich auf die Unterlippe. Der Garion, den sie gekannt hatte war ein Feigling gewesen. Der, mit dem sie nun sprach hatte Mut gefasst…den Mut eines verwundeten Tieres, das in die Enge getrieben worden war…aber ohne jeden Zweifel…Mut.
„Ich muss es wissen. Ich muss wissen ob unsere Träume sich ähneln.“, seine Kehle war trocken. Er hatte gehofft, dass sie ihm wenigstens diese einfache Frage ohne zu Zögern beantworten würde…aber sie hatte sich wohl doch weiter von ihm entfernt als er gedacht hatte. Vorsichtig nahm er sie in seinen Arm. „Ich…will dir nicht davon erzählen.“, wich sie ihm aus. Noch immer lag sie von ihm abgewandt.
„Und ich sage dir sicher nichts, ehe du mir nicht erzählt hast, was du geträumt hast.“ Herzklopfen. Seine Hände wurden kalt, es kribbelte in seinem Magen. Ihre Fragen trafen immer und immer wieder den Punkt an dem er am Verwundbarsten war.
„Ich habe von dir geträumt…“, versuchte er sie zu bremsen…vergeblich.
„Und was?“ Er schloss die Augen wieder als wäre es ein Weg dieser Situation zu entkommen…in sich selbst zu versinken und seinen Geist tief in dem Labyrinth seines Hirns zu verschließen. „Der Traum spielte…hier in diesem Bett…“
Sie seufzte leise. Tränen sammelten sich hinter seinen geschlossenen Lidern und fanden einen Weg seinen rechten Augenwinkel hinab in die Kissen. Sie hieß es nicht gut.
„Lass mich raten. Ich…habe dich berührt…“.
Er bejahte.
„…dich geküsst…und gestreichelt.“.
Wieder konnte er nur nicken. Sie quälte ihn. All diese Verheißungen von ihren Lippen waren ihm verschlossen, waren nur noch für einen bestimmt. Die Bestätigung seiner Gedanken schnitt wie ein Blitz durch seine Gefühle.
„Dann kann ich mir denken, was du geträumt hast.“, die Stimme war trocken, lieblos, beinahe wie von Gefühlen befreit. Es hätte ihn nicht härter treffen können, hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen und ihn angeschrien, dass sie ihn hasste. Alles um ihn herum begann sich zu drehen.
„Was hast du geträumt…? Sag es mir.“, bat er unter Aufbringung all seiner Kräfte.
„Ich habe von dir geträumt, Garion.“.
Da war er…der Lichtblick…wieder fasste er Hoffnung. Doch etwas trübte das Gefühl. Zu oft hatte er sich die letzten Tag an seine Hoffnung geklammert und war enttäuscht worden. Eine kleine Stimme flüsterte ihm zu, dass auch diese Hoffnung brüchig sei, dass sie ihm keinen Halt bieten würde.
„Was hast du geträumt…?“
Sie zögerte einen Moment zu lange.
“Der Traum spielte vor der offenen Hand…du hast Phexdan zum Duell gefordert, er wählte als Waffe die Zunge und hat dich in Grund und Boden argumentiert.“ Sie hatte gelogen, das fühlte er…hatte eine Lüge geschaffen, die ihn verletzte. War sie seiner über? Wollte sie ihn brechen und für den Rest seines Lebens sicher in der Zelle eines Noionitenklosters verwahrt wissen? „Das ist nicht wahr, Neferu…sag mir die Wahrheit.“, entkam es seinen Lippen, ohne, dass er es wirklich wollte.
„Nein, Garion…es war ein Traum, der mir mehr als unangenehm war…auch wenn du dabei besser weggekommen bist. Zumindest aus deiner Sicht.“, damit verfiel sie in ein Schweigen, das er nicht mehr zu brechen vermochte. Alles was ihm blieb…war ihr warmer Körper, an den er sich klammerte wie ein Ertrinkender an den letzten Rest einer Planke von der wusste, dass er früher oder später abrutschen und dann ertrinken würde.
Sie hingegen hing ebenfalls Gedanken nach, die sie schnell fortwischen wollte. Der Traum war noch so real. Sie hatten sich duelliert und Garion hatte gewonnen. Ihren Phexdan getötet.
Sie presste die Lippen aufeinander und versuchte das Bild des sterbenden Füchschens in ihren Armen zu verdrängen.
Grangor 14 (Garion)
Die Phase seines Schlafes dauert nicht einmal eine Stunde. Obwohl der frühe Morgen draußen bereits graute, schien es immer noch die beruhigende, zeitlose Schwärze der Nacht, die sie beide umgab, denn die schweren, dunklen Vorhänge waren zugezogen.
Neferu lag ruhig atmend tief in Borons Armen auf seiner Schulter.
Garion betrachtete die junge Frau lange, die sich vertrauensvoll dem Schlaf hingegeben hatte. Was sie wohl träumte? Ob er darin vorkam? Obwohl sein Körper warm war und die Wärme unter der Decke durch die aneinandergeschmiegten beiden Körper noch erheblich mehr Temperatur und Gemütlichkeit aufwies, fröstelte er.
Er musste seinen Mut wiederfinden, der ihm einst durch Küsse ihrer sinnlichen Lippen belohnt worden war.
Warum also nicht? Was hatte er zu verlieren?
Er neigte sich langsam vor und legte seine Lippen auf ihren schlafenden, weichen Mund. Sie reagierte nicht. Noch ein Stückchen schob er sich über sie und wagte mit der Zunge einen zärtlichen Versuch. Da! Ihre Arme hoben sich schlaftrunken und legten sich um seinen Hals, ehe sie den Kuss mit weiterhin geschlossenen Augen in einer steilen Kurve an Leidenschaft zunehmend erwiderte. In Garion flackerte eine zarte Hoffnung auf, auch er mehrte die Wildheit seiner begehrenden Bewegungen. Er fasste sogar den Mut seinen erregten Leib auf sie zu schieben.
Bis… ja, bis ihr ein Wort fiebrig gehaucht im Halbschlaf entkam: „Phexdan…“
Er wurde starr, doch ihre Hitze blieb. Sie schmiegte sich immerwährend an ihn und berührte ihn, als gäbe es nichts anderes von Priorität.
„Endlich…. Endlich darf ich dich-“, er drehte seinen Kopf zur Seite. Weg…nur weg von dem beißenden Schmerz, den ihre Lippen ihm bereiteten.
„Neferu, wach auf…“ bat er sanft und mit zitternder Stimme, „Ich bin nicht Phexdan… Wach auf und sieh mich an. Ich bin Garion… Garion, der dich liebt…“ Er fühlte seine Augen brennen, während er in die Dunkelheit starrte.
„Nein, ich will nicht aufwachen…“ erklang es leise und schlaftrunken, „Küss mich weiter… solange ich die Augen geschlossen halte, bist du meine Liebe, bist du Phexdan… Und deine Annäherungen sind mir willkommen…“
Drängend schob sie sich immer wieder dicht an seinen Leib. Rahja lachte nicht über ihn…Rahja spielte kein Spiel…sie führte Krieg, der nur ein Ziel kannte…totale Vernichtung.
„Neferu, nein… ich bin nicht Phexdan – Ich bin Garion! Und ich liebe dich! Ich gebe dich nicht her…“ Er umarmte sie fest, seine Worte hatten einen fast verzweifelten Klang bekommen. Nicht auf rahjaische Art war seine innige Umarmung, sondern eher in der Weise der Angst zu verlieren, was ihm am liebsten war.
Langsam schien sich der Schlaf komplett von ihr zu lösen.
„Garion…?“ murmelte sie zögerlich. „Was… was ist los mit dir?“
„Nef… Meine Nef…. Du kannst ihn nicht heiraten. Ich bin dein Gegenstück… Ich liebe dich seit dem ersten Tag, an dem ich dich sah.“ Heiß traten ihm erneut Tränen in die Augen und seine Stimme erlangte einen beklommenen Ton, trotz ihrer Festigkeit. „Du darfst ihn nicht heiraten, denn lange schon gehörst du zu mir. Erinnere dich an den innigen Kuss, den wir in Gareth in der Herberge Heldentrutz teilten. Erinnere, dass wir beieinander gelegen und uns beinahe einander hingegeben hätten…“ Noch nie hatte soviel Gefühl in seinen Worten gelegen. Noch nie war er so ehrlich zu ihr gewesen wie in diesem Moment. Noch immer lag sie in seinen Armen, geschützt durch die unwirkliche Dunkelheit des Raumes. Er hatte alles aufgegeben, hatte alle Ängste bei Seite geschoben, die Angst sie zu verlieren hatte die Angst von ihr verlacht zu werden ein für allemal besiegt.
Sie schien irritiert und überrumpelt, drehte sich von ihm fort. Einige Momente hing stilles Schweigen im Zimmer, das trotz Morgengrauen noch immer in tiefe Nacht gehüllt war.
„Ich erkenne dich kaum wieder… Hast du dich über eine Nacht so sehr verändert? Wo ist deine leidenschaftslose Beherrschung? Deine vernunftsbetonte Vorstellung von Liebe, die der meinen so gar nicht ähnelt?“
Er brannte ihr einen Kuss in den Nacken.
„Ich habe erkannt, dass meine Beherrschung dich hat von mir abwenden lassen. Ich will nicht länger beherrscht sein.“ Er streichelte sie mit seinen schwieligen Kriegerhänden so sanft wie möglich an der Schulter, ehe er auch dort eine Berührung seiner Lippen hinterließ. All das durfte sie ihm nicht rauben. Er konnte nicht darauf verzichten sie zu berühren, er würde als gebrochener Mann sterben…als Mann, den das Alter vor der Zeit erreicht hatte.
Ihre Antwort kam seufzend:
„Glaub mir Garion, Selbstbeherrschung ist eine gute Sache. Würde ich mich nicht selbstbeherrschen, würde ich nur Leid verursachen.“
Was meinte sie damit? Eine leise Stimme in ihm flüsterte einen Schleier von Hoffnung. Wenn sie sich nicht beherrschte… würde sie dann ihn, Garion küssen? Weil sie in Wahrheit etwas für ihn empfand, das sie nur in sich verborgen hielt?
Er forderte sie auf die Beherrschung sein zu lassen und sie begann wie in Trance schnell und mit sanfter Stimme zu sprechen.
„Wir lieben einander, seit sich unsere Blicke das erste Mal trafen, hier in Grangor, einen Tag nach der Ankunft. Er war so schön… Mein Füchschen. Auch wenn ich ihn nicht berühren kann… Er duftet nach Rosen… Sein schwarzes, strubbliges Haar ist weich… Seine grünen Augen… Nie hat mich jemand so durchdringend und intensiv angesehen wie er. Nie hat mich jemand so endgültig umarmt wie er. Er kann alles von mir haben. Alles… Ich werde ihm nichts verweigern.“
Garion fühlte die Schwärze des Raumes auf sich zukommen. Er hatte das Gefühl, er würde sich drehen und fallen und stammelte, sich an seinen Mut klammernd die Antwort:
„Ich kann auch nach Rosen duften, wenn du das willst… Mein Haar ist auch schwarz und weich… meine Augen sind auch grün…“
Sie reagierte nicht. Offensichtlich hatte sie seinen Rat befolgt und die Schranken ihrer Beherrschung niedergerissen. Ihre Worte entkamen so leicht den begehrten Lippen, dass es zusätzlich zu der Bedeutung schmerzte:
„Es ist als würde ein Stück von mir fehlen, wenn er nicht bei mir ist… Sind wir zusammen, bin ich erst vollständig. Ich habe ihn gebeten, mich zu küssen, aber er wollte nicht… konnte nicht… aus irgendeinem Grund. Ich nahm stattdessen seine Hand und streichelte sie so zärtlich es mir möglich war. Ich berührte sie mit meinen Lippen, ohne jedoch zu küssen. Ich sah, wie sich die Härchen seiner Hand im Schauer aufstellten… Behalte es für dich, ich weiß nicht, ob sie wollen, dass andere es erfahren: Phexje ist sein Bruder. Wir gingen zusammen auf den Markt, ich an der Hand des Kindes. Ich kaufte ihm einen Holzfuchs. Dann begegneten wir Phexdan. Seine blaue Kleidung schmeichelte seinem Leib – er ist nicht klobig und breit, sondern anmutig und athletisch. Wir… brachten Phexje gemeinsam zu einem Spielkameraden. Zu dritt, der Junge auf seinen Schultern. Auch wenn das Füchschen zwischendurch in einen der Kanäle sprang, um den Fuchs zu retten, der hineingefallen war….“ Sie hielt inne und der Redeschwall wurde endlich unterbrochen.
Die Übelkeit, die in Garion aufgestiegen war brachte ihn beinahe zum Bersten.
„Du siehst. Es ist besser, wenn ich mich selbst beherrsche. Sonst verletzte ich dich unnötig.“
Raunte sie leise. „Verzeih mir, aber… Es ist zu spät. Hättest du mich vor einigen Monaten diese Leidenschaft spüren lassen, dann… aber jetzt… Die Götter haben mich für Phexdan bestimmt. Endlich hat die Füchsin den Fuchs gefunden.“
Garion erstarrte. Er spürte wie sich etwas in ihm regte, etwas, dass er vor noch nicht all zu langer Zeit das erste Mal gespürt hatte. Es kroch aus der Nähe seines Herzens seinen Hals hinauf…dann übermannte ihn der Schlaf mit einer Wucht, die er nie für möglich gehalten hätte. Wie viel gnadenvoller war doch Boron, als es seine Schwester jemals gewesen war…
Grangor 13 (Garion)
Langsam streckte er sich auf dem Bett aus und betrachtete seine nackten Zehen für einen Moment der Stille. Er hatte darauf verzichtet sich auszuziehen, immerhin stand die Tür seines Zimmers offen. Es begann bereits zu dämmern und Neferu war noch immer nicht zurück – und wenn sie es war wollte er es sofort wissen. Es war schon einige Tage her, dass er ihr die Rose auf das Kissen gelegt hatte. Seitdem quälte ihn nagende Ungewissheit. Sie hatte die Rose mit keinem Wort erwähnt, weder ihm, noch (zumindest soweit er wusste) Richard gegenüber. Es war als stünde er vor dem Inquisitor, der noch mit seinen Schöffen über das Urteil beriet.
Mit einem unangenehmen Kloß im Hals rieb er sich über die geschlossenen Augen. Seine Gedanken klammerten sich an das kleine Zimmer in dem er lag. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er getan was er konnte. Sein Schicksal lag in Rahjas Händen, zumindest bist Neferu zurück käme. Zwar hatte er keine Ahnung wie er sie ansprechen, oder was er sagen sollte, aber er hatte sich geschworen herauszufinden, was anders war, warum sie kaum noch mit ihm sprach, wohin das wundervolle Flackern in ihre Augen verschwunden war. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend entzündete er die Kerze auf dem kleinen Nachttisch neben seinem Bett. Ein warmer, beinahe beruhigender Lichtschein machte sich im Zimmer breit und beschien das Bett und das sorgenvolle Gesicht des Geweihten. Eigentlich hatte er vorgehabt sich mit einem der Bücher aus den Regalen seines Gastgebers abzulenken, aber noch konnte er sich nicht dazu durchringen nach dem Buch zu greifen. Es gab noch so viel zu bedenken, so viele Sorgen, so viel Schmerz. Seiner trockenen Kehle entrang sich ein Seufzen.
Als er nach seinem Wasserschlauch griff musste er an seine Kindheit denken. Er hatte Angst vor der Dunkelheit gehabt, war jedes Mal wenn er in den Keller hinabsteigen musste schier wahnsinnig geworden. Er lächelte abgeschlagen. Damals hatte er gedacht, dass er niemals vor etwas mehr Angst haben würde als vor dem Keller der Burg Ithars…wie er sich doch getäuscht hatte.
Mit fahrigen Fingern verschloss er den Wasserbeutel wieder. Ihm war nicht nach trinken, so trocken seine Kehle auch sein mochte, er verspürte einfach nicht den Wunsch etwas zu trinken. Überhaupt hatte er, wie ihm nun auffiel, seit dem Ablegen der Rose kaum etwas getrunken und gar nichts gegessen. Merkwürdig, er spürte den Hunger, der ihn ohne jeden Zweifel plagen musste gar nicht.
Wo Neferu wohl gerade war? Ob sie diesen Phexdan suchte? Er drückte die Lippen aufeinander. Ob die Götter ihm etwas übel nahmen? Er hatte ihnen soweit er wusste nach bestem Wissen und Gewissen gedient. Sogar Grangor hatte er auf Geheiß Rahjas gerettet ohne dafür auch nur ein Dankeswort zu erhalten. Warum hätte sie ihm zürnen sollen? Unruhig warf er sich auf die Seite, sein Blick suchte und fand den Zweihänder, der inzwischen gereinigt und geschliffen an den Tisch lehnte. Er konnte die Spiegelung der Kerzenflamme in dem blitzenden Stahl sehen, auch sich selbst als verzogene Illusion. Den traurigen Rest dessen, was er eigentlich war.
Er legte die Hände unter seinem Kopf zusammen. Wie sein Leben wohl weiter verlaufen würde? Er wusste aus den Geschichten der Erzähler auf dem Markt in Festum, dass man auf schwere Zeiten später zurückblickte und sie als eine Art undurchsichtigen Knoten in seinem Lebensfaden empfand, als etwas dessen Verwirrungen man zwar inzwischen gelöst zu haben glaubte, die man aber dennoch nicht in vollem Umfang verstanden hatte. Langsam drehte er sich wieder auf den Rücken. Ithar hatte ihn ja gewarnt, hatte ihm gesagt, dass Liebe war wie sein Schwert wegzuwerfen und sich der Gnade des Gegners auszuliefern. Man mochte damit überleben, aber genau so gut konnte das Gegenüber einen foltern oder mit einem gezielten Stich töten.
Nun, da diese Unterhaltung schon einige Jahre zurück lagen spürte er die Wahrheit in Ithars Worten.
Mit einem gewaltigen Druck auf seinem Hals schwang er kurzentschlossen die Beine aus dem Bett. Der Boden kam ihm hart vor, jetzt, da seine Füße nicht von seinen Stiefeln umschlossen waren.
Schnellen Schrittes verließ er das Zimmer durch die ohnehin offene Tür und bog nach rechts ab, direkt auf das Zimmer zu, dass Richard und Neferu…oder Nef, wie er sie in Gedanken zu nennen pflegte, sich teilten. Richard musste da sein, er war selten spät noch unterwegs. Garion war sich darüber im Klaren, dass Richard nicht verstehen wollte, warum er gerade zu ihm kam, aber…er hatte eine seltsame Art von Vertrauen zu diesem Strauchdieb gefasst. Und er brauchte dringend jemanden zum reden.
Ein letztes Mal atmete er leise ein und fragte sich ober hinter dieser Tür die zweite Demütigung dieser Tage auf ihn wartete, dann klopfte er an und öffnete die Tür.
Garion verharrte. Das Zimmer vor ihm war leer, weder Neferu noch Richard waren anwesend. Wäre das alles gewesen, so wäre er geknickt in sein Zimmer zurückgeschlichen, aber ein kurzer Blick zeigte ihm, dass Richards Sachen verschwunden waren. Der junge Rondrit ließ seinen Kopf hängen, sicher, er hatte nicht viel von Richard erwartet, bestenfalls ein einziges freundlich gemeintes und in Gemeinheiten verpacktes Wort…oder ein mehr oder weniger mitfühlendes Schulterklopfen. Aber dass der junge Mann nun einfach verschwunden war ohne eine Nachricht oder ein Wort des Abschieds machte seine Zeit in diesem Haus nicht leichter. Kurz fasste er sich an die Stirn. Kopfschmerzen. Besser er legte sich wieder hin. Mit bekümmerter Miene zog er die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Rückweg zu seiner Kammer, wo er sich wieder auf dem Bett ausstreckte.
Schließlich griff er nach dem Buch. Eigentlich interessierte ihn das Thema nicht sonderlich und er hatte berechtigte Zweifel daran, dass das Buch ihn würde ablenken können. Aber wenigstens einen Versuch wollte er dem Autor einräumen, also klappte er das Buch auf und begann im Lichte der kleinen Flamme die Zeilen des Buches abzutasten. Er konnte immer noch nicht sonderlich gut lesen. Ja, es reichte um auch kompliziertere Texte zu lesen, aber er brauchte für jedes Wort einige Sekunden. Er hätte früher damit anfangen sollen.
Plötzlich zuckte er zusammen. Waren das Schritte? Rasch verließ sein Blick das Buch. Tatsächlich! Neferu war auf den Flur getreten, durch die offene Tür seines Zimmers konnte er ihre Gestalt sehen, wie sie inne hielt, offenbar von dem Licht in ihrem Augenwinkel angezogen.
Rasch legte er das Buch zur Seite und richtete sich im Bett ein wenig auf. „Neferu…!“, sie wandte sich in seine Richtung und kam den Gang in seine Richtung hinauf. Es hielt ihn nicht auf dem Bett, er musste zu ihr!
„Garion, warum bist du noch wach?“, sie war wunderschön. Die dunkle Haut, die grünen Augen. Er mochte ihre neue Frisur, auch wenn er wusste, dass sie ihr nicht viel abgewinnen konnte. Er mochte die neckischen Zöpfchen. „Ich wollte auf dich warten, ich habe mir Sorgen gemacht.“, brachte er erleichtert hervor. „Es war schon so spät und du warst noch nicht da.“ Sie nickte sachte. Da spürte er es – etwas stimmte nicht. Sein Blick glitt in ihr Gesicht. Tatsächlich, sie haderte mit sich…etwas quälte sie. Die Miene, die sie trug ähnelte der eines Kindes, das etwas zerschlagen hat und seine Tat nun gestehen musste. Dann fiel sie ihm plötzlich um den Hals. Starr vor Schreck blieb er stehen, er spürte sein Herz schmerzhaft in seiner Kehle, es raubte ihm den Atem ihre Arme um sich gelegt zu fühlen…sollte sie seine Gefühle erwidern? War es möglich, dass auch sie bisher nur nicht die richtigen Worte gefunden hatte? Er atmete leise durch und legte seine Arme um sie…endlich…endlich würde alles gut. Er spürte ihre Lippen an seinem Ohr…sie öffneten sich, um ihm das lange zurückgehaltene Geständnis zu machen. „Garion…ich…“, gleich war es so weit! „….werde heiraten… Aber Phexdan ist jetzt erst einmal zwei Monate fort, du hast also zwei Monate Zeit mich umzustimmen.“, freundschaftlicher Scherz vergiftete die Klinge die ihre Worte führten.
Plötzlich war ihm schlecht…die Arme, die sich eben noch liebend um ihn gelegt hatten waren zu glühenden Ketten geworden, die seinen Geist und Körper peinigten. Seine Beine verloren an Gefühl als habe ihn die Faust des Golems direkt in den Magen getroffen. Eine kalte Kralle legte sich scharf um sein Herz. Garion gab seinen Beinen nach und ließ sich nach hinten auf das Bett fallen – Neferu behielt ihn im Arm und landete halb auf ihm. „Phexdan…“, schoss es ihm durch den Kopf. Ihr Haupt kam auf seiner Schulter zur Ruhe. Wie…wie lange hatte er sich gewünscht, dass sie zurückkehrte…? Wie lange hatte er gebetet, wie lange stumm gefleht. Und nun trieb Rahja diesen grausamen Scherz mit ihm.
„Ich habe einmal geglaubt dich zu lieben Garion, aber dann ist mir bewusst geworden, dass du das nicht erwiderst. Mir ist klar geworden, dass du nur eine Frau gesucht hast, die dir Kinder gebären kann, die dir hilft die Erwartungen zu erfüllen, die an dich gestellt werden. Sicher…dafür suchst du dir die Beste, die du kriegen kannst. Aber wirklich lieben…tust du mich nicht.“, er musste sich verhört haben…sie…glaubte tatsächlich er liebte sie nicht? Sie glaubte…er empfand eine Art zärtliche Freundschaft und wollte sie ansonsten nur völlig leidenschaftlos als seine Angetraute? Der Geschmack von Eisen breitete sich in seinem Mund aus, als er sich auf die Zunge biss. Ehe der Schmerz verschwunden war, sprach sie weiter. In ihre Stimme hatte sich wehmütige Melancholie geschlichen.
„Weißt du…. Ich war bei ihm und…Ich…kann ihn nicht berühren…oder küssen, aus irgendeinem Grund… wie ein Fluch. Er erlaubt es nicht.“ Sie schluckte, während sie ihren Kopf an seinem Hals vergrub. „Aber eigentlich…ist mir das fast einerlei, solange wir zusammen sein können.“
In dem Moment, den er für seinen größten Triumph gehalten hatte…wurden die Lieder dieses Barden aus Unau wahr. „Es ist nicht der Fall der schmerzt…es ist der Moment, wenn du auf dem Boden aufschlägst.“
Er war hart aufgeschlagen…Tränen stiegen ihm in die Augen…sie war so nah…und weiter weg als je zuvor. Er spürte wie sich heiße Tränen ihren Weg über seine Wangen bahnten, die Trauer hatte ihn schließlich geschlagen…hatte sein Herz als eine Festung mit weit offenen Toren vorgefunden und hatte sie gestürmt…was hatte er noch zu verlieren…? Er weinte lautlos.
Neferus Stimme drang durch den Nebel seiner Gedanken:“Garion…weinst du…?“, einen Moment spürte er nichts und hörte nur das Rauschen in seinen Ohren. Dann erschienen Verteidiger auf der Mauer seines Herzens und drängten die Eindringlinge zurück. Er kannte dieses Gefühl…er spürte wie sein Geist sich der göttlichen Macht eines Harmoniesegens beugte und seine Tränen versiegten. Er schloss die Augen…sie war eine Geweihte des Fuches.
Er blickte sie mit geröteten Augen an…er ahnte Fürchterliches. „Ich vertraue dir Garion…du wirst mich nicht verraten…und du wirst niemals von meiner Seite weichen.“, Neferus Stimme war wie ein Peitschenhieb. Rahjas grausame Macht brach die Wirkung des Harmoniesegens, als sich ihre Wange an seine schmiegte. Die Verteidigung seines Herzens brach in sich zusammen und schon nutzte der Feind seine Chance. Glühende Eisen stachen nach seinem Herzen. Sie hatte Recht…sie konnte ihm vertrauen…und er würde niemals von ihr lassen können…aber er spürte, was diese Worte bedeuteten. Sie wusste nicht, dass er sie liebte. „Hast…du die Rose gefunden…?“, fragte er leise.
„Die war von dir…? Ich dachte sie wäre von…“, Garion spürte wie seine Kehle sich zuschnürte…ein unbarmherziger Würger, der ihm das kommende Wort gnadenlos weissagte. „..Phexdan.“
Das Bett wurde ihm eng…er wollte weg…weit weg. Er fühlte sich trotz Neferus geringem Gewicht, als sei er unter Tonnen von unbarmherzigem Gestein lebendig begraben. Sein Blick glitt zu dem Körper, der auf seinem ruhte und sich langsam in Borons Arme begab. Sie trug sogar die Kleider dieses Hurensohns…ahnte sie nicht, was sie ihm antat? Wieder begann er zu weinen…er gab sich der Trauer hin. Ihm war egal, was andere von ihm dachten, ihm war egal ob die Tür zu seinem Zimmer noch immer offen stand, er wollte weinen, er konnte nicht anders. Was ihm wichtig war lag zerschlagen am Boden. Neferu hatte das Messer tief in seine Brust gerammt und es herumgedreht…langsam…genüsslich. Er fühlte sich einsam obwohl sie neben ihm lag, er wusste, dass dieses Gefühl von nun an sein Leben beherrschen würde…Einsamkeit…niemand war geblieben. Ithar würde alt werden und sterben, Richard war weg…Ven…Ven würde irgendwann gezähmt und sesshaft werden, er würde ihn nur bei einem seiner spärlichen Besuche bei ihm und seiner Frau sehen. Und Neferu…? Neferu würde einen anderen heiraten…sich ihm hingeben. Wieder wurde ihm schlecht, seine rechte Hand krampfte sich zusammen, als sein Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes wurde und Ströme von Tränen sich ohne einen Laut auf den Bezug des Kissens ergossen. Er würde einsam sterben…nachdem er ein Leben gelebt hatte, das wie der siebte Kreis der Verdammnis auf ihm lasten würde, dem er sich aber nicht zu entziehen wagte…aus Furcht auch noch das Letzte zu verlieren, was er von Neferu hatte…ihre Gegenwart…ihre schmerzende Freundschaft und ihr vernichtendes Vertrauen. Er würde sich selbst zerstören während er sie schützte, das war ihm klar. Er musste alleine…den Weg in Borons Hallen antreten und Rahja würde ihn trotz seiner Taten verspotten.
Nein…diese Nacht würde er keinen Schlaf finden. Seine Nacht wurde zu einem Vorgeschmack seines zukünftigen Lebens. Er wagte es nicht sich zu bewegen…Dämonen zerrten an seinem Geist, Krämpfe schüttelten den geschwächten Körper und attackierten immer wieder sein geschundenes Herz. Erst als die Sonne das wunderschöne Gesicht der Frau, die er liebte schadenfroh in ihr Licht tauchte, forderte sein erschöpfter Körper seinen Tribut. Er klammerte sich an sein Bewusstsein…der Morgen bedeutete, dass Neferu erwachen würde…und wenn er dann schlief…würde er ohne sie erwachen…ihm graute vor der Dunkelheit…und doch…besiegte sie ihn. Er glitt in einen traumlosen, unruhigen Schlaf hinüber…
Grangor 12 (Rahjard)
Ohne besondere Ereignisse, ohne besondere Taten ließ Rahjard die letzten Tage in Grangor verstreichen. Lediglich zwei Dinge hatte er noch unternommen: sich Proviant gekauft und mit Nestor gesprochen. Dieser würde ihn mitnehmen, die Bettler würden es sehen. Sie würden wissen, dass er von dieser Stadt allmählich genug gesehen, dass er genug erlebt hatte. Jedoch waren die Tage die vor ihm lagen alles andere als erbaulich. Alleine mit weitestgehend Fremden auf einem kleinen Schiff, dann nach Ferdok… nach Gareth und Festum. Zwar hatte er es nicht eilig, doch der Gedanke, dass sein letzter Aufenthalt an der östlichen Küste bereits über einen Götterlauf zurücklag gefiel dem charismatischen Burschen auch nicht.
Eigentlich war sein Verhalten untypisch, insbesondere wenn man bedachte, dass er einen Mond, eineinhalb Monde nach Neferu gesucht hatte. Jedoch hatte sie seither nur Augen für Phexdan. Nicht einmal für einen kleinen Taschendiebstahl hätte sie sich wohl Zeit nehmen wollen, selbst als sie in einer von Rahja und Satinav geschaffenen Zeitblase gefangen waren hatte sie sich kurz ehe sich die Zeitstarre in Wohlgefallen auflöste offenbar zu ihrem Liebsten begeben. Allein dieser Gedanke gefiel ihm nicht, dass seine vermeintliche Schwester im Geiste sich seit ihren Erlebnissen bei einigen Eingeborenen nahe Al’Anfa einen feuchten Kehricht für ihn interessiert hatte.
Eifersüchtig? Ein wenig – nur nicht auf solche Weise wie der Ritter des alten Weges.
Was wollte sie in Ferdok? „Das geht dich nichts an“, hatte sie zurückgefaucht. Auch sonst schien sie sich, im Nachhinein betrachtet, gewandelt zu haben. Es fühlte sich fast so an, als wäre sie eine Fremde und nicht mehr jenes junge Ding, wegen dem er einen Reiter nach Arivor entsandt hatte oder jenes, welches ihm mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen in die Seite knuffte. Er war unzufrieden. Sie war irgendjemand, aber nicht die Neferu, die er wenigstens zu mögen gelernt hatte. Nicht die, die sich herausnahm in jeder noch so unpassenden Situation einen schlechten Scherz auf seine Kosten zu machen. Je mehr er darüber nachdachte, kam ihm auch Garion in den Sinn. Armer Bronnjar. Gerade jetzt sitzt er wahrscheinlich in Grangor, alleine. Denn die, mit der er den Bund Travias eingehen wollte, wandte sich von ihm ab und einem Bettler zu. Armer Rondrit. Als wäre er, betrachtet man seine Herkunft und sein Wesen, seinen Glauben und die Marotten… nicht schon genug von den Göttern gestraft worden.
Daher war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Bronnjar sich ebenfalls aus Grangor zurückziehen würde. Nach Arivor – oder zu Ithar, ins Bornland. Irgendwohin, wo er „seine“ Neferu nicht sehen müsste, wo er seinen Kummer, das Leid und das Wehklagen in dem Lernen neuer Liturgien oder körperlicher Ertüchtigung mit dem Schwerte ertränken könnte. Und dann war es das, vermutlich. Neferu würde sich auf Phexdan einlassen und er sich gewiss auch auf sie, Garion Rondrior von Arivor würde irgendwann ehrenvoll in einer Schlacht zugrunde gehen und er, …er würde erst einmal die Zeit bei Mirhidan genießen. Und dann weitersehen, ob es möglich wäre das eigene „Schicksal“ in ein noch besseres Licht zu rücken, im Vergleich zu dem tragischen des ehemaligen, bornländischen Sonnenlegionärs. Verkneifen konnte sich Rahjard ein mattes Schmunzeln in diesem Moment nicht, obwohl er fast ein wenig Mitleid für den Geweihten empfand.
Um dieses Ziel jedoch zu erreichen war es erst einmal vonnöten, seine sieben Sachen zusammenzupacken und Grangor zu verlassen. Eine leichte Aufgabe, deren Erfüllung er am nächsten Morgen mit Nestor im Schlepptau in Angriff nehmen wollte. Endlich… weg.
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