Bettler und Gaukler
Grangor 23 (Feqzjian)
Noch einmal rückte Feqzjian den Stützverband zurecht, der sich über sein Nasenbein bog, dann nickte er zufrieden. Garions Faustschlag war lange nicht so gut gezielt gewesen, wie der Letzte. Sicher, seine Nase hatte füchterlich geblutet, aber keine Verletzung aufgewiesen, die der gute Trunk vom Heiler nicht wieder hatte beheben können.
Mit nachdenklicher Miene schob er sich an einem der Bettler vor dem Eingang zur Offenen Hand vorbei und sah über die Köpfe der Anwesenden hinüber zu dem hölzernen Geländer der Treppe, die sein Ziel war. Die Luft der niedrig gebauten Taverne war geschwängert vom Rauch schlechten Tabaks und dem Geruch billigen Bieres. Rasch drängte er sich in die Menge hinein, drängelte Leiber bei Seite und machte ausgiebigen Gebrauch von seinen Ellenbogen.
Als er die erste Stufe betrat, knarrte das Holz unter seinem Stiefel leise. Sein Blick huschte den Weg empor und verharrte am oberen Ende des Aufstiegs.
Immerhin habe ich versucht, um was sie mich gebeten hat.., huschte es ihm durch den Kopf. Mit der rechten Hand hielt er sich am letzten Pfosten des Geländers fest und schwang sich gut gelaunt nach rechts daran vorbei. Garions Auszeit war noch um einen weiteren Tag verlängert worden und er würde heute seine Ruhe allein mit Neferu haben.
Konnte dieser Tag noch besser werden?
Kurz bevor er die Tür zu seinem Zimmer erreichte, hielt er noch einmal inne.
Sie sagte zwar, dass ich mich entschuldigen und so lange bei Garion bleiben solle, bis er die Entschuldigung akzeptiert hätte, aber ich denke nicht, dass ich mich dafür in Lebensgefahr begeben sollte. Mal abgesehen davon, dass ich eher gegangen wurde, als es freiwillig zu tun.
Er nickte zufrieden. Ja, es gab nichts, was man ihm vorwerfen konnte. Mit einem letzten Schritt war er bei der Tür und öffnete sie ohne anzuklopfen.
Das Zimmer des Halbmaraskaners bot im Allgemeinen den gleichen Anblick wie immer. Überall lag Kleidung in den Ecken, auf dem Tisch standen mehrere angebrochene Flaschen mit klaren oder bernsteinfarbenen Flüssigkeiten, die Vorhänge waren kaum mehr als einen Spalt geöffnet obwohl es noch nicht dunkelte und das Bett war nicht gemacht. Die einzige, in Feqzjians Augen durchaus erfreuliche Abweichung der Norm stellte die gut gebaute junge Frau mit den vielen, geflochtenen Zöpfen dar, die mit einem angewinkelten Bein rücklings auf seinem Bett lag.
Neferu hatte sich eines seiner Bücher über Maraskan aus dem unordentlichen Stapel direkt neben seinem Bett gezogen und begonnen darin zu blättern. Als er eintrat schlug sie gerade eine Seite um, sah dann aber über den Rand des Werkes zu ihm auf.
„Und?“, fragte sie neugierig, ehe der Blick ihrer tannenfarbenen Augen kaum einen Augenblick später auf den Verband stieß, der sich über seinem Nasenrücken befand.
„Nein. Er hat dich schon wieder geschlagen?“ Neferu schlug mit ungläubigiger Miene das Buch zu und legte es bei Seite, dann stand sie auf und kam zu dem Geweihten des Fuchsgottes hinüber.
„Ich fürchte doch.“, antwortete er mit einem wehleidigen Lächeln und einem mitleidheischenden Tonfall. „Aber viel schlimmer ist, dass er meine Entschuldigung nicht annehmen wollte.“ Das hatte er einfach erwähnen müssen. Er, der er aussöhnend und auf ihren Wunsch in liebender Rücksicht zu dem Rondriten gepilgert war, um schmählich fortgescheucht zu werden – und das nicht nur verbal. Im selben Atemzug bemerkte er innerlich voll Zufriedenheit lächelnd, dass seine Worte Früchte trugen.
Die Lippen der grünäugigen Schönheit pressten sich unwillig aufeinander.
„Dieser Sturkopf!“, schimpfte sie.
„Verzeih mir …“, fuhr sie gleich darauf gnädiger fort, „ich dachte nicht, dass er dich erneut schlagen würde.“ Sanft glitt ihre Hand über seine unrasierte Wange, ehe sich ihr Gesicht in noch langsamen, von Scheu geprägten Bewegungen näherte. Ihre Lippen taten einen zaghaften Versuch und strichen sachte über die Seinen.
Der verführerische Duft ihrer Haut ließ ihn einen Moment wanken, ließ seine Gedanken vergessen wo er war und wer er war.
War dieser dezente, süßliche Hauch eine Nuance des Jasmin?
Ein erhebendes Gefühl durchflutete seine Nervenbahnen und hinterließ ein wohliges Kribbeln in seiner Bauchregion. Selten hatte er soetwas gespürt. Wenn er genau darüber nachsinnte – eigentlich niemals zuvor.
Inniger als sie ihn begonnen hatte, erwiderte er den Kuss und löste sich dann von ihr um sich auf dem Bett niederzulassen.
Mit zwei schnellen Handgriffen zog er seine Füße aus den dünnledrigen Stiefeln und warf sie unachtsam in seine favorisierte Ecke des Raumes, in der sich ein heterogenes Sammelsurium verschiedenster Habseligkeiten beinahe bis auf Brusthöhe stapelte. Bald hatte er auch diese Höhenmarke erreicht.
Das für nur eine Person ausgelegte Bett knarrte leise, als er sich auf den Rücken sinken ließ und die Arme unter seinem Kopf verschränkte. Alsbald erhielt er Gesellschaft: Mit flinken Bewegungen war Neferu an seiner Seite und schmiegte sich an ihn.
Vorsichtig löste er eine seiner Hände vom Hinterkopf und streckte den freien Arm nach ihr aus, um sie noch näher an sich zu ziehen.
„Ich habe morgen früh einen Termin.“, eröffnete Feqzjian leise, als sie ihre Wange katzengleich an seiner rieb, tief und wohlig einatmete und mit den schlanken Fingern ihrer linken Hand durch seine ewig zerzausten Strähnen strich.
„Oh …“, antwortete sie leise und rutschte wie auf Stichwort etwas von ihm fort, imme rnoch auf der Seite liegend, „dann sollten wir heute besser früh schlafen.“
Er musste unwillkürlich lächeln, als er mit den Fingern seiner rechten Hand über die Rundung ihrer Hüfte strich, um ihre verführenden Konturen nachzufühlen und sich ein weiteres Mal vorbeugte, um einen Kuss zu seinem zu machen.
Ihre Lippen empfingen seine wohlwollend, doch noch immer mit einer Spur Zurückhaltung. Er gab ihrer Unerfahrenheit die Schuld, auch wenn er gleichzeitig in seinen Gedanken unterstrich, dass von Schuld nicht die Rede sein konnte. Die ungewohnten Erfahrungen von Zärtlichkeit, der Austausch von Berührungen in Kombination mit ihrer Schüchternheit machten sie noch reizvoller und durchaus niedlich.
Wie er ihre Nähe liebte. Jedes Mal rief es bei ihm eine wohlige Gänsehaut hervor, ließ seine Handinnenflächen feucht werden. Noch einmal konnte er es sich nicht verwehren ihre Lippen in zärtlichem Sturm zu küssen, dieses Mal jedoch wagte er einen Schritt zu wiederholen, den er bisher nur gegangen war, als die geliebte Person zurück nach Grangor, zurück zu ihm, gekommen war.
Als ihre Lippen aufeinander stießen, öffnete auch sie ihren Mund und liebkoste seine vorstoßende Zunge voll Zuneigung und Hingabe. In sinnlicher Verbundenheit teilten sie den Platz seines schmalen Bettes, Arm in Arm und tauschten Küsse, die intensiver und zugeneigter nicht sein konnten.
Feqzjian schloss die Augen und sog die Luft des Zimmers tief in seine Lungen, während er diesen alveranischen Moment in all seiner erregenden Beschwingtheit auf sich wirken ließ.
Der Tag konnte also tatsächlich noch besser werden.
Durfte er die Dreistigkeit besitzen mehr zu verlangen? Alles in ihm forderte und sehnte sich nach mehr. Mehr Berührungen, mehr Nähe, mehr Neferu.
Neferu… Vor einem halben dutzend Monaten erst hatte der Zufall sie zu ihm nach Grangor geführt. Er formulierte seine Gedanken nicht aus. Wie das aufflackernde Licht eines Blitzes drangen schnell und ungreifbar einzelne Szenen ihrer bisherigen Bekanntschaft auf ihn ein. Die erste Begegnung auf der Brücke beim Schneider, der Tag im Garten hinter dem Tempel Efferds, die lange Unterhaltung Marans und Neferus, all das umspülte seinen Geist. Aber noch etwas anderes beschäftigte ihn. Wie im Fieber schien ihm sein Verstand umnebelt, niedergerungen durch den Eigenwillen seines Leibes.
Seine Fingerspitzen glitten stetig über ihre Schultern und ihre Taille, strichen ihr einen der vielen geflochtenen Zöpfe aus dem Gesicht, berührten wie zufällig ihre Brust. Er spürte mit jeder Sekunde das Begehren ansteigen, was sich in der Intensität seiner Küsse und seiner Bewegungen wiederspiegelte.
Da war sie wieder, ihre verhaltene Gehemmtheit… Überfallen durch soviel schiere Leidenschaft seinerseits zog sie sich zurück und unterbrach die Verbundenheit beider Körper.
Als sie sich aus dem Kuss befreit hatte, leckte er sich schnell atmend durch seine nun wieder gezügelte, doch zuvor ungestüme Annäherung über die Lippen. Sein Hals war trocken. Konnte er es tatsächlich wagen? Zu spät… Die Frage hatte bereits angefangen über seine Lippen zu gleiten und seinen Wunsch zu äußern.
„Darf…ich deinen Po berühren?“, entkam es ihm leise und mit verlegenem Zögern. Sie lagen sich gegenüber, fast Stirn an Stirn. Seine dunkelgrünen Augen blickten durch die eben herrschende passionierte Inbrunst glasig und gedämpft in ihre, in welchen trotz des Sinnenreizes der Lust noch immer Ruhe und Vernunft die Überhand hatten.
Beinahe sofort erstarrte Neferu an seiner Seite und hielt den Atem an. Er konnte sehen wie sich ihre Lieblingsfarbe Rot auf ihrem Gesicht ausbreitete und er war sich für einen Moment sicher, das Blut in ihre Wangen rauschen zu hören. Dann erreichte ihre unsicher geflüsterte Antwort sein Ohr. „Ich…Ja, ich denke schon…“
Seine Finger ließen sich das nicht zweimal sagen und während er durchdringenden Augenkontakt hielt, wanderten sie ihre Hüfte hinab, bis diese in den sanften Schwung ihres Pos überging, dessen Wärme und Weichheit er durch den Stoff ihrer blauen Hose hindurch vorsichtig betastete.
Es war das erste mal, dass er den Körper einer Frau auf diese Weise an so einer Region berührte. Und soweit er wusste, war es auch für die wunderschöne Halbtulamidin die erste Erfahrung dieser Art. Zumindest hatte sie ihm noch nichts Gegenteiliges erzählt.
Einen Moment hielt er inne und genoss die Wärme ihres Leibes, die durch den Stoff der Hose an seine Hand gelangte, dann beugte er sich erneut in hitziger Gier über sie und brannte ihr einen verschlingenden Kuss auf die Seite ihres Halses.
Bei Rahjas Rosen.
Neferu schob sich innig in seine Arme und legte ihren Oberkörper auf seine Brust, nachdem er sich durch sanfte Gewalt hatte überzeugen lassen, sich auf den Rücken zu drehen. Phexdan spürte die angenehme Wärme des geliebten Körpers, genoss die traute Zweisamkeit, die die heitere Göttin den Liebenden schenkte. Seine Welt war perfekt, als er Neferu fest an sich drückte und sein Gesicht in ihrem rotbraunen Haar vergrub, das zu Zöpfen geflochten waren.
Dann schien sie die grausame Absicht durchsetzen zu wollen, den Zauber zu beenden.
„Phexdan… Wir sollten wirklich schlafen.“, damit drehte sie in seinem Arm herum und zeigte ihm nur noch ihren angekleideten Rücken.
Innerlich seufzte der Bettlerkönig.
Nebenbei entschied er, dass es dringend an der Zeit war, dass er sie auf die korrekte Aussprache seines Namens hinwies.
Dicht rückte er an sie heran, spürte wie sich ihr Po an seine Lenden drückte und wie ihre Hand nach der Seinen griff, als er seinen Arm wie zum Schutz über sie legte.
Mal sehen ob ich schlafen kann, Bruderschwester…
Minuten später starrte er noch immer auf den dunkelroten Stoff direkt vor seiner Nase. Trotz der Dunkelheit des Zimmers, Neferus beruhigender Nähe und des weichen Kissens wollte seine Erregung der Erschöpfung ihr Recht verweigern.
Mit einem Kloß in der Kehle ließ er seine Hände abermals über den Leib der Geweihten gleiten, berührte ihre Haut, wo sich ihm die Möglichkeit eröffnete.
Die Schranken ihrer Kleider hatte er längst frech durchbrochen. Hemdsaum und Hosenbund stellten für die flinken Finger des Halbmaraskaners kein Hindernis mehr dar.
Einen Moment zögerte Feqzjian, dann tastete er sich fahrig an den Rundungen ihres Körpers entlang.
„Es gibt so viel zu erkunden…und ich bin neugierig.“, flüsterte er in ihr nahes Ohr.
Ein phantastisches Gefühl strömte durch seinen ganzen Körper, während der waghalsige Pionier ihre Haut berührte.
Unter seinen Fingern erbebte und zitterte der Leib der jungen Frau.
Seine Sinne mussten ihm einen Streich spielen, anders konnte es nicht sein. Tief in seinem Innern meinte er ein amüsiertes Lachen zu hören. Wie viel von seiner lustvollen Schwester doch in dem Gott mit dem schelmischen Zwinkern verborgen lag.
Ihm wurde heiß.
Niemals hatte er zu hoffen gewagt, dass er seine ersten Berührungen dieser Art mit einer Frau wie Neferu austauschen würde. Mit einer Frau, deren Witz, Charme und schlichte Eleganz ein Zusammenspiel bildeten, wie Rur es in seiner Schönheit nicht besser hätte schaffen können. Er biss sich auf die Unterlippe, um sich zurück in die Realität zu holen, um sich nicht endgültig durch den Strom der rahjaischen Gelüste fortreißen zu lassen.
Er musste auch jetzt einen kühlen Kopf bewahren, aber gerade das, was ihm normalerweise so leicht fiel, schien nun nahezu unmöglich. Nie war es ihm so wenig falsch vorgekommen den Verstand zu verlieren wie jetzt.
Seine ungleich längeren und breiteren Finger umschlossen ihre, ehe er ihre Hand zu sich nahm und auf seiner warmen Brust ablegte. Er schauderte. Wieder ein gutes, neues Gefühl von dem er schon jetzt nicht genug bekommen konnte. Er fühlte sich hungrig nach ihren Berührungen und kam sich gleichermaßen unersättlich vor.
Ihre schmalen Finger glitten unsicher, aber schier sanft seine muskulöse Brust hinab, auf seinen Bauch und strichen an seinem Nabel vorbei, bevor sie einen schmalen Streifen dunklen Haares entdeckten.
Sich vorsichtig auf die Seite drehend, überwand er erneut, diesmal etwas unwirscher den Bund ihrer blauen Hose, die ursprünglich die seine gewesen war. Er hatte sie mit ihr geteilt, sie ihr überlassen. Und da war noch viel mehr, das er mit ihr teilen und ihr überlassen wollte …
„Ich liebe deine Berührungen, Neferu.“, er schluckte trocken, als sich die Worte seiner Kehle heiser entrangen und die schützende Decke des Schweigens zerrissen.
Die Reaktion Neferus kam unterwartet. Schnell, beinahe furchtsam wandte sie ihre Front von ihm ab, der Wand entgegen.
Feqzjian musse ungewollt Lächeln, setzte sich auf und griff nach ihrer Rechten. Keine Angst, Bruderschwester, Füchse beißen nicht – nicht fest zumindest.
„Hast du Angst…?“, fragte er sie leise, ehe er sich halb über sie beugte und ihr einen zärtlichen Kuss in die Handfläche drückte, um ihre Unruhe zu vertreiben.
„Sieh mich an. Ich gehöre ganz dir.“
Als sie antwortete klang ihre Stimme weniger unruhig, denn bitter und herausfordernd: „Das habe ich schon von vielen Männern, viele Male gehört. Ich war schon vier Mal verheiratet.“
Ein weiteres ungesehenes Lächeln glitt über die ansehnlichen Züge des jungen Mannes, als seine Finger in die Freiräume zwischen ihren glitten. Neferu war keinesfalls älter als zwanzig Götterläufe. Vier Hochzeiten und vier Trennungen bis zu diesem Zeitpunkt sagten mehr als 1000 Worte über die Ernsthaftigkeit mit denen diese Ehen geführt worden waren. „Ich…War Heiratsschwindlerin, habe die Unschuld vom Lande gespielt, die sich geziert hat. Brauchte das Geld. Ich bin mit den Männern nie bis zum Äußersten gegangen.“, gestand die süße Stimme neben ihm leise ein. Hatte er es doch geahnt …
„Aber du hast es noch nie von mir gehört. Glaube mir, wenn ich es sage.“, versicherte er ihr und schwang seinen Körper auf den ihren, legte seine Knie rechts und links neben ihrer Hüfte ab und führte ihre Hand zu seiner Wange.
„Ich bin noch unberührt.“, fügte er im Flüsterton hinzu. Das musste ihr Interesse wecken, er konnte vollständig ihr gehören. Wieder war die Antwort der schönen Lippen unerwartet: „Ich auch… aber nicht aufgrund eines Versprechens wie bei dir, sondern weil ich es wollte. Glaub mir, es war nicht immer leicht…Und es gab viele Dutzend Gelegenheiten …“ Sie hatte den Spieß umgedreht und ihr Ziel nicht verfehlt, er konnte geradezu drängend spüren, wie sein Interesse an ihr ins Unermessliche wuchs.
Einen Moment herrschte eine gespannte Stille. Nun kommt es darauf an die richtigen Worte zu finden, Bruderschwester. Gib dir Mühe oder du machst alles kaputt. Noch einmal befeuchtete er seine Lippen und setzte zum Sprechen an: „Das…macht es umso wertvoller.“ Ein weiteres Mal küsste er sie und spürte, wie Neferu sich ein wenig entspannte.
Seine Antwort war gut gewesen, dessen war er sich nun sicher. Vielleicht war heute ja doch die Nacht der Nächte. Berauscht von dieser Vorstellung drängte er sich zwischen ihre Beine und sah wie gebannt in ihr nahes Gesicht hinab. Ihr Blicke begegneten sich, als er einen festen Ruck spürte und von Neferu hinab zurück auf das Laken der Tatsachen rollte. Hattest du es dir bei einer Frau wie ihr wirklich so einfach vorgestellt? Er spottete in Gedanken über sich selbst, als sie sich auf die Seite rollte um ihn anzusehen. Zitternd erklang ihre Stimme: „So viele Jahre habe ich mir bewahrt, was du jetzt unbedingt willst. Ich werde dir alles geben, aber erst…wenn wir den Bund geschlossen haben.“
Er schluckte leise. „Dann… nimm mir den Eid ab. Nur du sollst meine Strafe bestimmen, wenn ich ihn breche….“, seine Stimme bebte, als er sprach. Kaum waren seine Worte verklungen, drang wieder der weiche Ton Neferus an seine Ohren. „Ich…darf mir jede Strafe ausdenken, die ich gut heiße?“
Er spürte wie Gänsehaut seinen Leib hinauf kroch. Dann nickte er. „Ja, so ist es, fordere was immer du willst, ich werde auf deine Bedingungen eingehen.“ Wieder spürte er deutlich wie trocken seine Kehle war, sogar seine Stimme hatte ein wenig gekrächzt.
„Und wann willst du den Bund eingehen?“,flüsterte sie.
Für einen Moment lang glaubte er nicht genügend Luft zu bekommen, ehe er hervorbrachte: „Morgen, am besten noch Heute … Ich will, dass du endlich mein Eigen bist.“
Ob er mit diesem offenen Geständnis zu weit gegangen war? Immerhin hatte er Neferu soeben vollständig und unwiderruflich für sich beansprucht und dabei nicht unbedingt die Worte gewählt, die ein in Freiheit lebender Mensch gerne hörte.
Einen quälenden Moment lang herrschte atemlose Stille, dann flüsterte ihre Stimme nahe an seinem Ohr: „Du sollst mich zuerst lehren …“
Ein erschöpftes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Ja, Bruderschwester, du bist ganz eindeutig dem humorvollen Gott zugetan, aber warum sollte ich dir diesen Triumph verwehren? „Alles…“, hauchte er sanft in ihr Ohr,„…wir werden gemeinsam Erfahrungen sammeln.“ Neferus Stimme war, wie erwartet, von triumphierenden Klängen durchdrungen als sie ihm antwortete. „Nicht wie du jetzt gerade meinst…Bringe mich Phex näher…Versprich es!“
In einer schnellen Bewegung zwang er sie auf den Rücken und schob seinen Körper auf ihren und drückte sich an sie. Wieder war ihm kein Erfolg beschieden. Sanft aber entschieden schob sie ihn von sich und versuchte seine Aufmerksamkeit auf etwas weniger Verfängliches zu lenken.
„Zuerst habe ich gedacht…du seist der Mond.“ Das erheiterte Lachen, dass in seinem Inneren begann, trug bis nach außen. Zwar wusste er nicht genau ob sie wahr sprach oder etwas erfand, aber er war sich sicher, dass sie fieberhaft nach Worten suchte, um die Stunde der Wahrheit herauszuzögern.
„Hast du das?“, fragte er leise.
„Ja, du warst so schön…“, raunte sie in sein nahes Ohr und streichelte mit einer Hand seinen Nacken,„…und ich habe noch nie einen helleren Stern gesehen.“
Sie meinte also was sie sagte. Er war sich des Umstandes durchaus bewusst, dass seine Kenntnisse die der meisten Phexgeweihten übertrafen. Aber selbst er hätte sich bei aller Liebe zur Einbildung nicht mit dem Mond messen wollen. Sein Auftreten musste sie wahrhaft beeindruckt haben. Ihre Finger an seiner Haut stockten, als sie über das Lederband fuhren, an dem er noch immer den Schneeflockenanhänger trug, den sie ihm geschenkt hatte.
„Du trägst ihn noch…“ flüsterte sie leise. Offensichtlich gab sie sich weiterhin größte Mühe ihn von den Vorzügen ihres Leibes abzulenken.
„Ja, natürlich…“ wisperte er schmunzelnd, ehe er entgegen ihrer Bemühungen erneut alles daran setzte ihren Körper zu erfahren. Neugierig küsste und tastete er.
„Ich liebe wie du riechst…deinen Duft… ich liebe deine Haut so dicht an meiner… deine Fingerspitzen, wie sie mich immer wieder berühren.. ich liebe es, wie sich deine Finger in meinem Haar verkrampfen.. Ich liebe, wie du dich bewegst. Ich liebe… dich.“, gelang es ihm durch den Nebel, der sein Hirn umgab zu flüstern. Er erschauderte, als er hörte, wie rauh seine eigene Stimme klang. Dann war Neferu von einem Lidschlag auf den anderen auf ihm. Seine Lunge füllte sich scharf mit der warmen Luft des Raumes, als sie aus dieser sitzenden Position auf ihn hinab sah.
Die Stimme, der man das verschmitzte Lächeln ihrer Besitzerin anhören konnte, erklang leise und fordernd:„Wenn du mich wirklich liebst… zeig mir wie sehr.“
Für einen Moment blinzelte er in das Dunkel und stockte. Wie sollte er jetzt und hier zeigen können, wie sehr er sie wirklich liebte? Dann aber gehorchte ihm sein Verstand wieder und kurzentschlossen umschlang er ihren Oberkörper und begann zu drücken, presste sich dicht an sie, versuchte sein Gefühl in die Kraft seiner Arme zu legen.
Nicht unbedingt geistreich, wie er sich selbst eingestehen musste, aber immerhin – er hatte überhaupt reagiert.
Als auch der Druck ihrer Arme zunahm löste sich seine Anspannung, sie fühlte, was er auszudrücken versucht hatte.
Er ließ sich mit ihr in die Kissen zurücksinken. Die Körper der Zwei schienen beinahe durch die Umarmung ineinander verkeilt.
Jetzt war seine Chance gekommen! Mit einer schnellen Bewegung drehte er seinen Körper zur Seite und nutzte den Schwung um sich auf das Objekt seiner Begierde zu stürzen.
Er war am Ziel, zwischen ihren Beinen. Endlich spürte er den Leib unter sich, den er sich sehnlichst genau dort gewünscht hatte.
Sein innerer Jubel fand ein jähes Ende, als er das Lachen Neferus hörte und spürte wie sie ihn von sich herunter warf.
„Glaub nicht, du kannst dir heimlich erschleichen, was du nicht sofort bekommst, Füchschen…?“, flüsterte sie neckisch in sein nahes Ohr, als sich unter ihm wieder nichts als das Stofflaken seiner Bettstatt befand.
Immer wieder erinnerte sie ihn mahnend wegen der voranschreitenden Uhrzeit an das frühe morgendliche Aufstehen und jedes Mal trieb es ein innerliches Schmunzeln in seine Gedanken.
Immer wieder stellte sie leise Fragen. Er quittierte mit einem Lächeln, dass sie mehr über ihn erfahren wollte und diese Gelegenheit nutzte, in der sie ihn ihr ausgeliefert glaubte.
„Wo kommst du her?“ wisperte sie ihm entgegen.
„Meine Eltern kamen aus Maraskan…“ war seine leise Antwort. Maraskan. Er wusste aus ihren Erzählungen genau, dass er mit diesem Fleckchen Erde nur punkten konnte.
„Warum nur habe ich mir das nur gedacht?“ lächelte sie fast heiter. „Und wer waren deine Eltern?“
„Mein Vater war ein Sonnenlegionär, meine Mutter eine Maraskanerin… Wir wurden schikaniert… und gingen nach Grangor… ich blieb. Mir gefiel die Stadt… meine Eltern leben wieder auf Maraskan..“ flüsterte er, nicht innehaltend ihren wohlgeformten Leib zu studieren.
„Phexjian von Tuzak“. schmunzelte sie intuitiv, ohne zu wissen wie Recht sie doch hatte.
„Von all dem hier… haben die Rahjapriester erzählt..“ atmete er schwer, während er ihre Wange streichelte.
„Du bist Rahjas Tochter… Du bist… ihr Meisterwerk…“ raunte er ihr mit mitteltiefer Stimme sanft und begehrend gleichermaßen zu, während er sie an sich drückte und ihren Herzschlag spürte.
Sie lachte leise. „Lass das nicht die Rahjapriesterinnen hören…“
„Was kümmern mich diese Pfaffen..“ wisperte er verächtlich, während Neferu ein weiteres Mal begann sich von ihm zu lösen, um ihm mit ihren warmen Lippen die Vernunft zu rauben. Seine Hände verkrampften sich im Laken, während er genoss, was sie ihm schenkte. Er spürte wie seine Augen vom Sinnesrausch feucht wurden, wie seine Hände zitterten.
„Bleib für immer bei mir… Ich will.. dass du mir ganz gehörst… Was muss ich tun?“ Auch seine fahrige Stimmte versagte ihm fast ihren Dienst und erklang leise und unwirklich – Denken war zäh wie Honig.
„Ich sagte dir doch… der Traviabund..“ erinnerte sie ihn ruhig.
„Lass ihn uns schließen… gleich morgen…“ bat er leise und ernst.
Ihre Stirn runzelte sich sachte: „Soetwas braucht doch Vorbereitungen..“
„Es ist alles vorbereitet…“ beschloss er und leckte sich über die Unterlippe. Das Rauschen des eigenen Blutes in seinen Ohren ließ ihn fast die Worte nicht verstehen, die er selbst sprach.
Sie gab keine Antwort mehr darauf, sondern beließ es dabei.
Grangor 22 (Feqzjian)
Feqzjian oder Phexdan, wie ihn die Leute hier in Grangor nannten, streckte sich.
Es tat gut die Wärme des Bettes länger zu nutzen, als die meisten Horasier für schicklich befunden hätten. Gemächlich drehte er sich auf die Seite und wuschelte sich durch die chaotisch abstehenden Haare.
Bald würde Neferu zurückkommen und dann konnte der Tag beginnen. Nur kurz sah er zu dem kleinen Fenster des Herbergszimmers hinüber. Das Fenster war ein Stück weit geöffnet und ließ den Lärm der Menschen vor der „Offenen Hand“ zu ihm ein. Das fröhliche Treiben erinnerte ihn an die Zeit in Tuzak, wo jederzeit Rufe, Gesänge und Streit durch die Straßen und Gassen der Stadt schallten. Dumm nur, dass er sein Gesicht in Tuzak nicht offen zeigen konnte. Dieser vermaledeite Jagrash ibn Fazim! Schon der Gedanke an diesen Hurensohn ließ ihn die Gemütlichkeit seiner warmen Schlafstatt sträflich missachten.
Mit dem Schwung seiner Beine erhob er sich aus dem Bett und ging zu dem Fenster hinüber, um es zur Gänze zu öffnen und hinaus auf die verstopfte Straße zu sehen. Wo Neferu wohl blieb? Sie hatte doch nur kurz zur Garde gewollt um mit Garion zu reden.
Sein Blick glitt über die vielköpfige Schar am Fuße des Hauses. Die Menschen dort unten bildeten eine farbliche Einheit von Graublau, sodass er Neferu nur an ihren Haaren hätte erkennen können. Missmutig verzog er das Gesicht und wandte sich wieder in das Zimmer hinein. Er musste sich waschen und anziehen, so würde er weniger Zeit verlieren, wenn seine Geliebte zurückkehrte. Ein suchender Blick tastete sich über das Chaos, das in dem Zimmer des Phexgeweihten herrschte. Überall lagen Wäsche, Bücher, Dokumente und Schmuckstücke – für das ungeübte Auge ein absolut konfuses Wirrwarr verschiedenster Gegenstände.
Nicht so für den gebürtigen Maraskaner. Zielstrebig hielt er auf den Haufen der sauberen Kleider zu und griff sich eine dunkle Hose mit einem passenden Hemd. Innerlich verfluchte er die farbliche Eintönigkeit dieser Stadt, aber um nicht all zu sehr aufzufallen, war es notwendig sich anzupassen.
Auf dem Weg zum Waschtisch hinüber warf er die Sachen auf sein Bett und griff mit trockener Kehle nach einem halbvollen Becher mit billigem Wein, der vom Vorabend übrig geblieben war.
Bei der Schönheit, ist das Zeug bitter! Mit einem Schaudern leerte er den Becher so schnell er konnte und stellt ihn auf das niedrige Beistelltischchen neben dem Bett zurück.
Rasiert hatte er sich erst vor zwei Tagen, eine erneute Rasur war also noch unnötig, befand er und tauchte seine Hände in die Schüssel mit kaltem Wasser, um sich damit das Gesicht zu waschen.
Das eisige Wasser weckte seine Lebensgeister. Mit neu erwachtem Elan warf er sich zwei, drei Hände voll Wasser unter die Arme und in den Schritt. Er hatte nie verstanden, was manche Leute an warmem Waschwasser fanden. Es ermüdete, es war zu heiß und es verleitete einen dazu seine Zeit faul in einem hölzernen Bottich zu verschwenden. Leise prustete er das Wasser aus seiner Nase und griff nach einem am Boden liegenden Handtuch um sich abzutrocknen.
Ein Genius überblickt eben das Chaos, dachte er bei sich und warf das Tuch mit der verwaschenen, grauen Farbe zur Seite von sich. Wie von Rur geschaffen durchquerte er das Zimmer und kehrte zu seinem Bett zurück, auf dem er Hemd und Hose mit der warmen Hand ein wenig glatt strich.
Es galt immerhin einen gewissen Eindruck in dieser Stadt aufrecht zu erhalten. Während von draußen der flehende Gesang eines Bettlers hinein drang, zog er seine Hose über und schnürte das Hemd vor seiner Brust zusammen. Der Tag sah warm aus, mehr würde er nicht benötigen.
Mit gerunzelter Stirn betrachtete er das unaufgeräumte Zimmer. Nun hieß es nur noch seine Stiefel zu finden …
Auf dem Flur ertönten Schritte. Feqzjian unterbrach seine Suche und hob den Kopf an um zu lauschen. Genagelte Sohlen, ohne Zweifel, aber der Schritt war schnell und nicht schwer. Was sich näherte war auf jeden Fall weiblich und leicht. Rasch stellte er sich aufrecht hin. Auf gar keinen Fall würde er sich die Blöße geben gerade nach etwas zu suchen, dass er verlegt hatte, wenn Neferu zurückkehrte! Mit schnellen, leisen Schritten huschte er zum Bett und ließ sich leise hinein gleiten – keinen Augenblick zu früh. Die Tür zu seiner Behausung öffnete sich und gab den Blick auf die dunkelhäutige Schönheit mit den tannengrünen Katzenaugen frei. Sie sah ein wenig ungehalten aus, wie er fand – niedlich. Er legte ein Lächeln auf seine Lippen und verschränkt die Arme hinter dem Kopf.
„Da bist du ja wieder.“, eröffnete der Maraskaner das Gespräch und zeigte ihr in einem schmalen Grinsen seine ebenmäßigen Zähne.
„Du hast Garions Haftstrafe verlängert! Und ich bin mir sicher, du warst es auch, der dafür gesorgt hat, dass der Fäkalieneimer über ihm ausgeleert wurde!“, ihre Augen verengten sich zu ungehaltenen Schlitzen, als sie die Tür hinter sich mit ein wenig mehr Schwung als nötig ins Schloss warf und auf ihn zu kam.
Schnell setzte er sich aufrecht hin. Sie war aufregend wenn sie wütend war, ohne jeden Zweifel.
„Bist du auch böse auf den Fuchs, wenn er eines deiner Hühner reißt?“, wagte er mit einem kecken Lächeln zu antworten und leuchtete mit seinen grünen Augen ihr Gesicht aus, während er seine Unterlippe ein wenig nach vorne schob. Die Schöne stutzte und wirkte einen Moment irritiert, ehe sich ihre Mundwinkel langsam aber sicher hoben.
Gratulation, Feqzjian, mein Freund, das war es, was du sagen musstest.
Er erhob sich aus dem Bett und trat der Frau die er in sein Herz geschlossen hatte entgegen, um sie in die Arme zu schließen.
„Nein, Phexdan! Ich muss dir böse sein! Du hast einen meiner engsten Freunde misshandelt!“, erhob sie einen wankenden Einwand, verstummte aber, als seine Lippen die ihren berührten.
Seine Hand glitt in ihre Haare. Diese warmen, dunklen, duftenden Haare. Dann drückte sie ihn ein wenig von sich.
„Warum hast du das getan?“, verlangte der göttliche Mund zu wissen und verzog sich schmollend. „Er hat angefangen. Kam einfach auf mich zu und hat ohne ein Wort zugeschlagen. Jemand musste seine Mütchen kühlen.“, wieder ließ er ein gewinnendes Lächeln über seine Lippen gleiten und griff nach ihrer Hand.
„Phexdan. Du wirst dich entschuldigen gehen, hörst du? Du findest ihn im Rondratempel.“ Er seufzte leise.
„Ja, sicher werde ich das.“, ein beiläufiger Blick striff seine Stiefel. Feqz sei Dank, schoss es ihm durch den Kopf, als er danach griff und sich auf die Kante des Bettes sinken ließ um sie überzustreifen.
„Und ich gehe jetzt gleich. Je schneller ich das hinter mir habe, desto besser.“ Mit einem letzten Blick zurück, begleitet von einem Lächeln von dem er hoffte, dass es charismatisch wirkte, verließ er das Zimmer und nahm die Treppe hinab in den Schankraum.
„Gaftan! Gib mir rasch ein Brot auf die Hand, ich habe nicht viel Zeit. Bin auf ‘ner wichtigen Mission.“, rief er dem Wirt mit der Halbglatze und den hängenden Wangen zu, als er sich auf das Ende der Theke lehnte, dass der Treppe am nächsten war.
Zwar hasste er es im Stehen – und erst recht im Gehen – zu essen, aber der Gedanke daran Garion wie einen gefangenen Löwen besuchen zu können und zu wissen, dass er wohl verwahrt noch einige Tage von Grangors Straßen verschwunden bliebe, besserte seine Laune.
So dauerte es nicht lange, bis er leise pfeifend auf die Straße zum großen Rondratempel abgebogen war. Sein Blick glitt an dem mächtigen Steinbau hinauf, von dem er wusste, dass er auf einer stabilen Insel und nicht nur auf Stelzen im Wasser errichtet worden war. Die Tore dieser Festung standen weit offen, wie es immer der Fall zu sein schien. Nicht zum ersten Mal fragte Feqzjian sich, welchen Sinn eine Festungsanlage hatte, deren Tore ständig geöffnet waren. Mit gerunzelter Stirn nickte er den schwer bewaffneten Wachen am Eingangstor zu und durchmaß gemessenen Schrittes die Haupthalle des Tempels, eher auf den am wenigsten kriegerischsten Menschen, den er ausmachen konnte zuhielt.
Eine blonde Frau, recht groß und breit gebaut, aber dennoch recht weiblich wandte sich zu ihm herum, als er sie ansprach.
„Rondra zur ewigen Ehre. Was kann ich für euch tun, Bürger?“, erklang eine Stimme, die vor Befehlsgewalt nur so triefte. Er schluckte leise. Wenn dies tatsächlich die harmloseste Person in dieser Vorhalle war, wollte er mit den anderen lieber gar nicht erst reden.
„Ich…nunja…ich suche den Herrn Garion Rondrior von Arivor. Ich möchte ihm meine Aufwartung machen.“, presste er hervor. Bei Phex, du hattest auch schon bessere Ausreden auf Lager.
Die Frau musterte ihn einen Moment lang, nickte dann aber knapp.
„Ganz wie Ihr meint. Aber lasst euch gesagt sein, dass er in letzter Zeit hart von der Göttin geprüft wurde, möglicherweise ist er ein wenig ungehalten. Hier entlang.“, es klapperte drohend, als ihre beschlagene Schwertscheide gegen ihren gepanzerten Schenkel schlug, während sie sich einen Weg durch die Betenden bahnte.
Nur kurze Zeit später fielen die Geräusche der Betenden hinter ihnen zurück, als sie in einen Gang einbogen, der bestenfalls genug Platz für zwei Personen Phexdans Größe und Breite bot. Ob einer zurückgehen muss, wenn sich Garion und die Dame hier auf dem Flur begegnen? Als die Frau auf eine Tür zeigte, sah er vor seinem inneren Auge noch immer Garion, wie er jeder Manövrierfähigkeit beraubt, rückwärts durch die Gänge des ehrwürdigen Tempels wankte.
„Hier ist es. Klopft an, bevor ihr eintretet. Ihr seid hier Gast, vergesst das nicht.“, ein lauernder Blick traf den Geweihten, ehe Selissa sich zum Gehen wandte.
Einen Moment lang sah Feqzjian ihr nach. Irgendwas stimmte nicht. Er legte die Stirn in Falten, atmete tief durch und ballte die Faust, um an die Tür zu klopfen. Der Schlag hallte in dem niedrigen Gewölbe unnatürlich laut wider und im Anschluss herrschte einen Moment unbehagliche Stille. Wofür genau sollte er sich eigentlich entschuldigen? Es war nur gerecht, dass er einen Angriff auf seine Person mit einer Demütigung gegen Garion vergolten hatte. Er kaute auf seiner Unterlippe herum, als sich schwere Schritte der Tür näherten. Er wusste, dass seine Entschuldigung bestenfalls halbherzig werden würde, immerhin sah er bei sich keinen Fehler. Da konnte er ebenso gut bei der Wahrheit bleiben. Direkt hinter der Tür erklang die Stimme des Rondriten: “Neferu…?“
Die Tür öffnet sich. Garion, gehüllt in dunkelblaue Kleider im unauer Stil stand im Türrahmen und hob offenkundig überrascht von einem derart unerwarteten Besuch die Brauen.
„Nein, aber ihre weitaus schlechtere Hälfte.“, erwiderte der Maraskaner mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. „Phexdan? Was … willst du denn hier?“, fragte der Aradarit mit seiner tiefen, ruhigen, aber von deutlicher Irritation gezeichneten Stimme.
Feqzjian von Tuzak leckte sich über die Lippen und hob die Schultern an.
„Neferu hat gesagt ich soll mich entschuldigen. Ich weiß zwar eigentlich nicht wieso, schließlich hast du angefangen, aber: Entschuldigung. Nimmst du an?“, er grinste provokant, wie um den Inhalt seiner Worte zu unterstreichen.
Mit stoischer Ruhe auf den Zügen sah der Rondrit Feqzjian entgegen, dann blitze eine Bewegung durch den Leib Garions und zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage krachte eine geballte Faust in das Gesicht des Phexgeweihten. Er spürte, wie er rückwärts taumelte, gegen die Wand hinter sich stieß und wankend zum Stehen kam. Seine Nase schwoll sofort an und der vergehende Schmerz hinterließ ein unangenehmes Jucken. „Nein.“, ertönte es trocken aus Richtung der Tür, dann hörte er sie ins Schloss fallen.
Als der Geweihte Phexens aufsah, schoben sich zwei Bewaffnete in sein Blickfeld. Eine Stimme beschied: „Das wird euren Arrest um einen weiteren Tag verlängern, Knappe der Göttin! Darüber reden wir noch!“
Dann wandte Krieger mit dem graumelierten Kurzhaarschnitt wandte sich herum und deutete auf den Schwertgesellen, der sich noch immer die Nase hielt: „Und was euch angeht. Haltet euch von dem Knappen der Göttin fern! Ich habe wenig Lust, dass ihr immer wieder Ärger macht. Uluv! Geleitet den Herrn nach draußen …!“
Grangor 21 (Garion)
Mit geschlossenen Augen lehnte er sich gegen den kühlen Stein der Tempelwand.
Garion saß in einer der Gebetsnischen, für die Gläubigen, die lieber in stiller Andacht ihr Gebet an die Göttin sandten, hatte aber den Vorhang offen gelassen um in dem Hauptraum des wehrhaften Tempels sehen zu können. Der Anblick der riesigen Leuinnenstatue dort beeindruckte ihn, sodass er während des Lesens im Rondra Vademecum von Zeit zu Zeit hinüber sah.
Seinen Arrest absitzen zu müssen, weckte zwiespältige Gefühle in dem Rondriten. Einerseits war es eine Zeit in der er von sämtlichen Pflichten der Außenwelt gegenüber frei war, in der er Phexdan nicht sehen musste und er viel Zeit hatte in seinen eigenen Gedanken zu versinken. Andererseits aber konnte er nicht gehen wohin er wollte, konnte Neferu nicht sehen, sie nicht besuchen wann immer ihm der Sinn danach stand.
Wortlos sah er wieder in das Buch hinab.
Der Rondrabund., hieß es dort. Garion musste lächeln. Wie verheißungsvoll, dass er von einem Gedanken an die hübsche Halbtulamydin sofort zu der Institution des Rondrabunds geleitet wurde. Rasch konzentrierte er sich wieder auf das Geschriebene.
Wenn sich zwei Menschen in Liebe erkennen und den Bund vor Rondra eingehen wollen, zelebriere die Segnung des Blutes. Dies wird eingeleitet von spiritueller und körperlicher Reinigung. Sodann bringen beide Liebenden der Göttin ein Blutopfer dar und intonieren nacheinander folgende Worte:
‚Herrin Rondra, Beherrscherin des Sturmes, vor dir leiste ich dieses Gelübde: Wie mein Schwert an meiner Seite, stehe ich von nun an …, Garion hielt inne. In dem Text des Rondra Vademecums war nun das Einsetzen eines Namens gefordert. Mit einem Lächeln sah er in Richtung der offenen Tore des Tempels. Es gab nur einen Namen, den an dieser Stelle einzusetzen er sich denken konnte. Vor seinem inneren Auge stand er neben einem Kohlebecken inmitten des Tempels und sprach mit ruhiger Stimme den Text, den er in Wirklichkeit geschrieben vor seinen Augen sah.
„Herrin Rondra, Beherrscherin des Sturmes, vor dir leiste ich dieses Gelübde: Wie mein Schwert an meiner Seite, stehe ich von nun an Neferu zur Seite. Aufrecht und stolz will ich gemeinsam mit ihr kämpfen, denn ihr Kampf soll auch mein Kampf sein. Wer Neferu fordert, der fordert auch mich, denn in deinem Namen stehen wir uns näher als Bruder und Schwester, als Vater und Sohn, Mutter und Tochter. Meine Klinge soll Neferu dienen und niemals werde ich sie ziehen wider sie. Seite an Seite mit dir, Neferu, bis in Rondras Hallen.“, erklärte er in seinem Geiste und als leises Lippenbekenntnis im Flüsterton in seiner Gebetsnische, ehe er sich wieder auf den Text konzentrierte.
Im Anschluss sollte von einem Bock gespeist werden. Garions Gesichtszüge wurden zu einem melancholischen Lächeln. Die einzige Frau, mit der er den Bund vor Rondra würde erklären wollen, aß kein Fleisch. Aber er war sich sicher, dass Rondra auch einen symbolischen Bock anerkennen würde. Neferu aß nun einmal kein Fleisch, die Herrin hätte in ihrer Allmacht sicher Verständnis für diesen Umstand.
Wieder sah er in das rote Büchlein hinab. Zum Abschluss der Zeremonie hieß es die zwölf heiligen Angriffe und die zwölf heiligen Wehren zu führen und sich zum Ende des Kampfes gegenseitig die letzte Wunde zu schlagen, die man voneinander empfangen würde.
Langsam legte er das rote Bändchen, das zur Markierung der letzten gelesenen Seite diente, zwischen die Blätter und schlug das Buch zu. Dann legte er den Kopf nach hinten an die Wand, die ihn stützte.
Was er sich wünschte würde niemals Wahrheit werden. Neferu plante den Bund mit einem anderen einzugehen. Mit dem Mann, der ihm den Arrest verschafft und die Fäkaliendusche beschert hatte… Mit Phexdan, dem Bettler. Mit einem bitteren Gefühl auf der Zunge schluckte er. Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Dieser schleimige Horasknecht, dieser impertinente Stutzer tauschte dort draußen in Freiheit seine Körpersäfte mit SEINER Neferu aus und ER war gezwungen hier drinnen zu darben wie ein Schwein in seinem Pferch! Wut stieg die Kehle des Ardariten hinauf, der Löwe hatte Blut gewittert.
„Garion…?“, die leise Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Überrascht sah er in Richtung des Eingangstores. Beinahe sofort kettete sich sein Blick an das blaue Einsprengsel inmitten des Weiß und Rot der Götterdiener.
„Neferu?“, rasch sprang er aus der Nische hervor und hielt direkt auf sie zu um sie mit einer Umarmung zu begrüßen. Sie war wieder da und hatte ihn tatsächlich aufgesucht. Die dunklen Gedanken waren sofort wie verflogen. Er drückte sie an sich.
„Seit wann bist du wieder in der Stadt? Geht es dir gut? Lebt der kleine Phexje wieder?“, bestürmte er sie mit den Fragen, die ihm auf der Zunge brannten. Neferu beruhigte ihn mit einem der wundervollen Lächeln, die ihr so zu Eigen waren.
„Vielleicht ziehen wir uns für das Gespräch besser in meine Kammer zurück!“, ereiferte der Rondrit sich rasch, als ihm wieder bewusst wurde, dass er sein Gegenüber inmitten einer Tempelhalle, zwischen den Betenden stehend bestürmte.
Neferu nickte sachte und sah zu dem Rondra Vademecum: „Was ist das…?“, fragte sie leise, als sie auf den Gang zu den Bußzellen abbogen, der vom Tempelhauptraum abzweigte.
„Ein Rondra Vademecum. So etwas wie ein Leitfaden für den reisenden Geweihten der Herrin Rondra.“, er bedachte Neferu mit einem kurzen Seitenblick. Zeigte sie Interesse an seinem Glauben oder fragte sie aus Neugierde ob der roten Farbe des Buches und würde nun das Interesse verlieren?
Neferu beantwortete die Frage sogleich indem sie nach dem Buch griff und beim Eintreten in Garions kleine Kammer darin zu blättern begann.
Interessiert glitten ihre katzenhaften, grünen Augen über die geschriebenen Zeilen. Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des jungen Kriegers: Bei Rondra. Es interessiert sie wirklich … blitzte es durch seine Gedanken, als er sich auf die Kante seines Bettes sinken ließ. Wieder einmal brachte der Anblick Neferus seine Gedanken dazu zu tanzen. Sie bezogen ihr kastanienbraunes Haar in den Reigen ein, forderten das Grün ihrer Augen zum Tanz auf und wagten sich an einen garethischen Walzer mit der Form ihres Gesichts. Sie war durch und durch ein Wunder, bei dem Tsa und Rahja ihre Kräfte zusammengeworfen zu haben schienen. Die Form ihrer Taille, die Rundungen ihres Leibes. Er atmete tief durch und sah zu, wie sie sich mit dem Brevier seines Glaubens auf sein Bett zurückfallen ließ.
Einen Moment noch saß Garion daneben, entschied sich dann aber doch zur Bewegung. So sanft wie es ihm mit seinen breiten Schultern möglich war ließ er sich in das enge Bett zu ihr sinken und schmiegte sich von hinten an sie um einen Arm über sie legen und sie an sich drücken zu können. Sein warmer Atem erreichte ihren Nacken, als seine Hand nach ihrer suchte und sie fand. Dann drückte er ihr einen langen und verzehrenden Kuss auf die Halsseite, sog ihren herrlichen Duft tief in seine Lungen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, dass er ihn zuletzt hatte genießen dürfen. Ihre Wärme, die Berührung ihres Leibes, der Geruch ihrer Haut und Haare, all das riss ihn wie ein großer Strudel mit sich, ließ ihn sich wie in Ekstase an sie drücken.
Es dauerte einige Minuten, bis sein Herzschlag sich wieder normalisiert hatte und er sich wieder auf das eigentliche Geschehen konzentrieren konnte. Neferu hatte weiter in dem kleinen, roten Buch gelesen, hatte die Schwüre zur Aufnahme einer Knappschaft hinter sich gelassen und schlug gerade eine Seite weiter. Garions Blick glitt die nun geöffnete Doppelseite hinab und striff das Wort Rondrabund. Er musste Lächeln.
„Was hälst du davon?“, entkam es ihm leise, während er weiter den Körperkontakt zwischen sich und der Dame seines Herzens aufrecht erhielt.
„Wovon?“, kam die leise Antwort einer Stimme, deren Besitzerin sich eigentlich auf etwas anderes konzentrierte. Vorsichtig befühlte der Ardarit den einfarbigen Überzug seiner Bettdecke.
„Von dem Rondrabund. Was hälst du davon ihn mit mir einzugehen?“
Da war er wieder gewesen. Das war der Mut gewesen, der ihn früher schon überkommen hatte. Nicht der eines verwundeten und in die Ecke gedrängten Tieres, sondern der eines stolzen Löwen.
Sein Blick glitt über Neferus Profil. Sie schien nachzudenken, sah an die hell getünchte Decke seiner Kammer hinauf und leckte sich über die Lippen – diese wundervollen Lippen.
„Dafür brauche ich keinen Rondrabund Garion. Wir reisen ohnehin immer zusammen und wir beide wissen, dass wir immer füreinander einstehen werden.“, brachte sie schließlich leise und mit sanften Bögen in den schmalen Augenbrauen hervor.
Garion senkte den Blick auf den Stoff ihrer Kleider hinab. Warum Herrin strafst du mich so sehr? Sie verkannte tatsächlich den Sinn eines Rondrabundes, tat ihn als Schwur unter Kampfgefährten ab. Innerlich seufzte er, ehe er seine Hand nach der Ihren ausstreckte und sie sanft zu umschließen begann.
Die schöne Halbtulamydin ließ ihn gewähren, gestand ihm auch diese Vertrautheit zu.
Zumindest für den Moment wollte es dem Diener der ehrenhaften Göttin erscheinen als sei seine Welt nicht vollkommen aus den Fugen geraten, als habe er, was er sich am sehnlichsten Wünschte fest in Händen.
Doch ewig war nur Satinav. Durch den Schleier seiner utopischen Gedankenwelt drang die geliebte Stimme wieder an sein Ohr.
„Ich sollte gehen Garion. Ich bin schon eine ganze Weile hier und Phexdan wartet auf mich.“ Nur langsam drang der Sinn dieser Worte bis in Garions Verstand vor. Sie wollte gehen! Rasch schloss er seine Hand fester um ihre, drückte zu um sie zu halten.
„Geh nicht. Ich will dich halten, will dich küssen, will dich …“, es knackte leise, aber vernehmlich, als ein Knochen der Hand der jungen Frau seinen Protest kund tat.
„Aua! Garion! Drück nicht so fest zu!“, unterbrach sie ihn. Der Rondrit zuckte zusammen. Es war nicht seine Absicht gewesen sie zu verletzen, er wollte doch nur nicht, dass sie schon wieder ginge.
„Was ist eigentlich im Kerker passiert? Und … Wieso bist du hier?“, fragte die Phexgeweihte lauter als offenbar beabsichtigt. Garion zog seine Hand zurück und rieb sich die Augen, ehe er tief einatmete.
„Als ich zurück in Grangor war konnte ich einfach nicht anders. Ich habe ihn geschlagen. Und wie nicht anders zu erwarten ist die Wache eingeschritten.“, er leckte sich über die Lippen. Es schmeckte trocken, irgendwie komisch. Wie lange hatte er eigentlich nichts mehr getrunken?
„Zuerst hieß es, dass ich zwei Tage im Kerker absitzen solle, aber dann hat sich ein Kaufmannssohn oder –vetter gemeldet und einen besonderen Schaden angezeigt, den ich angeblich verursachte hätte. Daraufhin wurde meine Strafe auf eine Woche ausgedehnt. Ich weiß es natürlich nicht genau, aber ich habe da so eine Ahnung wer dieser feine Herr war.“, er verengte seine Augen ein wenig. Eine Angewohnheit, die ihn schon seit seiner Jugend begleitete.
„Meine Brüder haben mich befreit, nachdem mich eine Krankheit niedergestreckt hatte. Ich vermute ich habe sie mir inmitten all des Ungeziefers und der Exkremente zugezogen.“
Mit verzogenem Gesicht rieb Neferu sich die schmerzende Hand.
„Ich muss wirklich los, Garion. Ich wollte eigentlich nur kurz nach dir sehen, immerhin hast du das Füchschen geschlagen.“
Garion schwindelte. Ihr Füchschen! Lodernde Eifersucht suchte sich den Weg durch seine Adern, der Stolz des Königs der Tiere pulsierte in seinen Venen. Er würde sie nicht wieder zu dem Kretin lassen! Dieser Geck war es gar nicht würdig SEINE Geliebte auch nur anzusehen.
Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als der Körper neben ihm sich in einer schnellen Bewegung aus dem Bett schwang und die Verbindung der beiden ohne Vorwarnung abbrach. Wo eben noch die Wärme einer zweiten Person geherrscht hatte, spürte er nun die Kälte der Einsamkeit. Niemals würde er sie kampflos zu diesem Pomadenhengst ziehen lassen! Er spannte seine Muskeln an und schwang sich aus dem Bett.
„Du bleibst…“, raunt er leise und bewegte sich auf die junge Frau zu, die buchstäblich mit dem Rücken zur Wand stand. Neferu war wendig, das wusste er, aber die Chancen standen gut, dass er sie am Erreichen der Tür würde hindern können. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Sie würde toben und versuchen fort zu kommen, aber er würde ihr erklären was er fühlte, dann würde sie ein Einsehen haben und bleiben wollen. Das war alles was er wollte, nur die Chance ihr alles offen darzulegen.
Sein Blick ruhte auf ihrem gespannten Körper, als sich mit diesem plötzlich eine Veränderung vollzog. Die Farbe ihrer Kleider wurde langsam blasser, beinahe durchscheinend. Auch ihre Haut glich sich mehr und mehr der Farbe der weiß gekalkten Wand in ihrem Rücken an, bis seine Augen ihre Gestalt schließlich vollständig aus dem Blick verloren.
„Nein! Warte…! Neferu!“, rief er, als sich die Tür zum Flur hinaus, wie von Geisterhand öffnete. Er hatte den Kampf verloren, Neferu war fort …
Grangor 20 (Neferu)
Als die Morgensonne durch das Fenster in den unordentlichen Raum des Phexhochgeweihten in der Offenen Hand drang, fielen ihre Strahlen auf die zwei Menschen, die auf geflochtenen Matten und Decken auf dem Fußboden gebettet waren und noch tief und fest schliefen. Auch wenn beide am Vorabend jeder unter je einer Decke gelegen hatte, war die Distanz an diesem Herbstmorgen aufgehoben. Wie magnetisiert waren beide Körper im Schlafe aneinandergerückt, bis sie den Weg in seine Arme gefunden hatte.
Auch wenn die Praiosscheibe sich an diesem Tag bemühte, dauerte es noch eine ganze Weile – bis kurz vor Mittag – ehe Neferu wagte das Aufwachen langsam und mit Widerwillen zu akzeptieren.
Blinzelnd betrachtete sie das nahe Gesicht. Phexdan… Er war unweigerlich schön, wie er friedlich und voll Ruhe in Borons Armen weilte. Unrasiert, aber durchweg attraktiv – vielleicht gerade deshalb? Immerhin hatte er noch am gestrigen Abend den Verband von der Nase genommen und zugegeben, dass er ihn nur noch aus Mitleidszwecken getragen hatte.
Sie musste leise lächeln und schmiegte ihr Gesicht innig und von Sanftheit an das seine.
Neferu hatte sehr lange auf einen Moment wie diesen warten müssen.
Ihr war als sei in jener Sekunde, in dem sie Phexdan das erste Mal auf dieser Brücke in Grangor hatte sitzen sehen, eine Prophezeiung gesponnen worden, die sie beide füreinander bestimmt hatte.
Der Fuchs und die Füchsin mit den gleichfarbenen Augen.
Sie sann wortlos vor sich hin und schloss noch einmal die Lider. Genießend spürte sie seine direkte Nähe und Wärme. War ihr das Glück wirklich hold geworden? Hatte sie den Mann wahrhaftig bekommen, den sie von der ersten Sekunde an begehrt hatte? War es ihr gelungen den kleinen Phexje vor seinem tödlichen Schicksal zu bewahren…? Eng kuschelte sie sich auf den bekleidet Schlafenden.
Sie durfte trotz allem… ihre Weggefährten nicht vergessen. Richard war bei den Hortemanns untergebracht – gut. Trotz der beiden pubertierenden, roten Klopse sollte es dem bukanischen Schönling dort gut ergehen. Garion… im Kerker. Sie musste nach ihm sehen aus zweierlei Grund: Sie wollte ihm vorwerfen ihren Fuchs angefallen zu haben und… sie wollte sich vergewissern, dass er dennoch gut oder zumindest angemessen behandelt wurde.
„Phexdan…“ flüsterte sie dem Schwarzhaarigen leise zu, der nicht zu schnarchen pflegte.
Angesprochen kam leichte, schlaftrunkene Regung in ihn. Er zog Neferu mit unbeholfenen Bewegungen und ohne Warnung dicht an seinen Körper.
„Das ist der… schönste Morgen meines Lebens..“ raunte der Bettler Grangors leise und mit noch träger Stimme.
„Es ist nicht einmal mehr Morgen…“ lachte die Umarmte leise, ließ es sich aber nicht nehmen, seine Annäherung zu erwidern.
Ruhig begann sie ihm ihre Pläne zuzuflüstern: „Ich muss gehen… Ich will sehen, ob es Garion gut geht.“
Nun öffnete der Fuchs endgültig die Augen und der dunkelgrüne Blick huschte zu ihrem nahen Antlitz.
Er setzte eine Leidensmiene auf und zog sie mit noch ärgerer, sanfter Gewalt an seinen Leib, dem eine morgendliche Erregung innezuwohnen schien.
„Bleib… Es ist doch so gemütlich…“ maunzte er ihr leisem Protest zu und ließ sie mit seinen Lippen wissen, dass Vergangenes überholt war, dass er berühren durfte was er wollte, wann immer er wollte…
Arm in Arm ließen sie einander nicht los. Nicht einmal ein Haar hätte man zwischen ihre verkeilten, aneinandergeschmiegten Körper schieben können. Er schien willentlich und hungrig aufzusaugen, was sie ihm gab: Nähe, das Streicheln ihrer Finger. Wohlig warf er sich katzengleich einer jeden Zärtlichkeit entgegen, ehe er sie ähnlich erwiderte.
„Ich muss…“ hauchte sie verheißungsvoll in sein Ohr…
… ehe sie sich unvermittelt von ihm löste und sich gnadenlos erhob, das schlafwarme Nest verlassend.
„..nach Garion sehen! Wir sehen uns später!“
Die Tür schloss sich hinter ihr.
Rasch trugen ihre Füße sie zu dem Gardegebäude, welches auch die Kerkerkammern beinhaltete. Der herbstliche Mittag in Grangor war sonnig, kühl und vor allem windig. Immerhin war Phexdans königsblaue Kleidung, die sie auf ihre Größe hatte umnähen lassen ein grober Schutz gegen dieses Wetter.
Ein Soldat saß an einem Tisch über einen Haufen Schreibkram gebeugt und sah auf, als sie eintrat. Er war noch recht jung und in Grangorer Gardeuniform gekleidet, ganz wie man es erwartet hatte.
Neferu grüßte ihn und verlangte den Rondriten zu sehen.
Nach einigem Wortgeplänkel und der Einwirkung von Gewalt – sie hob ihn an seiner Uniform an und drückte ihren Unterarm gegen seine Kehle, natürlich nicht ohne zu erwähnen, dass sie die zweifache Retterin Grangors war – bekam sie endlich Antworten und die Zelle des Ardariten zu sehen. Leer, ganz wie der Soldat es vorhergesagt hatte.
Die großgewachsene Frau stand steinern vor dem siffigen, ungezieferbehafteten Anblick. Ihre Fäuste zitterten vor Wut und auch vor Angst, auch wenn Letzteres in diesem Moment einem unbändigen Zorn über die Misshandlung ihres Gefährten unterlag.
Unter der Androhung der Schmerzen hatte der Soldat zugegeben, dass das Überschütten des Rondriten mit Exkrementen kein Zufall gewesen war: Ein Mann hatte dafür gesorgt, dass Garion Rondrior von Arivor so schmählich erniedrigt worden war. Ein Mann, der ihr exakt wie Phexdan beschrieben wurde.
Die Geweihten des Rondratempels der Stadt hatten ihren Glaubensbruder aus dem Dilemma errettet. Garion war krank geworden. Ohne ein weiteres Wort verließ Neferu das Gardehaus und machte sich auf das rote Gebäude und den Arrestierten aufzusuchen.
Grangor 19 (Garion)
Angewidert hob der Rondrit seinen Blick an. Der Geruch nach Urin und anderen Fäkalien beherrschte seine Zelle, durchzog das vom Mist der anderen Gefangenen feuchte Stroh, das eigentlich seinen Schlafplatz darstellen sollte.
Noch einmal fuhr er sich mit der Handfläche der Linken durch das Gesicht und betrachtete, was in der Hand zurückblieb: Ein ekelerregendes Gemisch verschiedenster Körpersäfte und weicher Exkremente. Eine der Wachen hatte den Eimer, der hier unten gemeinhin als „der Donnerbalken“ bezeichnet worden, in seine Zelle und damit über ihn geleert. Vorgeblich ein Versehen, aber Garion wusste es besser. Er hatte sich das Gesicht des Gardisten eingeprägt; Dieser Übergriff hatte nichts mit einer gerechten Strafe zu tun, das war eine unnötige Demütigung, die er nicht zu tolerieren gewillt war.
Rasch fuhr er sich mit der Hand an den Rücken, als etwas juckte. Sicher ein Rinnsal dieser abartigen Brühe., dachte er und spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Nicht einmal sich zu waschen war ihm erlaubt worden. Und dann diese Kopfschmerzen. Seine Finger erreichten die Stelle des Juckreizes, stießen allerdings nicht auf die erwartete Flüssigkeit, sondern auf einen kleinen, harten und vielbeinigen Körper. „Was bei Rondras Donnerfürzen…?!“, fluchte der Ardarit erschrocken, umfasste das Insekt und riss es hervor um sich den Übeltäter zu besehen. Die Schabe zwischen Garions Fingerspitzen bemühte sich nach Kräften ihre verlorene Freiheit wieder zu erlangen, tastete mit ihren Fühlern nach dem überraschend festen Griff, der sie gefangen hielt, zappelte mit den Beinen und bot mit ihrem von menschlichen Exkrementen besudeltem Panzer einen äußerst unappetitlichen Anblick.
Garion schluckte einen schalen Geschmack hinunter und löste den Blick von dem zappelnden Insekt in seinen Fingern, ließ ihn stattdessen über den Boden seiner Zelle wandern. Da waren sie, ein ganzes Heer von Ungeziefer. Es wimmelte zwischen den Strohhäufchen umher, angelockt vom Geruch der menschlichen Hinterlassenschaften, dem Herd der Krankheiten, die ganze Zivilisationen ausrotteten.
Rasch erhob er sich und schnippte das zappelnde Etwas in seiner Hand durch die Stäbe seiner Zelle nach draußen auf den Flur des dunklen Kerkers. Leise hörte er den Panzer der Schabe an der Wand gegenüber abprallen.
Phexdan!, schoss es ihm durch den Kopf. Das war alles die Schuld dieses zwölfgötterverfluchten Bettlers! Ein kräftiges Husten unterbrach seine Gedanken, ein heftiger Krampf schüttelte seinen geschwächten Körper. Etwas nahm ihm die Luft zu atmen! Er sank auf die Knie und griff mit seinen verdreckten Händen an seine Kehle. Panik stieg in ihm auf. Der Rondrit hatte keine Angst vor einem Kampf mit einem bewaffneten Gegner, auch nicht vor dem Kampf mit einem Dämon. Die Angriffe jedes noch so überlegenen Gegners konnte man sehen, konnte wenigstens versuchen sie abzuwehren, aber das hier?!
Er spürte wie sein Körper zur Seite kippte und auf dem mit Brackwasser überzogenen Boden aufschlug. Sein Sichtfeld engte sich ein, Dunkelheit drängte von den Seiten auf seine Augen zu, als er verzweifelt zu husten begann, dann gab sein Körper nach und schenkte ihm die erlösende Bewusstlosigkeit des Kraftlosen.
Er atmete tief ein. Zwar umgab ihn Dunkelheit, aber er spürte etwas. Unter ihm bewegte sich ein kräftiger Leib, er hörte den dumpfen Schlag von Hufen, die ihr Stakkato in weichen Boden hämmerten. Der Wind, der ihm um die Nase pfiff trug ihm eine laute, befehlsgewohnte Stimme an die Ohren:“Eine Linie! LANZEN FREI!“
Plötzlich lichtete sich die Dunkelheit. Garion konnte rechts und links neben sich andere Reiter erahnen, spürte die eingelegte Lanze an seinem rechten Arm. Grassoden wurden dem Boden entrissen, als die Reiter auf breiter Front aus dem Wald hervorbrachen, der ihrem Anritt bis eben noch Deckung gegeben hatte, und auf eine Lichtung von ungefähr 200 Schritt Durchmesser hinaus preschten. In einiger Entfernung konnte der Rondrit eine niedrige Bauernkate ausmachen, die soeben Feuer gefangen hatte. In den Haufen dunkler Gestalten davor, kam Bewegung, als die Reiter bemerkt wurden. Rasch drängten die Bewaffneten sich zusammen und versuchten eine lose Kampfordnung aufzustellen. Als die Reiter näher kamen, verließen zwei ihrer Gegner die Nerven. Die beiden Männer rannten nach rechts und links los, hielten verzweifelt auf den Waldrand zu, doch Garion wusste, dass ihr Schicksal besiegelt war, als er zwei Reiter aus seinem Trupp ausscheren und die Verfolgung aufnehmen sah.
Sein Blick ruckte zu den verbliebenen Verteidigern zurück. Sie hatten sich zu einer recht schiefen Linie zusammengefunden und starrten den Angreifern angstvoll entgegen.
Nicht einfach in die Menge reiten, Garion. Such dir einen aus, lass ihn wissen, dass er DEIN Gegner ist. Er soll Boron kommen sehen., dachte er bei sich und ließ seinen Blick suchend über die Feinde und die Spitzen der bereits ausgerichteten Lanzen seiner Kameraden gleiten.
Dann fand sein Blick ein Gesicht…Es kam ihm merkwürdig bekannt vor. Schwarzes, strubbeliges Haar, grüne Augen, in der Hand nichts weiter als ein Rapier. Phexdan!
Die Spitze von Garions Kriegslanze blitzte im Licht der Abendsonne unheilverkündend auf, als er sie ein letztes Mal ausrichtete, es gab einen dumpfen Schlag als die lange Waffe ihr Ziel traf, dann folgte ein langgezogener Schrei, der ihn aus dem Traum zurück in die Realität riss.
Leise keuchend öffnete er die Augen. Er zitterte am ganzen Leib und schaffte es kaum den Kopf zu heben. Sein Kopf schwirrte und nur von Fern hörte er das Rasseln von Rüstungen und eine Frauenstimme, die in einem Anfall von äußerster Wut derbe Verwünschungen ausstieß, wie man sie nur im Feld lernte. Vorsichtig tastete er umher, griff in die Fäkalien seiner Zelle und das von Gewürm verseuchte Stroh seiner Schlafstatt. Sein Kopf dröhnte wie Ingerimms Schlag auf einem Amboss. Wie durch einen Nebel nahm er wahr, was vor seiner Zelle geschah.
Eine kräftige Frauengestalt, ganz offensichtlich die, die eine Verwünschung nach der anderen ausstieß, hielt eine zweite, männliche Gestalt gepackt, die die Farben der grangorer Garde am Leib trug.
Garion blinzelte noch einmal, als der Gardist von der Frau mit fürchterlicher Wucht gegen das Gitter seiner eigenen Zelle geschlagen wurde, zu bluten begann und auf dem Boden zusammensackte.
„Holt unseren Bruder aus der Zelle und werft diesen Sohn einer räudigen Hündin hinein! Dieser Narr hat sich an der Herrin Rondra versündigt, lasst ihn spüren, wie wir mit Ketzern verfahren!“, hallte die weibliche Stimme hart von den Wänden des Gefängnisses wider.
Der Rondrit spürte wie ihn zwei Paar kräftiger Hände unter den Armen packten und auf die Füße zogen, dann verlor er den Bodenkontakt, als die weibliche Gestalt seine Füße anhob um ihn mit ihrem Glaubensbrüdern aus der dreckigen Zelle zu schaffen. Er registrierte noch die Veränderung der Lichtverhältnisse, spürte die Wärme der Sonne auf seiner Haut, dann umfing ihn wieder die Dunkelheit.
Als er wieder erwachte atmete er tief ein. Der widerwärtige Geruch der Zelle war Vergangenheit, es roch vielmehr nach den sauberen Laken eines Bettes und als er seine Finger aneinander rieb fühlten sie sich sauber an, wie direkt nach einem warmen Bad. Vorsichtig öffnete er seine Augen und blinzelte in das Licht einer offenbar frisch entzündeten Talkkerze auf einem kleinen Beistelltischchen.
Er fühlte sich besser, das Gewicht auf seiner Lunge war verschwunden, der Reiz zu husten gewichen.
Einen Moment rieb er sich die Augen, ehe er seine Füße neben das Bett schwang um sich zu erheben. Der Raum um ihn herum war merklich größer als die winzige Zelle in den Kerkern der Stadtgarde. Das Bett, auf dem er bis eben gelegen hatte war mit sauberen Laken bezogen und groß genug für so ziemliche jede Art von Krieger. Zu seinen Füßen lag ein weicher, blutroter Teppich, in dem er für einen Moment die Zehen vergrub.
Das Tischchen mit der Kerze, ein recht niedriger Nachttisch, war nicht der einzige Tisch im Raum. Unter dem kleinen, vergitterten und verglasten Fenster stand ein Sekretär mit einem passenden Stuhl bereit, dessen mit Tinte befleckte Oberfläche ihn als vorzüglichen Ort seine Gedanken niederzuschreiben auswies. Alles in allem eine deutliche Steigerung, befand er, als sein Blick auf ein kleines, rotes Büchlein auf dem Nachttisch fiel. Garion runzelte die Stirn. Er erinnerte sich keines solchen Buches in seinem Besitz.
Zwei lange Schritte trugen ihn zu dem Schriftwerk hinüber, ehe er sich vorbeugte um den auf die Vorderseite gravierten Titel lesen zu können. „Rondra Vademecum“, flüsterte er leise.
Nachdenklich legte er die Stirn in Falten, er hatte von diesem Buch gehört. Es war eine Art religiöser Leitfaden für reisende Geweihte der Herrin Rondra. Eine Erinnerung an die Werte und Tugenden in Schriftform, eine Zusammenfassung der wichtigsten Gebete und Andachten.
Er musste schmunzeln. Niemals hatte er eines besessen, aber interessiert hatte es ihn schon immer.
Mit einer andächtigen Geste griff er nach dem Buch mit dem roten Ledereinband und strich über den stilisierten Löwen auf der Vorderseite. Gerade hatte er sich damit in der Hand niedergelassen, als es an seiner Tür klopfte. „Nur herein!“, antwortete er dem Klopfen mit fester Stimme, ehe sich die Tür nach innen öffnete und ihm einen hereintretenden Geweihten der Rondra offenbarte.
„Knappe der Göttin, es freut mich, dass ihr wieder wach seid. Wir haben uns erlaubt euch aus den Kerkern der Garde zu holen. Man hat euch dort vollkommen unangemessen behandelt, es war eine Schande. Ich hoffe es geht euch wieder besser?“, begrüßte der Mann Garion, der für einen Moment um Worte verlegen war und nur nickte, sich dann aber eines besseren besann. „Vielen Dank dafür. Ja, es geht mir besser…Sehr viel besser sogar.“, noch einmal nickte er dem Geweihten zu, als sei die Befreiung seine Entscheidung gewesen.
„Nun, zwar seid ihr dem Kerker entronnen, aber dennoch muss eure Verfehlung gesühnt werden, dafür habt ihr sicher Verständnis.“, Garion nickte. „Ihr steht noch bis morgen früh unter Arrest. Ich werde die Tür eurer Kammer allerdings aufgeschlossen lassen, ihr könnt euch im Tempel frei bewegen, ihn aber auf keinen Fall verlassen, hört ihr?“
Garion nickte…Er hatte gehört. „Natürlich, ich werde mich an den Arrest halten, darauf mein Wort. Aber danach werde ich mir diesen Gardisten vornehmen, der…“, der blonde Geweihte mit dem Spitzbart schnitt ihm das Wort ab:“…Der euch die Fäkalien der Kerkerinsassen über das Haupt schüttete?“, er grinste. „Ich denke, um den hat sich die Ritterin der Göttin Selissa bereits gekümmert. Er wird mindestens einen Götternamen lang keinen Dienst mehr schieben können. NIEMAND vergeht sich auf solch tolldreiste Art an unseren Brüdern und Schwestern!“, beschied er Garion erregt, ehe er sich rasch räusperte und einen Blick auf das Buch in Garions Hand warf.
„Ah. Ihr habt das Rondra Vademecum gefunden. Als wir eure Sachen aus dem Arsenal der Garde bargen fiel uns auf, dass sich keines in eurem Besitz zu befinden schien. Behaltet es…es ist ein Geschenk der Kirche. Eure anderen Besitztümer könnt ihr an euch nehmen – Waffen und Rüstungen natürlich nicht, seht es uns nach.“
Wieder nickte Garion. Natürlich, man bewaffnete niemanden, der unter Arrest stand, das verstand er nur zu gut, also nickte er dem Geweihten ein letztes Mal zu. „Ich danke euch für alles. Wenn ihr erlaubt, dann werde ich mich nun ein wenig in der Lektüre ergehen. Meine Sachen hole ich später.“
Wenig später hatte der Geweihte die kleine Kammer nach einem knappen Gruß wieder verlassen und der Rondrit Garion Rondrior von Arivor war wieder allein. Einen Moment noch blieb er nachdenklich auf dem kleinen Bett sitzen, dann erhob er sich um den niedrigen Raum zu verlassen. In der Haupthalle des Tempels würde sich sicherlich eine zum Lesen geeignete Nische finden lassen und durch das geöffnete Tor des Tempels könnte er wenigstens nach draußen sehen.
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